Welche Rolle spielen Biomarker bei der Alzheimer-Krankheit? Und wie können Erkenntnisse über die Pathogenese der Migräne deren Therapie verbessern? Diese beiden Fragen wurden im Rahmen eines Presidential-Symposiums während des EAN 2018 in Lissabon diskutiert.
In dem Symposium, dessen einzelne Vorträge nach berühmten Neurologen benannt waren, vermittelten zwei internationale Experten die neuesten Entwicklungen zu Alzheimer und Migräne.
Edouard Brown-Séquard Lecture – Alzheimer
Prof. Dr. Philip Scheltens, Alzheimer Center Amsterdam, Niederlande, informierte über die Bedeutung von Biomarkern bei der Diagnose und Erforschung der Alzheimer-Krankheit (AD). Im Jahr 1984 war AD eine Ausschlussdiagnose, die man nur post mortem sicherstellen konnte. Heute gehören Biomarker wie Bildgebung, Beta-Amyloid, T-Tau und P-Tau-181 etc. zur Diagnose (siehe Kasten «Klinisch-biologisches Konzept der Alzheimer-Krankheit») [1,2]. Die Entwicklung von Biomarkern hat die Wahrnehmung der AD verändert und erlaubt es unter anderem, Subtypen der AD zu unterscheiden. Das National Institute on Aging and Alzheimer‘s Association (NIA-AA) hat erst im April dieses Jahres zur Diagnostik mit Biomarkern aktualisierte Erkenntnisse publiziert [3]. Sie besagen unter anderem, dass es sich bei Abwesenheit von Amyloiden nicht um eine AD handeln kann und dass die Menge der Tau-Ablagerungen mit der klinischen Präsentation korreliert.
Biomarker haben auch einen praktischen Wert, wie die Studie von Duits et al. zeigte [4]. In einer Memory Clinic in Amsterdam wurde bei 80% von 438 Patienten, die in die Studie eingeschlossen waren, eine Lumbalpunktion durchgeführt. Die Bestimmung der Biomarker im Liquor führte bei 7% der Patienten zu einer Änderung der Diagnose, die Sicherheit bei der Diagnosestellung stieg von 84% auf 89%, und bei 13% der Patienten wurde als Folge der Biomarker-Bestimmung das Krankheitsmanagment verändert. Auch die Bildgebung hat inzwischen bei der AD-Diagnose grosse Bedeutung [5]. In der aktuellen ABIDE-Studie wurde bei rund 500 Patienten, die im Amsterdamer Alzheimer Center untersucht wurden, ein PET-Scan durchgeführt [6]. Bei einem Viertel bis einem Drittel der Patienten (je nach vorliegendem Syndrom und Ätiologie) änderte sich nach dem PET-Scan die Diagnose, und bei 24% führte der PET-Scan zu einer Änderung des Krankheitsmanagements (weitere Abklärungen, Änderung der Medikation, Teilnahme an einer Studie etc.). Eine ähnliche Studie (IDEAS) läuft momentan in den USA mit rund 18 000 Patienten; die Resultate werden für Juli 2019 erwartet.
Biomarker können auch dabei helfen, das individuelle Risiko und die Prognose der Patienten besser zu beurteilen. In der Studie von van Maurik liess sich durch Einbezug verschiedener Biomarker-Werte bestimmen, wie hoch bei Patienten mit «Subjective Cognitive Declines» das Risiko ist, dass sie innerhalb von einem oder drei Jahren eine AD entwickeln [7]. Dieses Risiko ist ganz klar von Biomarkern wie z.B. dem Ausmass einer Gehirnatrophie, dem Beta-Amyloid oder den Tau-Werten abhängig. Die Autoren der Studien haben aus den Resultaten eine App entwickelt («Adappt»), die es dem Praktiker erlauben soll, für jeden Patienten rasch das individuelle Risiko zu bestimmen; ein Prototyp der App wird bereits angewendet.
Der Referent betonte, dass bezüglich Biomarker noch viel Arbeit geleistet werden müsse. «Ein wichtiges Ziel ist, dass wir mit Biomarkern auch die frühe Diagnose verbessern können», sagte er. «Das sollte möglich sein, denn die Bildung von Amyloiden geht der Symptomatik bei AD um Jahrzehnte voraus.» Diese Zeit liesse sich für präventive Massnahmen nützen. Ein weiteres Anwendungsgebiet von Biomarkern ist die Medikamentenentwicklung. «Hier müssen wir nach den letzten zehn Jahren, in denen nichts erreicht wurde, unbedingt besser werden», appelierte Prof. Scheltens.
Moritz Romberg Lecture – Migräne
Über neue Erkenntnisse zur Pathogenese der Migräne und neue Therapie-Targets sprach Prof. Dr. Jes Olesen, Rigshospitalet Glostrup, Dänemark. Migräne ist gemäss der WHO die zweithäufigste zur Arbeitsunfähigkeit führende Erkrankung der Welt. Am häufigsten betroffen sind Personen zwischen dem 20. und 50. Lebensjahr – in dieser Altersgruppe ist Migräne sogar die wichtigste invalidisierende Krankheit (vor Rückenschmerzen und Depressionen). In der genannten Altersgruppe leiden rund 25% aller Frauen und 10% der Männer an Migräne. «Leider gibt es immer noch keine Biomarker für Migräne», bedauerte der Referent, «und auch in der neurologischen Bildgebung sieht bei Migräne-Patienten alles normal aus.» Diese Faktoren erschweren die Migräne-Forschung und die Entwicklung neuer Medikamente.
Bei rund 30–57% der Patienten mit Migräne mit Aura ist eine hereditäre Ätiologie vorhanden. Dazu passt, dass das Risiko für Geschwister von Migräne-Patienten, selbst an Migräne mit Aura zu leiden, um den Faktor 3,8 höher ist als in der Allgemeinbevölkerung. Bisher hat die Forschung 42 Genloki gefunden, die mit der Entwicklung einer Migräne im Zusammenhang stehen. Diese Loki geben Einsicht in die Pathogenese der Migräne-Symptome: Fünf der 42 Loki stehen in Verbindung mit der Ionen-Homöostase, neun mit oxidativem Stress und NO-Signalwegen, neun andere mit Gefässerkrankungen. «Ob eine Migräne einen hereditären Hintergrund hat oder nicht, ist auch mit der Wirksamkeit von Medikamenten assoziiert», berichtete Prof. Olesen. Die meisten Migräne-Medikamente – ob prophylaktisch oder beim akuten Anfall eingesetzt – wirken bei Patienten mit hereditärer Migräne besser.
Die Hypoperfusion während eines Migräne-Anfalls breitet sich mit einer Geschwindigkeit von 2–3 mm/min über den Kortex aus. Liesse sich diese Ausbreitung unterdrücken, träten auch weniger Migräneattacken auf. Ein wirksames Mittel dazu ist die Inhibition von NO, wie experimentelle Studien zeigen. Leider gibt es aber noch keine Medikamente, welche die Produktion von NO im Gehirn wirksam unterdrücken können. Ein weiterer Therapieansatz ist die Hemmung von beta-CGRP, einem stark vasodilatatorisch wirksamen Peptid im Gehirn. Im Jahr 2004 wurde ein Antagonist gegen CGRP entwickelt, der in Dosierungen von 2,5 bis 10 mg eine Response-Rate von bis zu 80% innerhalb von zwei Stunden zeigte, doch wurde nie ein entsprechendes Medikament auf den Markt gebracht. Aktuell in Entwicklung sind verschiedene monoklonale Antikörper: Einer ist in den USA schon auf dem Markt, und er wird voraussichtlich innerhalb des nächsten Jahres auch in Europa zugelassen.
Quelle: 4. Kongress der European Academy of Neurology (EAN), 16.–19. Juni 2018, Lissabon (Portugal)
Literatur:
- Dubois B, et al.: Research criteria for the diagnosis of Alzheimer’s disease: revising the NINCDS-ADRDA criteria. Lancet Neurol 2007; 6(8): 734–746.
- Dubois B, et al.: Advancing research diagnostic criteria for Alzheimer’s disease: the IWG-2 criteria. Lancet Neurol 2014; 13(6): 614–629.
- Jack CR, et al.: NIA-AA Research Framework: Toward a biological definition of Alzheimer’s disease. Alzheimers Dement 2018 Apr; 14(4): 535-562. doi: 10.1016/j.jalz.2018.02.018.
- Duits FH, et al.: Diagnostic impact of CSF biomarkers for Alzheimer‘s disease in a tertiary memory clinic. Alzheimers Dement 2015; 11(5): 523–532.
- Morbelli S, et al.: Imaging biomarkers in Alzheimer’s
- disease: added value in the clinical setting. Q J Nucl Med Mol Imaging 2017 Dec; 61(4): 360–371.
- de Wilde A, et al.: Association of Amyloid Positron Emission Tomography With Changes in Diagnosis and Patient Treatment in an Unselected Memory Clinic Cohort: The ABIDE Project. JAMA Neurol 2018 Jun 11. doi: 10.1001/jamaneurol.2018.1346. [Epub ahead of print]
- van Maurik IS, et al.: Interpreting Biomarker Results in Individual Patients With Mild Cognitive Impairment in the Alzheimer‘s Biomarkers in Daily Practice (ABIDE) Project. JAMA Neurol 2017 Dec 1; 74(12): 1481–1491.
InFo NEUROLOGIE & PSYCHIATRIE 2018; 16(5): 49–50
Autoren
- Dr. med. Eva Ebnöther
Publikation
- INFO NEUROLOGIE & PSYCHIATRIE
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