Multiple Sklerose (MS) und die Neuromyelitis optica Spektrum Erkrankungen (NMOSD) sind beides Erkrankungen des Zentralnervensystems. Sie können ähnliche Symptome aufweisen und lange wurde die NMOSD als Sonderform der MS betrachtet, da beide meistens schubförmig verlaufen. Inzwischen weiss man, dass es sich um zwei unterschiedliche Erkrankungen handelt, die jeweils angepasste Therapien bedürfen. Die Strategien werden bei beiden Entitäten laufend verbessert und angepasst.

Die Behandlung von Frauen mit Multipler Sklerose (MS) während der Schwangerschaft und Stillzeit bedarf nach wie vor intensiver Forschung. Während der Schwangerschaft ist die MS-Aktivität häufig reduziert, kann aber postpartal sehr schnell wieder ansteigen. Daher wird vor allem Patientinnen mit hochaktivem Erkrankungsverlauf geraten, die krankheitsmodifizierende Therapie zeitnah nach der Geburt wieder aufzunehmen. Mit Ausnahme von Ofatumumab sind monoklonale Antikörper (mAb) jedoch nicht für die Stillzeit zugelassen. Erste Daten zeigen einen geringen Übergang von Ocrelizumab, Rituximab und Natalizumab in die Muttermilch und keine Auffälligkeiten bei den gestillten Säuglingen, die klinische Datenlage ist allerdings noch gering. Hier setzte eine Studie mit der Fragestellung an, wie sich die Entwicklung von Kindern gestaltet, deren Mütter in der Stillzeit mit einem mAb behandelt wurden, verglichen mit der von Kindern, deren Mütter in der Stillzeit keine MS-Therapie erhielten [1]. Insgesamt wurden 140 exponierte Fälle mit der Diagnose MS oder Neuromyelitis-optica-Spektrum-Erkrankung identifiziert, ohne signifikante Unterschiede bezüglich demografischer Charakteristika im Vergleich zur Kontrollgruppe (n=140). Die mAb-Exposition in der Stillzeit begann im Median am 24. Tag postpartum. Am häufigsten wurde unter Natalizumab gestillt (61,43%), gefolgt von Ocrelizumab (21,43%), Rituximab (7,14%) und Ofatumumab (7,14%); in 3 Fällen (2,14%) wurde die mAb-Therapie von Natalizumab auf Ocrelizumab gewechselt und bei 1 (0,71%) von Rituximab auf Ocrelizumab. Zwei Kinder wurden zuvor unter Glatirameracetat-, eins unter Interferongabe gestillt. Entwicklungsverzögerungen traten in der exponierten Gruppe nicht häufiger (0,71% vs. 2,14%) auf. Auch die Körpermasse waren im Nachbeobachtungszeitraum nicht signifikant unterschiedlich. Weder bei der durchschnittlichen Anzahl an Hospitalisierungen pro Jahr noch beim Anteil der Kinder, die mindestens einmal hospitalisiert wurden (13,57% vs. 12,86%), gab es signifikante Unterschiede, auch nicht in den einzelnen Lebensjahren. Die vorläufige Auswertung lässt darauf schliessen, dass eine mAb-Exposition in der Stillzeit keinen negativen Einfluss auf die Entwicklung oder Gesundheit der gestillten Kinder hatte. 

Risikowahrnehmung beeinflusst Therapieentscheidung

Behandlungsansätze bei aktiver MS beruhen auf der Bewertung des Risikos eines weiteren Fortschreitens der Erkrankung und des Risiko-/Wirksamkeitsprofils krankheitsmodifizierender Behandlungen (DMTs). Die Wahl der besten Erstlinientherapie oder der Wechsel zu anderen Medikamenten für MS-Patienten ist ein komplexer und gemeinsamer Entscheidungsprozess, der stark von der Risikowahrnehmung des Einzelnen beeinflusst wird. Neue Therapien, insbesondere solche, die als hochwirksame Behandlungen (HET) eingestuft werden, werden als sicherer wahrgenommen, auch wenn die Ergebnisse der klinischen Phase-III-Stu­dien dies nicht bestätigen. Diese Wahrnehmung von HETs als Behandlungen mit höherem Risiko kann ihre Anwendung in der klinischen Praxis möglicherweise einschränken. Eine Datenerhebung zielte daher darauf ab, den Behandlungsverlauf von MS-Patienten und den möglichen Einfluss der individuellen Risikowahrnehmung auf die Behandlungsentscheidung mit Hilfe eines innovativen und interaktiven digitalen Ansatzes zu beschreiben [2]. 16 Fachkräfte des Gesundheitswesens (HCP) wurden zu den möglichen Behandlungswegen von MS-Patienten und ihren üblichen Behandlungsansätzen befragt. Anschliessend wurden die Krankenakten und die Patientendokumentation durchgesehen, einschliesslich der Wahrnehmung der Fachkräfte hinsichtlich der Patientenzufriedenheit und der Wirksamkeit der Behandlung. In einer Online-Umfrage unter MS-Patienten wurden schliesslich die Präferenzen für die Behandlungsmethode, die individuellen Erwartungen an MS-Therapien, die Bewertung des individuellen Therapieerfolgs und die Behandlungszufriedenheit bewertet. Es zeigte sich, dass bei der Auswahl einer MS-Therapie klinische und subklinische Parameter die Hauptfaktoren darstellen, gefolgt von der patientenindividuellen Situation. Für die Ärzte ist die Effektivität häufig ausschlaggebender als die Sicherheit und bei den meisten Patienten überwiegt der Wunsch nach Stabilisierung der Erkrankung gegenüber geringeren Nebenwirkungen. Eine Korrelation zwischen der individuellen Wahrnehmung von HET und dem Behandlungsverlauf von Patienten konnte nicht festgestellt werden.

Remyelinisierung – eine Frage des Alters

Die Remyelinisierung stellt bei MS einen effektiven endogenen Reparaturmechanismus nach der Demyelinisierung dar, ist jedoch bei MS-PatientInnen oft gestört oder inkomplett. Zur Erforschung von De- und Remyelinisierung ist das Cuprizone-Modell seit langem etabliert: Hier werden junge Mäuse mit dem Kupferchelator Cuprizone gefüttert, der eine toxische Demyelinisierung verschiedener Gehirnstrukturen auslöst. Nach Beendigung dieser Fütterung tritt bei jungen Tieren umgehend eine ausgeprägte, schnelle und komplette Remyelinisierung auf, sodass die klinisch relevante Untersuchung der inkompletten Remyelinisierung, die der typischen humanen Pathologie entspräche, nicht möglich ist. Aus diesem Grund wurde das herkömmliche Cuprizone-Modell modifiziert, in dem älte­re Mäuse (sechs Monate alt) experimentell genutzt wurden. Diese wiesen nach Demyelinisierung eine langsamere und inkomplette Remyelinisierung auf, was der eingeschränkten Remyelinisierungskapazität im Patienten genauer entspricht. Doch wieso verläuft die Remyelinisierung gealterter Mäuse im Cuprizone-Modell langsamer und ineffizienter? Welcher Dynamik unterliegen inflammatorische Prozesse während der Remyelinisierung, unter anderem im Hinblick auf astrozytäre und mikrogliale Reaktion? Welche Schlüsselfaktoren sind hier von Relevanz? Diesen Fragen ging eine Studiengruppe an [3]. Sechs Monate alte Mäuse wurden für 6,5 Wochen mit 0,4% Cuprizone-haltigem Futter behandelt. Nach Expositionsende wurden die Mäuse für 1,5 Wochen nachbeobachtet, um die Remyelinisierung zu untersuchen. Parallel wurden junge Mäuse (8–10 Wochen) für fünf Wochen mit 0,2% Cuprizone behandelt und ebenfalls für 1,5 Wochen nachbeobachtet. Anhand von bulk-RNA- und mikro-RNA-Sequenzierung wurden im Vergleich dieser beiden Behandlungsgruppen relevante Gene identifiziert und ihr Expressionmuster im Gruppenvergleich charakterisiert.

Die Cuprizone-Behandlung führte bei jungen und gealterten Tieren zu einer signifikanten Demyelinisierung verschiedener Gehirnareale der weissen und grauen Substanz. Anschliessend kam es bei jungen Tieren zu einer ausgeprägten und raschen Remyelinisierung, während die Remyelinisierung bei gealterten Tieren verlangsamt verlief und inkomplett verblieb. Die Transkriptom-Analyse ergab Unterschiede in der Expression verschiedener Faktoren zwischen jungen und gealterten Tieren während der De- und Remyelinisierung. Es zeigte sich u.a., dass in den alten Mäusen sowohl die regenerativen als auch entzündliche Prozesse deutlich hochreguliert waren. Es wurden unterschiedliche Regenerationsraten der Oligodendrozyten von Astrozytose und verlängerter Mikrogilose begleitet. Die detaillierte Analyse von De- und Remyelinisierungsprozessen ist grundlegende Voraussetzung für ein verbessertes Krankheitsverständnis der Multiplen Sklerose. In der vorliegenden Arbeit konnten Faktoren identifiziert werden, welche für die Remyelinisierung im Cuprizone-Modell eine wichtige Rolle spielen können. Diese Erkenntnisse bilden die Grundlage für ein genaueres Verständnis der Pathogenese demyelinisierender Erkrankungen und tragen so zur Erschliessung neuer Therapieansätze bei.

Late- und early-onset NMOSD

Neuromyelitis-optica-Spektrum-Erkrankungen (NMOSD) sind seltene, schubförmig verlaufende chronische Autoimmunerkrankungen des zentralen Nervensystems, welche sich im Mittel im 40. Lebensjahr erstmanifestieren. Etwa 30% der Patienten haben einen sogenannten late-onset (Lebensalter ≥50 bei Erkrankungsbeginn). Kleinere Studien und Fallserien konnten bereits zeigen, dass sich der late-onset deutlich vom early-onset (<50 Jahre) in Hinblick auf klinischen Verlauf und Therapieansprechen unterscheidet. Allerdings waren die Fallzahlen oft klein oder schlossen keine europäischen Patienten ein. Ziel einer Studie war es, NMOSD-Patient:innen mit late-onset und Patienten:innen mit early-onset in Hinblick auf klinische Symptomatik, Schubrate, Behinderungsprogress und Schubtherapieansprechen zu vergleichen [4]. Von 447 Patienten hatten 153 (34%) einen late-onset. Frauen mit einem early-onset waren signifikant häufiger AQP4-IgG-positiv (93% vs. 81%). Auch die Gesamtkohorte unterschied sich in der Antikörperverteilung zwischen late- und early-onset signifikant (AQP4-IgG-positiv: 94,1% vs. 81,0%). Die beiden Gruppen differierten zudem hinsichtlich der Hauptsymptome: während 42% der early-onset Patient:innen eine Optikusneuritis (ON) zu Erkrankungsbeginn erlitten, betraf dies nur 27% der late-onset Fälle. Dem hingegen erlitten signifikant mehr late-onset-Patienten inital eine Myelitis (56,8% vs. 37,3%). Die Schubanalyse ergab hingegen keine signifikanten Unterschiede hinsichtlich der Annualized Relapse Rate. Die Evaluation der Remissionsrate zeigte allerdings, dass sich Patienten mit einem late-onset signifikant schlechter erholten, sowohl in der Gesamtkohorte als auch in der Subgruppe mit akuter Myelitis. Hingegen gab es bei Schüben, die den N. opticus betrafen, keinen relevanten Unterschied. Mit Blick auf den Krankheitsprogress fanden sich signifikante Unterschiede zwischen late-onset und early-onset bezüglich des Erreichens definierter Endpunkte der Erkrankungsschwere zuungunsten der late-onset Patienten. Alles in allem erlitten NMOSD-Patienten mit einem late-onset deutlich mehr Myelitiden und weniger Optikusneuritiden bei Erstmanifestation, waren im Schub schwerer betroffen, erholten sich schlechter und erreichten schneller klinisch funktionseinschränkende Endpunkte als Patienten mit einem early-onset. Die Anzahl der Gesamtschübe war hingegen vergleichbar.

Kongress: DGN 2023

Literatur:

  1. Witt L, et al.: Kindesentwicklung nach Anwendung von monoklonalen Antikörpern in der Stillzeit. Abstract 91. 96. Kongress der Deutschen Gesellschaft für Neurologie (DGN), 8.–11. November 2023.
  2. Wagner B, et al.: Characterizing a neurologist’s risk perception and its influence on treatment decisions for patients with multiple sclerosis – KLEOS. Abstract 98. 96. Kongress der Deutschen Gesellschaft für Neurologie (DGN), 8.–11. November 2023.
  3. Möllenkamp T, et al.: Altersabhängige Unterschiede der Remyelinisierung: Analyse von mRNAExpressionsmustern zur Identifikation von Schlüsselfaktoren im Cuprizone Modell. Abstract 151. 96. Kongress der Deutschen Gesellschaft für Neurologie (DGN), 8.–11. November 2023.
  4. Kretschmer JR, et al.: Klinische Charakteristika des late- und early-onset bei Neuromyelitis-optica-Spektrum-Erkrankungen. Abstract 51. 96. Kongress der Deutschen Gesellschaft für Neurologie (DGN), 8.–11. November 2023.

InFo NEUROLOGIE & PSYCHIATRIE 2024; 22(1): 20–21 (veröffentlicht am 2.2.24, ahead of print)

Autoren
  • Leoni Burggraf 

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