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Interview

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Inwiefern schliessen die nun bei Adipositas einsetzbaren GLP-1-Rezeptoragonisten Liraglutid und Semaglutid die Lücke zwischen Lebensstilmodifikation und der bariatrischen Chirurgie und was sind die «Unmet needs»?

Prof. Dr. med. Gallwitz: Wir können mit den GLP-1-RA eine Gewichtsreduktion von 15–20 % erreichen. Dies kommt nahe an die bariatrische Chirurgie heran, ist also ein relativ guter Lückenschluss. Andererseits ist die bariatrische Chirurgie ein nicht umkehrbarer Eingriff und um Mangelzustände zu verhindern, muss man gewisse Nährstoffe (z. B. Vitamine, Calcium, Magnesium) supplementieren.
Ein «Unmet need» ist, dass man in Zulassungsstudien gesehen hat, dass nach Absetzen der GLP-1-RA das Gewicht wieder ansteigt. Es wäre schön herauszufinden, wie man die Medikamente geben muss oder ausschleichen kann, sodass der Gewichtsverlust beibehalten wird.


Lifestyle-Massnahmen wie Ernährung und Bewegung sind weiterhin wichtige Therapie­pfeiler bei Adipositas. Werden diese im Allgemeinen eher günstig beeinflusst durch die Einnahme von GLP-1-RA bzw. Zweifachagonisten** oder ist dies individuell unterschiedlich?

Es gibt sicherlich individuelle Unterschiede im Ansprechen auf die Behandlung. Auf der anderen Seite erleichtert die medikamentöse Therapie und der damit verbundene Gewichtsverlust vielen Menschen mit Adipositas die Teilnahme an Bewegungsprogrammen und eine damit verbundene Verbesserung der körperlichen Leistungsfähigkeit.
Es ist wichtig, an allen Stellschrauben zu drehen. Die medikamentöse Behandlung sollte im Rahmen eines multimodalen, interprofessionellen Therapieansatzes erfolgen, ergänzend zu nicht-medikamentösen Massnahmen, welche auf die Förderung von Bewegung, Ernährung und Motivation abzielen.


Neben den GLP-1-Monoagonisten werden aktuell duale Agonisten für GLP-1- und GIP-Rezeptoren («Twincretine») für den Indikationsbereich Adipositas untersucht. Was sind aus Ihrer Sicht die Vor- und Nachteile von Twincretinen im Vergleich zu den Monoagonisten?

Aktuell ist die Datenlage bezüglich der GLP-1-Monoagonisten breiter. Dadurch, dass diese bereits seit längerem für Diabetes zugelassen sind, hat man Erfahrungswerte von 10–15 Jahren. So haben wir beispielsweise für die GLP-1-RA vorteilhafte Endpunktdaten für die kardiovaskuläre Sicherheit. Für Tirzepatid liegen entsprechende Studiendaten aktuell nicht vor. Wir wissen noch nichts über die kardiovaskuläre Sicherheit und wir haben noch keine Langzeitdaten aus der Anwendung in der täglichen Praxis.

Der Benefit von Twincretinen gegenüber Monoagonisten liegt in stärkeren Effekten bezüglich Gewichtsreduktion. Dies geht beispielsweise aus einem direkten Vergleich von Tirzepatid zu Semaglutid hervor.


Unser Interviewpartner

Prof. Dr. med. Baptist Gallwitz
Stv. Ärztlicher Direktor
Universitätsklinikum Tübingen
Medizinische Klinik IV
Innere Medizin; Diabetologie, Endokrinologie, Nephrologie
baptist.gallwitz@med.uni-tuebingen.de


Herzlichen Dank für das Interview!

Das Interview führte Mirjam Peter, Redaktion


Hinweis:
** aktuell (Stand 23.04.24) beschränkt sich in der Schweiz die Zulassung von Tirzepatid auf den Indikationsbereich Typ-2-Diabetes
† siehe Daten der SELECT-Studie für Tirzepatid [15]