Osteoporotische Frakturen betreffend gehört die Schweiz zusammen mit Schweden und den USA zu den Hochrisikoländern. Eine 50-jährige Schweizer Frau hat ein Risiko von 51,3%, im Rest ihres Lebens eine osteoporotische Fraktur zu erleiden. Für Männer ist das Risiko mit 20,2% deutlich geringer, aber immer noch bedeutend [1]. Prof. Dr. med. Marius Kränzlin, Basel, gab anlässlich der diesjährigen Jahrestagung der SGIM einen Überblick über die aktuellen Empfehlungen zu Diagnostik und Therapie der Osteoporose.

Obwohl immer mehr Zahlen darauf hindeuten, dass die Frakturinzidenz seit der Einführung der Bisphosphonate abnimmt, haben die Anzahl der Hospitalisierungen aufgrund osteoporotischer Fraktur von 2000 bis 2008 in der Schweiz um 17%, die Hospitalisierungskosten gar um 30% zugenommen [2]. Diese Zahlen zeigen, wie wichtig es ist, die Patienten mit einem hohen Risiko zu identifizieren, um sie geeignet behandeln zu können. «Wir wissen zwar, dass die Abnahme der Knochendichte um eine Standardabweichung das relative Frakturrisiko verdoppelt, trotzdem mussten wir in den letzten Jahren lernen, dass sich die Densitometrie nicht zum Screening eignet, da die Spezifität mit >80% zwar sehr gut, die Sensitivität aber schlecht ist», so Prof. Dr. med. Marius Kränzlin, Basel, in seinem Vortrag an der diesjährigen Jahrestagung der SGIM.

Einerseits treten 50% der osteoporotischen Frakturen bereits im osteopenischen Stadium auf, also bevor der diagnostische Schwellenwert (T-Score -2,5) erreicht wird, andererseits gibt es Patienten mit einem sehr tiefen T-Score, die über viele Jahre keine Fraktur erleiden. Dies zeigt, dass die Knochendichte nicht der einzige Faktor für das Frakturrisiko ist. In vielen Ländern, so auch in der Schweiz, wird deshalb anstelle eines Densitometrie-Screenings die sog. Case-finding-Strategie empfohlen. Neben der Erfassung von vorangegangenen osteoporotischen Frakturen – dem grössten Risiko für eine erneute Fraktur – werden weitere Faktoren erfasst, die das Frakturrisiko erhöhen (Tab. 1).

Eine weiterführende Abklärung wird nur bei Vorhandensein von Risikofaktoren durchgeführt. Ein geeignetes Instrument zur Identifikation von Patienten mit einem erhöhten Risiko ist das WHO Fracture Risk Assessment Tool (FRAX), das die verschiedenen Risikofaktoren in einem bestimmten Algorithmus kombiniert. Auch ohne Knochendichtemessung kann mit diesem Risikorechner, der online unter www.shef.ac.uk/FRAX/ oder als iPhone-App zur Verfügung steht, das individuelle absolute Frakturrisiko einer Patientin oder eines Patienten berechnet werden. Je nach Resultat kann zur exakteren Risikobestimmung anschliessend eine Densitometrie gemacht und das Resultat in die FRAX-Berechnung miteinbezogen werden.

Mit dem errechneten Frakturrisiko richtig umgehen

Die Berechnung des Frakturrisikos ist die Grundlage für die Behandlungsentscheidung. Bei Patienten, die bereits eine Wirbel- oder Schenkelhalsfraktur erlitten haben, sind sich alle Leitlinien einig, dass hier die Indikation für eine medikamentöse Therapie gegeben ist. Bei vorbestehenden nichtvertebralen Frakturen kann die Behandlungsindikation aufgrund des FRAX und der für das jeweilige Land festgelegten Interventionsschwelle oder aufgrund einer Densitometrie (T-Score -2) gestellt werden. «In der Schweiz haben wir uns darauf geeinigt, den FRAX anzuwenden, und nur dann eine Densitometrie zu machen, wenn das Frakturrisiko zu hoch ist», erläuterte Prof. Kränzlin.

Schwieriger ist die Therapieentscheidung bei Patienten ohne Frakturen. In den USA gilt unabhängig vom Alter generell ein T-Score von –2,5 oder ein 10-Jahres-Frakturrisiko von ≥15–20% als Indikation für eine medikamentöse Behandlung. In England, der Schweiz und Frankreich wendet man stattdessen eine altersadaptierte Risikoschwelle an, d.h. eine medikamentöse Therapie wird empfohlen, wenn das geschätzte absolute 10-Jahresrisiko für eine osteoporotische Fraktur dem absoluten Risiko einer Person gleichen Alters mit prävalenter Fraktur entspricht (Tab. 2).

Nur so erreicht man, dass keine Patienten unnötig behandelt werden. Wie eine 2012 publizierte Studie zeigte, ist dieses Vorgehen ausserdem in allen Altersstufen kosteneffektiv [3].
Zur Behandlung steht heute eine ganze Reihe von Präparaten zur Verfügung. Für die Bisphosphonate, die selektiven Östrogenrezeptormodulatoren (Raloxifen, Bazedoxifen), die Östrogene, den RANKL-Antikörper (Denosumab) sowie das Teriparatid (rekombinantes Parathormon) gibt es sehr gute Evidenz (Grad A), dass das Risiko von vertebralen Frakturen ­signifikant gesenkt werden kann. Bei den nicht-vertebralen Frakturen senken vor allem die Bisphosphonate, Denosumab und Teriparatid das Frakturrisiko [4]. In den nächsten Jahren werden verschiedene weitere Substanzen erwartet, die sich zurzeit noch in der klinischen Phase III befinden, so z. B. ein Catepsin-K-Hemmer (Odanacatib) und die anabolen Anti-­Sclerostin- und Anti-Dickkopf-Antikörper.

Behandlungspausen sind wichtig

«Wie lange aber soll man eigentlich behandeln?», fragte Prof. Kränzlin und kam damit zu einem Punkt, der aktuell intensiv diskutiert wird. Studien zeigen, dass die Bisphosphonate nach einer dreijährigen Behandlung nach dem Absetzen noch während mindestens drei Jahren nachwirken, weshalb in den meisten Fällen eine Behandlungspause gemacht werden kann [6]. Von einer Weiterführung der Therapie profitieren nur diejenigen Patienten, bei denen der T-Score im Schenkelhals nach drei bis fünf Jahren Behandlung immer noch <-2,5 ist [7]. «Bei hohem Frakturrisiko empfehlen wir eine Bisphosphonattherapie von fünf bis sieben Jahren, bei moderatem Risiko von drei bis fünf Jahren, dann eine Pause und Follow-up. Für Denosumab empfehlen wir zum jetzigen Zeitpunkt auch nach drei bis fünf Jahren eine Behandlungspause, wobei wir noch nicht genau wissen, was nach dem Absetzen passiert», fasste Prof. Kränzlin die Empfehlungen der Schweizerischen Vereinigung gegen Osteoporose (SVGO) zusammen.

Ein Grund für die Beschränkung der Therapiedauer liegt auch in der unter Bisphosphonat-Langzeitbehandlung erhöhten Komplikationsrate. Das Risiko einer Kieferosteonekrose ist bei der Osteoporosetherapie zwar nicht sehr hoch (1:10’000 vs. 1:100 bei onkologischer Therapie), man muss sich aber bewusst sein, dass das Bisphosphonat nach einem Zahn-Kiefer-Eingriff im Kiefer akkumuliert, was das Risiko einer Osteonekrose deutlich erhöht [8]. Dentoalveoläre Eingriffe sollten deshalb erst acht Wochen nach der letzten Gabe von intravenösen Bisphosphonaten erfolgen und die Behandlung erst nach der vollständigen Abheilung des Zahn-Kiefer-Befundes wieder aufgenommen werden.

Eine weitere Komplikation, an welcher Patienten, die seit mehreren Jahren Bisphosphonate erhalten und über Schmerzen im Oberschenkel klagen, leiden, ist die atypische Femurfraktur. Diese Frakturen treten spontan auf, verlaufen typischerweise horizontal und weisen im Frakturbereich eine Verdickung der Kortikalis auf. Da sich diese Verdickung bereits im Vorfeld radiologisch nachweisen lässt, lohnt es sich, in der oben genannten Situation ein Röntgenbild zu machen. Nach Absetzen der Bisphosphonate normalisiert sich das Risiko einer atypischen Fraktur bereits nach sechs bis zwölf Monaten.

Quelle: 81. Jahrestagung der SGIM, 29.–31. Mai 2013, Basel

Literatur:

  1. Lippuner K, et al. Remaining lifetime and absolute 10-year probabilities of osteoporotic fracture in Swiss men and women. Osteoporos Int 2009; 20: 1131–1140.
  2. Lippuner K, et al. Fracture hospitalizations between years 2000 and 2007 in Switzerland: a trend analysis. Osteoporos Int 2011; 22: 2487–2497.
  3. Kanis JA, et al. European guidance for the diagnosis and management of osteoporosis in postmenopausal women. Osteoporos Int 2008 Apr; 19(4): 399–428.
  4. Lippuner K, et al. Cost-effective intervention thresholds against osteoporotic fractures based on FRAX® in Switzerland. Osteoporos Int 2012; 23: 2579–2589.
  5. Murad MH, et al. Clinical review. Comparative effectiveness of drug treatments to prevent fragility fractures: a systematic review and network meta-analysis. J Clin Endocrinol Metab 2012; 97: 1871–1880.
  6. Black DM, et al. The effect of 3 versus 6 years of zoledronic acid treatment of osteoporosis: a randomized extension to the HORIZON-Pivotal Fracture Trial (PFT). J Bone Miner Res 2012; 27: 243–254.
  7. Schwartz AV, et al. Efficacy of continued alendronate for fractures in women with and without prevalent vertebral fracture: the FLEX trial. J Bone Miner Res; 25: 976–982.
  8. Rizzoli R, et al. Osteonecrosis of the jaw and bisphosphonate treatment for osteoporosis. Bone; 42: 84–847.

Hausarzt Praxis 2013; 8(9): 50–51

Autoren
  • Dr. med. Sabina M. Ludin 
Publikation
  • HAUSARZT PRAXIS 

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