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Multiple Sklerose

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Multiple Sklerose (MS) und Neuromyelitis-optica-Spektrum-Erkrankungen (NMOSD) sind zwei unterschiedliche Erkrankungen des zentralen Nervensystems, die oft ähnliche Beschwerden verursachen. In diesem Artikel, der auf InFo NEUROLOGIE & PSYCHIATRIE basiert, erfahren Sie, wie sich beide Krankheiten unterscheiden, welche neuen Erkenntnisse es zu Therapien, Schwangerschaft und Stillzeit gibt und welche Faktoren den Krankheitsverlauf beeinflussen können.

MS und NMOSD: Zwei unterschiedliche Erkrankungen mit ähnlichen Symptomen

Multiple Sklerose (MS) und Neuromyelitis optica Spektrum Erkrankungen (NMOSD) sind beides chronische Erkrankungen, die das zentrale Nervensystem (Gehirn und Rückenmark) betreffen. Beide Krankheiten können schubförmig verlaufen, das heißt, die Symptome treten in Episoden auf, zwischen denen sich die Patienten teilweise oder vollständig erholen. Lange Zeit wurde NMOSD als eine Unterform der MS betrachtet, da die Beschwerden – wie Sehstörungen, Lähmungen oder Gefühlsstörungen – sehr ähnlich sein können. Heute weiß man jedoch, dass es sich um zwei eigenständige Erkrankungen handelt, die unterschiedliche Ursachen und Mechanismen haben. NMOSD ist eine Autoimmunerkrankung, bei der das Immunsystem gezielt bestimmte Strukturen im zentralen Nervensystem angreift, insbesondere das Wasserkanalprotein Aquaporin-4 (AQP4). MS hingegen ist durch eine Entzündung und Zerstörung der Myelinscheiden (Schutzhüllen der Nervenfasern) gekennzeichnet. Die Unterscheidung ist wichtig, weil die Behandlung jeweils individuell angepasst werden muss und Medikamente, die bei MS helfen, bei NMOSD sogar schaden können.

In den letzten Jahren wurden die Therapien für beide Erkrankungen stetig weiterentwickelt. Neue Medikamente, sogenannte krankheitsmodifizierende Therapien (DMTs), können das Fortschreiten der Erkrankung verlangsamen und die Häufigkeit der Schübe reduzieren. Dennoch bleibt die Behandlung eine Herausforderung, da jeder Patient unterschiedlich auf die Therapien anspricht und Nebenwirkungen auftreten können. Besonders bei Frauen im gebärfähigen Alter stellen Schwangerschaft und Stillzeit eine besondere Situation dar, die eine individuelle Beratung und Anpassung der Therapie erfordert.

Schwangerschaft und Stillzeit bei MS: Was ist zu beachten?

Viele Frauen mit Multipler Sklerose (MS) stehen irgendwann vor der Frage, wie sich die Erkrankung und ihre Behandlung auf eine Schwangerschaft und die Stillzeit auswirken. Während der Schwangerschaft ist die Aktivität der MS häufig reduziert, das heißt, es treten weniger Schübe auf. Dies liegt vermutlich an den hormonellen Veränderungen, die das Immunsystem beeinflussen. Allerdings besteht nach der Geburt (postpartal) ein erhöhtes Risiko, dass die MS-Aktivität wieder ansteigt. Besonders für Patientinnen mit einem sehr aktiven Verlauf wird daher empfohlen, die krankheitsmodifizierende Therapie möglichst bald nach der Geburt wieder aufzunehmen, um Rückfälle zu verhindern.

Bei den sogenannten monoklonalen Antikörpern (mAb), einer modernen Wirkstoffgruppe, ist die Situation in der Stillzeit noch nicht abschließend geklärt. Monoklonale Antikörper sind gezielt entwickelte Eiweißstoffe, die bestimmte Bestandteile des Immunsystems blockieren und so die Entzündungsreaktion bei MS hemmen. Bis auf Ofatumumab sind diese Medikamente in Deutschland nicht für die Anwendung während der Stillzeit zugelassen. Erste Studien zeigen jedoch, dass der Übergang von Ocrelizumab, Rituximab und Natalizumab in die Muttermilch sehr gering ist und bisher keine Auffälligkeiten bei gestillten Kindern beobachtet wurden. Die Datenlage ist jedoch noch begrenzt, weshalb die Anwendung immer sorgfältig abgewogen werden sollte.

Eine aktuelle Studie untersuchte die Entwicklung von Kindern, deren Mütter während der Stillzeit mit einem monoklonalen Antikörper behandelt wurden, im Vergleich zu Kindern, deren Mütter keine MS-Therapie in dieser Zeit erhielten[1]. Insgesamt wurden 140 Kinder mit Exposition gegenüber monoklonalen Antikörpern und 140 Kinder ohne solche Exposition verglichen. Die Behandlung begann im Mittel am 24. Tag nach der Geburt. Die meisten Frauen erhielten Natalizumab (61,43 %), gefolgt von Ocrelizumab (21,43 %), Rituximab (7,14 %) und Ofatumumab (7,14 %). In wenigen Fällen wurde die Therapie von Natalizumab auf Ocrelizumab oder von Rituximab auf Ocrelizumab gewechselt. Zwei Kinder wurden unter Glatirameracetat (ein weiteres MS-Medikament), eines unter Interferon (ein Botenstoff, der das Immunsystem beeinflusst) gestillt.

Die Ergebnisse zeigten, dass Entwicklungsverzögerungen in der exponierten Gruppe nicht häufiger auftraten als in der Kontrollgruppe (0,71 % vs. 2,14 %). Auch das Körpergewicht und die Körpergröße der Kinder unterschieden sich im Beobachtungszeitraum nicht signifikant. Die durchschnittliche Anzahl an Krankenhausaufenthalten pro Jahr sowie der Anteil der Kinder, die mindestens einmal hospitalisiert wurden (13,57 % vs. 12,86 %), waren ebenfalls vergleichbar. Diese vorläufigen Ergebnisse deuten darauf hin, dass eine Behandlung mit monoklonalen Antikörpern in der Stillzeit keinen negativen Einfluss auf die Entwicklung oder Gesundheit der gestillten Kinder hatte. Dennoch ist weitere Forschung notwendig, um die Langzeitfolgen besser beurteilen zu können.

Therapieentscheidungen bei MS: Wie beeinflusst die Risikowahrnehmung?

Die Auswahl der passenden Therapie bei aktiver Multipler Sklerose ist ein komplexer Prozess, der viele Faktoren berücksichtigt. Im Mittelpunkt steht die Einschätzung des Risikos für ein Fortschreiten der Erkrankung und das Abwägen von Nutzen und möglichen Nebenwirkungen der verschiedenen krankheitsmodifizierenden Therapien (DMTs). Die Entscheidung, welches Medikament als Erstlinientherapie eingesetzt wird oder wann ein Wechsel zu einer anderen Therapie sinnvoll ist, wird in der Regel gemeinsam von Patient und behandelndem Arzt getroffen. Dabei spielt die individuelle Risikowahrnehmung eine große Rolle.

Neue Therapien, insbesondere die sogenannten hochwirksamen Behandlungen (HET), werden von vielen Patienten und Ärzten als besonders effektiv angesehen. Allerdings werden sie auch oft als risikoreicher eingeschätzt, obwohl die Ergebnisse aus klinischen Studien diese Wahrnehmung nicht immer bestätigen. Diese subjektive Einschätzung kann dazu führen, dass hochwirksame Therapien in der Praxis seltener eingesetzt werden, als es aus medizinischer Sicht sinnvoll wäre.

Eine aktuelle Datenerhebung untersuchte, wie die Risikowahrnehmung von Ärzten und Patienten die Therapieentscheidungen bei MS beeinflusst[2]. Dazu wurden 16 Fachkräfte des Gesundheitswesens (Health Care Professionals, HCP) zu ihren Behandlungsstrategien und den üblichen Wegen bei MS-Patienten befragt. Zusätzlich wurden Krankenakten und Patientendokumentationen ausgewertet, um die Zufriedenheit der Patienten und die Wirksamkeit der Therapien zu erfassen. In einer Online-Umfrage gaben MS-Patienten an, welche Behandlungsmethoden sie bevorzugen, welche Erwartungen sie an die Therapie haben und wie zufrieden sie mit ihrer Behandlung sind.

Die Ergebnisse zeigten, dass bei der Auswahl einer MS-Therapie vor allem klinische und subklinische Parameter (also Symptome und Veränderungen, die im MRT sichtbar sind, aber noch keine Beschwerden verursachen) entscheidend sind. Die individuelle Lebenssituation des Patienten spielt ebenfalls eine wichtige Rolle. Für viele Ärzte ist die Wirksamkeit der Therapie wichtiger als das Sicherheitsprofil, während die meisten Patienten sich vor allem eine Stabilisierung der Erkrankung wünschen, auch wenn dies mit stärkeren Nebenwirkungen verbunden sein kann. Eine direkte Korrelation zwischen der subjektiven Wahrnehmung von hochwirksamen Therapien und dem tatsächlichen Behandlungsverlauf konnte jedoch nicht festgestellt werden. Dies unterstreicht, wie wichtig eine offene Kommunikation zwischen Arzt und Patient ist, um gemeinsam die beste Therapieentscheidung zu treffen.

Remyelinisierung bei MS: Warum das Alter eine Rolle spielt

Ein zentrales Problem bei Multipler Sklerose ist die Schädigung der Myelinscheiden, die die Nervenfasern im Gehirn und Rückenmark umgeben. Die Myelinscheiden wirken wie eine Isolierung und ermöglichen eine schnelle Weiterleitung von Nervenimpulsen. Bei MS werden diese Schutzhüllen durch Entzündungsprozesse zerstört (Demyelinisierung). Der Körper verfügt jedoch über Reparaturmechanismen, die eine Wiederherstellung der Myelinscheiden ermöglichen – dieser Vorgang wird als Remyelinisierung bezeichnet. Leider ist die Remyelinisierung bei MS-Patienten häufig gestört oder unvollständig, was zu bleibenden neurologischen Ausfällen führen kann.

Um die Prozesse der De- und Remyelinisierung besser zu verstehen, wird in der Forschung häufig das sogenannte Cuprizone-Modell eingesetzt. Dabei handelt es sich um ein Tiermodell, bei dem Mäuse mit Cuprizone, einem Kupferchelator (eine Substanz, die Kupfer bindet und dem Körper entzieht), gefüttert werden. Dies führt zu einer gezielten Demyelinisierung verschiedener Gehirnstrukturen. Nach Beendigung der Cuprizone-Gabe kommt es bei jungen Mäusen zu einer schnellen und vollständigen Remyelinisierung. Allerdings entspricht dies nicht der Situation beim Menschen, da die Remyelinisierung bei MS-Patienten meist unvollständig bleibt.

Um das Modell näher an die menschliche Pathologie anzupassen, wurde es dahingehend verändert, dass ältere Mäuse (sechs Monate alt) verwendet wurden. Diese zeigten nach der Demyelinisierung eine deutlich langsamere und unvollständige Remyelinisierung, was der eingeschränkten Reparaturfähigkeit bei älteren MS-Patienten ähnelt. Eine aktuelle Studie untersuchte, warum die Remyelinisierung bei älteren Mäusen im Cuprizone-Modell weniger effizient verläuft und welche Rolle dabei entzündliche Prozesse spielen[3]. Dazu wurden sechs Monate alte Mäuse für 6,5 Wochen mit 0,4 % Cuprizone-haltigem Futter behandelt und anschließend 1,5 Wochen nachbeobachtet. Zum Vergleich wurden junge Mäuse (8–10 Wochen alt) für fünf Wochen mit 0,2 % Cuprizone behandelt und ebenfalls nachbeobachtet. Mithilfe von RNA-Sequenzierungen wurden die Genexpressionen in beiden Gruppen analysiert.

Die Ergebnisse zeigten, dass sowohl bei jungen als auch bei alten Mäusen eine deutliche Demyelinisierung verschiedener Gehirnareale auftrat. Während junge Mäuse eine schnelle und vollständige Remyelinisierung zeigten, verlief dieser Prozess bei älteren Tieren deutlich langsamer und blieb unvollständig. Die Analyse der Genexpression ergab, dass bei älteren Mäusen sowohl regenerative als auch entzündliche Prozesse stärker aktiviert waren. Besonders auffällig war, dass die Regeneration der Oligodendrozyten (Zellen, die Myelin produzieren) von einer verstärkten Astrozytose (Vermehrung von Astrozyten, einer weiteren Zellart im Gehirn) und einer verlängerten Mikrogilose (Vermehrung von Mikrogliazellen, die für die Immunabwehr im Gehirn zuständig sind) begleitet wurde. Diese Erkenntnisse sind wichtig, um die Mechanismen der Remyelinisierung besser zu verstehen und neue Therapieansätze zu entwickeln, die gezielt die Reparaturprozesse im Gehirn fördern.

Unterschiede bei NMOSD: Früh- und Spätmanifestation im Vergleich

Neuromyelitis-optica-Spektrum-Erkrankungen (NMOSD) sind seltene, meist schubförmig verlaufende Autoimmunerkrankungen des zentralen Nervensystems. Die Erkrankung tritt im Durchschnitt erstmals im Alter von etwa 40 Jahren auf. Etwa 30 % der Patienten entwickeln die Krankheit jedoch erst ab dem 50. Lebensjahr – man spricht dann von einem sogenannten late-onset (später Krankheitsbeginn). Kleinere Studien und Fallserien haben bereits gezeigt, dass sich der Verlauf und das Ansprechen auf Therapien bei Patienten mit frühem (early-onset, <50 Jahre) und spätem Krankheitsbeginn (late-onset, ≥50 Jahre) deutlich unterscheiden können. Allerdings waren die bisherigen Studien oft klein oder schlossen keine europäischen Patienten ein.

Eine aktuelle Studie verglich daher NMOSD-Patienten mit frühem und spätem Krankheitsbeginn hinsichtlich klinischer Symptome, Schubrate, Fortschreiten der Behinderung und Ansprechen auf die Schubtherapie[4]. Von 447 untersuchten Patienten hatten 153 (34 %) einen late-onset. Frauen mit early-onset waren signifikant häufiger AQP4-IgG-positiv (93 % vs. 81 %). Auch in der Gesamtkohorte zeigte sich ein Unterschied in der Antikörperverteilung zwischen den beiden Gruppen (AQP4-IgG-positiv: 94,1 % vs. 81,0 %). Die Hauptsymptome unterschieden sich ebenfalls: Während 42 % der early-onset-Patienten zu Beginn eine Optikusneuritis (Entzündung des Sehnervs, die zu Sehstörungen führen kann) erlitten, war dies bei den late-onset-Patienten nur bei 27 % der Fall. Dafür trat bei 56,8 % der late-onset-Patienten zu Beginn eine Myelitis (Entzündung des Rückenmarks, die zu Lähmungen und Gefühlsstörungen führen kann) auf, im Vergleich zu 37,3 % bei early-onset.

Die Analyse der Schübe ergab jedoch keine signifikanten Unterschiede in der jährlichen Schubrate (Annualized Relapse Rate) zwischen den beiden Gruppen. Allerdings zeigten Patienten mit late-onset eine deutlich schlechtere Erholung nach einem Schub, sowohl in der Gesamtkohorte als auch in der Untergruppe mit akuter Myelitis. Bei Schüben, die den Nervus opticus (Sehnerv) betrafen, gab es hingegen keinen relevanten Unterschied im Erholungsverlauf. Mit Blick auf den Krankheitsverlauf erreichten late-onset-Patienten schneller definierte Endpunkte der Erkrankungsschwere, was bedeutet, dass sie früher eine stärkere Einschränkung der Funktionalität erlitten. Insgesamt hatten NMOSD-Patienten mit spätem Krankheitsbeginn häufiger Myelitiden und weniger Optikusneuritiden zu Beginn, waren bei Schüben schwerer betroffen, erholten sich schlechter und erreichten schneller klinisch relevante Einschränkungen als Patienten mit frühem Krankheitsbeginn. Die Gesamtzahl der Schübe war jedoch vergleichbar.

Diese Erkenntnisse sind für die individuelle Beratung und Therapieplanung bei NMOSD-Patienten sehr wichtig. Sie zeigen, dass das Alter bei Krankheitsbeginn einen erheblichen Einfluss auf den Verlauf und die Prognose der Erkrankung hat. Patienten mit spätem Krankheitsbeginn benötigen möglicherweise eine intensivere Betreuung und engmaschigere Überwachung, um Komplikationen frühzeitig zu erkennen und zu behandeln.

Leoni Burggraf

Quellen

  1. Witt L, et al.: Kindesentwicklung nach Anwendung von monoklonalen Antikörpern in der Stillzeit. Abstract 91. 96. Kongress der Deutschen Gesellschaft für Neurologie (DGN), 8.–11. November 2023.
  2. Wagner B, et al.: Characterizing a neurologist’s risk perception and its influence on treatment decisions for patients with multiple sclerosis – KLEOS. Abstract 98. 96. Kongress der Deutschen Gesellschaft für Neurologie (DGN), 8.–11. November 2023.
  3. Möllenkamp T, et al.: Altersabhängige Unterschiede der Remyelinisierung: Analyse von mRNAExpressionsmustern zur Identifikation von Schlüsselfaktoren im Cuprizone Modell. Abstract 151. 96. Kongress der Deutschen Gesellschaft für Neurologie (DGN), 8.–11. November 2023.
  4. Kretschmer JR, et al.: Klinische Charakteristika des late- und early-onset bei Neuromyelitis-optica-Spektrum-Erkrankungen. Abstract 51. 96. Kongress der Deutschen Gesellschaft für Neurologie (DGN), 8.–11. November 2023.