Das Hauptthema des Kongresses lautete «Mensch mit Epilepsie – Anfälle und mehr». Ziel war es daher, neben hochwertigen wissenschaftlichen und State-of-the-art-Symposien zu aktuellen Themen der Diagnostik und Therapie von Anfällen und Epilepsien auch Beiträge mit einem Focus auf den Randbereichen der Epileptologie Raum zu geben. Dies schloss beispielsweise kognitive und emotionale Auswirkungen, aber auch Aspekte der Teilhabe an Bildung, Beruf und Gesellschaft ein.

Bisherige Arbeiten legen nahe, dass eine Dysfunktion der Blut-Hirn-Schranke sowohl Ursache als auch Folge epileptischer Aktivität sein kann. Eine Dysfunktion der Blut-Hirn-Schranke ist zudem mit extravaskulärer Akkumulation von Eisen assoziiert. Eine Untersuchung ging daher der Hypothese nach, ob bei Personen mit fokaler Epilepsie Eisen extravaskulär akkumuliert und ob dieses mittels suszeptibiltäts-gewichteter Bildgebung (SWI) im Ultrahochfeld (7T) nachgewiesen werden kann [1]. Dafür wurden 32 Personen mit fokaler Epilepsie prospektiv eingeschlossen. Zusätzlich wurde eine gesunde Kohorte als Kontrollgruppe eingeschlossen. T1-gewichtete Bilder (0,6 mm Voxelgrösse) und SWI (0,4 mm Voxelgrösse) wurden mit 7-Tesla-MRT aufgenommen. Die Verarbeitung umfasste Bewegungskorrektur, Denoising und Biasfeldkorrektur. Suszeptibilitätswerte wurden mittels eines linearen Regressionsmodells zwischen Kontroll- und Epilepsiekohorte mit Alter und Geschlecht als Kovariaten verglichen.

Verglichen mit Kontrollen wiesen Personen mit fokaler Epilepsie signifikant höhere Suszeptibilität in kortikalen und subkortikalen Regionen auf. Bei Personen mit temporaler Anfallsursprungszone zeigte sich im Vergleich zu Kontrollen höhere Suszeptibilität in beiden Hippocampi, Amygdalae und Nuclei Caudati sowie im Thalamus und Putamen der betroffenen Hemisphäre und in kortikalen Regionen, überwiegend in der betroffenen Hemisphäre. Personen mit extratemporaler Anfallsursprungszone wiesen signifikant höhere Suszeptibilität in Regionen beider Kortices gleichermassen, sowie in Basalganglien in beiden Hemisphären auf.

Biomarker mittels Herzfrequenzanalyse

Eine klinisch relevante Anfallsform, die bisher wenig wissenschaftliche Beachtung findet und in der aktuellen ILAE-Klassifikation nicht aufgeführt ist, sind epileptische Arousals. Diese sind definiert als Anfallsform, deren einziges semiologisches Merkmal ein Arousal/Erwachen aus dem Schlaf ist. Die iktale Aktivität wird durch oberflächliche EEG-Ableitungen nicht mit ausreichender Sensitivität detektiert, sodass dieser Anfallstyp fälschlicherweise als physiologische Arousals erscheinen kann. Simultan intrakranielle und oberflächliche EEGs bieten daher eine einzigartige Möglichkeit zur Erforschung neurophysiologischer Mechanismen epileptischer Arousals und könnten die Entwicklung eines quantitativen biomarkerbasierten Detektionsverfahrens für nicht-invasive klinische Settings ermöglichen. Ziel einer Studie war es, Biomarker für epileptische und physiologische Arousals basierend auf der Herzfrequenzanalyse zu identifizieren [2]. 

Es wurden simultan intrakranielle und oberflächliche Video-EEG-Aufzeichnungen mit Elektrokardiografie (EKG) durchgeführt und epileptische Arousals patientenspezifisch analysiert. Physiologische Arousals wurden nach Datum und Schlafstadium gematcht. Algorithmen zur R-Zacken-Detektion wurden entwickelt, um die Herzfrequenz zu messen. Quantitative Vergleiche wurden in definierten Zeitfenstern von 50 Sekunden vor (prä) und nach (post) dem Arousal für epileptische und physiologische Arousals angewandt. 

In 190 Nächten wurden 135 epileptische Arousals bei 20 Patienten mit fokalen Epilepsien analysiert. Bei 63,7% epileptischen Arousals konnte kein iktales Muster durch das Oberflächen-EEG detektiert werden. Die Herzfrequenzanalyse wurde bei 13 Patienten mit 83 epileptischen Arousals und 81 physiologischen Arousals durchgeführt. Sowohl epileptische als auch physiologische Arousals zeigten einen Anstieg der Herzfrequenz zwischen prä und post Zeitfenstern. Die Latenz zwischen Arousal und Herzfrequenzmaximum war signifikant unterschiedlich zwischen epileptischen und physiologischen Arousals. 

Es konnte ein klarer Bedarf an einem nicht-invasiven Biomarker aufgezeigt werden, da fast zwei Drittel der epileptischen Arousals durch Oberflächen-EEGs nicht nachweisbar waren. Epileptische und physiologische Arousals führen zu einem Anstieg der Herzfrequenz, weisen allerdings unterschiedliche zeitliche Zusammenhänge auf: Physiologische Arousals zeigen eine durchschnittlich spätere, aber konsistente Modulation der Herzfrequenz, im Gegensatz zu epileptischen Arousal mit durchschnittlich früheren, aber heterogenen Veränderungen. Die Variabilität der Herzfrequenzveränderungen während epileptischer Arousals spiegelt die Diversität epileptischer Anfälle wider. Die Unterschiedlichkeit der Herzfrequenzdynamiken deutet auf die Möglichkeit zur Entwicklung eines Biomarkers hin, um dadurch zu einer besseren Detektion und Diagnosestellung dieser subtilen epileptischen Anfallsform beizutragen.

Genetische Diagnostik bei Neugeborenen

Neonatale Krampfanfälle (geschätzte Häufigkeit: 2,29 Fälle/1000 Lebendgeburten LG) sind vom zeitlichen Auftreten her definiert: bei reifen Neugeborenen (1,10 Fälle/1000 LG) in den ersten vier Wochen post partum, bei Frühgeborenen (14,28 Fälle/1000 LG) in den ersten 44 Wochen des Gestationsalters. Das Spektrum der Ätiologie umfasst hierbei vor allem strukturelle, vaskuläre, epileptische, metabolische und genetische Ursachen. Hinsichtlich der genetischen Ursachen ist insbesondere die Frage relevant, wann eine entsprechende Diagnostik nach Ausschluss anderer Ursachen von Nutzen ist. Dies hat eine Studie genauer in Augenschein genommen [3]. In einer retrospektiven Querschnittsstudie wurden 19 Neonaten (männlich: n=11 [57,9%], weiblich: n=8 [42,8%]; Reifgeboren: n=11 [57,9%], Frühgeboren: n=8 [42,8%]) mit neonatalen Krampfanfällen in einer drei Standorte umfassenden Zentrumsanalyse (Perinatalzentrum Level 1 an zwei Standorten) mit n=12 154 geborenen Neonaten (davon 174 Frühgeborene <1500 g Geburtsgewicht) aus den Jahren 2022–2023 eingeschlossen. Bei 15% der Neonaten ist eine genetische Diagnostik durchgeführt worden. Neben den bekannten pathophysiologischen Erklärungen für Krampfanfälle rund um die Geburt, spielen genetische Ursachen ebenfalls eine Rolle, deren frühzeitige Diagnose therapeutische und prognostische Bedeutung hat. Eine genetische Untersuchung sollte demnach vor allem dann frühzeitig veranlasst werden, wenn kein klarer pathophysiologischer Zusammenhang für die Erklärung der Symptome ausreichend scheint. Insbesondere bei Auftreten von Dysmorphien/Fehlbildungen und epileptischen Enzephalopathien kann eine frühe ätiologische Klärung die weitere Therapie und ggf. eine Therapiezieländerung nach sich ziehen. Insgesamt sollte die Indikation zur genetischen Diagnostik auch bei pathophysiologisch sinnvollen Erklärungen wie z.B. bei einem neonatalen Stroke auf Grund der hinsichtlich der therapeutischen Konsequenz zunehmend relevanten Mutationen grosszügig gestellt werden.

Funktionelle Anfälle oder Epilepsie?

Die Differenzialdiagnostik von epileptischen und funktionellen Anfällen (EAs bzw. FAs) ist weiterhin eine komplexe Aufgabe für Epileptologen. Um die korrekte Diagnose und entsprechende Behandlung zu beschleunigen, wurden einige interessante neue Screening-Instrumente entwickelt [4]. Zusammengefasst beträgt die Sensitivität der Instrumente 74 %–95 % (n=8), die Spezifizität 55%–86% (n=8), die Genauigkeit liegt zwischen 76%–87% (n=6), und die AUC-Werte zwischen 0,74–0,97 (n=6). Hinsichtlich statistischer Kriterien schnitt der DDESVSFS Risiko-Rechner am besten ab, welcher mit acht Items auch in der klinischen Praxis durchführbar scheint und frei erhältlich ist. Methodologisch wären stringente statistische Validierungen aller dieser noch neuen Instrumente im Rahmen unabhängiger Forschungsprojekte nützlich. Um die Reproduzierbarkeit und Generalisierbarkeit weitergehend zu evaluieren, wären insbesondere Daten aus verschiedenen klinischen Settings von Interesse. Mit breiterer Evidenzlage könnten einige der beschriebenen Instrumente zukünftig einen wertvollen Beitrag zur effizienteren Differenzialdiagnostik von EAs und FAs leisten.

Anfall beim Fahrradfahren

Im Zuge der Mobilitätswende werden vermehrt Wege mit Fahrrädern oder mit Pedelecs (Fahrräder mit elektrischer Tretunterstützung bis 25 km/h) zurückgelegt, die verkehrsrechtlich gleichgestellt sind. Es sollte daher das Unfallrisiko von Menschen mit Epilepsie (MmE), die Fahrrad oder Pedelec fahren, abgeschätzt werden [5]. Dafür wurde das allgemeine, nach Alters­gruppen differenzierte, jährliche Risikos für schwere/tödliche Fahrrad- und Pedelec-Unfälle (Grundrisiko) basierend auf dem Mobilitätsbericht 2017, den Unfall-Statistiken für 2017 von DESTATIS und den Berichten der Unfallforschung der Versicherer 2017 und 2022, ermittelt. Zudem wurde eine Schätzung des epilepsiespezifischen Risikos für schwere und tödliche Unfälle mit der von der europäischen Führerscheinkommission entwickelten Methodik zur Schätzung des Unfallrisikos bei Kraftfahrzeugen (COSY-Approach) vorgenommen. Es zeigte sich ein Grundrisiko für schweren oder tödlichen Unfall von Fahrrad 1:3570; Pedelec 1: 2940; PKW 1: 1470. Das Unfallrisiko nimmt bei Fahrrad und Pedelec mit höherem Alter zu; junge Pedelec-Fahrer zwischen 18 und 34 J sind eine zweite Risikogruppe. Das Unfallrisiko nimmt proportional zur täglichen Fahrzeit zu. Bei regelmässiger Nutzung eines Pedelecs kumuliert bei einem COSY von 20% das Risiko über 5 Jahre hinweg von 1:570 auf 1: 110. 

Das Unfallrisiko von MmE, die einen COSY von 20% haben, ist bei Auto, Fahrrad und Pedelec ähnlich. Es nimmt erheblich zu, wenn ≥1 Anfall pro Jahr zu erwarten ist. Das Risiko ist beim Pedelec- deutlich höher als beim Fahrrad-Fahren. Patienten mit ≥1 Anfall im Jahr sollte eine spezielle Beratung angeboten werden, in der auf Risikounterschiede bei Fahrrad- und Pedelec-Fahren, zwischen normalem KFZ-Verkehr, auf Strassen mit Radweg und auf Radwegen in Freizeitgebieten, sowie auf die gesetzlichen Mobilitätshilfen hingewiesen wird.

Depressive Komorbidität

Durch die Erkrankung an einer Epilepsie erfahren viele der Patienten eine signifikante Minderung ihrer Lebensqualität. Als ursächlich hierfür konnten verschiedene Faktoren wie medikamentöse Nebenwirkungen, hohe Anfallsfrequenz, Stigmatisierung und psychiatrische Erkrankungen identifiziert werden. Symptome einer Depression liegen bei rund 10% der deutschen Allgemeinbevölkerung in Screening-Tests vor, bei Epilepsie-Patienten zeigt sich ein 3–5-fach erhöhtes Risiko, an einer Depression zu erkranken. Es wurde eine Untersuchung einer Querschnittskohorte von Patienten mit Epilepsie auf das Vorliegen von Depressionssymptomen und Charakterisierung der Therapie mit stimmungsstabilisierenden Anfallssuppressiva, Antidepressiva und Neuroleptika sowie Zugang zu neurologischer und psychiatrischer Behandlung durchgeführt [6]. 

Insgesamt wurden 471 Erwachsene mit Epilepsie und einem mittleren Alter von 40 Jahren (58,4% weiblich) analysiert. Es zeigte sich bei 34% ein HADS-D Score von ≥8 und somit das Vorliegen depressiver Symptome. Von diesen Patienten waren nur 13,8% in psychiatrischer oder psychotherapeutischer Behandlung, während etwa zwei Drittel (68,8%) in neurologischer Behandlung in den vorherigen drei Monaten gewesen waren. Eine stimmungsstabilisierende anfallssuppressive Therapie mit Carbamazepin, Lamotrigin oder Valproat erfolgte bei 51,3% der Patienten mit Symptomen einer Depression, und unterschied sich nicht von der Häufigkeit (56,3%) des Einsatzes stimmungsstabilisierender anfallssuppressiver Therapie bei Patienten ohne Symptome einer Depression. Von den Patienten mit Symptomen einer Depression erhielten 15% eine antidepressive Therapie und 5% eine neuroleptische Therapie.

Kongress: Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Epileptologie (DGfE)

Literatur:

  1. Heldt NR, et al.: Suszeptibilitätsgewichtete Ultra­hochfeld-Bildgebung bei fokaler Epilepsie deutet auf kortikale und subkortikale Eisenakkumulation hin. Abstract FV01. 62. Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Epileptologie (DGfE), 12.–15.06.2024, Offenburg.
  2. Fisel L, et al.: Epileptische Arousals – Herzfrequenzanalyse zur Detektion von Biomarkern in simultan intrakraniellen und oberflächlichen EEGs. Abstract FV05. 62. Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Epileptologie (DGfE), 12.–15.06.2024, Offenburg.
  3. Krampe-Heni F, et al.: Genetische Diagnostik bei neonatalen Anfällen. Abstract FV14. 62. Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Epileptologie (DGfE), 12.–15.06.2024, Offenburg.
  4. Rosenkötter U, et al.: Epilepsie oder funktionelle Anfälle? Ein systematischer Vergleich der neuesten Screening-Instrumente zur Unterstützung der Differenzialdiagnostik. Abstract FV19. 62. Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Epileptologie (DGfE), 12.–15.06.2024, Offenburg.
  5. Thorbecke R, et al.: Risiko anfallsbedingter Unfälle bei Menschen mit Epilepsie, die Fahrrad oder Pedelec fahren – Folgerungen für die Beratung. Abstract eP71. 62. Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Epileptologie (DGfE), 12.–15.06.2024, Offenburg.
  6. Hock S, et al.: Häufigkeit depressiver Symptome (HADS-D) bei Erwachsenen mit Epilepsie und Therapie mit stimmungsstabilisierenden Anfallssuppressiva, Antidepressiva und Neuroleptika sowie Zugang zu neurologischer und psychiatrischer Behandlung. Abstract eP62. 62. Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Epileptologie (DGfE), 12.–15.06.2024, Offenburg.

InFo NEUROLOGIE & PSYCHIATRIE 2024; 22(4): 24–25 (veröffentlicht am 26.8.24, ahead of print)

Autoren
  • Leoni Burggraf 
Publikation
  • INFO NEUROLOGIE & PSYCHIATRIE 

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