Moderne innovative Technologien können die diabetesbedingte Belastung erheblich reduzieren. Die tägliche Insulingabe ist für Typ-1-Diabetiker lebensnotwendig. Die ideale Therapie wäre eine glukoseabhängige Steuerung der Insulinzufuhr ohne jegliche Gefahr einer Hypoglykämie. Mit Systemen zur automatisierten Insulin-Abgabe (AID) kommt man diesem Ziel bereits relativ nahe – das Hypoglykämierisiko kann nachweislich verringert und die Lebensqualität verbessert werden. Wobei es nach wie vor sowohl in regulatorischer als auch in technologischer Hinsicht einige Herausforderungen gibt.

Insbesondere für Typ-1-Diabetiker bieten technische Innovationen ausgezeichnete Möglichkeiten für eine individualisierte Therapie. Diese Fortschritte sind intensiven Forschungsbemühungen zu verdanken, erklärte Prof. Dr. med. et phil. Lia Bally, Leitende Ärztin und Leiterin Forschung, Universitätsklinik für Diabetologie, Endokrinologie, Ernährungsmedizin und Metabolismus, Inselspital Bern [1]. Insulinpumpen gibt es seit den 1980er-Jahren, die ersten Geräte zur kontinuierlichen Blutzuckermessung (CGM, Continuos glucose monitoring) wurden in den 1990-er Jahren eingeführt. Was lange fehlte, war eine geeignete Software, die beides in einem geschlossenen Kreislauf verbindet. 

Künstlicher Pankreas alias (Hybrid)-Closed-Loop – ein Meilenstein 

Die US-Arzneibehörde FDA hat 2016 erstmals ein Closed-Loop-System zur Kontrolle des Blutzuckers für Typ-1-Diabetes mellitus zugelassen und seither wurde die Technologie fortlaufend verbessert. Bei den heute verfügbaren modernsten Systemen wird die CGM mittels KI**-Algorithmen mit einer automatischen Insulinpumpe verbunden für die automatisierte Insulin-Abgabe (AID, Automated insulin delivery(Abb. 1) [2]. Solche teil- oder vollautomatischen Devices werden auch als künstlicher Pankreas (Kasten) bezeichnet. Dabei wird die Insulin-Abgabe sowohl nach oben als auch nach unten an den aktuellen oder erwarteten Blutzuckerspiegel angepasst. Da bei den heute zugelassenen Systemen gewisse Eingaben durch den Nutzer erforderlich sind (z.B. Ankündigung einer bevorstehenden Mahlzeit), werden diese als Hybrid-Closed-Loop-Systeme (vs. Closed-Loop) bezeichnet. Die Insulin-Abgabe kann an die täglichen Schwankungen des Insulin-Bedarfs einer Person individuell angepasst werden, kleinere Ungenauigkeiten bei der Beurteilung der aufgenommenen Kohlenhydratmenge korrigiert und viele andere Faktoren, die den Blutzuckerspiegel beeinflussen, werden ausgeglichen [2]. «Heutzutage sind mehrere Hybrid-Closed-Loop-Systeme zugelassen für die Behandlung von Typ-1-Diabetes», so Prof. Bally [1]. Es gibt unterschiedliche Kontrollalgorithmen für die Anpassung der Insulindosierung. Die adaptivsten Systeme nutzen «Model Predictive Control» (MPC)-Algorithmen [3–5]. Anhand eines mathematischen Modells des glukoregulatorischen Systems berechnet ein MPC-Algorithmus die zu einem bestimmten Zeitpunkt abzugebende optimale Insulindosis (Infusionsrate) anhand eines vorher festgelegten Glukose-Targets durch die Prädiktion des Glukoseverlaufs. Es handelt sich bei MPC also um ein dynamisches Modell, welches das zukünftige Verhalten des Regelprozesses (Insulindosis) in Abhängigkeit von den Eingangssignalen (Glukosekonzentration) simuliert und das laufend Modellparameter aufdatiert, wie beispielsweise die Insulinsensitivität.

** KI = Künstliche Intelligenz 

Patienten profitieren in verschiedener Hinsicht von AID-Systemen

Insgesamt liessen sich durch den Einsatz von AID-Systemen bei Typ-1-Diabetes Verbesserungen hinsichtlich Glukosekontrolle und «Time in range» nachweisen. Bei den «Patient-reported Outcomes» ist hervorzuheben, dass die Angst vor Hypoglykämie reduziert, sowie die Schlafqualität und die Lebensqualität allgemein verbessert werden konnten [6]. In einer klinischen Studie wurde die Verwendung eines tagsüber und nachts eingeschaltenen Hybrid-Closed-Loop-Systems über einen Zeitraum von 4 Wochen bei Erwachsenen (n=28) mit Typ-1-Diabetes und einem HbA1c-Wert unter 7,5% überprüft. Dabei wurde eine Verbesserung der Glukosekontrolle sowie eine Reduktion des Hypoglykämierisikos festgestellt und das System erwies sich als sicher und gut verträglich [12]. Eine optimale glykämische Kontrolle setzt ein Gleichgewicht zwischen Nahrungsaufnahme, Stoffwechselbedarf, Energieaufwand und Insulin-Wirkprofilen (Tab. 1) voraus [7]. Hierzu gilt es, Lebensstilfaktoren wie Ernährung und körperliche Aktivität in die automatisierte Insulin-Abgabe zu integrieren. Die Verwendung von Hybrid-Closed-Loop-Systemen erleichtert auch die Prävention von Hypoglykämien im Rahmen von sportlichen Aktivitäten, wobei dies aber trotz fortschrittlicher Technologie nach wie vor eine Herausforderung darstellt [2]. 

Optimierbarkeit von AID-Systemen 

Kleinere, exaktere CGM-Geräte mit längerer Tragedauer und kleinere Insulinpumpen, bei denen die Benutzeroberfläche auf ein Smartphone/eine Smartwatch übertragen wird, können die Benutzerfreundlichkeit verbessern und die Gerätebelastung minimieren [8]. Interoperable Geräte und Datenverwaltungsplattformen sollen den Nutzern die Flexibilität bieten, ihr eigenes personalisiertes AID-System zu schaffen. 

Künstlicher Pankreas – automatisierte Insulindosierung der Basalrate
Das Prinzip der automatisierten Insulin-Abgabe (AID) besteht darin, dass die kontinuierliche Glukosemessung (CGM) über einen Algorithmus mit einer Insulin-Pumpe verbunden wird. Algorithmen für die automatisierte Steuerung der Insulin-Abgabe sind mathematisch gut darstellbar. Die Herausforderung besteht in der Anpassung an die aktuelle Lebenssituation des jeweiligen Patienten. Konkret wird im Rahmen einer «Hybrid Closed Loop» eine automatisierte Insulindosierung der Basalrate auf Grundlage der per Sensor gemessenen Glukosewerte durchgeführt und die Insulin-Abgabe wird bei drohender Unterzuckerung unterbrochen. Da weiterhin eine manuelle Eingabe zu den Mahlzeiten und zur Korrektur erforderlich ist, handelt es sich um Hybrid-Closed-Loop-Systeme. Bei Typ-1-Diabetikern gelten AID-Systeme als Goldstandard in der Therapie, aber auch insulinpflichtige Typ-2-Diabetiker können von dieser innovativen Technologie profitieren. Zusammenfassend wird eine automatisierte Regulation des Basalinsulins mit der manuellen Eingabe des Mahlzeiten- und Korrekturbolus kombiniert.
nach [1,2,11] 

Die Einführung noch schneller wirkender Insulinanaloga würde ermöglichen, die Leistung von Closed-Loop-Systemen durch einen rascheren Beginn und ein beschleunigtes Abklingen der Insulinwirkung weiter zu verbessern. Und die Integration zusätzlicher Signale in die Algorithmen, wie beispielsweise Herzfrequenz oder Beschleunigungssensoren, um körperliche Aktivität schneller zu erkennen als mit CGM alleine, könnte zur Reduktion des Hypoglykämierisikos bei körperlicher Aktivität beitragen. Dies wäre besonders bei Kleinkindern von Vorteil, bei denen Aktivität in der Regel spontan und unvorhersehbar ist und Hypoglykämien ein grosses Problem darstellen.

Kongress: SGAIM Frühjahrskongress 

Literatur:

  1. «Artificial Intelligence in Diabetes Management», Prof. Dr. med. et phil. Lia Bally, SGAIM Frühjahrskongress, 10.–12.05.2023.
  2. Boettcher C, et al.:  100 Jahre Insulintherapie. «Aktuelle Herausforderungen in der Therapie des Typ-1-Diabetes beim Kind». Swiss Med Forum 2022; 22(47): 767–771. 
  3. Bequette BW: Algorithms for a closed-loop artificial pancreas: the case for model predictive control. J Diabetes Sci Technol 2013; 7: 1632–1643. 
  4. Elleri D, et al.: Evaluation of a portable ambulatory prototype for automated overnight closed-loop insulin delivery in young people with type 1 diabetes. Pediatr Diabetes 2012; 13: 449–453. 
  5. Hovorka R, et al.: Manual closed-loop insulin delivery in children and adolescents with type 1 diabetes: a phase 2 randomised crossover trial. Lancet 2010; 375: 743–751. 
  6. Weisman A, et al.: Effect of artificial pancreas systems on glycaemic control in patients with type 1 diabetes: a systematic review and meta-analysis of outpatient randomised controlled trials. Lancet Diabetes Endocrinol 2017; 5(7): 501–512. 
  7. Smart CE, et al.: ISPAD Clinical Practice Consensus Guidelines 2018: Nutritional management in children and adolescents with diabetes. Pediatr Diabetes 2018; 19 Suppl 27: 136–154.
  8. Boughton CK, Hovorka R: New closed-loop insulin systems. Diabetologia 2021: 64:  1007–1015, https://link.springer.com/article/10.1007/s00125-021-05391-w, (letzter Abruf 11.07.2023)
  9. Schneider L, Lehmann R: «Swiss Diabetes Guide». Swiss Med Forum 2021; 21(1516): 251–256. 
  10. Lechleitner M, et al.: Diagnostik und Therapie des Typ 1 Diabetes mellitus (Update 2023) [Diagnosis and insulin therapy of type 1 diabetes mellitus (Update 2023). Wien Klin Wochenschr 2023; 135(Suppl 1): 98–105.
  11. Kordonouri O, Kerner W: Diabetes mellitus Typ 1 – Update. Internist (Berl) 2021; 62(6): 627–637.
  12. Bally L, et al.: Day-and-night glycaemic control with closed-loop insulin delivery versus conventional insulin pump therapy in free-living adults with well controlled type 1 diabetes: an open-label, randomised, crossover study. Lancet Diabetes Endocrinol 2017; 5(4): 261–270.

HAUSARZT PRAXIS 2023; 18(8): 32–33

Autoren
  • Mirjam Peter, M.Sc. 
Publikation
  • HAUSARZT PRAXIS 

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