Depression ist weit mehr als eine reine psychische Störung – sie betrifft oft auch den Körper. Viele Menschen mit Depression leiden zusätzlich an körperlichen Erkrankungen. Dieser Artikel basiert auf aktuellen Erkenntnissen führender Expertinnen und Experten und erklärt, welche biologischen Mechanismen hinter dem Zusammenhang von Depression und körperlichen Erkrankungen stecken und was das für die Behandlung bedeutet.
Depression: Mehr als nur eine psychische Erkrankung
Depression ist eine ernsthafte Erkrankung, die weit über eine anhaltend gedrückte Stimmung hinausgeht. Zu den Hauptsymptomen zählen neben Traurigkeit auch Antriebslosigkeit (fehlende Energie und Motivation) sowie der Verlust an Freude. Häufig treten zusätzliche Beschwerden wie Konzentrationsstörungen, Schlafprobleme oder körperliche Symptome auf. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) schätzt, dass weltweit etwa 280 Millionen Menschen an einer Depression leiden. Bei Erwachsenen sind rund fünf Prozent betroffen, was Depression nach Angststörungen zur zweithäufigsten psychischen Störung macht. Die Ursachen sind vielfältig: Neben genetischen Faktoren (erblich bedingte Veranlagung) spielen auch soziale und psychologische Einflüsse eine Rolle. Negative Lebensereignisse wie Traumata (seelische Verletzungen), Arbeitslosigkeit oder Trennungen können das Risiko erhöhen. Auch körperliche Erkrankungen wie Krebs, Stoffwechselstörungen (zum Beispiel Diabetes mellitus) oder Herz-Kreislauf-Erkrankungen sind häufig mit Depression verbunden.
Wechselwirkungen zwischen Depression und körperlichen Erkrankungen
Etwa 20 Prozent der Menschen mit einer körperlichen Erkrankung entwickeln zusätzlich eine Depression. Professor Dr. med. Christian Otte, Direktor der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie an der Charité Universitätsmedizin Berlin, betont, dass die psychische Belastung durch eine körperliche Erkrankung das Risiko für Depression erhöht. Umgekehrt kann eine Depression auch den Verlauf der körperlichen Erkrankung negativ beeinflussen. Bei Patientinnen und Patienten mit sogenannten somatischen Komorbiditäten (gleichzeitiges Vorliegen von körperlichen und psychischen Erkrankungen) ist es besonders wichtig, die Wechselwirkungen der Medikamente genau zu prüfen. Denn manche Arzneimittel können sich gegenseitig beeinflussen oder unerwünschte Nebenwirkungen verstärken. Für diese Patientengruppe stellt sich die Frage, wie gut Antidepressiva wirken und ob sie genauso sicher sind wie bei Menschen ohne körperliche Erkrankung. Die individuelle Anpassung der Therapie ist daher entscheidend.
Depression und Herz-Kreislauf-Erkrankungen: Ein besonderes Risiko
Depression tritt besonders häufig gemeinsam mit Erkrankungen des kardio-metabolischen (Herz und Stoffwechsel betreffenden) und kardio-vaskulären Systems (Herz und Blutgefäße betreffend) auf. Dazu gehören Typ-2-Diabetes (eine Form der Zuckerkrankheit), Adipositas (krankhaftes Übergewicht) und Bluthochdruck (Hypertonie). Depression gilt zudem als psychosozialer Risikofaktor für die Entwicklung einer koronaren Herzkrankheit (Verengung der Herzkranzgefäße). Menschen mit Herzerkrankungen leiden oft unter körperlichen Beschwerden wie Brustschmerzen, Atemnot und verminderter Leistungsfähigkeit. Diese Symptome können die Lebensqualität deutlich einschränken und zu sozialer Isolation sowie negativen Gefühlen führen – ein Teufelskreis, der das Risiko für eine Depression weiter erhöht.
Psychokardiologie: Die Verbindung von Herz und Psyche
Dr. med. Monika Sadlonova, Oberärztin an der Klinik für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie sowie an der Klinik für Herz-, Thorax- und Gefäßchirurgie und der Klinik für Geriatrie der Universitätsmedizin Göttingen, ist Expertin für psychokardiologische Therapien. Sie untersucht, wie körperliche und psychische Faktoren bei Herzerkrankten mit komorbider Depression (gleichzeitiges Vorliegen von Herzkrankheit und Depression) zusammenwirken. Auf Verhaltensebene spielen zum Beispiel Bewegungsmangel, ungesunde Ernährung oder mangelnde soziale Kontakte eine Rolle. Auf körperlicher Ebene können Entzündungsprozesse, Veränderungen im Hormonhaushalt oder eine gestörte Darmflora (Zusammensetzung der Bakterien im Darm) Einfluss nehmen. Interessant ist, dass Antidepressiva aus der Gruppe der Serotonin-Wiederaufnahmehemmer (SSRI, Medikamente, die den Botenstoff Serotonin im Gehirn erhöhen) bei Patientinnen und Patienten mit Depression und koronarer Herzkrankheit wirksam sind, jedoch nicht bei Menschen mit Herzschwäche (Herzinsuffizienz). Die Rolle der Darmflora wird ebenfalls intensiv erforscht, da sie das Immunsystem und damit auch die Psyche beeinflussen kann.
Biologische Mechanismen: Entzündungen als gemeinsame Ursache?
Professor Stefan Gold, Leiter des Bereichs Neuropsychiatrie an der Charité Universitätsmedizin Berlin, beschäftigt sich mit den biologischen Zusammenhängen zwischen kardio-metabolischen Erkrankungen und Depression. Eine wichtige Erkenntnis der letzten Jahre ist, dass chronisch unkontrollierte Entzündungen (dauerhafte Aktivierung des Immunsystems) sowohl Stoffwechselstörungen als auch Herz-Kreislauf-Erkrankungen und depressive Symptome begünstigen können. In Tiermodellen zeigte sich, dass eine unregulierte Immunantwort die Verbindung zwischen Übergewicht und depressionsähnlichem Verhalten herstellt. Für betroffene Menschen stellt sich die Frage, ob sich diese ungünstigen Immunreaktionen gezielt beeinflussen lassen, um sowohl körperliche Beschwerden als auch Depression zu lindern. Die Forschung arbeitet daran, neue Therapieansätze zu entwickeln, die nicht nur das Gehirn, sondern auch den Körper in den Blick nehmen.
Depression ganzheitlich behandeln
Die enge Verbindung zwischen Depression und körperlichen Erkrankungen zeigt, wie wichtig eine ganzheitliche Behandlung ist. Neben der medikamentösen Therapie spielen auch psychotherapeutische Maßnahmen, Bewegung und soziale Unterstützung eine große Rolle. Für Patientinnen und Patienten mit mehreren Erkrankungen ist eine enge Zusammenarbeit verschiedener Fachärztinnen und Fachärzte entscheidend. Ziel ist es, sowohl die psychischen als auch die körperlichen Beschwerden zu lindern und die Lebensqualität nachhaltig zu verbessern. Wer mehr über die neuesten Erkenntnisse erfahren möchte, kann sich beispielsweise beim Berlin Brain Summit informieren.
Quellen
- Gold SM, et al.: Comorbid depression in medical diseases. Nature Reviews Disease Primers 6 (69) (2020).
- Köhler-Forsberg O, et al.: Efficacy and Safety of Antidepressants in Patients With Comorbid Depression and Medical Diseases: An Umbrella Systematic Review and Meta-Analysis. JAMA Psychiatry (2023).
- Brasanac J, et al.: Cellular specificity of mitochondrial and immunometabolic features in major depression. Molecular Psychiatry 27, p. 2370–2371 (2022).
- Levine GN, et al.: Psychological Health, Well-Being, and the Mind-Heart-Body Connection: A Scientific Statement From the American Heart Association. Circulation, 143(10): e763–e783 (2021).
- Wu Y, et al.: New Insights Into the Comorbidity of Coronary Heart Disease and Depression. Current Problems in Cardiology 46(3): 100413 (2021).
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