Allergien und Asthma sind in Mitteleuropa weit verbreitet und werden oft durch Gräserpollen, Baumpollen oder die Hausstaubmilbe ausgelöst. Die allergenspezifische Immuntherapie (AIT) gilt als die wirksamste Methode, um nicht nur Allergien, sondern auch das Risiko für Asthma zu reduzieren. Dieser Artikel basiert auf aktuellen Erkenntnissen aus INFO PNEUMOLOGIE & ALLERGOLOGIE und erklärt, wie AIT funktioniert, welche Diagnostik- und Therapiemöglichkeiten es gibt und was Patienten wissen sollten.
Die wichtigsten Auslöser und das Prinzip der AIT
In Mitteleuropa zählen Gräserpollen, Baumpollen und die Hausstaubmilbe zu den häufigsten Inhalationsallergenen. Diese Allergene können nicht nur saisonale Beschwerden verursachen, sondern – bedingt durch den Klimawandel – auch zu ganzjährigen Symptomen führen. Wenn beispielsweise eine Allergie gegen Baumpollen besteht, können die Beschwerden bereits im Dezember beginnen. Kommt eine Sensibilisierung gegen Gräser hinzu, zieht sich die Symptomatik bis in den Herbst. Werden zusätzlich Kräuterallergien festgestellt, spricht man von einer ganzjährigen Allergie. In solchen Fällen ist es besonders wichtig, das auslösende Allergen genau zu identifizieren. Häufig leiden Patienten nicht nur an einer einzelnen Allergie, sondern an einer sogenannten Polysensibilisierung (gleichzeitige Sensibilisierung gegen mehrere Allergene). Zwischen 60 und 80 % der erwachsenen Allergiker sind davon betroffen, was die Behandlung komplexer macht und die Zahl der Polyallergiker steigen lässt.
Die allergenspezifische Immuntherapie (AIT) ist das zentrale Werkzeug, um gegen diese Allergene vorzugehen. Sie ist die einzige Therapie, die nicht nur die Symptome lindert, sondern auch die Ursache der Allergie beeinflusst. Besonders bedeutsam ist, dass AIT auch das Risiko für die Entwicklung oder Verschlechterung eines Asthma bronchiale (chronische Entzündung der Atemwege mit anfallsartiger Atemnot) senken kann. Damit schlägt die AIT sozusagen zwei Fliegen mit einer Klappe: Sie hilft sowohl bei der Allergie als auch beim Asthma.
Diagnostik: Wie wird eine Allergie festgestellt?
Die Diagnostik beginnt immer mit einer ausführlichen Anamnese (Erhebung der Krankengeschichte). Dabei wird erfragt, wann und unter welchen Umständen die Beschwerden auftreten, wie sie sich äußern und ob es mögliche andere Ursachen (Differenzialdiagnosen) gibt. Ein wichtiger nächster Schritt ist die Hauttestung, meist in Form des Pricktests. Hierbei werden verschiedene Allergene auf die Haut aufgetragen, um eine Sensibilisierung festzustellen. Allerdings handelt es sich bei den Pricktest-Lösungen oft um Gemische, die nicht alle einzelnen Allergene exakt abbilden können. Deshalb ist es bei Patienten mit Polysensibilisierung oft sinnvoll, zusätzlich eine serologische Untersuchung durchzuführen. Dabei werden spezifische Antikörper (IgE) im Blut gemessen, um die Allergene genauer zu differenzieren.
Bei ganzjährigen Allergien, wie sie zum Beispiel durch Hausstaubmilben ausgelöst werden, kann auch eine Provokationstestung sinnvoll sein. Hierbei wird das vermutete Allergen gezielt verabreicht, um zu überprüfen, ob tatsächlich eine allergische Reaktion ausgelöst wird. Das ist besonders wichtig, um vor Beginn einer AIT sicherzustellen, dass wirklich eine Allergie und nicht nur eine Sensibilisierung (Vorhandensein von Antikörpern ohne Beschwerden) vorliegt. Moderne Methoden wie die komponentenbasierte spezifische IgE-Bestimmung erlauben es, Haupt- und Nebenallergene zu unterscheiden. Das kann für die Auswahl der richtigen Therapie entscheidend sein, da nicht jedes Allergen gleich stark krankheitsauslösend ist.
Therapieoptionen: Von der Karenz bis zur AIT
Die wichtigste Maßnahme bei Allergien ist nach wie vor die Karenz, also das Vermeiden des Kontakts mit dem auslösenden Allergen. Bei Nahrungsmittelallergien ist dies meist relativ einfach umzusetzen, auch wenn es emotional belastend sein kann, auf bestimmte Lebensmittel zu verzichten. Schwieriger wird es bei Haustieren, da eine Trennung oft mit großen emotionalen Herausforderungen verbunden ist. Bei Hausstaubmilben ist eine vollständige Eliminierung nahezu unmöglich, aber spezielle Maßnahmen wie milbendichte Bettbezüge und regelmäßiges Waschen können die Belastung reduzieren.
Eine weitere Säule der Behandlung ist die symptomatische Therapie. Viele Patienten greifen eigenständig zu Medikamenten wie topisch-nasalen Steroiden (Kortisonpräparate zur Anwendung in der Nase) oder Antihistaminika (Medikamente, die die Wirkung des Botenstoffs Histamin blockieren). Diese Mittel lindern zwar die Beschwerden, beeinflussen aber nicht die Ursache der Allergie. Biologika (moderne, biotechnologisch hergestellte Medikamente, die gezielt in das Immunsystem eingreifen) können bei bestimmten Patienten sinnvoll sein, sind aber meist nicht so nachhaltig wirksam wie die AIT und erreichen nicht deren krankheitsmodifizierenden Effekt.
Die allergenspezifische Immuntherapie (AIT) ist die einzige Therapie, die die Krankheitsentwicklung langfristig beeinflussen kann. Bei der AIT wird die Dosis des Allergens über einen Zeitraum von etwa drei Jahren langsam gesteigert, um eine Toleranz zu erreichen. Das bedeutet, dass das Immunsystem lernt, das Allergen zu tolerieren, sodass die Beschwerden abnehmen oder sogar ganz verschwinden können. Die AIT ist besonders bei Allergien gegen Pollen, Hausstaubmilben, Vorratsmilben, Tierepithelien (Hautschuppen von Tieren), Schimmelpilze und Insektengifte sinnvoll.
Applikationswege und Wirksamkeit der AIT
Für die Durchführung der AIT stehen zwei Hauptwege zur Verfügung: die subkutane Immuntherapie (SCIT), bei der das Allergen unter die Haut gespritzt wird, und die sublinguale Immuntherapie (SLIT), bei der das Allergen als Tropfen oder Tablette unter die Zunge gegeben wird. Laut der S2k-Leitlinie zur Allergen-Immuntherapie bei IgE-vermittelten allergischen Erkrankungen, die 2022 unter Mitwirkung der Schweizerischen Gesellschaft für Allergologie und Immunologie (SGAI) veröffentlicht wurde, ist die Wahl des Applikationsweges (subkutan oder sublingual) kein Kriterium mehr für die Wirksamkeit. Entscheidend ist vielmehr, dass das verwendete Präparat einen produktspezifischen Wirksamkeitsnachweis besitzt.
Bei der SCIT werden heute meist Semidepot-Präparate mit Adjuvanzien (Hilfsstoffe, die die Wirkung verstärken) oder Allergoide (chemisch veränderte Allergene mit geringerer Nebenwirkungsrate) eingesetzt. Für die SLIT stehen wässrige Extrakte und Tabletten zur Verfügung. Derzeit läuft der Prozess der Therapieallergene-Verordnung (TAV), mit dem Ziel, ab 2026 nur noch zugelassene Arzneimittel für die wichtigsten Allergene auf dem Markt zu haben. Patienten sollten bevorzugt Präparate erhalten, die sowohl eine Zulassung als auch einen wissenschaftlichen Wirksamkeitsnachweis besitzen. Produkte ohne diese Nachweise sollten nur in Ausnahmefällen eingesetzt werden.
Die Wirksamkeit der AIT zeigt sich oft schon in der ersten Saison. Besonders bei der sublingualen Therapie gegen Gräserpollen ist die Datenlage sehr positiv. In einer kontrollierten Studie konnte eine Tablette im Vergleich zu Placebo bereits im ersten Jahr eine Verbesserung des Symptom- und Medikations-Scores um 33 % erreichen. Dieser Effekt hielt über die gesamte dreijährige Therapie an und betrug auch in der zweiten Nachbeobachtungssaison noch 27 %.
AIT bei Asthma und langfristige Effekte
Patienten mit einer Allergie gegen Hausstaubmilben haben ein erhöhtes Risiko, im Verlauf ein Asthma bronchiale zu entwickeln. Studien zeigen, dass die Hausstaubmilben-SLIT (sublinguale Immuntherapie mit Hausstaubmilben-Allergen) bei Asthma-Patienten, die inhalative Kortikosteroide (ICS) reduzieren, das Risiko für moderate oder schwere Asthma-Exazerbationen (plötzliche Verschlechterung der Asthmasymptome) signifikant senken kann. In einer Studie erhielten Patienten mit bestehendem Asthma und Hausstaubmilbenallergie zwei verschiedene Konzentrationen des AIT-Präparats oder ein Placebo, während das ICS langsam reduziert wurde. Trotz des Risikos einer Exazerbation zeigte sich, dass die Patienten unter AIT – unabhängig von der Dosis – deutlich weniger Exazerbationen erlitten als die Placebo-Gruppe. Bei der Gruppe mit 6 SQ-HDM (Spezifizierung der Allergenmenge) betrug die Reduktion der Exazerbationen –31 % (p=0,03), bei 12 SQ-HDM lag sie sogar bei –34 % (p=0,02).
Auch langfristig ist die AIT wirksam: In einer großen Real-World-Studie mit über 46.000 Patienten, die eine AIT gegen Hausstaubmilben, Gräser und/oder Bäume erhielten, zeigte sich eine deutliche Verringerung des Bedarfs an Medikamenten gegen Rhinitis (allergischer Schnupfen) und Asthma. Diese Wirkung hielt bis zu neun Jahre nach Beginn der Behandlung an – also noch sechs Jahre nach Abschluss der dreijährigen Therapie. Bei Patienten mit Asthma reduzierte sich zudem das Risiko für Krankenhausaufenthalte signifikant. Die AIT sollte daher noch häufiger als bisher bei Allergikern und Asthmatikern eingesetzt werden, um die Krankheitslast langfristig zu senken.
Wichtige Hinweise für Patienten: Was Sie beachten sollten
Die AIT ist die einzige Therapie, die nicht nur die Symptome einer allergischen Rhinitis (allergischer Schnupfen) und eines allergischen Asthmas beeinflusst, sondern auch den Verlauf der Erkrankung langfristig verändert. Daher sollte die Entscheidung für eine AIT immer gemeinsam mit einem erfahrenen Allergologen getroffen werden. Besonders wichtig ist es, auf die produktspezifischen Unterschiede der AIT-Präparate zu achten. Bei Neueinstellungen sollten immer Präparate mit bestehender Zulassung und wissenschaftlich nachgewiesener Wirksamkeit bevorzugt werden. Produkte ohne diese Nachweise sollten nur in Ausnahmefällen eingesetzt werden, wenn keine Alternativen zur Verfügung stehen.
Für Patienten bedeutet dies, dass sie sich bei der Wahl der Therapie gut informieren und im Zweifel nachfragen sollten, ob das vorgeschlagene Präparat zugelassen und wissenschaftlich geprüft ist. Die AIT ist eine langfristige Therapie, die Geduld erfordert, aber die Chancen auf eine deutliche Besserung der Beschwerden und eine Reduktion des Asthmarisikos sind hoch. Gerade bei Kindern und Jugendlichen kann die AIT verhindern, dass sich aus einer einfachen Allergie ein Asthma entwickelt. Auch Erwachsene profitieren von der AIT, da sie die Lebensqualität verbessert und den Bedarf an Medikamenten langfristig senkt.
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die allergenspezifische Immuntherapie eine zentrale Rolle in der Behandlung von Allergien und Asthma spielt. Sie ist die einzige krankheitsmodifizierende Therapie und sollte daher bei entsprechender Indikation frühzeitig in Betracht gezogen werden. Sprechen Sie mit Ihrem Arzt oder Ihrer Ärztin über die Möglichkeiten und lassen Sie sich individuell beraten.
Jens Dehn
Quellen
- Haxel B: Neues zur Therapie von Inhalationsallergien. Streamed Up HNOLive: Allergologie im Wandel 2024, 24.01.2024.
- Pfaar O, Ankermann T, Augustin M, et al: Leitlinie zur Allergen-Immuntherapie bei IgE-vermittelten allergischen Erkrankungen. Allergologie 2022; 9: 643–702; AWMF-Registriernummer: 061-004.
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- Virchow JC, Backer V, Kuna P, et al.: Efficacy of a House Dust Mite Sublingual Allergen Immunotherapy Tablet in Adults With Allergic Asthma. A Randomized Clinical Trial. JAMA 2016; 315(16): 1715–1725; doi: 10.1001/jama.2016.3964.
- Fritzsching B, Contoli M, Porsbjerg C, et al.: Long-term real-world effectiveness of allergy immunotherapy in patients with allergic rhinitis and asthma: Results from the REACT study, a retrospective cohort study. The Lancet Regional Health – Europe 2022; 13: 100275; doi: 10.1016/j.lanepe.2021.100275.
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