Entwicklung und Validierung eines rekalibrierten Prognosemodells (SCORE2-Diabetes) zur Schätzung des 10-Jahres-Risikos für kardiovaskuläre Erkrankungen bei Personen im Alter von über 40 Jahren mit Typ-2-Diabetes in vier verschiedenen europäischen Risikoregionen.

Herz-Kreislauf-Erkrankungen (CVD) sind nach wie vor eine der Hauptursachen für Morbidität und Mortalität in Europa. Allein 2019 wurden fast 13 Millionen neue Fälle registriert [2]. Diabetes mellitus Typ 2 ist ein wichtiger Risikofaktor für CVD. Personen mit Diabetes aus Ländern mit hohem Einkommen haben im Durchschnitt ein 2-fach höheres Risiko, an einer CVD zu erkranken, als Personen ohne Diabetes [3]. Die Europäische Gesellschaft für Kardiologie (ESC) stellt daher Leitlinien zur Verfügung und befürwortet die Abschätzung des CVD-Risikos bei Personen mit Typ-2-Diabetes, um Behandlungsentscheidungen zu treffen [4].

Risikovorhersagemodelle, die in der Primär­prävention von CVD in der Allgemeinbevölkerung eingesetzt werden, schätzen in der Regel das individuelle Risiko über einen Zeitraum von zehn Jahren, indem sie Informationen über gemessene Werte konventioneller CVD-Risikofaktoren (d.h. Alter, Raucherstatus, systolischer Blutdruck sowie Gesamt- und HDL-Cholesterin) und Informationen über den Diabetesstatus integrieren [5–7]. Um den erheblichen Risikovariationen bei Personen mit Diabetes Rechnung zu tragen, wurden jedoch zusätzliche diabetesbezogene Informationen (z.B. Alter bei der Diabetesdiagnose, glykiertes Hämoglobin (HbA1c) und Marker für die Nierenfunktion) in mehrere veröffentlichte Risikomodelle aufgenommen [8–11]. Dennoch weisen die verfügbaren diabetesspezifischen Modelle wichtige potenzielle Einschränkungen auf. Insbesondere sind sie möglicherweise nicht optimal für den Einsatz in den unterschiedlichen Bevölkerungsgruppen Europas geeignet, da sie auf der Grundlage einer begrenzten Anzahl von Beobachtungsstudien und/oder Interventionsstudien entwickelt wurden und nicht systematisch «rekalibriert» (d. h. statistisch angepasst) wurden, um die erheblichen Unterschiede bei den CVD-Raten in den verschiedenen europäischen Ländern widerzuspiegeln [2,11,12]. 

Um diese Einschränkungen zu beheben, hat die ESC eine Initiative zur Erweiterung der regional rekalibrierten europäischen SCORE2-10-Jahres-Risikomodelle [13] ins Leben gerufen, die den Einsatz bei Personen mit Typ-2-Diabetes ermöglicht. Beschrieben wird die Entwicklung, Validierung und Darstellung von SCORE2-Diabetes zur Schätzung des 10-Jahres-Risikos eines nicht-tödlichen Myokardinfarkts, Schlaganfalls oder einer CVD-Mortalität bei Personen mit Diabetes, aber ohne vorherige CVD, im Alter von über 40 Jahren in vier verschiedenen europäischen Risikoregionen [1].

Das SCORE2-Diabetes-Projekt umfasst mehrere Komponenten und Daten­

Für die Modellableitung wurden die ursprünglichen SCORE2-Risikovorhersagemodelle für tödliche und nicht-tödliche CVD-Erkrankungen für die Verwendung bei Personen mit Typ-2-Diabetes angepasst, wobei individuelle Daten von Patienten mit Typ-2-Diabetes, ohne vorangegangene CVD, im Alter von über 40 Jahren, aus dem Scottish Care Information-Diabetes (SCID), Clinical Practice Research Datalink (CPRD), UK Biobank (UKB) und sieben Kohorten aus dem Emerging Risk Factors Collaboration (ERFC) mit verfügbaren Informationen zu diabetesbezogenen Variablen verwendet wurden. Die abgeleiteten Risikomodelle für jede europäische Risikoregion wurden neu kalibriert, wobei die zuvor bei der Entwicklung von SCORE2 verwendeten Methoden angewandt wurden. Es wurde eine externe Validierung bei Personen mit Typ-2-Diabetes in vier Ländern (Schweden, Spanien, Kroatien und Malta) durchgeführt, wobei Daten aus dem Schwedischen Nationalen Diabetesregister (SNDR), dem Informationssystem für die Forschung in der Primärversorgung (SIDIAP, Sistema d’Informació per al Desenvolupament de la Investigació en Atenció Primària) und zwei beitragenden Registern aus dem European Best Information through Regional Outcome in Diabetes (EUBIROD) verwendeten wurden. Darüber hinaus wurde die Variation des CVD-Risikos bei Personen mit Typ-2-Diabetes in den verschiedenen europäischen Regionen veranschaulicht, indem die rekalibrierten Modelle auf Daten aus zeitgenössischen Populationen in jeder Risikoregion angewendet wurden. 

Der primäre Endpunkt waren kardiovaskuläre Ereignisse, definiert als eine Kombination aus kardiovaskulärer Mortalität, nicht tödlichem Myokardinfarkt und nicht tödlichem Schlaganfall. Die Nachbeobachtung erfolgte bis zum ersten nicht-tödlichen Myokardinfarkt, nicht-tödlichen Schlaganfall, Tod oder Ende der Studie bzw. des Registrierungszeitraums. Todesfälle, die nicht auf Herz-Kreislauf-Erkrankungen zurückzuführen waren, wurden als konkurrierende Ereignisse behandelt.

Ableitung des SCORE2-Diabetes-Risikomodells 

Die Modellableitung umfasste insgesamt 229’460 Teilnehmer mit Diabetes und ohne CVD-Vorgeschichte zu Studienbeginn aus SCID, CPRD und ERFC/UKB. Das Durchschnittsalter (SD) bei Studienbeginn betrug 65 (± 11) Jahre für SCID, 64 (± 11) Jahre für CPRD und 60 (± 8) Jahre für ERFC/UKB. Insgesamt waren 122 609 (53,4%) der Teilnehmer in allen Datenquellen männlich. Der Median (5., 95. Perzentil) der Nachbeobachtungszeit in Jahren betrug 10,9 in der SCID, 6,0 in der CPRD und 11,3 in der ERFC/UKB, in denen insgesamt 43’706 CVD-Ereignisse und 28 226 nicht-CVD-bedingte Todesfälle erfasst wurden. Die Assoziation der diabetesbezogenen Variablen nahm mit zunehmendem Alter der Teilnehmer ab. Die Assoziationen waren ähnlich, wenn die ERFC/UKB-Daten ausgeschlossen wurden und wenn ein erweiterter CVD-Endpunkt einschliesslich nicht tödlicher HF und pAVK verwendet wurde.

Die C-Indizes in den Ableitungsdatensätzen betrugen 0,704 (95% CI 0,701, 0,706), 0,733 und 0,666 in SCID, CPRD bzw. ERFC/UKB (Abb. 1) [1]. Bei der externen Validierung betrug der C-Index für SCORE2-Diabetes 0,670 unter Verwendung von Daten von 168 585 Personen mit Diabetes (34’944 CVD-Ereignisse) aus der SNDR und 0,658 unter Verwendung von Daten von 21’698 Personen mit Diabetes (2464 CVD-Ereignisse) aus SIDIAP. Bei Verwendung der EUBIROD-Datensätze mit 3876 Personen aus Malta und 22’821 Personen aus Kroatien mit vollständigen Informationen zu allen Risikoprädiktoren betrug der C-Index 0,661 bzw. 0,688.

Interne und externe Validierung der SCORE2-Diabetes-Modelle

Im Vergleich zu SCORE2 zeigte SCORE2-Diabetes eine verbesserte Risikodiskriminierung bei Personen mit Diabetes, mit Erhöhungen der C-Indizes (95% CI) von 0,021, 0,023 und 0,026 in SCID, CPRD bzw. ERFC/UKB. Etwas geringere Verbesserungen wurden bei SNDR und SIDIAP mit einem Anstieg des C-Indexes um 0,009 bzw. 0,009 festgestellt (Abb. 1) [1]. In den EUBIROD-Datensätzen aus Malta und Kroatien betrug der Anstieg der C-Indizes 0,031 bzw. 0,013. Die C-Indizes waren ähnlich, wenn die eGFR mit verschiedenen Gleichungen berechnet wurde, wurden jedoch leicht abgeschwächt, wenn Personen mit einer eGFR <45 mL/min/1,73 m2 ausgeschlossen wurden. Die Verbesserung der Risikodiskriminierung durch die zusätzlichen diabetesbezogenen Variablen, die in SCORE2-Diabetes enthalten sind (d.h. Alter der Diabetesdiagnose, HbA1c und eGFR), war grösser als die Verbesserung durch die Gesamt- und HDL-Cholesterinkonzentration im selben Modell. SCORE2-Diabetes zeigte auch eine leicht verbesserte Diskriminierung gegenüber dem ADVANCE-Risikoscore.

Die Verwendung von SCORE2-Diabetes anstelle von SCORE2 verbesserte die Risikoklassifizierung und ergab einen kontinuierlichen NRI von 25,2 (95% CI, 22,4, 28,0) in der CPRD und 28,7 in der SNDR. Die Verwendung von SCORE2-Diabetes anstelle von SCORE2 ergab einen kategorialen NRI von 24,6 in der CPRD und 13,7 in der SNDR, wobei ein Nettoanteil von 44,8% bzw. 31,9% der Fälle richtig reklassifiziert wurde.

Übereinstimmung der mit SCORE2 und SCORE2-Diabetes geschätzten Risiken

Nach der Rekalibrierung zeigten die von SCORE2-Diabetes vorhergesagten Risiken eine gute Übereinstimmung mit der erwarteten 10-Jahres-CVD-Inzidenz in jeder Risikoregion und waren im Durchschnitt innerhalb jeder Altersgruppe ähnlich wie die mit SCORE2 ermittelten Risiken. Die von SCORE2-Diabetes vorhergesagten Risiken stimmten auch mit den beobachteten Risiken bei Personen mit Diabetes aus national repräsentativen Datensätzen mit 10-jähriger Nachbeobachtungszeit überein und zeigten eine bessere Kalibrierung als SCORE2. Die Verwendung eines erweiterten CVD-Endpunkts, der nicht-tödliche HF und pAVK einschliesst, führte zu einem absoluten 10-Jahres-Risiko, das etwa 1,15-mal höher war als das mit dem SCORE2-Diabetes-CVD-Endpunkt geschätzte, wobei die Ergebnisse je nach Alter leicht variierten.

Getrennte Risikowerte für Männer und Frauen mit Typ-2-Diabetes

Das geschätzte absolute Risiko für ein bestimmtes Alter und eine bestimmte Kombination konventioneller CVD-Risikofaktoren unterschied sich erheblich je nach Höhe der diabetesbezogenen Variablen (Abb. 2) [1]. Bei Verwendung der Version des SCORE2-Diabetes für eine Region mit mittlerem Risiko betrug beispielsweise das geschätzte 10-Jahres-CVD-Risiko für einen 60-jährigen Nichtraucher mit Diabetes in der Vorgeschichte, durchschnittlichen Werten der konventionellen Risikofaktoren (d. h. systolischer Blutdruck von 140 mmHg, Gesamtcholesterin von 5,5 mmol/L und HDL-Cholesterin von 1,3 mmol/L), HbA1c von 50 mmol/mol, eGFR von 90 mL/min/1,73 m2 und einem Alter bei Diabetesdiagnose von 60 Jahren 11,0%. Für einen ähnlichen Mann mit weniger günstigen diabetesbezogenen Risikofaktoren (d.h. HbA1c von 70 mmol/mol, eGFR von 60 mL/min/1,73 m2 und Alter bei der Diagnose von 50 Jahren) lag das geschätzte Risiko bei 17,2%. Bei einer Frau mit denselben Merkmalen lag das Risiko bei 7,9% bzw. 12,7%. Die Risikoschätzungen variierten aufgrund der Rekalibrierung auch zwischen den europäischen Risikoregionen, wobei ein Mann bzw. eine Frau mit den letztgenannten Risikofaktorwerten ein geschätztes Risiko von 12,9% bzw. 9,8% in der Niedrigrisikoregion und von 31,2% bzw. 34,0% in der Hochrisikoregion hatte (Abb. 2) [1].

Die rekalibrierten SCORE2-Diabetes-Mo­del­le angewandt auf simulierte Daten, die Populationen aus jeder Risikoregion repräsentierten, zeigt eine erhebliche Abweichung der Personen im Alter von 40 bis 79 Jahren mit einem geschätzten Risiko von mehr als 10% je nach Region; von 61% in der Region mit niedrigem Risiko, bis zu 96% in der Region mit sehr hohem Risiko bei Männern bzw. von 51% bis 94% bei Frauen, wobei die Anteile wie erwartet mit dem Alter zunahmen (Abb. 3) [1].

Literatur:

  1. SCORE2-Diabetes Working Group and the ESC Cardiovascular Risk Collaboration: SCORE2-Diabetes: 10-year cardiovascular risk estimation in type 2 diabetes in Europe. Eur Heart J 2023; https://doi.org/10.1093/eurheartj/ehad260.
  2. Timmis A, et al.: European Society of cardiology: cardiovascular disease statistics 2021. Eur Heart J 2022; 43:716–799. https://doi.org/10.1093/eurheartj/ehab892.
  3. Emerging Risk Factors Collaboration: Diabetes mellitus, fasting blood glucose concentration, and risk of vascular disease: a collaborative meta-analysis of 102 prospective studies. Lancet 2010; 375: 2215–2222. https://doi.org/10.1016/S0140-6736(10)60484-9.
  4. Visseren FLJ, et al.: 2021 ESC guidelines on cardiovascular disease prevention in clinical practice. Eur Heart J 2021; 42:3227–3337.
    https://doi.org/10.1093/eurheartj/ehab484
  5. Goff DC, et al.: 2013 ACC/AHA guideline on the assess­ment of cardiovascular risk: a report of the American College of Cardiology/American Heart Association Task Force on Practice Guidelines. Circulation 2014; 129: S49–S73. https://doi.org/10.1161/01.cir.0000437741.48606.98.
  6. WHO CVD Risk Chart Working Group: World health organization cardiovascular disease risk charts: revised models to estimate risk in 21 global regions. Lancet Glob Health 2019; 7: e1332–e1345.
    https://doi.org/10.1016/S2214-109X(19)30318-3
  7. Hippisley-Cox J, Coupland C, Brindle P: Development and validation of QRISK3 risk prediction algorithms to estimate future risk of cardiovascular disease: prospective cohort study. BMJ 2017; 357: j2099. https://doi.org/10.1136/bmj.j2099.
  8. Dziopa K, et al.: Cardiovascular risk prediction in type 2 diabetes: a comparison of 22 risk scores in primary care settings. Diabetologia 2022; 65: 644–656. https://doi.org/10.1007/s00125-021-05640-y.
  9. Read SH, et al.: Performance of cardiovascular disease risk scores in people diagnosed with type 2 diabetes: external validation using data from the national Scottish diabetes register. Diabetes Care. 2018; 41: 2010–2018. https://doi.org/10.2337/dc18-0578
  10. Berkelmans GFN, et al.: Prediction of individual life-years gained without cardiovascular events from lipid, blood pressure, glucose, and aspirin treatment based on data of more than 500,000 patients with type 2 diabetes mellitus. Eur Heart J. 2019; 40: 2899–2906. https://doi.org/10.1093/eurheartj/ehy839.
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CARDIOVASC 2023; 22(2): 38–40

Autoren
  • Isabell Bemfert 
Publikation
  • CARDIOVASC 

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