Die WHO hat Adipositas als globales Gesundheitsproblem erklärt und Gewichtsreduktion stellt eine wichtige Massnahme dar in der Prävention und Therapie von metabolischen Erkrankungen wie Typ-2-Diabetes. Bis vor Kurzem verhalf stark adipösen Patienten oft nur ein bariatrischer Eingriff zum Zielgewicht. Inzwischen ist durch die Marktzulassung von Semaglutid und Liraglutid ein Durchbruch im Bereich der medikamentösen Behandlungsmöglichkeiten von Adipositas gelungen und Studien zu Tirzepatid zeigen, dass mit diesem dualen GIP/GLP-1-Rezeptoragonisten noch bessere Effekte hinsichtlich Gewichtsreduktion erzielt werden können.
«Adipositas ist einer der Hauptrisikofaktoren für die Entwicklung von Typ-2-Diabetes», berichtete Prof. Dr. med. Baptist Gallwitz, Stv. Ärztlicher Direktor, Universitätsklinikum Tübingen sowie Vorstandsmitglied und Pressesprecher der Deutschen Diabetesgesellschaft (DDG) [1]. Es hat sich gezeigt, dass in allen Altersgruppen ein linearer Zusammenhang besteht zwischen dem BMI und der Prävalenz von Typ-2-Diabetes (T2D) [2]. Deshalb sei es hinsichtlich Diabetesprävention sinnvoll, auch Adipositas zu adressieren, betonte der Referent [1]. In den vergangenen Dekaden hat die Prävalenz von Übergewicht und Adipositas weltweit zugenommen, sodass es mittlerweile ein grosses Public-Health-Thema ist. Epidemiologische Analysen von Datenbeständen aus 200 Ländern zeigen, dass die Prävalenz der Adipositas in der männlichen Bevölkerung im Zeitraum 1975–2014 von 3,2% auf 10,8% angestiegen ist und bei den Frauen war im selben Zeitraum ein Prävalenzanstieg von 6,4% auf 14,9% zu verzeichnen [3]. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) stuft Adipositas (BMI>30 kg/m2) mittlerweile als eigenständige Krankheit ein und bekanntermassen ist krankhaftes Übergewicht ein Risikofaktor für chronische Krankheiten wie Diabetes melllitus Typ 2, Herz-Kreislauf-Erkrankungen sowie für die nichtalkoholische Fettlebererkrankung (NAFLD) [4–6]. Mittlerweile sei Adipositas auch im Kindes- und Jugendalter verbreitet, gab Prof. Gallwitz zu bedenken und betonte die Wichtigkeit, Wege zu schaffen, die Behandlung von krankhaftem Übergewicht frühzeitig zu implementieren [1]. Nach einer längeren Durststrecke im Bereich medikamentöser Therapieoptionen brachte die Einführung der GLP-1-basierten Medikamente eine lange erhoffte Wende.
GLP-1 und GIP – Darmhormone mit breitem Wirkspektrum Das Glucagon-like Peptide-1 (GLP-1) ist ein Peptidhormon, das im Darm (L-Zellen von Ileum und Kolon) produziert wird und eine wichtige Rolle bei der Steuerung des Glukosestoffwechsels spielt. Neben der Stimulation der glukoseabhängigen Insulinsekretion in der Bauchspeicheldrüse und der Verbesserung der Insulinsensitivität bewirkt GLP-1 eine glukoseabhängige Senkung des Glukagonspiegels, eine Verzögerung der Magenentleerung und eine Hemmung der Magensaftsekretion. Das glukoseabhängige insulinotrope Peptid (GIP) wird in den K-Zellen des Duodenum und des Jejunums gebildet, bindet an GIP-Rezeptoren auf der Zellmembran von Betazellen des Pankreas und fördert so die Freisetzung von Insulin. In höheren Konzentrationen hemmt GIP darüber hinaus die Magenmotorik und die Sekretion von Magensaft. Da GIP-Rezeptoren auch im zentralen Nervensystems vorkommen, wird eine zentrale Wirkung des Peptids auf das Appetit- und Sättigungsgefühl vermutet. |
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Gewichtsreduktion mit Liraglutid, Semaglutid oder Tirzepatid
In den Empfehlungen europäischer und nordamerikanischer Fachgesellschaften hat Gewichtsreduktion im Management von T2D im Vergleich zu früher an Stellenwert gewonnen. Auch gemäss der deutschen nationalen Versorgungsleitlinien für T2D kommen die GLP-1-RA gerade bei kardiovaskulär vorerkrankten Patienten sehr früh und unabhängig vom HbA1c zum Einsatz, um Komplikationen zu vermeiden, erklärte Prof. Gallwitz [1,7]. In Diabetesstudien und im klinischen Alltag zeigten GLP-1-RA sehr vorteilhafte Effekte auf die Gewichtsabnahme. Inzwischen haben Liraglutid (Saxenda®) und Semaglutid (Wegovy®) auch die Zulassungshürden im Bereich Adipositas überwunden. In einigen Ländern hat auch der duale GIP/GLP-1-Rezeptoragonist Tirzepatid (CH Handelsname: Mounjaro®) bereits eine Indikationserweiterung für Adipositas erhalten, in der Schweiz beschränkt sich die Zulassung bislang** jedoch auf T2D [8]. Semaglutid und Tirzepatid zeigten bisher die beste Wirkstärke hinsichtlich Gewichtsreduktion, wobei die Effekte von Tirzepatid durch den dualen Agonismus am stärksten sind. Ausserdem liegen Studiendaten vor, welche Semaglutid und Liraglutid günstige Effekte auf eine verfettete Leber attestieren. Hierbei handle es sich nicht nur um Surrogatparameter, sondern es liessen sich leberhistologische Veränderungen nachweisen, führte der Referent aus [1].
** Stand der Information: 23.04.24
Alternative zur bariatrischen Chirurgie?
Während vieler Jahre schien ein pharmakologisch induzierter Gewichtsverlust von mehr als 10% bei tolerablen Dosierungen ein unüberwindbares Hindernis zu sein. Vor diesem Hintergrund sind die jüngsten Ergebnisse der neusten Generation der GLP-1-Mimetika beeindruckend. Sowohl Semaglutid 2,4 mg als auch Tirzepatid senkten in klinischen Studien bei tolerablem Sicherheitsprofil das Körpergewicht um etwa 15–20% wie Daten der SURPASS- und STEP-Studienprogramme zeigen [9]. In den SURPASS-Studien wurde Tirzepatid in verschiedenen Dosierungen (5 mg, 10 mg, 15 mg) gegenüber anderen Wirkstoffen oder Placebo verglichen. Um anfänglich auftretende gastrointestinale Nebenwirkungen in Schach zu halten, wurde Tirzepatid stufenweise aufdosiert. Es zeigte sich eine dosisabhängige Senkung des HbA1c-Wertes und rund ein Viertel bis ein Drittel der mit Tirzepatid behandelten T2D-Patienten erreichten eine Diabetesremission (=normaler HbA1c-Wert). In der SURMOUNT 1-Studie erzielte Tirzepatid über einen Zeitraum von 72 Wochen bei übergewichtigen Patienten ohne Diabetes einen dosisabhängigen Gewichtsverlust von 16% (5 mg), 21,4% (10 mg) bzw. 22,5 % (15 mg) [14].
Zusammenfassend bieten GLP-1-basierte Substanzen im Vergleich zu früher deutlich bessere Chancen, das Zielgewicht durch medikamentöse Therapie zu erreichen und stellen für adipöse Patienten, welche einen chirurgischen Eingriff mit den damit verbundenen Risiken vermeiden möchten, gegebenenfalls eine Alternative dar. Für einen bariatrischen Eingriff wird meist ein Body-Mass-Index (BMI) von ≥35 kg/m2 vorausgesetzt. Heutzutage sind der Schlauchmagen (Sleeve-Gastrektomie) und der Magenbypass (Roux-en-Y-Magenbypass, RYGB) die am häufigsten eingesetzten bariatrischen Verfahren [10]. Der durch einen RYGB erzielte Gewichtsverlust reicht von 12% des Ausgangsgewichtes nach 6 Monaten bis zu 45% nach 3 Jahren, wobei es einen erheblichen Schwankungsbereich gibt, welcher unter anderem durch Unterschiede hinsichtlich Komorbiditäten und Lebensstilfaktoren bedingt ist [11].
Kongress: Diabetologie grenzenlos
Literatur:
- «Inkretine/Twinkretine in der Adipositastherapie», Prof. Dr. med. Baptist Gallwitz, Session V – Adipositas: Therapie-Update 2024, Diabetologie grenzenlos, München, 02.02.2024.
- Chen Y, et al.: Association of body mass index and age with incident diabetes in Chinese adults: A population-based cohort study. BMJ Open 2018; 8: e021768. doi: 10.1136/bmjopen-2018-021768.
- Ezzati M, et al.: Trends in adult body-mass index in 200 countries from 1975 to 2014: a pooled analysis of 1698 population-based measurement studies with 19·2 million participants. The Lancet 2016; 387: 1377–1396.
- Abdullah A, et al.: The magnitude of association between overweight and obesity and the risk of diabetes: a meta-analysis of prospective cohort studies. Diabetes Res Clin Pract 2010 ; 89(3): 309–319.
- Guh DP, et al.: The incidence of co-morbidities related to obesity and overweight: a systematic review and meta-analysis. BMC Public Health 2009; 9: 88.
- World Health Organization: Obesity: preventing and managing the global epidemic. World Health Organization, 2000. Technical Report Series 894. Geneva.
- «Nationale VersorgungsLeitlinie (NVL) Typ-2-Diabetes – Version 3», www.leitlinien.de/themen/diabetes, (letzter Abruf 23.04.2024)
- Arzneimittelinformation, www.swissmedicinfo.ch, (letzter Abruf 23.04.2024)
- Müller TD, Blüher M: Adipositastherapie – werden Pharmakotherapien die Alternative zur metabolischen Chirurgie sein? [Obesity treatment: will pharmacotherapies replace metabolic surgery in the future?]. Inn Med (Heidelb) 2023; 64(7): 629–635.
- Ragavan S, et al.: Weight Loss Following Bariatric Surgery in People with or without Metabolic Syndrome: A 5-Year Observational Comparative Study. J Clin Med 2024; 13: 256.
- Wolfe BM, Kvach E, Eckel RH: Treatment of Obesity: Weight Loss and Bariatric Surgery. Circ Res 2016; 118(11): 1844–1855.
- Flexikon, https://flexikon.doccheck.com, (letzter Abruf 23.04.2024)
- Pharmawiki, www.pharmawiki.ch, (letzter Abruf 23.04.2024).
- Jastreboff AM, et al.: SURMOUNT-1 Investigators. Tirzepatide Once Weekly for the Treatment of Obesity. N Engl J Med 2022; 387(3): 205–216.
- Ryan DH, et al.: Semaglutide Effects on Cardiovascular Outcomes in People With Overweight or Obesity (SELECT) rationale and design. Am Heart J 2020; 229: 61–69.
HAUSARZT PRAXIS 2024; 19(5): 38–39 (veröffentlicht am 24.5.24, ahead of print)
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