Die Ergometrie ist nach wie vor ein wichtiger Test für Diagnostik und Risikostratifizierung im Abklärungsgang der KHK. Damit eine Ergometrie aussagekräftig sein kann, sind eine normale körperliche Belastbarkeit und ein Ruhe-EKG mit normaler ST-Strecke notwendig. Bei der Interpretation muss man sich der geringen Sensitivität der Ergometrie bewusst sein und je nach klinischem Kontext weitere nicht-invasive Untersuchungen anschliessen oder zur invasiven Koronarangiografie übergehen. Als diagnostischer Test ist die Ergometrie am besten geeignet für Patienten mit einer Vortest-Wahrscheinlichkeit von 15%–65% für eine KHK. Die Ergometrie liefert wichtige prognostische Information sowohl bei intermediärer (15%–85%) als auch hoher (>85%) Vortest-Wahrscheinlichkeit für eine KHK.

Der Abklärungsgang der koronaren Herzkrankheit (KHK) und im speziellen die Rolle der Ergome­trie haben sich in den letzten Jahren durch die Verfügbarkeit neuer Imaging-Modalitäten stark verändert. Trotzdem hat die Ergometrie als einfach verfügbarer, billiger und risikoarmer Test im Alltag für die diagnostische und prognostische Evaluation von Patienten mit möglicher KHK nach wie vor einen wichtigen Stellenwert, der in der vorliegenden Übersicht skizziert wird.

Tests zum Nachweis der KHK

Mit den nicht-invasiven Tests möchte man primär zwei Fragen beantworten:

  1. Ist eine KHK vorhanden oder nicht?
  2. Kann der Patient mit einer optimalen medikamen­tösen Therapie (Aspirin, Statine, ACE-Hemmer, evtl. antiischämische Therapie) behandelt werden oder ist zusätzlich eine Revaskularisation aus prognostischen Gründen indiziert? [1]

Es können zwei hauptsächliche Testprinzipien unterschieden werden: Tests, die das Substrat der myokardialen Ischämie, die Koronarstenose, darstellen (invasive Koronarangiografie, nicht-invasive Computertomografie-Koronarangiografie [Koronar-CT]), und Tests, die deren Auswirkung, die Ischämie, messen. Die Myokardperfusionsszintigrafie und das kardiale Stress-MRI messen die Perfusion bzw. Minderperfusion, die Stress-Echokardiografie (und das Stress-MRI mit Dobutamin) misst die Ischämie-induzierte linksventrikuläre Dysfunktion, und die Ergometrie misst die Ischämie-induzierte ST-Veränderung (Abb. 1).

Die anatomischen Tests und die verschiedenen Ischämie-Tests beruhen auf unterschiedlichen Prinzipien und können beim gleichen Patienten daher auch unterschiedliche Erge­bnisse liefern. So wird ein Patient mit einer Stenose von 50% im mittleren Abschnitt des Ramus circumflexus im Belastungs-EKG keine ST-Veränderungen zeigen, da die Stenose noch keine Ischämie provoziert. Die Stenose wird in der Koronarangiografie oder im Koronar-CT aber sichtbar sein. Eine schwerere Stenose wird sich in der Myokardperfusionsszintigrafie als Minderperfusion darstellen, die aber unter Umständen nicht ausgedehnt genug ist, um in der Ergometrie eine signifikante ST-Streckensenkung zu provozieren [1,2].

Ergometrie zur Diagnose der KHK bei Patienten mit Thoraxschmerz

Die Ergometrie muss so eingesetzt werden, dass wir vom Befund eine klinisch relevante Aussage erwarten können. Daher erfordert die Anwendung der Ergo­metrie zunächst Überlegungen zu Vortest-Wahrscheinlichkeit (pre-test probability, PTP) und Nachtest-Wahrscheinlichkeit – dies gemäss dem Bayes’schen Theorem, das aussagt, dass die Nachtest-Wahrscheinlichkeit direkt proportional zur PTP sowie zur Sensitivität des Tests und indirekt proportional zur Spezifität des Tests ist. Basierend auf Alter, Geschlecht und Symptomen ergibt sich eine PTP für das Vorhandensein einer relevanten KHK(Tab. 1).

Bei der Anwendung von diagnostischen Tests muss deren Sensitivität und Spezifität) im Kontext der PTP bedacht werden. Bei einem Mann älter als 70 Jahre mit typischer Angina ist die Dia­gnose einer KHK allein aufgrund der klinischen Konstellation bereits sehr wahrscheinlich (PTP >85%), während bei einer Frau jünger als 50 Jahre mit atypischen Thoraxschmerzen eine KHK sehr unwahrscheinlich ist (PTP <15%). Liefert ein Test mehr falsche als richtige Ergebnisse, kann dies zur Verunsicherung des Patienten und unnötigen Folgeunter­suchungen führen.

Bildgebende Ischämie-Tests (Myokardperfusions­szintigrafie, Stress-Echokardiografie, Stress-MRI) haben Sensitivitäten und Spezifitäten um 85%, was bedeutet, dass 15% aller Tests ein falsches Ergebnis­ liefern, so dass bei Patienten mit einer PTP von >85% oder <15% kein Test weniger falsche Ergebnisse liefert als ein Test. Daher wird empfohlen, dass bei Pa­tien­ten in diesen PTP-Kategorien keine Tests zu dia­gnos­tischen Zwecken durchgeführt werden: Bei einer PTP von >85% wird von einer KHK ausgegangen, und bei einer PTP <15% wird angenommen, dass keine KHK vorliegt.

Andererseits gibt es viele Patienten mit einer PTP von 15%–85%, wo durch die Anamnese allein keine ausreichend gute Aussage gemacht werden kann und diagnostische Tests sinnvoll sind. Da die Ergometrie selbst bei korrekter Patientenauswahl eine tiefe Sensi­tivität von nur ca. 50% hat (die Spezifität ist hoch mit 85%–90%), wird die Anzahl falscher Tests höher als die Anzahl richtiger Tests, wenn die PTP höher als ca. 65% ist. Es wird daher empfohlen, dass die Ergometrie zu diagnostischenZwecken bei Patienten mit einer PTP von 15%–65% eingesetzt wird, falls ein aussagekräftiger Test erwartet werden kann. Bei einer PTP von 65%–85% sollten bildgebende Ischämie-Tests zum Einsatz kommen, falls diese verfügbar sind und mit guter Expertise durchgeführt werden können. Ansonsten ist eine Ergometrie ebenfalls eine Option.

Falls eine Ergometrie bei Patienten mit PTP 65%–85% durchgeführt wird und negativ ausfällt, muss man sich der geringen Sensitivität der Ergometrie bewusst sein und evtl. relativ niederschwellig eine invasive Koronarangiografie durchführen, mit der dann mittels Messung der fraktionellen Fluss­reserve ein Ischämie-Nachweis erbracht werden kann.

In Abbildung 2 ist die primäre Wahl eines Tests für Patienten mit Thoraxschmerzen und PTP 15%–85% für eine KHK gemäss den aktuellen Guidelines der Europäischen Gesellschaft für Kardiologie dargestellt. In Zusammenschau mit Tabelle 1 wird klar, dass die Ergometrie als primärer Ischämie-Test für viele Pa­­tien­ten in Frage kommt, dies je nach Verfügbarkeit anderer Modalitäten wie Koronar-CT und bildgebenden Ischämie-Tests. Je nach Ergebnis des primären­ Tests müssen weitere nicht-invasive oder invasive Untersuchungen angeschlossen werden.

Ergometrie zur Risikostratifizierung bei KHK

Die Ergometrie kann sowohl bei intermediärer (15%–85%) als auch hoher (>85%) PTP zur Risikostratifizierung eingesetzt werden, dies unter der Voraussetzung, dass keine falschen Schlüsse bezügliche Diagnose abgeleitet werden.

Ergometrie bei asymptomatischen Patienten

Ein Screening mit apparativen Methoden hinsichtlich einer subklinischen KHK wird nach wie vor nicht empfohlen. Eine detaillierte Diskussion dieses Themas würde den Rahmen dieses Artikels sprengen.

Prinzip und Genauigkeit der Ergometrie

Unter physikalischer Belastung steigt mit Anstieg von Herzfrequenz und Kontraktilität der myokardiale Sauer­stoffverbrauch, was aufgrund des nur bedingt steigerbaren Blutflusses durch eine Stenose zur Provokation einer Ischämie führt, die sich klinisch mit Angina und/oder EKG-Veränderungen manifestiert (Abb. 1). Es wird klar, dass Tests, die die Minderperfusion oder die Ischämie-assoziierte LV-Dysfunktion messen, sensitiver sind als die Ergometrie. Wir gehen von einer Sensitivität von ca. 50%, aber einer Spezifität von 85%–90% aus (für Frauen eher tiefer).  

Wann kann von einer Ergometrie eine Aussage erwartet werden?

Damit basierend auf einer Ergometrie schlüssige Aussagen über das Vorliegen einer Ischämie gemacht werden können, müssen mehrere Bedingungen erfüllt sein. Zunächst muss ein Patient in der Lage sein, sich auf dem Fahrrad-Ergometer oder Laufband kreislaufmässig auszubelasten, d.h. einen maximalen Anstieg von Herzfrequenz (Anstieg myokardialer Sauerstoffbedarf) und systolischem Blutdruck (ebenfalls Marker eines Anstiegs des myokardialen Sauerstoff­bedarfs infolge erhöhter Kontraktilität) zu provozieren.

Für einen konklusiven Test ist ein Anstieg der Herzfrequenz auf mindestens 85% der altersadaptierten Herzfrequenz (Faustregel: 220 minus Alter in Jahren) bzw. ein maximales Doppelprodukt (Herz­frequenz × systolischer Blutdruck; Abb. 3) von mindestens 25 000 mmHg*min-1 notwendig. Falls dies nicht der Fall ist, muss zwingend eine pharmakologische Belastung mit einem bildgebenden Ischämie-Test (Myokardperfusionsszintigrafie, Stress-Echokardiografie, Stress-MRI) durchgeführt werden. Zum anderen muss das EKG verwertbar sein. Bei vorbestehenden ST-Strecken-Veränderungen (ST-Senkungen >0,1 mV, typischerweise im Rahmen einer linksventrikulären Hypertrophie), Linksschenkelblock, Schrittmacher, unter Digitalis oder bei Präexzitation ist die ST-Strecke unter Belastung nicht verwertbar, weshalb eine Ergometrie zu diagnostischen Zwecken in dieser Situation nicht sinnvoll bzw. kontraindiziert ist (Klasse III-Indikation). Stattdessen muss hier zur Klär­ung der Frage, ob eine KHK vorliegt, zwingend ein bildgebendes Verfahren gewählt werden.

Die praktische Durchführung einer Ergometrie kann an dieser Stelle nicht diskutiert werden. Dies­be­züg­lich wird auf entsprechende Literatur verwiesen [4].­

Interpretation

Bei der Ergometrie werden Leistung, Kreislauf-Verhalten, Symptome und EKG beurteilt. Für die Dia­gno­se einer KHK werden Symptome und EKG analysiert. Die Provokation der im Alltag verspürten und zur Abklärung führenden Beschwerden unter Belastung stützt die Diagnose der KHK. Eine horizontale oder deszendierende ST-Strecken-Senkung von mindestens 0,1 mV bei in Ruhe isoelektrischer ST-Strecke wird als «positiv» im Sinne einer belastungsabhängigen myokardialen Ischämie angesehen. Aszendierende ST-Senkungen sind weniger spezifisch und gelten in der Regel nur dann als positiv, wenn es sich um langsam aszendierende Senkungen von mindestens 0,15 mV handelt. Eine Ischämie entwickelt sich langsam, zeigt sich im EKG typischerweise erst gegen Ende der Belastung oder gar in Erholung und bleibt über eine gewisse Zeit bestehen. Formal werden mindestens drei aufeinander folgende Schläge und eine stabile isoelektrische Strecke gefordert; flüchtige EKG-Veränderungen sind verdächtig auf falsch positiv. Im Gegensatz zur ST-Hebung erlaubt die Lokalisation der ST-Senkung im EKG keinerlei Rückschlüsse auf die Lokalisation der Ischämie bzw. der Koronarstenose. Die ST-Senkung zeigt sich unabhängig von der Lokalisation der Ischämie meist am stärksten in den Brustwandableitungen V5 und V6. 

Aus prognostischer Sicht sind Leistungsfähigkeit, Kreislauf-Verhalten (inklusive Herzfrequenz-Ver­halten in Erholung, «heart rate recovery») und EKG-Ant­wort von Bedeutung (Abb. 4). Je besser die Leistungsfähigkeit ist, desto besser ist die Prognose. Ein Blutdruck-Abfall unter Belastung (d.h. ein Abfall des systolischen Blutdrucks unter Belastung unter den Ausgangswert) ist ein Ausdruck eines Abfalls des Schlagvolumens und somit einer schweren Ischämie.

Es besteht auch eine Beziehung zwischen Zeitpunkt des Auftretens (schon bei geringer Belastung und entsprechend schlechter Leistungsfähigkeit vs. bei maximaler Belastung und guter Leistungs­fähigkeit), Ausprägung der ST-Senkung und Ausmass der Ischämie. Diese Beziehung kann durch den Duke-Treadmill-Score quantifiziert werden, der semiquantitativ auch für die in der Schweiz häufiger eingesetzte Fahrrad-Ergometrie verwendet werden kann (Abb. 5). Patienten mit einem hohen Risiko für ein Ereignis (>3% Mortalität pro Jahr gemäss Duke-Treadmill-Score, analog zu >10% ischämisches Myokard in der Myokardperfusionsszintigrafie) sollen im Hinblick auf eine Revaskularisation aus prognostischen Gründen angiografiert werden.

Literatur:

  1. Maeder MT, Zellweger MJ: [Diagnosis of coronary artery disease – part 1: general approach]. Praxis 2009; 98: 1059–1066.
  2. Maeder MT, Zellweger MJ: [Diagnosis of coronary artery disease – part 2: exercise electrocardiogram and myocardial perfusion scintigraphy]. Praxis 2009; 98: 1067–1074.
  3. Montalescot G, Sechtem U, Achenbach S, et al.: ESC guidelines on the management of stable coronary artery disease. Eur Heart J 2013; 34: 2949–3003.
  4. Fletcher GF, Ades PA, Kligfield P, et al.: Exercise standards for testing and training: a scientific statement from the American Heart Association. Circulation 2013; 128: 873–934.
  5. Mark DB, Shaw L, Harrell JF Jr., et al.: Prognostic value of treadmill exercise score in outpatients with suspected coronary artery disease. N Engl J Med 1991; 325: 849–853.

CARDIOVASC 2016; 15(1): 4–7

Autoren
  • PD Dr. med. Micha T. Maeder 
  • Prof. Dr. med. Michael Kühne, MD 
Publikation
  • CARDIOVASC 

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