Das Reizdarmsyndrom (RDS) und andere funktionelle Störungen gehören zu den häufigsten chronischen Beschwerden bei Kindern und Jugendlichen. Eine gesicherte Diagnose erlaubt das Einleiten der erforderlichen Therapie. Gemäss der im vergangenen Jahr aktualisierten Leitlinie sollen hierzu die Rom-Kriterien verwendet werden.

Funktionelle Bauchschmerzen können mit erheblicher Beeinträchtigung der Lebensqualität einhergehen [1]. Daten aus Deutschland berichten bei Kindern von 6–10 Jahren eine Häufigkeit des RDS von 4,9%, Mädchen sind häufiger betroffen als Knaben [2]. Gemäss der 2021 aufdatierten S3-Leitlinie liegt ein RDS vor, wenn alle 3 der folgenden Punkte erfüllt sind [1]:

  • Über >3 Monate anhaltende oder rezidivierende Beschwerden wie Bauchschmerzen oder Blähungen, die in der Regel mit Stuhlgangsveränderungen einhergehen
  • der Patient sucht aufgrund dieser Beschwerden Hilfe und/oder ist in so starker Besorgnis, dass die Lebensqualität dadurch relevant beeinträchtigt wird
  • es liegen keine für andere Krankheitsbilder charakteristischen Veränderungen vor, die wahrscheinlich für diese Symptome verantwortlich sind.

Funktionelle gastrointestinale Beschwerden bei Kindern und Jugendlichen werden gemäss Rom IV als Störungen der Interaktion zwischen dem zentralen Nervensystem und dem Darm verstanden und sind häufig assoziiert mit Angst, Depression, Stress und psychischen Traumata [3,4].

Weshalb die Rom-Kriterien verwendet werden sollten

Die Rom-Kriterien für Kinder und Jugendliche (Übersicht 1) sind darauf angelegt, die Diagnose eines RDS nicht allein anhand der Symptome zu stellen, sondern schrittweise andere organische Pathologien auszuschliessen, um wiederholte Untersuchungen zu vermeiden. Die Leitlinienautoren konstatieren, dass die wesentlichen somatischen Differenzialdiagnosen durch eine einfache und begrenzte diagnostische Abklärungsstrategie ausgeschlossen werden können.

Die wichtigsten Argumente für die Verwendung der Rom-Kriterien im Überblick:

  • Anwendbarkeit und Validität der Rom-Kriterien sind durch mehrere Studien belegt. Danach lassen sich durch Anwendung der Rom-III-Kriterien über 8% der Kinder und Jugendlichen mit chronischen Bauchschmerzen klassifizieren, wobei die Diagnose «Reizdarmsyndrom» in etwa 40–50% der Fälle gestellt werden kann [5,6]. Aufgrund der Veränderungen der Rom IV-Definition ist von einer geringeren Prävalenz der Diagnosen, aber einer unveränderten Verteilung auszugehen [7].
  • Alternative Konsensuskriterien oder evaluierte Kriterien für Kinder und Jugendliche existieren nicht.
  • Bis zu einem Alter von etwa 8–12 Jahren können Lokalisation und Charakter der Beschwerden von den Kindern selbst nicht gut spezifiziert werden. Die Diagnose muss sich daher zum grossen Teil auf Angaben der Eltern stützen. Die Rom-Definition bietet dazu eine gewisse Hilfestellung in Form beobachtbarer Kriterien.
  • Die meisten der wenigen vorliegenden Studien zu Diagnostik und Therapie beruhen auf der Rom-Definition.

 

 

Welche «Red Flags» gilt es zu beachten?

Um andere Erkrankungen mit Bauchschmerzen und Veränderungen des Stuhlganges auszuschliessen, ist eine sorgfältige Anamnese und klinische Untersuchung druchzuführen. Alarmsymptome, die auf eine mögliche organische Pathologie hindeuten, sollten gezielt erfasst werden: Gewichtsabnahme, Abnahme der Wachstumsrate; gastrointestinaler (auch okkulter) Blutverlust; signifikantes Erbrechen; chronische, schwere Diarrhoe; persistierende rechtsseitige Oberbauchschmerzen oder rechtseitige Unterbauchschmerzen; unerklärtes Fieber; positive Familiengeschichte für entzündliche Darmerkrankungen [8]. Auch psychische und soziale Faktoren und andere mögliche Auslöser der Beschwerden wie z.B. Darminfektionen sollten erfasst werden. Folgende Laboruntersuchungen werden empfohlen:

  • BB, CRP und/oder BSG, Lipase, GPT, Gamma-GT, ges IgA, Gewebstransglutaminase-IgA-AK, TSH, Kreatinin, Blutzucker
  • Urinstatus
  • Stuhl auf Giardia-lamblia-Antigen, Dientamoeba fragilis, Würmer
  • Stuhluntersuchungen auf fäkale Inflamma­tionsmarker (Calprotectin oder Laktoferrin)

Neben dem RDS werden nach den Rom-IV-Kriterien funktionelle Bauchschmerzen, funktionelle Dyspepsie, zyklisches Erbrechen und die abdominelle Migräne klinisch definiert [9]. Wobei man von einem Kontinuum der funktionellen Abdominalerkrankungen ausgeht [3,10].

Literatur:

  1. Layer P, et al.: Update S3-Leitlinie Reizdarmsyndrom: Definition, Pathophysiologie, Diagnostik und Therapie. Gemeinsame Leitlinie der DGVS und der DGNM, Juni 2021 – AWMF-Registriernummer: 021/016
  2. Gulewitsch MD, et al.: Rome III criteria in parents’ hands: pain-related functional gastrointestinal disorders in community children and associations with somatic complaints and mental health. Eur J Gastroenterol Hepatol 2013; 25: 1223–1229.
  3. Drossman DA: Functional Gastrointestinal Disorders: History, Pathophysiology, Clinical Features and Rome IV. Gastroenterology 2016; 19: S0016-5085
  4. Schmulson MJ, Drossman DA: What Is New in Rome IV. J Neurogastroenterol Motil 2017; 23: 151–163.
  5. Baber KF, et al.: Rome II versus Rome III classification of functional gastrointestinal disorders in pediatric chronic abdominal pain. J Pediatr Gastroenterol Nutr 2008; 47: 299–302.
  6. Helgeland H, et al.: Diagnosing pediatric functional abdominal pain in children (4–15 years old) according to the Rome III Criteria: results from a Norwegian prospective study. J Pediatr Gastroenterol Nutr 2009; 49: 309–315.
  7. Saps M, et al.: Construct validity of the pediatric Rome III criteria. J Pediatr Gastroenterol Nutr 2014; 59: 577–581.
  8. Di Lorenzo C, et al.: Chronic abdominal pain in children: a clinical report of the American Academy of Pediatrics and the North American Society for Pediatric Gastroenterology, Hepatology and Nutrition. J Pediatr Gastroenterol Nutr 2005; 40: 245–248.
  9. Saps M, et al.: Construct validity of the pediatric Rome III criteria. J Pediatr Gastroenterol Nutr 2014; 59: 577–581.
  10. Friesen CA, Rosen JM, Schurman JV: Prevalence of overlap syndromes and symptoms in pediatric functional dyspepsia. BMC Gastroenterol 2016; 16: 75.
  11. Hyams JS, et al.: Functional Disorders: Children and Adolescents. Gastroenterology 2016; 15: S0016-5085

HAUSARZT PRAXIS 2022; 17(6): 22

Autoren
  • Mirjam Peter, M.Sc. 
Publikation
  • HAUSARZT PRAXIS 

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