Harm Reduction beim Rauchen: Was bringt der Umstieg auf E-Zigaretten und Co.? Ein umfassender Schweizer Patientenratgeber

Haben Sie sich schon einmal gefragt, warum trotz all der Warnungen immer noch so viele Menschen in der Schweiz rauchen? Oder ob E-Zigaretten tatsächlich eine gesündere Alternative sind? Vielleicht kennen Sie jemanden, der schon verschiedene Methoden ausprobiert hat, um von der Zigarette loszukommen – Pflaster, Kaugummis, Hypnose – und doch immer wieder rückfällig wurde. Die Diskussion um sogenannte Harm Reduction, also Schadensminderung beim Tabakkonsum, ist aktueller denn je. Und sie betrifft uns alle: Denn Tabakrauchen bleibt eine der häufigsten vermeidbaren Todesursachen – auch in der Schweiz.

In diesem Ratgeber finden Sie alles, was Sie über den aktuellen Stand der Wissenschaft, die praktischen Möglichkeiten im Schweizer Gesundheitssystem und die realistischen Chancen und Risiken von E-Zigaretten, Tabakerhitzern und Co. wissen sollten. Alle Zahlen und Studien stammen direkt aus den neuesten internationalen Übersichtsarbeiten und wurden für Sie verständlich aufbereitet – ohne dabei etwas zu beschönigen oder zu dramatisieren. Lesen Sie weiter, um herauszufinden, wie Sie oder Ihre Angehörigen von den Erkenntnissen profitieren können.

Wissenschaftliche Grundlagen: Was wir heute über Rauchen und Alternativen wissen

Beginnen wir mit den harten Fakten: In der Schweiz rauchen über 1,5 Millionen Menschen ab 15 Jahren – das ist rund ein Viertel der Bevölkerung. Vielleicht überrascht Sie das, denn die gesundheitlichen Risiken sind ja eigentlich bekannt. Noch erstaunlicher: 67,6% der Raucherinnen und Raucher fangen bereits vor dem 20. Lebensjahr an, und fast 60% möchten später wieder aufhören [1]. Aber wie Sie vielleicht aus eigener Erfahrung wissen, ist der Weg von diesem Wunsch bis zur erfolgreichen Rauchentwöhnung oft steinig.

Rauchen ist kein neues Problem. Schon im 17. Jahrhundert hat König James von England eine 4000%-ige Steuer auf Tabak eingeführt, weil er ihn für „schädlich für das Gehirn und gefährlich für die Lunge“ hielt [2]. Heute wissen wir, dass Tabakkonsum weltweit für 8,71 Millionen Todesfälle pro Jahr verantwortlich ist und damit zu den grössten Gesundheitsrisiken zählt [3].

Doch was ist eigentlich Harm Reduction? Der Begriff beschreibt Methoden und Programme, die darauf abzielen, die Schäden des Konsums legaler und illegaler Drogen zu verringern – vor allem für Menschen, die nicht bereit oder in der Lage sind, vollständig aufzuhören. Im Bereich Tabak bedeutet das: Statt den Konsum zu verbieten, wird versucht, auf weniger schädliche Produkte umzusteigen [4].

E-Zigaretten und Tabakerhitzer: Was sagt die Forschung?

Vielleicht haben Sie schon von E-Zigaretten oder Tabakerhitzern gehört – oder sie sogar ausprobiert. Aber sind diese Alternativen wirklich weniger schädlich? Und helfen sie tatsächlich beim Rauchstopp?

Der E-Cigarette Summit 2023 hat die neuesten wissenschaftlichen Erkenntnisse zusammengetragen. Besonders spannend: Die Wahrnehmung der Schädlichkeit von E-Zigaretten ist in der Gesellschaft sehr unterschiedlich. In Grossbritannien zum Beispiel halten viele Erwachsene E-Zigaretten für genauso schädlich oder sogar schädlicher als normale Zigaretten [5]. Das zeigt, wie komplex das Thema ist – und wie viele Mythen kursieren.

Eine der grossen Sorgen: Verführen E-Zigaretten Jugendliche zum Rauchen? Dr. Jamie Hartmann-Boyce aus Massachusetts hat dazu einen Cochrane Review vorgestellt. In dieser systematischen Übersichtsarbeit wird untersucht, ob der Zugang zu E-Zigaretten junge Menschen (bis 29 Jahre) eher dazu bringt, später auch normale Zigaretten zu rauchen – und ob das vom sozialen Status, Geschlecht oder anderen Faktoren abhängt [6]. Die ersten Ergebnisse werden demnächst erwartet. Das Thema bleibt also spannend.

Und wie sieht es mit der Rauchentwöhnung aus? Prof. Peter Hajek aus London hat einen weiteren Cochrane Review vorgestellt, der laufend aktualisiert wird („living systematic review“). Im letzten Update von Oktober 2023 wurden zehn neue Studien mit über 27’000 Teilnehmenden ergänzt [7]. Die zentrale Erkenntnis: E-Zigaretten sind wirksamer als Nikotinpflaster oder Inhalatoren, wenn es darum geht, mit dem Rauchen aufzuhören. Allerdings bleiben etwa 80% der Umsteiger nach einem Jahr bei der E-Zigarette – ein Drittel davon nutzt immerhin bereits nikotinfreie Varianten. Bis zu zwei Jahre nach dem Umstieg konnten keine ernsthaften Risiken festgestellt werden. Langfristige Risiken sind zwar nicht ausgeschlossen, aber sie liegen deutlich unter denen des klassischen Rauchens.

Wie schädlich sind E-Zigaretten wirklich?

Vielleicht haben Sie in den Medien gelesen, dass E-Zigaretten genauso gefährlich seien wie normale Zigaretten. Dr. Sarah Jackson aus London widerspricht: Die meisten Menschen überschätzen die Risiken von E-Zigaretten, was vor allem an der Berichterstattung und den Botschaften von Gesundheitsorganisationen liegt. Schon 2015 hat ein Bericht von Public Health England gezeigt – und spätere Untersuchungen haben das bestätigt –, dass beim Dampfen die meisten krankmachenden Chemikalien fehlen [8]. Die Schädlichkeit alternativer Nikotinprodukte im Vergleich zur Zigarette wird auf nur 5% geschätzt.

E-Zigarette oder Tabakerhitzer – was ist der Unterschied?

Vielleicht fragen Sie sich, ob es überhaupt einen Unterschied macht, ob Sie zur E-Zigarette oder zum Tabakerhitzer greifen. Beide Geräte funktionieren batteriebetrieben, erzeugen ein Aerosol (also feine Tröpfchen, die inhaliert werden) und produzieren keine Asche. Aber es gibt entscheidende Unterschiede:

  • E-Zigaretten verdampfen aromatisierte Flüssigkeiten, die Nikotin enthalten, das aus der Tabakpflanze extrahiert wurde.
  • Tabakerhitzer (auch „Heat-not-Burn“-Produkte oder HTP genannt) erhitzen echten Tabak auf maximal 350°C, ohne ihn zu verbrennen.

Zum Vergleich: In einer normalen Zigarette werden Tabak und Zusatzstoffe bei 600–900°C verbrannt. Dabei entstehen zahlreiche Schadstoffe wie Kohlenmonoxid, Formaldehyd, Acetaldehyd, Acrolein, Benzole, Benzopyrene und Butanone [9]. Die US-amerikanische FDA hat deshalb das Produkt IQOS 2020 als „Tabakprodukt mit verändertem Risiko“ eingestuft.

Studien zeigen, dass bei allen gemessenen Biomarkern – also messbaren Substanzen im Körper, die auf eine Schadstoffbelastung hinweisen – nach dem Umstieg auf HTP oder E-Zigaretten eine deutliche Reduktion im Vergleich zu normalen Zigaretten festzustellen ist. Das gilt für flüchtige organische Verbindungen, polyzyklische aromatische Kohlenwasserstoffe, Nitrosamine und Kohlenmonoxid. Auch bei Entzugssymptomen sind beide Alternativen ähnlich wirksam. Interessant: Bei Zufriedenheit und Nebenwirkungen schneiden Tabakerhitzer sogar etwas besser ab.

Praktische Bedeutung für Schweizer Patienten: Was heisst das für Sie?

Stellen Sie sich vor, Sie sind 45, rauchen seit 20 Jahren und haben schon mehrfach versucht aufzuhören. Ihr Hausarzt empfiehlt Ihnen, auf E-Zigaretten oder Tabakerhitzer umzusteigen, weil Sie mit klassischen Methoden keinen Erfolg hatten. Was bedeutet das konkret für Sie – gesundheitlich, finanziell und im Alltag?

Gesundheitliche Vorteile und Risiken

Die wissenschaftlichen Daten zeigen klar: Der Umstieg auf E-Zigaretten oder Tabakerhitzer kann das Risiko für tabakbedingte Krankheiten deutlich senken. Zwar sind diese Alternativen nicht völlig risikofrei, aber sie enthalten viel weniger Schadstoffe als herkömmliche Zigaretten. Die Wahrscheinlichkeit, an Lungenkrebs, Herz-Kreislauf-Erkrankungen oder chronischer Bronchitis zu erkranken, sinkt damit spürbar. Wichtig ist jedoch: Der vollständige Rauchstopp bleibt das beste Ziel. Aber für viele ist der Umstieg ein realistischer Zwischenschritt.

Verfügbarkeit und Kosten in der Schweiz

Wie sieht es mit der Verfügbarkeit und den Kosten aus? E-Zigaretten und Tabakerhitzer sind in der Schweiz legal erhältlich – sowohl in Fachgeschäften als auch online. Die Preise variieren je nach Modell und Verbrauch. Ein Starter-Set für E-Zigaretten kostet zwischen 30 und 80 Franken, Nachfüll-Liquids schlagen mit etwa 5 bis 10 Franken pro Flasche zu Buche. Tabakerhitzer wie IQOS kosten in der Anschaffung rund 80 bis 120 Franken, die Tabaksticks („Heets“) etwa 8 bis 10 Franken pro Packung.

Im Vergleich: Eine Schachtel Zigaretten kostet in der Schweiz rund 8 bis 10 Franken. Je nach Konsumverhalten können Sie mit einem Umstieg also sogar Geld sparen – vor allem, wenn Sie Ihren Nikotinkonsum schrittweise reduzieren. Die Krankenkassen übernehmen die Kosten für E-Zigaretten und Tabakerhitzer allerdings nicht. Nikotinersatzpräparate wie Pflaster oder Kaugummis werden in der Regel ebenfalls nicht erstattet, ausser im Rahmen bestimmter Programme oder auf ärztliche Verordnung.

Schweizer Gesundheitssystem: Unterstützung beim Rauchstopp

Falls Sie Unterstützung beim Rauchstopp suchen, können Sie sich an Ihren Hausarzt, die Lungenliga oder spezialisierte Beratungsstellen wenden. In vielen Kantonen gibt es Programme zur Tabakentwöhnung, die von der Grundversicherung zumindest teilweise übernommen werden – zum Beispiel Gruppenkurse oder individuelle Beratung. Fragen Sie gezielt nach, welche Angebote in Ihrer Region verfügbar sind.

Diagnostik und Behandlung im Schweizer Gesundheitssystem

Wie läuft eine Rauchstopp-Beratung in der Schweiz ab? In der Regel beginnt alles mit einem Gespräch beim Hausarzt oder in einer spezialisierten Beratungsstelle. Sie werden nach Ihrem Rauchverhalten, Ihrer Motivation und eventuellen Vorerkrankungen gefragt. Es kann sinnvoll sein, den CO-Gehalt in der Ausatemluft zu messen – ein einfacher Test, der anzeigt, wie stark Ihr Körper durch Tabakrauch belastet ist.

Gemeinsam mit Ihrem Arzt oder Berater legen Sie dann eine Strategie fest. Das kann ein kompletter Rauchstopp sein – oder, falls das nicht realistisch erscheint, der Umstieg auf weniger schädliche Produkte. In der Schweiz ist es üblich, verschiedene Methoden zu kombinieren: Nikotinersatz, Verhaltenstherapie, Apps oder Gruppenkurse. Wichtig: Es gibt keine Einheitslösung. Was für Sie passt, hängt von Ihren individuellen Bedürfnissen und Erfahrungen ab.

Falls Sie sich für E-Zigaretten oder Tabakerhitzer interessieren, sollten Sie sich gut beraten lassen. Nicht jedes Produkt ist gleich gut geeignet, und die richtige Anwendung ist entscheidend, um tatsächlich Schadstoffe zu reduzieren. Ihr Hausarzt oder die Lungenliga kann Ihnen helfen, die für Sie passende Lösung zu finden.

Alltägliche Umsetzung und Tipps

Vielleicht fragen Sie sich jetzt: Wie sieht das im Alltag aus? Was muss ich beachten, wenn ich auf E-Zigaretten oder Tabakerhitzer umsteige?

  • Setzen Sie sich ein klares Ziel: Möchten Sie komplett rauchfrei werden oder zunächst auf eine weniger schädliche Alternative umsteigen?
  • Informieren Sie sich gründlich: Lassen Sie sich im Fachgeschäft oder von Ihrem Arzt beraten. Probieren Sie verschiedene Geschmacksrichtungen und Nikotinstärken aus, um das für Sie passende Produkt zu finden.
  • Beobachten Sie Ihr Wohlbefinden: Viele Menschen berichten, dass sie sich nach dem Umstieg fitter fühlen, weniger husten und besser schlafen. Achten Sie auf Veränderungen und sprechen Sie bei Unsicherheiten mit Ihrem Arzt.
  • Bleiben Sie dran: Der Umstieg ist oft ein Prozess. Rückschläge sind normal. Holen Sie sich Unterstützung bei Freunden, Familie oder in einer Selbsthilfegruppe.

Ein Beispiel aus dem Alltag: Herr Meier, 53, aus Zürich, hat nach 30 Jahren Rauchen auf E-Zigaretten umgestellt. Anfangs war es ungewohnt, aber nach wenigen Wochen merkte er, dass sein Husten nachliess und er beim Wandern wieder besser Luft bekam. Nach einem Jahr hat er auf nikotinfreie Liquids umgestellt – und spart jetzt nicht nur Geld, sondern fühlt sich auch insgesamt gesünder.

FAQ: Häufige Fragen von Patienten

Wie gross ist das Risiko, dass Jugendliche durch E-Zigaretten zum Rauchen verführt werden?
Die Forschung ist hier noch nicht eindeutig. Erste Übersichtsarbeiten zeigen, dass es Zusammenhänge geben kann, aber viele Faktoren eine Rolle spielen – etwa soziales Umfeld, Werbung und Verfügbarkeit. Die ersten Ergebnisse des grossen Cochrane Reviews werden bald erwartet [6].

Sind E-Zigaretten wirklich 95% weniger schädlich?
Laut dem Bericht von Public Health England und weiteren Studien fehlen bei E-Zigaretten die meisten krankmachenden Chemikalien. Das Risiko wird auf etwa 5% im Vergleich zur Zigarette geschätzt [8]. Ganz risikofrei sind sie aber nicht.

Kann ich mit E-Zigaretten wirklich leichter aufhören?
Die neuesten Cochrane Reviews zeigen: E-Zigaretten sind effektiver als Nikotinpflaster oder Inhalatoren, wenn es um die Rauchentwöhnung geht [7]. Allerdings bleiben viele Nutzer zunächst bei der E-Zigarette – oft mit weniger oder gar keinem Nikotin.

Werden die Kosten in der Schweiz übernommen?
Nein, E-Zigaretten und Tabakerhitzer werden von den Krankenkassen nicht bezahlt. Nikotinersatzpräparate nur in Ausnahmefällen oder im Rahmen spezieller Programme.

Was ist gesünder: E-Zigarette oder Tabakerhitzer?
Beide Produkte sind deutlich weniger schädlich als normale Zigaretten. Tabakerhitzer schneiden bei Zufriedenheit und Nebenwirkungen leicht besser ab, die Unterschiede sind aber gering.

Fazit: Harm Reduction als realistische Chance

Der Umstieg auf E-Zigaretten oder Tabakerhitzer ist kein Freifahrtschein für unbeschwerten Genuss – aber für viele Raucherinnen und Raucher ein realistischer Weg, das Risiko für schwere Erkrankungen zu senken. Die Schweizer Daten und internationalen Studien zeigen: Wer nicht sofort aufhören kann oder will, profitiert von weniger schädlichen Alternativen. Wichtig ist, sich gut zu informieren, Unterstützung zu suchen und langfristig das Ziel Rauchfreiheit nicht aus den Augen zu verlieren.

Sprechen Sie mit Ihrem Hausarzt, informieren Sie sich bei der Lungenliga oder nutzen Sie die Beratungsangebote in Ihrer Region. Denn jede Zigarette weniger zählt – für Ihre Gesundheit, Ihr Portemonnaie und Ihre Lebensqualität.

Quellen: Alle im Text genannten Originalstudien und Übersichtsarbeiten. Stand: 18.1.2024

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