Die Alzheimer’s Association International Conference ist die weltweit grösste Tagung, die sich dem Fortschritt der Demenzforschung widmet. Jedes Jahr kommen Forscher, Kliniker und Demenzexperten zusammen, um sich über bahnbrechende Forschungsergebnisse auszutauschen, die zu Präventions- und Behandlungsmethoden und Verbesserungen bei der Diagnose der Alzheimer-Krankheit führen werden.

Neue Daten aus prospektiven Kohortenstudien mit mehr als 100’000 Erwachsenen deuten darauf hin, dass chronische Verstopfung zu einer Abnahme der kognitiven Funktion führen kann. Die Wissenschaftler haben herausgefunden, dass Menschen mit Verstopfung, die rund alle drei Tage Stuhlgang haben, im Vergleich zu Menschen mit täglichem Stuhlgang, eine signifikant schlechtere kognitive Leistungsfähigkeit aufweisen. Diese entspricht einem zusätzlichen Alterungsprozess von drei Jahren. Daher sollte bei älteren Patienten auf Symptome einer abnormalen Darmfunktion geachtet werden. Schätzungen zufolge leiden 16% der Weltbevölkerung an Obstipation. Das Problem tritt häufiger bei älteren Erwachsenen auf, was auf altersbedingte Faktoren wie einen Mangel an Ballaststoffen und Bewegung sowie der Einnahme von verstopfenden Medikamenten zur Behandlung anderer Erkrankungen zurückzuführen ist. Chronische Obstipation – definiert als Stuhlgang alle drei Tage oder öfter – wird mit langfristigen Gesundheitsproblemen wie Entzündungen, hormonellem Ungleichgewicht, Angstzuständen und Depressionen assoziiert. Dies war die erste Studie ihrer Art, die auch kognitive Funktionen untersucht hat. Die Ergebnisse zeigen, dass die Häufigkeit des Stuhlgangs mit der gesamten objektiven kognitiven Funktion sowie dem Lern- und Arbeitsgedächtnis in einer inversen J-förmigen Dosis-Wirkungsbeziehung verbunden war. Präventive Massnahmen und zur Verbesserung der Darmgesundheit können eine gesunde Ernährung mit ballaststoff- und polyphenolreichen Lebensmitteln wie Obst, Gemüse und Vollkornprodukten sein, die Einnahme von Ballaststoffpräparaten, tägliches Trinken von viel Wasser und regelmässige körperliche Aktivität.

Ehrenamt schützt das Gehirn

Freiwilliges Engagement kann das alternde Gehirn vor kognitivem Abbau und Demenz schützen, zu diesem Ergebnis kommt eine aktuelle Studie. Sie untersuchte eine Gruppe von Senioren und fand heraus, dass diejenigen, die eine ehrenamtliche Funktion wahrnahmen, eine bessere kognitive Funktion hatten – insbesondere in den Bereichen Exekutivfunktionen und episodisches Gedächtnis – als Gleichaltrige, die sich nicht ehrenamtlich engagierten. Das kann u.a. an der erhöhten körperlichen Aktivität, grösseren sozialen Interaktion sowie höherem geistigen Engagement liegen, die alle mit einer besseren Hirngesundheit verbunden sind. Die Forscher untersuchten die ehrenamtlichen Gewohnheiten von 2476 Erwachsenen. Nach Bereinigung um relevante Kofaktoren wiesen diejenigen, die sich ehrenamtlich engagierten, im Vergleich zu denjenigen, die sich nicht ehrenamtlich engagierten, im Durchschnitt bessere Grundwerte für die exekutive Funktion und das verbale episodische Gedächtnis auf. 

Besseres Hören verlangsamt kognitive Verluste

Patienten mit Risikofaktoren für Demenz, wie Diabetes und Bluthochdruck, weisen drei Jahre nach Tragen eines Hörgerätes einen um 48% verlagsamten kognitiven Abbau auf. Die Ergebnisse liefern überzeugende Beweise dafür, dass die Behandlung von Hörverlust ein wirksames Mittel ist, um die kognitiven Funktionen im späteren Leben zu schützen und möglicherweise langfristig eine Demenzdiagnose hinauszuzögern, unterstrich der Studienleiter. Altersbedingte Schwerhörigkeit ist sehr häufig und betrifft zwei Drittel der Erwachsenen über 60 Jahre. Sie kann mit Hörgeräten und audiologischen Hilfsdiensten behandelt werden. In die ACHIEVE Studie wurden 977 Erwachsene zwischen 70 und 84 Jahren eingeschlossen. Sie wurden aus älteren Erwachsenen, die an der laufenden Atherosclerosis Risk in Communities (ARIC)-Studie teilnahmen, und gesunden Freiwilligen rekrutiert. Zu Beginn der Studie hatten die Teilnehmer ein ähnliches Hörvermögen wiesen keine wesentlichen kognitiven Beeinträchtigungen auf. Die Forscher wiesen alle Teilnehmer nach dem Zufallsprinzip entweder einer Hörinterventionsgruppe oder einer Kontrollgruppe für die Gesundheitserziehung im Alter zu. Die Teilnehmer der Hörinterventionsgruppe nahmen alle ein bis drei Wochen an vier einstündigen Sitzungen mit einem Audiologen teil, erhielten beidseitig angepasste Hörgeräte, wurden regelmässig über den Gebrauch der Geräte informiert und lernten Strategien zur Hörrehabilitation. Die Kontrollgruppe traf sich regelmässig mit einem zertifizierten Gesundheitspädagogen, der die 10 Keys to Healthy Aging, ein interaktives Gesundheitserziehungsprogramm für Erwachsene im Alter von 65 Jahren, durchführte. In der ARIC-Kohorte gab es eine signifikante 48%ige Verringerung in der Hörgerätegruppe im Vergleich zur Kontrollgruppe. Die Hörintervention war signifikant mit einem langsameren Sprachverlust verbunden. 

Gen-Schere schützt vor neuro­degenerativen Erkrankungen

In zwei separaten Studien wurde untersucht, wie Gene das Risiko für die Entwicklung neurodegenerativer Krankheit erhöhen können und wie ihre Veränderung das Risiko senken oder das Gehirn vor der Amyloidbildung schützen könnte, die als Ursache gilt. Die erste Studie stammt aus San Diego, wo eine Gen-Editing-Strategie entwickelt wird, die auf das Amyloid-Vorläuferprotein (APP) abzielt. Dieses Protein ist dafür bekannt, dass es im Gehirn eine Überproduktion von Beta-Amyloid verursacht, was zu Plaque-Ablagerungen führt, die ein Markenzeichen der Krankheit sind. Die Forscher untersuchten verschiedene Möglichkeiten, das APP zu schneiden, und erzeugten Produkte, die entweder schützend oder pathologisch waren. Sie hofften, die Produk­tion von Beta-Amyloid verringern und gleichzeitig die neuroprotektiven Wirkungen erhöhen zu können. Beim Testen der Theorie an Mäusen stellten die Forscher fest, dass die Behandlung mit CRISPR die Menge der Beta-Amyloid-Plaques und die damit verbundenen Entzündungsmarker reduzierte. Sie beobachteten auch eine Zunahme der neuroprotektiven APP-Produkte und eine Korrektur der Defizite im Verhalten und in der Funktion des Nervensystems der Mäuse. Sie beobachteten auch keine unerwünschten Nebenwirkungen bei normalen Mäusen. Zukünftig sollen Studien entwickelt werden, die darauf abzielen, die APP-CRISPR-Bearbeitung in Tests am Menschen einzusetzen.

Eine weitere Studie aus Amsterdam befasste sich mit Genen, die zum Alzheimer-Risiko beitragen, insbesondere APOE-e4. Dieses Gen ist einer der wichtigsten Risikofaktoren für die Alzheimer-Krankheit. Sein Vorhandensein ist jedoch keine Garantie dafür, dass eine Person die Krankheit bekommen wird. Menschen mit einer Kopie haben ein zwei- bis dreifach höheres Risiko, an Alzheimer zu erkranken, zwei Kopien erhöhen das Risiko um das Acht- bis Zwölffache.

Die Forscher haben mit einer Epigenom-Therapieplattform gearbeitet, die eine CRISPR/dCas9-Editierungsstrategie verwendet, um APOE-e4 zu reduzieren. Es wurde festgestellt, dass der führende Kandidat der Plattform die APOE-e4-Konzentration in aus menschlichen induzierten pluripotenten Stammzellen abgeleiteten Miniaturgehirnen eines Alzheimer-Patienten und in humanisierten Mausmodellen reduziert. Dies geschah ohne Veränderung anderer APOE-Varianten, die neutral oder schützend sind. 

Erster Tau-Aggregationshemmer liefert vielversprechende Ergebnisse

Die Behandlung mit einem experimentellen oralen Tau-Aggregationshemmer, Hydromethylthioninmesylat (HMTM), führte in der Phase-III-Studie LUCIDITY zu einer statistisch signifikanten Verringerung eines etablierten Biomarkers der Neurodegeneration bei der Alzheimer-Krankheit (AD). Die Blutkonzentration der Neurofilament-Leichtkette (NfL) ging bei den Teilnehmern, die HMTM in der Zieldosis von 16 mg/Tag erhielten, im Vergleich zur Kontrollgruppe über 12 Monate um 93% zurück. Sie korrelierte signifikant mit einem Tau-Biomarker (p-tau 181) im Blut und Veränderungen bei kognitiven Testergebnissen. NfL zählt zu den am besten untersuchten Biomarkern, weil er bei einer Reihe von neurodegenerativen Erkrankungen aus dem Ruder läuft. Bei Alzheimer korreliert er mit dem Schweregrad der Erkrankung und zeichnet die fortschreitende Schädigung der Neuronen ab.  Die endgültigen 2-Jahres-Daten werden voraussichtlich im Laufe dieses Jahres veröffentlicht werden.

Keine Opioide bei Demenz

Die Verabreichung von Opioiden an ältere Erwachsene mit Demenz ist mit einem deutlich erhöhten Sterberisiko verbunden – insbesondere in den ersten zwei Wochen, in denen das Risiko um das 11-fache erhöht ist, wie neue Forschungsergebnisse zeigen. Anhand von dänischen Registern analysierten die Forscher Daten zu 75’471 Erwachsenen in Dänemark, die 65 Jahre und älter waren und bei denen zwischen 2008 und 2018 eine Demenz diagnostiziert worden war. Insgesamt 31’619 Personen (42%) erhielten ein Rezept für ein Opioid. Diese «exponierten» Personen wurden mit 63 235 nicht exponierten Personen abgeglichen. In der exponierten Gruppe starben 33% innerhalb von 180 Tagen nach Beginn der Opioidtherapie, verglichen mit 6,4%. Nach Bereinigung um potenzielle Unterschiede zwischen den Gruppen war der Neukonsum eines Opioids mit einem mehr als vierfach höheren Sterberisiko verbunden. Der Neugebrauch eines starken Opioids (Morphin, Oxycodon, Ketobemidon, Hydromorphon, Pethidin, Buprenorphin oder Fentanyl) war mit einem mehr als sechsfachen Anstieg des Sterberisikos verbunden. Von denjenigen, die Fentanylpflaster als erstes Opioid verwendet hatten, starben 65% innerhalb der ersten 180 Tage, verglichen mit 6,7% bei den nicht exponierten Personen. Hier lag das Sterberisiko achtfach höher. Für alle Opioide war das Risiko in den ersten 14 Tagen am grössten, mit einem fast 11-fach erhöhten Sterberisiko. Doch auch nach 90 Tagen blieb das Risiko noch um das Zweifache erhöht. Eine Opioidtherapie sollte daher bei Schmerzen nur dann in Betracht gezogen werden, wenn der Nutzen die Risiken bei Menschen mit Demenz voraussichtlich überwiegt.

Bluttest für die Diagnose zu Hause

Mit Hilfe eines einfachen Bluttests mit dem Finger könnte festgestellt werden, ob jemand an Alzheimer leidet und er könnte so schnell wie möglich behandelt werden. Ein Team der Universität Göteborg entwickelte einen Test für drei Alzheimer-Biomarker – Neurofilament Light (NfL), Glial Fibrillary Acidic Protein (GFAP) und phosphoryliertes Tau (p-tau181 und 217). Um den Nutzen dieser wichtigen Biomarker zu analysieren, führten die Forscher eine Pilotstudie durch, in der eine neuartige Methode zu ihrer Quantifizierung in kapillaren und venösen Trockenblutspots untersucht wurde. Bei dem Test wird eine kleine Blutprobe auf eine Blutspot­karte getropft, wo sie trocknet und bei Raumtemperatur gelagert wird. Sie entnahmen sowohl Venen- als auch Fingerstichproben von 77 Patienten der Gedächtnisklinik des ACE Alzheimer Centers in Barcelona. Die getrockneten Blutproben wurden dann von den Karten extrahiert und NfL, GFAP sowie p-tau181 und 217 gemessen. Alle waren in den Fingerprick-Proben nachweisbar und korrelierten stark mit den Ergebnissen der Standard-Blutentnahme. Die Pilotstudie hat gezeigt, dass eine Möglichkeit für die Fernentnahme und -messung von Alzheimer-Biomarkern ohne Tiefkühllagerung oder aussergewöhnliche Vorbereitung oder Verarbeitung besteht.

Kongress: Alzheimer’s Association International Conference (AAIC)

InFo NEUROLOGIE & PSYCHIATRIE 2023; 21(4): 22–23

Autoren
  • Leoni Burggraf 
Publikation
  • INFO NEUROLOGIE & PSYCHIATRIE 

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