Die hämatopoetische Stammzelltransplantation (HSZT) kommt bei Multipler Sklerose als ultima ratio zum Einsatz. Der Neustart des Immunsystems ist auf Heilung ausgerichtet, birgt aber starke Nebenwirkungen. Sowohl infektiöse als auch nicht-infektiöse Lungenkomplika­tionen können zu verstärkter Morbidität und Mortalität führen. ­Zuletzt wurden Erfolge bei der Prophylaxe und Behandlung infektiöser Komplikationen erzielt, was die Bedeutung nicht-infektiöser Lungenerkrankungen in den Vordergrund rückt.

Lungenkomplikationen treten bei bis zu einem Drittel der HSZT-Patienten auf. Zu den Faktoren, die mit einem erhöhten Risiko für Lungenkomplikationen verbunden sind, gehören Alter, Graft-versus-Host-Disease (GvHD), die Stammzellquelle und die zugrunde liegende Lungenerkrankung, schreibt ein Team um Dr. Samran Haider von der Division of Pulmonary, Critical Care and Sleep Medicine an der Wayne State University School of Medicine, Detroit [1]. Zur Identifizierung von Patienten, bei denen ein hohes Risiko für die Entwicklung von Lungenkomplikationen, Atemversagen und/oder Mortalität nach HSZT besteht, stehen Lungenfunktionstests (PFT) vor der Transplantation – einschliesslich des erzwungenen Exspirationsvolumens in 1s (FEV1) – und der Diffusionskapazität der Lunge für Kohlen­monoxid (DLCO) zur Verfügung. Auch das Rauchen vor der Transplantation kann ein unabhängiger Prädiktor für Langzeitkomplikationen und den Tod sein. Antimikrobielle Prophylaxe und Behandlungsstrategien haben das Auftreten infek­tiöser Lungenkomplikationen nach einer HSZT wirksam verringert, doch die Inzidenz nicht-infektiöser Lungenverletzungen steigt weiter an. Auch hat die Verbesserung unterstützender Massnahmen zu einem besseren Überleben nach akuten nicht-infektiösen Lungenkomplikationen geführt und somit die Bedeutung von späten nicht-infektiösen Komplikationen (wie dem Bronchiolitis-obliterans-Syndrom, BOS, und der interstitiellen Lungenerkrankung, ILD) erhöht.

Diagnose nicht-infektiöser Lungen­komplikationen

Für die Behandlung von Lungenkomplikationen nach HSZT ist es wichtig, dass alle Patienten vor der Transplantation durch gründliche Anamnese, körperliche Untersuchung, PFT und Röntgenaufnahme des Brustkorbs untersucht werden. Thorax-CT-Scans können indiziert sein insbesondere bei älteren Patienten, Rauchern oder Patienten mit einer abnormalen initialen Evaluation. Diese Untersuchungen sollten als Grundlage für Änderungen nach der Transplantation dienen.

Dr. Haider rät, Atemwegsbeschwerden in der ersten Zeit nach der Transplantation (im All­gemeinen in den ersten 100 Tagen) im Zusammenhang mit der Schwere der Symptome und dem Immunstatus des Patienten (Neutrophilenzahl, immunsuppressive Medikamente, Vorhandensein einer akuten GvHD und antimikrobielle prophylaktische Massnahmen) zu bewerten. Infektionen sollten in dieser Zeit zuerst erwogen werden. Ein hochauflösendes Thorax-CT kann Informationen zur Ätiologie der Symptome des Patienten liefern. Die Bronchoskopie mit bronchoalveolärer Lavage (BAL) ist gut verträglich und führt bei etwa der Hälfte der Patienten zu einer Diagnose. Chirurgische Lungenbiopsien sind heutzutage nach einer HSZT selten erforderlich, und die Entscheidung, mit diesem Verfahren fortzufahren, sollte in einem multidisziplinären Ansatz und von Fall zu Fall getroffen werden.

In der späten Post-HSZT-Phase gewinnen chronische nicht-infektiöse Lungenkomplikationen, einschliesslich BOS, ILD oder gemischte Veränderungen, an Bedeutung. Wenn der mit diesen Erkrankungen verbundene Schaden erst einmal festgestellt wurde, sind die Behandlungsmöglichkeiten begrenzt. Dr. Haider et al. empfehlen daher, die Patienten nach der HSZT durch regelmässige ambulante Besuche und Überprüfung der Atemwegsbeschwerden sorgfältig zu überwachen. Eine Screening-Spirometrie sollte nach den ersten 100 Tagen alle 3 Monate und für die ersten 2 Jahre durchgeführt werden. Das Vorhandensein eines neuen obstruktiven Musters im Vergleich zu den Ausgangswerten spricht für ein Bronchiolitis-obliterans-Syndrom, während ein neuer restriktiver Befund auf eine ILD hindeutet. Auch kann es gelegentlich zur Kombination neuer obstruktiver und restriktiver Veränderungen kommen, was gemischtes Muster aus BOS und ILD widerspiegelt. Wenn bei den PFT Veränderungen auftreten und persisitieren, ist die HRCT hilfreich bei der Abgrenzung der Lungenerkrankung. Die Ergebnisse eines inhomogenen Air-Trappings in der exspiratorischen CT (Mosaikmuster), eine Verdickung der kleinen Atemwege oder Bronchiektasie stimmen mit BOS überein, wohingegen sich eine mit GvHD assoziierte ILD normalerweise radiologisch mit anhaltenden multilobaren Trübungen mit oder ohne Pleuraveränderungen manifestiert.

Die Autoren haben in einer Übersichtsarbeit akute und chronische nicht-infektiöse Lungenkomplikationen nach HSZT zusammengetragen und dabei diagnostische Kriterien, Inzidenz, Pathogenese, Ergebnisse und jüngste Fortschritte im Management hervorgehoben.

Idiopathisches Pneumonie-Syndrom (IPS)

Die American Thoracic Society definiert das idiopathische Pneumonie-Syndrom (IPS) als eine idiopathische Pneumopathie nach HSZT. Die Diagnose von IPS erfordert den Nachweis ­einer weit verbreiteten Alveolarverletzung ohne gleichzeitige Infektion, iatrogene Flüssigkeitsüberladung, Herz- oder Niereninsuffizienz. IPS tritt sowohl bei allogenen als auch bei autologen HSZT-Patienten auf und wird anhand der vermuteten Stelle der Gewebeverletzung weiter klassifiziert (Tab. 1). Die Inzidenz von IPS nach myeloablativem präparativem Regime beträgt etwa 3–15%. Zu den Risikofaktoren für IPS nach allogener HSZT gehören Konditionierung bei voller Intensität, Ganzkörperbestrahlung, GvHD, Alter >40 Jahre und die zugrunde liegende Diagnose einer akuten Leukämie oder eines myelodysplastischen Syndroms. Eine Bronchoskopie mit bronchoalveolarer Lavage der betroffenen Bereiche ist wichtig, um einen infektiösen Prozess auszuschliessen.

Peri-Engraftment-Atemnotsyndrom (PERDS)

Das Peri-Engraftment-Atemnotsyndrom (PERDS) ist eine Form der akuten Lungenverletzung, die bei einer Untergruppe von Patienten mit Engraftment-Syndrom (ES) auftritt. Es ist definiert als hypoxämisches Atemversagen und bilaterale Lungeninfiltrate, die zum Zeitpunkt der Transplantation auftreten und nicht vollständig durch Herzfunktionsstörungen oder Infektionen erklärt werden können. PERDS wird bei allogener HSZT seltener berichtet als bei autologer.

Obwohl die genauen Mechanismen unklar bleiben wird postuliert, dass die Rolle aktivierter Granulozyten, die proinflammatorische Zytokine wie Interleukin(IL)-1β, IL-2 oder IL-6 freisetzen, und der Zustrom von Neutrophilen in die Lunge während der Transplantation eine primäre Rolle spielen. In der allogenen Umgebung kann es schwierig sein, PERDS von akuter GvHD zu unterscheiden, da sich die klinischen Symptome signifikant überschneiden. Es scheint, dass weniger geschädigte Stammzellen, Endothelzellen und Gewebe zum Zeitpunkt der Transplantation mehr proinflammatorische Zytokine freisetzen, was die Entwicklung dieses Syndroms erleichtert.

Klinische Anhaltspunkte für die Diagnose sind systemische entzündliche Manifestationen wie diffuser Hautausschlag, Durchfall, Leberfunktionsstörung, Nierenfunktionsstörung, vorübergehende Enzephalopathie und andere Kapillarleckmerkmale wie nicht kardiogene Lungeninfiltrate, Hypoxie und Gewichtszunahme ohne alternative ätiologische Grundlage ausser der Transplantation. Die empfohlene Behandlung von PERDS umfasst die sofortige Behandlung mit einer hohen Dosis von Kortikosteroiden (1 bis 2 mg/kg−1 Methylprednisolon zweimal täglich für 3 Tage), gefolgt von einer schnellen Reduktion. Das Ansprechen ist typischerweise schnell, wobei sich die Sauerstoffversorgung bei den meisten Patienten innerhalb weniger Tage nach Beginn der Behandlung verbessert. Unterstützende Massnahmen umfassen Antipyretika, Sauerstoff, Diuretika und Intubation/mechanische Beatmung.

Diffuse Alveolarblutung (DAH)

Die diffuse alveoläre Blutung (DAH) ist ein IPS-Subtyp, der als BAL definiert und verschiedene Manifestationen wie Dyspnoe, unproduktiver Husten oder Hämoptyse und Hypoxämie mit oder ohne Fieber mit sich ziehen kann. Auch ist u.a. eine zunehmend blutigere Rücklaufflüssigkeit bei seriellen Lavagen zu beobachten, ≥20% mit Hämosiderin beladene Makrophagen oder Blut in mindestens 30% der Alveolaroberflächen. Die DAH ist durch ein schnelles Fortschreiten des Atemversagens gekennzeichnet und wird eher als Anzeichen einer zugrunde liegenden Lungenverletzung angesehen, die von mehreren Risikofaktoren beeinflusst wird, denn als eine eigenständige Krankheit.

Die Therapie bleibt empirisch und daher unzureichend, was auf die unbekannte Pathogenese der Erkrankung zurückzuführen ist. Häufig werden systemische Kortikosteroide eingesetzt, jedoch mit unbefriedigendem Ergebnis. Unterstützende Massnahmen können auch Blutplättchentransfusionen, prokoagulierende Therapien (Aminocapronsäure und rekombinanter Faktor VIIa) und Cytokinantagonisten (Etanercept, Cyclophosphamid) umfassen, die in kleinen Studien mit unterschiedlichem Erfolg eingesetzt wurden.

In den meisten Fällen ist eine mechanische Belüftung erforderlich. Die extrakorporale Membranoxygenierung (ECMO) wurde als Rettungstherapie bei der Behandlung schwerer Lungenverletzungen im Zusammenhang mit DAH und anderen Formen von IPS eingesetzt. Aufgrund der schlechten Überlebensraten sollte der Einsatz jedoch auf individueller Patientenbasis bewertet werden.

Kryptogene organisierende Lungen­entzündung (COP)

Kryptogene organisierende Pneumonie (COP) war früher als Bronchiolitis obliterans bekannt. Es handelt sich um ein Syndrom, das aus unspezifischen respiratorischen Symptomen (Fieber, Atemnot und Husten), fleckiger Konsolidierung bei der Bildgebung und einem restriktiven Beatmungsdefekt bei Lungenfunktionstests besteht. COP kommt häufiger nach allogener HSZT vor und hat dort eine Inzidenz zwischen 1 und 10%. Sie tritt in der Regel zwischen 2 und 15 Monaten nach der Transplantation auf.

Risikofaktoren umfassen HSZT von Frau zu Mann, HLA-Inkompatibilität, akute oder chronische GvHD und periphere Blutstammzelltransplantation. Die Symptome sind unspezifisch und umfassen Fieber, Atemnot und Husten. COP ist häufig mit GvHD der Haut assoziiert. In Lungenfunktionstests hat sich gezeigt, dass ein restriktiver Beatmungsdefekt, FEV1, erzwungene Vitalkapazität, Gesamtlungenkapazität und DLCO erheblich reduziert sind.

COP wird über einen längeren Zeitraum mit Kortikosteroiden behandelt. Die Patienten werden typischerweise mit einer Prednison-Dosis von 0,5–1 mg/kg−1 bei langsamer Reduzierung behandelt. Rückfälle sind häufig und können auftreten, wenn die Steroide reduziert werden.

Bronchiolitis-obliterans-Syndrom (BOS)

BOS ist durch eine neu auftretende Luftstrom­limitierung nach allogener HSZT gekennzeichnet. Es wird auch bei Patienten mit inhalativer Exposition, rheumatoider Arthritis und Patienten, die sich einer Lungentransplantation unterzogen haben, berichtet. Es ist bekannt, dass chronische GvHD (insbesondere Haut und Auge) mit BOS assoziiert sind. Symptome können Dyspnoe bei Anstrengung, Husten oder Keuchen sein, wobei viele Patienten zu Beginn des Krankheitsprozesses asymptomatisch sind. Die Diagnose von BOS erfordert einen PFT und einen exspiratorischen CT-Thorax.

Krankheitsmanifestationen treten normalerweise nach etwa 100 Tagen und innerhalb der ersten 2 Jahre nach allogener HSZT auf. Der klinische Verlauf ist variabel, wobei einige Patienten eine rasche Abnahme der Lungenfunktion zeigen, während andere eine langsam fortschreitende Erkrankung mit Exazerbations-Episoden zeigen. Ein PFT-Screening 100 Tage und 1 Jahr nach der Transplantation oder bei der Erstdiagnose einer chronischen GvHD wird empfohlen, ebenso ein weiteres PFT-Screening in Intervallen von 3 Monaten für die ersten 2 Jahre nach der Erstdiagnose einer chronischen GvHD.

Die Behandlung von BOS ist eine Herausforderung. Kortikosteroide werden aufgrund von Nebenwirkungen nicht empfohlen. Retrospektive Beobachtungsstudien haben eine Verbesserung des klinischen Status sowie einen Anstieg des FEV1 bei BOS-Patienten gezeigt, die mit Azithromycin behandelt wurden. Montelukast wurde kürzlich an Patienten untersucht, die nach Lungentransplantation BOS entwickelten und zeigte im Stadium 1 nach Lungentransplantation im Vergleich zu Placebo nach 1 Jahr eine Verlangsamung des FEV1-Rückgangs im Vergleich zu Placebo. Eine Studie untersuchte die Anwendung von inhalativem Budesonid/Formoterol bei Patienten mit BOS nach allogener HSZT. Die Studie zeigte einen Anstieg des FEV1 um einen Median von 240 ml. Der Anstieg wurde bei der 6-monatigen Nachuntersuchung aufrechterhalten. Trotz der Verbesserung von FEV1 berichteten die Patienten jedoch nicht über eine Verbesserung der respiratorischen Symptome.

Zu den das Management von BOS nach HSZT unterstützenden Massnahmen gehören die Früherkennung und Behandlung von Infektionen der Atemwege, die Behandlung der gastroösophagealen Refluxkrankheit und die Lungenrehabilitation.

Zunehmende Bedeutung

Nicht-infektiöse Lungenkomplikationen gewinnen bei Patienten nach HSZT zunehmend an Bedeutung. Die diagnostischen Kriterien und die Terminologie für diese Störungen bleiben aufgrund der signifikanten Überlappung zwischen den klinischen Entitäten und ihrer Koexistenz mit infektiösen Komplikationen verwirrend, resümieren Dr. Haider und Kollegen. Mit zu­nehmender Anzahl der durchgeführten HSZT wird die Kenntnis über die Lungenkomplikationen nach einem solchen Eingriff immer wichtiger. Leider fehlen gut konzipierte klinische Studien zur Behandlung dieser Erkrankungen, wie die Autoren bemängeln. Eine multizentrische Zusammenarbeit zur Erfassung von Daten zu Risikofaktoren, diagnostischen Ansätzen und Managementstrategien sei daher erforderlich.

Quelle:

  1. Haider S, et al.: Eur Respir Rev 2020; 29: 190119; doi: 10.1183/16000617.0119-2019.

InFo NEUROLOGIE & PSYCHIATRIE 2021; 19(1): 29–31

Autoren
  • Jens Dehn 
Publikation
  • INFO NEUROLOGIE & PSYCHIATRIE

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