Adipositas gilt laut Weltgesundheitsorganisation (WHO) als eines der größten Gesundheitsrisiken unserer Zeit. Schon eine moderate Gewichtsreduktion kann das Risiko für zahlreiche Begleit- und Folgeerkrankungen deutlich senken. In diesem Artikel, der auf aktuellen Empfehlungen und wissenschaftlichen Erkenntnissen basiert, erfahren Sie, wie viel Gewichtsverlust notwendig ist, welche Therapieoptionen es gibt und warum die langfristige Gewichtsstabilisierung so wichtig ist. Dieser Artikel basiert auf den Empfehlungen von Prof. Dr. med. Martina de Zwaan und weiteren renommierten Quellen.
Adipositas: Ein weit verbreitetes Gesundheitsproblem
Adipositas (krankhaftes Übergewicht) ist heute in Europa sehr häufig: Etwa die Hälfte der Bevölkerung ist übergewichtig, und rund 20% sind adipös. Das bedeutet, dass jeder fünfte Erwachsene einen Body-Mass-Index (BMI) von mindestens 30 kg/m2 aufweist. Der BMI ist eine Maßzahl, die das Verhältnis von Körpergewicht zu Körpergröße beschreibt und zur Einordnung von Übergewicht und Adipositas dient. Adipositas entsteht durch eine langfristig positive Energiebilanz, also wenn über einen längeren Zeitraum mehr Kalorien aufgenommen als verbraucht werden. Unsere moderne Lebensweise begünstigt diese Entwicklung durch den ständigen Zugang zu energiedichten Lebensmitteln und Fertiggerichten. Doch auch andere Faktoren wie chronischer Stress, depressive Erkrankungen, Essstörungen (zum Beispiel Binge-Eating-Störung, bei der es zu wiederholten Essanfällen kommt) und hormonelle Störungen wie Hypothyreose (Schilddrüsenunterfunktion) oder das Cushing-Syndrom (Überproduktion von Kortisol) können zur Entstehung von Adipositas beitragen. Zusätzlich können bestimmte Medikamente, insbesondere Psychopharmaka, das Körpergewicht erhöhen.
Folgeerkrankungen: Warum Übergewicht so gefährlich ist
Übergewicht und Adipositas sind mit einer Vielzahl von Begleit- und Folgeerkrankungen verbunden, die zahlreiche Organe und Körpersysteme betreffen. Schon ab einem BMI von 25 kg/m2 steigt das Risiko für Typ-2-Diabetes (eine Form von Diabetes, die durch Insulinresistenz entsteht). Rund 80% der Erwachsenen mit Typ-2-Diabetes sind übergewichtig oder adipös. Mit zunehmendem BMI erhöht sich auch das Risiko für Bluthochdruck (Hypertonie) und kardiovaskuläre Erkrankungen wie Arteriosklerose (Verengung der Blutgefäße durch Ablagerungen), Herzinsuffizienz (Herzschwäche), Herzrhythmusstörungen (Arrhythmien) und thromboembolische Erkrankungen (Blutgerinnsel, die Gefäße verschließen können). Diese Komplikationen führen zu einer deutlich erhöhten Sterblichkeit. Darüber hinaus ist Adipositas ein Risikofaktor für chronische Nierenerkrankung (CKD, chronische Einschränkung der Nierenfunktion) und metabolische Dysfunktion-assoziierte steatotische Lebererkrankung (MASLD, eine Form der Fettleber). Auch psychische Erkrankungen wie Depressionen und Angststörungen treten bei Menschen mit Adipositas deutlich häufiger auf als bei Normalgewichtigen.
Therapie: Die fünf Säulen der Adipositasbehandlung
Die Behandlung von Adipositas richtet sich nach dem Schweregrad und den individuellen Begleiterkrankungen. Laut aktueller Leitlinie besteht eine Behandlungsindikation ab einem BMI von 30 kg/m2 oder bei Übergewicht (BMI 25 bis <30 kg/m2) in Kombination mit gewichtsassoziierten Erkrankungen wie Typ-2-Diabetes, einer stammbetonten Fettverteilung (vermehrtes Fett am Bauch) oder einem hohen psychosozialen Leidensdruck. Adipositas wird heute als chronische Erkrankung verstanden, die eine langfristige, häufig lebenslange Betreuung und Therapie erfordert. Die Basistherapie ist multimodal aufgebaut und umfasst Ernährungsumstellung, Steigerung der körperlichen Aktivität und Verhaltensmodifikation (gezielte Änderung von Gewohnheiten und Denkmustern). Die Therapie wird individuell auf die Lebensbedingungen, Ressourcen und Wünsche der Betroffenen abgestimmt. Reichen diese Maßnahmen nicht aus oder ist eine größere Gewichtsabnahme medizinisch sinnvoll, können gewichtsreduzierende Medikamente eingesetzt werden. Moderne Inkretin-Analoga wie Semaglutid und Tirzepatid (Medikamente, die das Sättigungsgefühl verstärken und den Blutzucker regulieren) haben sich in aktuellen Studien als sehr wirksam erwiesen. Bei schwerer Adipositas kann auch eine bariatrische Chirurgie (operative Eingriffe zur Gewichtsreduktion, z.B. Magenbypass) in Betracht gezogen werden. Eine erfolgreiche Gewichtsreduktion senkt das Risiko für Folgeerkrankungen und erhöht die Lebenserwartung.
Wie viel Gewichtsverlust ist notwendig? Die 5%-Regel
Das Hauptziel der Adipositasbehandlung ist eine langfristige Senkung des Körpergewichts, um das Risiko für Begleit- und Folgeerkrankungen zu reduzieren und die Lebensqualität zu verbessern. Besonders wichtig ist eine gezielte Reduktion der Fettmasse bei Erhalt der Muskelmasse. Die Leitlinie empfiehlt, im Rahmen der Primärversorgung regelmäßig (zum Beispiel alle sechs Monate) Körpergewicht, Körpergröße und BMI zu erfassen und den Gewichtsverlauf zu dokumentieren. Für die konservative Therapie (Ernährung, Bewegung, Verhaltensmodifikation) werden folgende Ziele empfohlen: Bei einem BMI zwischen 25 und 34,9 kg/m2 sollte innerhalb von 6 bis 12 Monaten eine Gewichtsabnahme von mindestens 5% des Ausgangsgewichts angestrebt werden. Bei einem BMI von 35 kg/m2 oder höher liegt das Ziel bei mindestens 10% des Ausgangsgewichts. Studien zeigen, dass bereits eine relative Gewichtsreduktion von 5% zu deutlichen gesundheitlichen Verbesserungen führen kann, insbesondere wenn das reduzierte Gewicht langfristig gehalten wird. Je größer die Gewichtsabnahme, desto stärker sinken die Risiken für Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Diabetes und andere Komplikationen. Daher ist es wichtig, individuelle und realistische Ziele zu setzen und die Therapie kontinuierlich anzupassen.
Langfristige Gewichtsstabilisierung: Rückfälle vermeiden
Adipositas ist eine chronische Erkrankung mit einer hohen Neigung zu Rückfällen (Rezidiven). Deshalb ist es entscheidend, nicht nur die Phase der Gewichtsabnahme, sondern auch die anschließende Gewichtsstabilisierung aktiv zu begleiten. Nach erfolgreicher Gewichtsreduktion sollten Maßnahmen zur dauerhaften Gewichtsstabilisierung empfohlen werden. Dazu gehören regelmäßige Bewegung, eine ausgewogene Ernährung, die Vermeidung von energiedichten Lebensmitteln sowie die kontinuierliche Reflexion und Anpassung des eigenen Verhaltens. Auch die Unterstützung durch medizinisches Fachpersonal oder Selbsthilfegruppen kann helfen, das erreichte Gewicht langfristig zu halten. Moderne Medikamente wie GLP-1-Analoga (Glucagon-like Peptid-1-Analoga) können bei Bedarf weiterhin unterstützend eingesetzt werden, um das Risiko eines Rückfalls zu verringern. Bei schwerer Adipositas kann die bariatrische Chirurgie eine dauerhafte Lösung bieten, wenn konservative Maßnahmen und Medikamente nicht ausreichen. Wichtig ist, dass die Behandlung immer individuell angepasst und regelmäßig überprüft wird, um die bestmöglichen Ergebnisse für die Gesundheit zu erzielen.
Quellen
- «Therapiestrategien bei Adipositas», Prof. Dr. med. Martina de Zwaan, DGIM Kongress, Wiesbaden, 06.05.2025.
- World Health Organization (WHO): Obesity, www.euro.who.int/obesity, (letzter Abruf 02.06.2025).
- Deutsche Adipositas-Gesellschaft (DAG) e.V.: eS3-Leitlinie Adipositas – Prävention und Therapie, Version 5.0 Oktober 2024, verfügbar unter: https://register.awmf.org/de/leitlinien/detail/050-001, (letzter Abruf 02.06.2025).
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