Bei therapierefraktären Epilepsien ist die Rate an psychischen Syndromen mit einem Auftreten in einem von drei Patienten deutlich höher als in der Allgemeinbevölkerung [1]. Hierbei stehen affektive und Angststörungen im Vordergrund. Anders herum betrachtet haben Patienten mit psychiatrischen Erkrankungen ein höheres Risiko, eine Epilepsie zu entwickeln. Diese Beobachtungen lassen darauf schliessen, dass gemeinsame pathogenetische Mechanismen vorliegen.
Im Alltag scheint das Auftreten psychiatrischer Komorbiditäten bei rasch und erfolgreich behandelten Epilepsien in etwa gleich häufig zu sein wie bei der Normalbevölkerung. Anders verhält es sich bei den therapierefraktären Epilepsien, bei denen die Rate an psychischen Syndromen mit einem Auftreten in einem von drei Patienten deutlich höher ist als in der Allgemeinbevölkerung [1]. Hierbei stehen affektive und Angststörungen im Vordergrund. Anders herum betrachtet haben Patienten mit psychiatrischen Erkrankungen ein höheres Risiko, eine Epilepsie zu entwickeln. Diese Beobachtungen lassen darauf schliessen, dass gemeinsame pathogenetische Mechanismen vorliegen.
Da das Vorliegen einer psychischen Störung den Verlauf der Behandlung einer Epilepsie massgeblich beeinflussen kann, sollte eine psychiatrische Anamnese bei diesen Patienten zum Standard gehören [2]. Bei der Beurteilung der psychischen Störung sollte auf den zeitlichen Verlauf zwischen dem Auftreten der psychischen Störung und dem epileptischen Ereignis geachtet werden. Es werden psychische Störungen als Ausdruck eines epileptischen Anfalls von interiktalen psychischen Störungen unterschieden. Um diesem Sachverhalt Rechnung zu tragen, wurde von der Internationalen Liga gegen Epilepsie (ILAE) eine eigene Klassifikation der psychischen Störungen entworfen. Weiter sollten auch psychische Störungen, die ggf. unabhängig von der Epilepsie auftreten, beachtet werden. Auf Grund des weiten Feldes werden im Folgenden nur einige der im klinischen Alltag relevanten Aspekte beleuchtet.
Psychosen bei Epilepsie
Die psychotischen Störungen bei Epilepsie werden in Bezug auf ihr Auftreten zu epileptischen Anfällen in iktale, postiktale und interiktale Psychosen unterteilt, wobei diese v.a. bei Patienten mit Temporallappenepilepsie auftreten [3].
Postiktale Psychosen sind durch ein plötzliches Auftreten nach einem epileptischen Anfall gekennzeichnet und dauern in der Regel zwischen 16 Stunden und 18 Tagen, wobei das Mittel bei 3–4 Tagen liegt. Charakteristisch ist hierbei ein luzides Intervall von bis zu 24 Stunden zwischen dem Anfall und dem Beginn der Psychose, in dem das Bewusstsein des Patienten nicht getrübt ist. Bei schwerer Ausprägung kann eine symptomatische Behandlung mit Neuroleptika oder Benzodiazepinen indiziert sein, ansonsten remittiert die Symptomatik spontan. Diskutiert wird, ob es sich bei postiktalen Psychosen um eine zeitlich begrenzte, anfallsabhängige autoantikörper-vermittelte Enzephalopathie handelt. Im Verlauf entwickeln ca. 14–20% dieser Patienten eine interiktale Psychose [4].
Interiktale Psychosen treten in der Regel Jahre bis Jahrzehnte nach Beginn einer chronisch therapierefraktären Epilepsie auf. Sie unterscheiden sich von primären Schizophrenien im klinischen Eindruck dahingehend, dass selten eine positive Familienanamnese vorliegt, Negativsymptome selten stark ausgeprägt sind und trotz Chronizität oft ein benigner Verlauf vorliegt. Für eine interiktale Psychose spricht ausserdem, dass der Krankheitsbeginn in der Regel jenseits des zweiten oder dritten Lebensjahrzehntes liegt und die Exekutiv- und Kommunikativfunktionen trotz chronischer Wahnsymptomatik erhalten sind. Im klinischen Alltag werden interiktale Psychosen wie schizophreniforme Primärerkrankungen behandelt.
Durch Antikonvulsiva ausgelöste Psychosen können im Rahmen einer forcierten Normalisierung bei besonders effektiven Antikonvulsiva entstehen, wobei hier der Mechanismus noch unklar ist [5]. Unter forcierter Normalisierung versteht man eine nach Beginn eines neuen Antiepileptikums einsetzende rasche Besserung von EEG-Auffälligkeiten, welche jedoch mit dem Auftreten psychotischer Symptome verbunden sind. Bei der Behandlung von psychotischen Syndromen mit atypischen Neuroleptika wie Quetiapin, Olanzapin und Risperidon ist das Anfallsrisiko mit 0,3–0,9% relativ gering, weswegen diesen Clozapin, das ein Anfallsrisiko von ca. 3,5% hat, vorzuziehen ist.
Affektive Störungen bei Epilepsie
Die prodromale, die postiktale und die interiktale Dysphorie sind durch die gleichen klinischen Symptome wie z.B. Dünnhäutigkeit, Reizbarkeit und Aggressivität gekennzeichnet. Im Verlauf kann sich die initial noch anfallsgebundene prä- oder postiktale Dysphorie vom erkennbaren Anfallsgeschehen entkoppeln und auch interiktal auftreten. Klinisch stehen dann kurze Phasen (Stunden bis Tage) mit oben genannter Symptomatik im Vordergrund, welche durch das Interictal Dysphoric Disorder Inventory (IDDI) diagnostiziert werden können [6].
Patienten mit Epilepsie bekommen mit einer 43% höheren Wahrscheinlichkeit eine unipolare Depression. Wobei nach neusten Studien 21,9% der Patienten in Epilepsiekliniken eine schwere Depression und Frauen eine deutlich höherer Prävalenz (26,4% vs. 16,7%) haben [7]. Zum spezifischen Screening eignen sich hierbei Instrumente wie das Neurological Disorders Depression Inventory für Epilepsie (NDDI-E) [8], das auch in einer deutschsprachigen Fassung vorliegt [9]. Die Behandlung wird gemäss den Guidelines für die Behandlung von Depressionen empfohlen [10]. Zur medikamentösen Behandlung können moderne Antidepressiva wie z.B. SSRIs und SNRIs eingesetzt werden. Die Angst, diese Medikamente könnten die Anfallshäufigkeit erhöhen, ist aufgrund der klinischen Erfahrung und der verfügbaren Datenlage unbegründet [8].
Angstsyndrome
Klinisch ist es häufig schwer, Angstsymptome von depressiven Symptomen zu trennen, da diese in der Praxis Hand in Hand gehen. Patienten mit Epilepsie leiden häufiger an Angststörungen als die gesunde Normalbevölkerung. Ein spezifisches Screeninginstrument für diese Subgruppe gibt es jedoch nicht [11]. Eine kürzlich aufgetretene Depression, Medikamentennebenwirkungen, geringe Bildung, chronisch reduzierter Gesundheitsstatus, weibliches Geschlecht und Arbeitslosigkeit können Risikofaktoren für das Entstehen einer Angsterkrankung sein [12].
Klinisch kann zwischen iktalen sowie periiktalen Angstphänomenen, psychoreaktiver Angst vor Anfällen, spezifischen Phobien, Angst als Folge einer antikonvulsiven Medikation sowie Angst als Teilaspekt anderer psychischer Störungen unterschieden werden.
Den iktalen Angstsyndromen kommt eine besondere Bedeutung zu, da diese sehr häufig sind. Zu erwähnen sind dabei die Angstauren bei mesialer Temporallappenepilspie, bei denen höchstwahrscheinlich eine Beteiligung der Amygdala im Anfallsgeschehen vorliegt. Im Alltag kann es deswegen schwierig sein, zwischen einer Panikstörung und einer iktalen Angst im Sinne eines einfach-fokalen Anfalls zu differenzieren [13]. Hinweise auf eine Panikstörung können hierbei spezifische Auslösebedingungen in Stresssituationen oder die Gerichtetheit der Angst auf ein Ereignis bzw. Objekt (e.g. Herzinfarkt etc.) sein.
Periiktale Angstsyndrome als prä- und postiktale Phänomene sind integrale Bestandteile der dysphorischen Störung bei Epilepsie und mit einer Prävalenz von ca. 45% bei therapierefraktären fokalen Epilepsien häufig. Die im Rahmen der Epilepsie vorkommende psychoreaktive Angst vor erneuten Anfällen und deren Folgen kann im Verlauf eine Eigendynamik entwickeln, welche sehr belastend ist und eine deutliche Einschränkung der Lebensqualität darstellt.
Agoraphobien und soziale Phobien sind im Kontext der Epilepsie als spezifische Phobien anzutreffen. Die Patienten entwickeln eine grosse Angst, in der Öffentlichkeit Anfälle zu erleiden, bewusstlos zu werden oder den Blicken Schaulustiger ausgeliefert zu sein. Obwohl es sich hierbei um eine psychoreaktiv angemessene Furcht handelt, sollte eine kognitive Verhaltenstherapie in Erwägung gezogen werden, wenn aus Furcht resultierendes Vermeidungsverhalten den Alltag der Betroffenen zunehmend einschränkt.
Angstsymptome können jedoch auch iatrogen durch antikonvulsive Medikamente ausgelöst werden, weswegen eine Analyse des zeitlichen Zusammenhangs des Beginns der Angstsymptomatik mit einem Neubeginn oder einer Dosiserhöhung des Antiepileptikums wegweisend in der Diagnostik sein kann [14].
Dissoziative Anfälle
Bei dissoziativen Anfällen handelt es sich um psychisch bedingte nichtepileptische Anfälle, welche durch plötzliche Änderungen in Verhalten und Bewusstsein charakterisiert sind, jedoch nicht mit Veränderungen in der EEG-Aktivität, wie es bei einem epileptischen Anfall zu erwarten wäre, einhergehen. Diese treten etwa bei 10% der Patienten mit einer bestehenden Epilepsie auf [15]. Die Patienten sollten darin geschult werden, zwischen den beiden Arten von Anfällen zu unterscheiden, um die Aufzeichnung im Anfallskalender für epileptische Anfälle verlässlicher zu machen [16]. Dies erweist sich im Alltag für die Betroffenen oft als schwierig. Die Therapie bei komorbid auftretenden epileptischen und dissoziativen Anfällen bedingt eine sehr enge Kooperation zwischen epileptologischer und psychotherapeutischer Behandlung.
Zusammenfassung
Generell stellt das Erreichen von Anfallsfreiheit den wichtigsten Faktor für die psychische Gesundheit von Patienten mit Epilepsie dar. Da psychische Erkrankungen wie Depressionen oder Angststörungen bei dieser Patientengruppe häufig unterdiagnostiziert sind und auch das Suizidrisiko im Vergleich zur gesunden Normalbevölkerung um ein Dreifaches erhöht ist, sollte die Erhebung eines psychopathologischen Befundes und ggf. die Einleitung einer entsprechenden Behandlung zur klinischen Routine gehören.
Take-Home-Messages
- Patienten mit Epilepsie sollten routinemässig auf das Vorliegen von komorbiden psychiatrischen Störungen gescreent werden.
- Depression und Angsterkrankungen können die Lebensqualität von Epilepsiepatienten zuweilen mehr beeinträchtigen als die Anfälle selber.
- Die meisten modernen Antidepressiva können im Hinblick auf etwaige prokonvulsive Risiken ohne Bedenken zur thymoleptischen/anxiolytischen Therapie bei Epilepsiepatienten eingesetzt werden.
- Kognitiv-behaviorale und andere anerkannten psychotherapeutischen Verfahren sind insbesondere bei Angststörungen, aber auch bei Depressionen und Copingschwierigkeiten indiziert.
Literatur:
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InFo NEUROLOGIE & PSYCHIATRIE 2018; 16(5): 30–32
Autoren
- Dr. med. Esther Wiencke
- Dr. phil. Matthias Schmutz
Publikation
- INFO NEUROLOGIE & PSYCHIATRIE
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