Bis zur Menopause reduzieren die weiblichen Hormone das kardiovaskuläre Risiko. Doch das fehlende Bewusstsein unter Frauen, ebenfalls eine KHK entwickeln zu können, ist gefährlich.

Kardiovaskuläre Erkrankungen stellen trotz beträchtlicher medizinischer Fortschritte in den vergangenen Jahrzehnten nach wie vor die Haupttodesursache bei Frauen sowohl in Industriestaaten als auch Entwicklungsländern dar.

Ein unter Frauen geringeres Bewusstsein für Herzerkrankungen sowie das oftmalige Fehlen typischer Symptome speziell bei der koronaren Herzerkrankung (KHK) führen häufig zu verzögerter Diagnostik und damit verspäteter Therapie resp. «Undertreatment» von Frauen mit KHK.

Geschlechterspezifika in puncto Risikofaktoren

Risikofaktoren für kardiovaskuläre Ereignisse bestehen für Männer und Frauen gleichermassen, ihre Gewichtung ist jedoch unterschiedlich. Erhöhter Blutdruck, Übergewicht und pathologischer Lipidstatus tragen bei Männern und Frauen in vergleichbarem Ausmass zu kardialen Komplikationen bei, während über Jahre praktiziertes Rauchen sowie Diabetes mellitus als Risikofaktoren bei Frauen wesentlich relevanter sind (Abb. 1).

Die weiblichen Hormone haben bis zum Erreichen der Menopause eine protektive Wirkung, weshalb der Manifestationszeitpunkt für kardiovaskuläre Erkrankungen bei Frauen durchschnittlich zehn Jahre später auftritt. In diesem Alter liegen ausserdem mehr Risikofaktoren vor, was zu einer höheren Komplikationsrate in Assoziation zum kardiovaskulären Ereignis führt.

Vermehrt Beachtung findet die familiäre Hypercholesterinämie (FH), die durch erhöhte LDL-Cholesterin-Werte gekennzeichnet ist und, falls sie bereits in der Kindheit auftritt, zu prämaturem Infarkt führen kann (20% der Myokardinfarkte vor dem 45. Lebensjahr sind durch FH bedingt). Männer er­kranken früher, postmenopausale Frauen dann sehr rasch; d.h. viele Frauen erleiden ihren Infarkt um das 50. Lebensjahr oder sogar schon in der dritten und vierten Lebensdekade.

Mehrere Daten weisen darauf hin, dass Rauchen besonders bei jüngeren Frauen mit einer im Vergleich zu männlichen Rauchern deutlich erhöhten Risikokonstellation vergesellschaftet ist. In einer skandinavischen Studie betrug das relative Risiko (RR) für einen ersten Myokardinfarkt bei Frauen 9,4 im Vergleich zu Männern (RR: 2,9). Erklärungen dafür fanden sich in einem deutlich veränderten Lipid-Metabolismus bzw. im antiöstrogenen Effekt des Zigarettenrauchens bei rauchenden Frauen.

Unterschiede in Epidemiologie, klinischer Präsentation und Diagnostik

Bei Männern manifestiert sich die koronare Herzkrankheit in jedem Lebensalter häufiger als bei Frauen, auch wenn die Mortalität bei Frauen – aufgrund des höheren Lebensalters – höher ist als in der männlichen Population. Immer wieder wird von geschlechterspezifischen Unterschieden im klinischen Bild berichtet: Bei Frauen sei die Angina pectoris-Symptomatik viel untypischer und würde deshalb häufig nicht als KHK-assoziiert erkannt. Allerdings zeigen mehrere Studien, dass beim akuten Koronarsyndrom/Myokardinfarkt bei mehr als 70% der Frauen die Ischämie-spezifischen Symptome ebenso typisch vorhanden sind wie bei männlichen Patienten. Im Stadium der stabilen KHK stehen bei Frauen Symptome wie Atemnot, Engegefühl in der Brust, Übelkeit sowie allgemeine Müdigkeit im Vordergrund.

Als nichtinvasives Diagnoseverfahren zur Detektion bzw. Erfassung der Dimension einer KHK bietet sich in erster Linie das Belastungs-EKG an. Die mittlere Spezifität beträgt bei Frauen 70% (bei Männern 77%), was im Umkehrschluss bedeutet, dass bei 30% der Untersuchten falsch-positive Resultate nach Belastungs-EKG-Messung vorliegen; der positiv prädiktive Wert beträgt für Frauen 50% und für Männer 70%. Thoraxschmerzen sind als Symptom in der weiblichen Population wenig prädiktiv. Es existieren jedoch Parameter wie die Belastungsdauer bzw. Belastungskapazität oder die Geschwindigkeit der Herzfrequenzerholung 1–2 Minuten nach Belastungsende, die valide Aussagen bezüglich weiterem Vorgehen und allgemeiner Prognose ermöglichen. Bildgebende Verfahren während der Belastung (z.B. Echokardiografie), nuklearmedizinische Verfahren wie Myokardperfusionsszintigrafie mittels SPECT oder Positronenemissionstomografie (PET) erhöhen in der Folge die Aussagekraft.

Bei Hinweisen auf das Vorliegen einer KHK, besonders vor dem Hintergrund eines entsprechenden Risikoprofils, sollte rasch eine invasive Abklärung mittels Koronarangiografie erfolgen. Daten aus der jüngeren Zeit belegen, dass der Weg für Frauen bis zum endgültigen Beweis bzw. Ausschluss einer obstruktiven KHK durch eine Herzkatheteruntersuchung um vieles länger (und mühevoller) ist als für männliche Leidende.

Obwohl eine Obstruktion an den Koronararterien auch bei Frauen die häufigste Ursache für KHK ist, liegt eine nicht-obstruktive KHK bei weiblichen Patienten häufiger vor als bei männlichen (Abb. 2). In diesem Zusammenhang werden verschiedene Wirkungsmechanismen diskutiert, darunter insb. eine mikrovaskuläre koronare Dysfunktion mit gestörter Dilatationskapazität. Die Berechnung der sog. koronaren Flussreserve erfolgt mittels nichtinvasiver Verfahren wie PET. Daraus folgende pathologische Befunde sind eindeutig mit einer schlechteren Prognose vergesellschaftet. Diese Zusammenhänge zwischen koronarer vasomotorischer Dysfunktion und Komorbiditäten wie z.B. Insulinresistenz leiten möglicherweise die Entwicklung neuer Therapiestrategien zur Revaskularisation und nicht nur zur Verbesserung der anatomischen Gegebenheiten ein. Ganz neue Perspektiven könnten sich durch den Einsatz von stark lipidsenkenden Substanzen (PCSK9-Inhibitoren), antiinflammatorischen Wirkstoffen (z.B. Interleukin 1-Inhibitoren) oder neurohumoral modulierenden Substanzen eröffnen.

Darüber hinaus ergeben sich bei Frauen – obschon selten – öfter klinische Situationen mit Thoraxschmerzen und myokardialer Ischämie, so im Falle der Tako Tsubo-Kardiomyopathie (TCM) oder von Koronardissektionen besonders in der Peripartum-Phase. Die TCM ist ein zwar seltenes, aber dramatisches Bild: Beim akuten Myokardinfarkt äussert sie sich über Echokardiografie oder Laevokardiografie als «apical ballooning»; sie tritt vorwiegend bei postmenopausalen Frauen und oft durch emotionalen Stress in Zusammenhang mit einem «dramatischen» Ereignis auf und wird daher auch als Gebrochenes-Herz-Syndrom bezeichnet. Die Prognose ist im Allgemeinen sehr gut, nachweisbare Residuen am Herzmuskel sind selten.

Management des akuten Koronarsyndroms/Myokardinfarkts

Perkutane Interventionen (PCI) sind bei einem Grossteil der Patienten die Therapie der Wahl, um die Funktionseinschränkung des linken Ventrikels so gering wie möglich zu halten. Die Devise «time is muscle» bedeutet deshalb, die Zeitspanne zwischen dem Auftreten infarkttypischer Beschwerden und der Wiedereröffnung des Koronargefässes so kurz wie möglich zu halten. Dies gelingt inzwischen in gut organisierten Städten und Regionen auf zufriedenstellende Weise. Dennoch zeigen sich anhand internationaler Register oder auch des Wiener Infarktnetzes relevante zeitliche Unterschiede von bis zu einer Stunde: Frauen kontaktieren das Rettungswesen deutlich später als männliche Infarktpatienten, was insgesamt zu einer verlängerten Prähospitalzeit führt. Auch hier gilt wie bei anderen Aspekten des Themenbereichs «Frauen und KHK»: Aufklären und Zeit gewinnen!

Die höhere Hospitalmortalität bei akutem Myokardinfarkt bei Frauen ist vor allem dem höheren Lebensalter und damit dem grösseren Ausmass an Multimorbidität geschuldet. Für den kardiogenen Schock gilt das weibliche Geschlecht, unabhängig von begleitenden Komorbiditäten, als unabhängiger Prädiktor für ein deutlich schlechteres Überleben.

Kardiovaskuläre Implikationen vonKrebserkrankungen bei Frauen

Kardiovaskuläre Erkrankungen sind die Haupttodesursache bei Frauen, gefolgt von Karzinomerkrankungen. Zum einen liegen für beide Krankheitsentitäten manch gemeinsame Risikofaktoren vor, zum anderen können Karzinomtherapien wie kardiotoxisch wirkende Chemotherapien zu einer Aggravation von Herzerkrankungen führen.

Gemeinsame Risikofaktoren sind Adipositas und ein darauf aufbauendes metabolisches Syndrom, der Diabetes mellitus per se sowie ein insgesamt der Gesundheit abträgliches Verhalten wie mangelnde körperliche Aktivität, nährstoffarme Lebensmittel und ein damit oft assoziierter niedriger sozialer Status. Bei Brustkrebs, der häufigsten weiblichen Karzinomform, kommen verschiedene, potenziell kardiotoxisch wirkende Substanzen zum Einsatz, so z.B. Anthrazykline, Taxane oder Trastuzumab mit unterschiedlicher kardialer Toxizität, die u.a. in Abhängigkeit zu kombiniert verabreichten Substanzen steht.

Ausblick

Das Bewusstsein für Gendermedizin hat sich in den 1970/80er-Jahren anhand von geschlechterspezifischen Unterschieden bezüglich Wahrnehmung, Diagnostik und Therapie von Herzerkrankungen entwickelt (Abb. 3). Inzwischen wird intensiv Forschung auf diesem Gebiet betrieben, was sich in der Weiterentwicklung von Diagnose- und Therapieverfahren äussert. Möglicherweise bleibt bei allem akademischen Interesse an Unterschieden ein Hauptrisikofaktor bestehen: das fehlende Bewusstsein unter Frauen sowie innerhalb der medizinischen Community, dass Herzkreislauferkrankungen auf der Basis der Risikofaktoren Hypertonie, Adipositas, Rauchen und metabolisches Syndrom für Frauen ein deutlich höheres Risiko bezüglich Morbidität und Mortalität darstellen.

Take-Home-Messages

  • Die natürlich wirksamen weiblichen Hormone reduzieren das kardio­vaskuläre Risiko.
  • Nach der Menopause erreicht das Risiko für KHK bei Frauen dasselbe Ausmass wie bei Männern.
  • Die Risikofaktoren für die Entwicklung einer KHK sind bei Männern und Frauen identisch, manche (z.B. Rauchen) bedeuten jedoch für Frauen im Vergleich zu männlichen Rauchern ein viel höheres kardiovaskuläres Risiko.
  • Das fehlende Bewusstsein unter Frauen, ebenfalls eine KHK entwickeln zu können, ist einer der grössten Risikofaktoren.
  • In der stabilen KHK sind die Symptome bei Frauen oft weniger typisch und werden mitunter falsch interpretiert. Beim akuten Koronarsyndrom/Myokardinfarkt zeigen Frauen und Männer eine vergleichbare typische Symptomatik.

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CARDIOVASC 2018; 17(4): 7–10

Autoren
  • Univ. Prof. Dr. med. Andrea Podczeck-Schweighofer 
Publikation
  • CARDIOVASC 

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