Die koronare Herzkrankheit (KHK) betrifft Frauen ebenso wie Männer, doch viele Patientinnen unterschätzen ihr eigenes Risiko. Dieser Artikel basiert auf CARDIOVASC und erklärt, warum Frauen besonders aufmerksam sein sollten, welche Symptome typisch sind, wie sich Risikofaktoren unterscheiden und welche modernen Diagnose- und Behandlungsmöglichkeiten zur Verfügung stehen. Erfahren Sie, wie Sie Ihr Herz schützen können und warum ein besseres Bewusstsein für Herzerkrankungen lebensrettend sein kann.

Warum Frauen ein besonderes Risiko für koronare Herzkrankheit haben

Kardiovaskuläre Erkrankungen (Erkrankungen des Herzens und der Blutgefäße) sind trotz aller medizinischen Fortschritte weiterhin die Haupttodesursache bei Frauen – sowohl in Industrieländern als auch in Entwicklungsländern. Viele Frauen sind sich nicht bewusst, dass sie genauso wie Männer an einer koronaren Herzkrankheit (KHK) erkranken können. Dieses fehlende Bewusstsein ist gefährlich, da es dazu führt, dass Symptome oft nicht erkannt oder falsch gedeutet werden. Die Folge: Die Diagnose wird verzögert gestellt, und die Therapie beginnt später als nötig. Das Risiko, dass Frauen eine KHK entwickeln, steigt nach der Menopause (letzte Regelblutung) deutlich an, da die schützende Wirkung der weiblichen Hormone (vor allem Östrogene) nachlässt.

Vor der Menopause wirken die weiblichen Hormone protektiv, das heißt, sie schützen das Herz-Kreislauf-System. Nach der Menopause gleicht sich das Risiko für KHK bei Frauen dem der Männer an. In diesem Alter kommen häufig weitere Risikofaktoren hinzu, wie Bluthochdruck (Hypertonie), Übergewicht (Adipositas) oder ein gestörter Fettstoffwechsel (Dyslipidämie), was die Wahrscheinlichkeit für Komplikationen erhöht. Besonders problematisch ist, dass viele Frauen keine typischen Beschwerden verspüren oder diese nicht als Herzproblem erkennen. Deshalb ist es wichtig, die Warnzeichen zu kennen und ernst zu nehmen.

Risikofaktoren: Was Frauen besonders beachten sollten

Die klassischen Risikofaktoren für kardiovaskuläre Ereignisse wie KHK sind bei Männern und Frauen grundsätzlich gleich: Dazu zählen Bluthochdruck, Übergewicht, erhöhte Blutfettwerte (z.B. LDL-Cholesterin), Rauchen und Diabetes mellitus (Zuckerkrankheit). Allerdings ist die Bedeutung einzelner Risikofaktoren bei Frauen teilweise anders gewichtet. So wirkt sich langjähriges Rauchen bei Frauen noch schädlicher aus als bei Männern. Auch Diabetes mellitus erhöht das Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen bei Frauen stärker als bei Männern. Studien zeigen, dass das relative Risiko (RR) für einen ersten Herzinfarkt bei rauchenden Frauen deutlich höher ist als bei rauchenden Männern (z.B. RR 9,4 bei Frauen vs. 2,9 bei Männern in einer skandinavischen Studie).

Ein weiterer wichtiger Risikofaktor ist die familiäre Hypercholesterinämie (FH), eine genetisch bedingte Fettstoffwechselstörung, die zu erhöhten LDL-Cholesterin-Werten führt. Wenn diese Störung bereits im Kindesalter auftritt, kann sie zu einem vorzeitigen Herzinfarkt führen. Etwa 20% der Herzinfarkte vor dem 45. Lebensjahr sind durch FH bedingt. Männer erkranken meist früher, aber nach der Menopause steigt das Risiko für Frauen rapide an. Viele Frauen erleiden ihren ersten Infarkt um das 50. Lebensjahr oder sogar schon in den 30er oder 40er Jahren.

Auch das metabolische Syndrom, eine Kombination aus Übergewicht, Bluthochdruck, erhöhten Blutzuckerwerten und gestörtem Fettstoffwechsel, spielt eine große Rolle. Frauen mit metabolischem Syndrom haben ein deutlich erhöhtes Risiko für KHK. Zusätzlich können psychosoziale Faktoren wie Stress, Depressionen oder ein niedriger sozialer Status das Risiko weiter erhöhen. Es ist daher wichtig, alle Risikofaktoren frühzeitig zu erkennen und konsequent zu behandeln.

Typische und untypische Symptome: Wie sich KHK bei Frauen äußert

Die koronare Herzkrankheit zeigt sich bei Frauen häufig anders als bei Männern. Während Männer oft die klassischen Symptome wie starke Brustschmerzen (Angina pectoris) verspüren, sind die Beschwerden bei Frauen häufig weniger eindeutig. Viele Patientinnen berichten über unspezifische Symptome wie Atemnot (Dyspnoe), ein Engegefühl in der Brust, Übelkeit, Erbrechen oder eine ausgeprägte Müdigkeit. Diese Beschwerden werden oft nicht sofort mit einer Herzerkrankung in Verbindung gebracht, was die Diagnose erschwert.

Dennoch zeigen Studien, dass beim akuten Koronarsyndrom (eine Gruppe von Herzkrankheiten, zu denen auch der Herzinfarkt gehört) mehr als 70% der Frauen typische ischämiespezifische Symptome aufweisen – also Beschwerden, die auf eine Minderdurchblutung des Herzens hindeuten. Im Stadium der stabilen KHK stehen bei Frauen jedoch häufiger unspezifische Symptome im Vordergrund. Thoraxschmerzen (Schmerzen im Brustkorb) sind bei Frauen weniger prädiktiv, das heißt, sie deuten weniger eindeutig auf eine KHK hin als bei Männern. Deshalb ist es wichtig, auch auf andere Warnzeichen zu achten und bei Verdacht frühzeitig ärztlichen Rat einzuholen.

Ein besonderes Augenmerk sollte auf seltenere, aber schwerwiegende Krankheitsbilder gelegt werden, wie die Tako Tsubo-Kardiomyopathie (auch “Gebrochenes-Herz-Syndrom” genannt). Diese Erkrankung tritt vor allem bei postmenopausalen Frauen nach starkem emotionalem Stress auf und kann sich wie ein akuter Herzinfarkt äußern. Die Prognose ist in der Regel gut, bleibende Schäden am Herzmuskel sind selten.

Diagnosemöglichkeiten: Von Belastungs-EKG bis Koronarangiografie

Die Diagnose der koronaren Herzkrankheit erfolgt meist schrittweise. Ein wichtiges nichtinvasives Verfahren ist das Belastungs-EKG (Elektrokardiogramm unter körperlicher Belastung). Bei Frauen liegt die Spezifität (Fähigkeit, Gesunde richtig zu erkennen) bei etwa 70%, bei Männern bei 77%. Das bedeutet, dass bei etwa 30% der untersuchten Frauen falsch-positive Ergebnisse auftreten können. Der positiv prädiktive Wert (Wahrscheinlichkeit, dass ein positives Testergebnis tatsächlich auf eine KHK hinweist) beträgt bei Frauen 50% und bei Männern 70%. Deshalb werden zur weiteren Abklärung oft zusätzliche Untersuchungen eingesetzt.

Zu den bildgebenden Verfahren während der Belastung zählen die Echokardiografie (Ultraschalluntersuchung des Herzens), die Myokardperfusionsszintigrafie mittels SPECT (Single-Photon-Emissionscomputertomografie) oder die Positronenemissionstomografie (PET). Diese Methoden erhöhen die Aussagekraft der Diagnostik, insbesondere bei unklaren Befunden. Bei einem hohen Verdacht auf eine KHK, vor allem bei entsprechendem Risikoprofil, sollte eine invasive Abklärung mittels Koronarangiografie (Darstellung der Herzkranzgefäße mit Kontrastmittel) erfolgen. Studien zeigen, dass Frauen oft länger auf diese Untersuchung warten müssen als Männer, was die Prognose verschlechtern kann.

Ein weiteres diagnostisches Problem ist die nicht-obstruktive KHK, bei der keine oder nur geringe Verengungen der Herzkranzgefäße vorliegen. Diese Form tritt bei Frauen häufiger auf als bei Männern und wird oft durch eine mikrovaskuläre koronare Dysfunktion (Störung der kleinen Blutgefäße des Herzens) verursacht. Die koronare Flussreserve (Maß für die Durchblutungsfähigkeit des Herzens) kann mit nichtinvasiven Verfahren wie PET gemessen werden. Pathologische Befunde sind mit einer schlechteren Prognose verbunden und erfordern eine gezielte Therapie.

Therapie und Management: Was tun bei akutem Koronarsyndrom?

Bei einem akuten Koronarsyndrom oder Herzinfarkt ist eine schnelle Behandlung entscheidend. Die perkutane Koronarintervention (PCI, auch “Herzkatheter” genannt) ist in den meisten Fällen die Therapie der Wahl. Dabei wird das verschlossene Herzkranzgefäß mit einem Ballon geöffnet und meist eine Gefäßstütze (Stent) eingesetzt. Das Motto “time is muscle” bedeutet, dass jede Minute zählt: Je schneller das Gefäß wieder durchgängig ist, desto weniger Herzmuskel geht verloren.

Allerdings zeigen internationale Register und das Wiener Infarktnetz, dass Frauen im Durchschnitt später den Rettungsdienst kontaktieren als Männer. Dadurch verlängert sich die Zeit bis zur Behandlung, was die Prognose verschlechtert. Die höhere Sterblichkeit (Hospitalmortalität) bei Frauen nach einem akuten Herzinfarkt ist vor allem auf das höhere Alter und die häufigere Multimorbidität (gleichzeitiges Vorliegen mehrerer Erkrankungen) zurückzuführen. Beim kardiogenen Schock (schwere Kreislaufstörung durch Herzversagen) ist das weibliche Geschlecht ein unabhängiger Risikofaktor für eine schlechtere Überlebensrate, unabhängig von anderen Begleiterkrankungen.

Neue Therapieansätze werden derzeit erforscht. Dazu gehören stark lipidsenkende Substanzen wie PCSK9-Inhibitoren (Medikamente, die das LDL-Cholesterin senken), antiinflammatorische Wirkstoffe wie Interleukin 1-Inhibitoren (hemmen Entzündungen) sowie neurohumoral modulierende Substanzen (beeinflussen das Zusammenspiel von Nerven- und Hormonsystem). Diese neuen Medikamente könnten in Zukunft die Behandlungsmöglichkeiten für Frauen mit KHK deutlich verbessern.

Kardiovaskuläre Risiken bei Krebserkrankungen und Ausblick

Nach den kardiovaskulären Erkrankungen sind Krebserkrankungen die zweithäufigste Todesursache bei Frauen. Beide Erkrankungsgruppen teilen einige gemeinsame Risikofaktoren, wie zum Beispiel Übergewicht, metabolisches Syndrom und Diabetes mellitus. Auch ein insgesamt ungesunder Lebensstil mit wenig Bewegung, schlechter Ernährung und niedrigem sozialem Status erhöht das Risiko für beide Krankheiten. Besonders bei Brustkrebs, der häufigsten Krebserkrankung bei Frauen, kommen Therapien zum Einsatz, die das Herz schädigen können (kardiotoxisch wirken). Dazu zählen Anthrazykline, Taxane und Trastuzumab. Die Gefahr einer Herzschädigung hängt auch davon ab, ob mehrere dieser Substanzen kombiniert werden.

Die Forschung im Bereich der Gendermedizin (Untersuchung geschlechtsspezifischer Unterschiede in Medizin und Therapie) hat seit den 1970er- und 1980er-Jahren große Fortschritte gemacht. Heute weiß man, dass Frauen andere Symptome zeigen, anders auf Therapien ansprechen und ein anderes Risikoprofil aufweisen als Männer. Dennoch bleibt das fehlende Bewusstsein für Herzerkrankungen bei Frauen ein zentrales Problem – sowohl bei Patientinnen selbst als auch in der medizinischen Versorgung. Es ist daher entscheidend, dass Frauen und Ärztinnen/Ärzte gleichermaßen für die Risiken sensibilisiert werden und Risikofaktoren wie Hypertonie, Adipositas, Rauchen und metabolisches Syndrom konsequent behandelt werden.

Die Entwicklung neuer Diagnose- und Therapieverfahren schreitet stetig voran. Moderne bildgebende Verfahren, innovative Medikamente und ein besseres Verständnis der geschlechtsspezifischen Unterschiede tragen dazu bei, die Prognose für Frauen mit KHK zu verbessern. Dennoch bleibt die Aufklärung der wichtigste Schritt, um Herzerkrankungen frühzeitig zu erkennen und effektiv zu behandeln.

Wichtige Erkenntnisse für Patientinnen: Was Sie mitnehmen sollten

  • Die natürlichen weiblichen Hormone schützen das Herz-Kreislauf-System bis zur Menopause. Danach steigt das Risiko für KHK bei Frauen auf das Niveau der Männer an.
  • Risikofaktoren wie Rauchen und Diabetes mellitus sind für Frauen besonders gefährlich und erhöhen das Risiko für Herzinfarkt und andere kardiovaskuläre Ereignisse stärker als bei Männern.
  • Viele Frauen unterschätzen ihr eigenes Risiko für KHK. Das fehlende Bewusstsein ist einer der größten Risikofaktoren – informieren Sie sich und sprechen Sie mit Ihrer Ärztin/Ihrem Arzt über Ihr individuelles Risiko.
  • Die Symptome einer stabilen KHK sind bei Frauen oft weniger typisch (z.B. Müdigkeit, Atemnot, Übelkeit). Beim akuten Koronarsyndrom oder Herzinfarkt zeigen Frauen und Männer jedoch meist vergleichbare Beschwerden.
  • Eine frühzeitige Diagnose und konsequente Behandlung aller Risikofaktoren sind entscheidend, um Komplikationen zu vermeiden und die Lebensqualität zu erhalten.
  • Bei Verdacht auf einen Herzinfarkt gilt: Zögern Sie nicht, sofort den Rettungsdienst zu rufen – jede Minute zählt!
  • Auch nach einer Krebserkrankung sollten Sie auf Ihr Herz achten, da manche Krebstherapien das Risiko für Herzerkrankungen erhöhen können.
  • Neue Medikamente und moderne Diagnoseverfahren bieten heute bessere Behandlungsmöglichkeiten – informieren Sie sich über aktuelle Entwicklungen.

Univ. Prof. Dr. med. Andrea Podczeck-Schweighofer

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