Leberzirrhose ist eine schwere Erkrankung, bei der die Leber zunehmend vernarbt und ihre Funktionen verliert. Neue Forschungsergebnisse, die in diesem Artikel auf Basis von HAUSARZT PRAXIS und GASTROENTEROLOGIE PRAXIS vorgestellt werden, zeigen, wie moderne Multiomics-Analysen und innovative biotechnologische Reportersysteme wie EXSISERS helfen können, das Risiko für Komplikationen früh zu erkennen und gezielter zu behandeln.
Was ist Leberzirrhose und warum ist sie so gefährlich?
Leberzirrhose ist das Endstadium einer fortgeschrittenen chronischen Lebererkrankung, die auch als “advanced chronic liver disease” (ACLD) bezeichnet wird. Bei ACLD kommt es zu einer anhaltenden Schädigung der Leberzellen, was zu einer zunehmenden Narbenbildung (Fibrose) führt. Die Leber verliert dadurch nach und nach ihre lebenswichtigen Funktionen. Besonders gefährlich wird es, wenn eine akute Dekompensation (AD) auftritt. Das bedeutet, dass die Leber plötzlich nicht mehr in der Lage ist, ihre Aufgaben zu erfüllen, was zu schweren Komplikationen führen kann. Eine der gravierendsten Folgen ist das sogenannte “acute-on-chronic liver failure” (ACLF), das durch das Versagen weiterer Organe außerhalb der Leber (extrahepatisches Organversagen) und eine ausgeprägte systemische Entzündung gekennzeichnet ist. Patienten mit ACLF haben ein sehr hohes Risiko für Infektionen und eine hohe Sterblichkeit innerhalb kurzer Zeit.
Um die Prognose für Betroffene zu verbessern, ist es entscheidend, ACLF möglichst früh zu erkennen und gezielte diagnostische und therapeutische Maßnahmen einzuleiten. Hier setzen neue wissenschaftliche Ansätze an, die im Rahmen internationaler Forschungsprojekte, wie sie auf dem EASL-Kongress 2024 vorgestellt wurden, entwickelt wurden. Diese Projekte untersuchen, wie bestimmte Stoffwechselprodukte (Metaboliten) in Blut, Urin und Stuhl helfen können, Patienten mit erhöhtem Risiko für ACLF zu identifizieren.
Multiomics-Analysen: Wie Metaboliten zur Früherkennung beitragen
Die Gesamtheit aller kleinen Moleküle, die im Körper entstehen und im Blut, Urin oder Stuhl nachweisbar sind, wird als Metabolom bezeichnet. Die Untersuchung des Metaboloms erfolgt mit modernen Methoden wie Chromatographie, Massenspektrometrie oder Kernspinresonanz-Spektroskopie. Die Leber ist das zentrale Organ für den Stoffwechsel, weshalb Veränderungen im Metabolom oft frühzeitig auf eine Verschlechterung der Leberfunktion hinweisen können. In den letzten Jahren wurden sogenannte Multiomics-Ansätze entwickelt, bei denen verschiedene biologische Daten (z.B. Genom, Proteom, Metabolom) gemeinsam ausgewertet werden, um ein umfassendes Bild der Erkrankung zu erhalten.
Eine wichtige Studie von Dechaumet et al. untersuchte, ob die Analyse von Metaboliten in Urin- und Stuhlproben zusätzliche Informationen liefert, um Patienten mit dekompensierter Leberzirrhose besser zu charakterisieren. Dazu wurden Proben von 93 Patienten aus der MUCOSA-PREDICT-Kohorte gesammelt und mittels Flüssigchromatographie und hochauflösender Massenspektrometrie ausgewertet. Insgesamt konnten 402 verschiedene Metaboliten in den drei Matrizes (Serum, Urin, Stuhl) identifiziert werden.
Die Ergebnisse zeigten, dass die größte Anzahl von Metaboliten, deren Konzentration durch das Vorliegen eines ACLF beeinflusst wird, im Serum (Blut) nachweisbar war. Interessanterweise gab es aber auch Metaboliten im Urin und Stuhl, die im Serum nicht gefunden wurden, deren Konzentration aber ebenfalls durch ACLF verändert war. Die sogenannte ROC-Kurven-Analyse, ein statistisches Verfahren zur Bewertung der Aussagekraft von Biomarkern, ergab jedoch, dass die Metaboliten-Signatur im Serum am besten zwischen Patienten mit akuter Dekompensation und solchen mit ACLF unterscheiden kann. Dies ist klinisch bedeutsam, da sich beide Krankheitsbilder in ihren Symptomen überschneiden können, aber unterschiedliche Ursachen und Therapieansätze erfordern.
Die Erkenntnisse aus dieser Studie legen nahe, dass die Untersuchung von Metaboliten im Blut eine wertvolle Hilfe sein kann, um Patienten mit erhöhtem Risiko für ACLF frühzeitig zu erkennen. Dies könnte in Zukunft dazu beitragen, gezielter und schneller zu behandeln und so die Prognose zu verbessern.
Die Rolle der Darm-Leber-Achse und bakterielle Komplikationen
Die sogenannte Darm-Leber-Achse beschreibt die enge Verbindung zwischen Darm und Leber. Beide Organe stehen im ständigen Austausch von Zellen, Molekülen und Stoffwechselprodukten. Bei Leberzirrhose ist die Schleimhaut des Darms oft dünner als normal, was dazu führt, dass Bakterien leichter mit den Epithelzellen (Zellen, die die Oberfläche des Darms auskleiden) in Kontakt kommen können. Dadurch werden die Zellverbindungen geschwächt und Bakterien können in den Körper eindringen – ein Vorgang, der als bakterielle Translokation bezeichnet wird. Dieser Prozess spielt eine zentrale Rolle bei der Entstehung von Infektionen, die für Patienten mit Leberzirrhose besonders gefährlich sind.
Eine der häufigsten und schwerwiegendsten Komplikationen ist die spontane bakterielle Peritonitis. Dabei handelt es sich um eine Entzündung der Aszitesflüssigkeit (Bauchwasser), die ohne eine erkennbare äußere Ursache auftritt. Besonders häufig sind die Bakterien Escherichia coli, Klebsiella pneumoniae (beides gramnegative Bakterien) und Streptococcus pneumoniae (grampositiv) für diese Infektion verantwortlich. Die spontane bakterielle Peritonitis kann zu lebensbedrohlichen Komplikationen führen und erfordert eine schnelle Diagnose und Behandlung.
Die Forschung hat gezeigt, dass die Reaktion der Epithelzellen auf den Kontakt mit Bakterien eng mit bestimmten Proteinen zusammenhängt, insbesondere mit der sogenannten p53-Familie von Transkriptionsfaktoren. Diese Proteine steuern wichtige Prozesse wie den Zellzyklus (also das Wachstum und die Teilung von Zellen), Reparaturmechanismen bei Zellschäden und den programmierten Zelltod (Apoptose). In ihrer normalen (Wildtyp-)Form wirkt p53 als Tumorsuppressor, das heißt, es verhindert unkontrolliertes Zellwachstum und schützt vor Krebs. Veränderungen im TP53-Gen, das für p53 kodiert, können jedoch die Funktion dieses wichtigen Schutzmechanismus beeinträchtigen.
Das EXSISERS-Reportersystem: Neue Einblicke in die Zellreaktion bei Infektionen
Um die komplexen zellulären Abläufe bei bakteriellen Infektionen besser zu verstehen, wurde ein innovatives biotechnologisches Reportersystem namens EXSISERS entwickelt. Dieses System ermöglicht es, die Expression (also das Auftreten und die Menge) verschiedener p53-Isoformen$ in lebenden Zellen über längere Zeiträume präzise zu verfolgen. Isoformen$ sind unterschiedliche Varianten eines Proteins, die aus demselben Gen entstehen können und verschiedene Funktionen haben.
In der Studie von Ernst et al. wurden drei exonspezifische Intein-Luciferase-Reportersysteme (EXSISERS) in die Exons 2, 4 und 7 des TP53-Gens integriert. Exons sind Abschnitte eines Gens, die für die Bildung von Proteinen verantwortlich sind. Die Besonderheit des Systems liegt darin, dass gespaltene Inteine (spezielle Proteinabschnitte) die Abspaltung des Enzyms Luziferase vom p53-Polypeptid ermöglichen, ohne die Struktur der p53-Isoformen zu beeinträchtigen. Dadurch lässt sich das Verhältnis der verschiedenen p53-Protein-Isoformen auf zellulärer Ebene exakt messen.
Für die Experimente wurden HCT116-EXSISERS-Zellen mit Escherichia coli-Bakterien, die von Patienten stammten, zusammengebracht (co-kultiviert). Dabei wurden drei Hauptgruppen von p53-Isoformen untersucht: das Zellzyklus-Stillstand-induzierende p53 in voller Länge, das Zelltod-auslösende Δ40p53 und das pro-proliferative Δ133p53/Δ160p53. Gleichzeitig wurde der durch Bakterien ausgelöste Zelltod in Zellen mit normalem p53 (Wildtyp) und in Zellen ohne funktionsfähiges p53 (Knockout) gemessen. Zur genauen Bestimmung der Art des Zelltods kam die Elektronenmikroskopie zum Einsatz, mit der Veränderungen auf zellulärer Ebene sichtbar gemacht werden können.
Die Ergebnisse zeigten, dass bereits 15 Minuten nach Kontakt mit den Bakterien die Produktion der p53-Isoform Δ40p53, die den Zelltod fördert, deutlich anstieg. Im weiteren Verlauf nahm die Menge der pro-proliferativen Isoformen Δ133p53/Δ160p53 ab. Gleichzeitig wurde eine Form des programmierten Zelltods beobachtet, die Merkmale der Paraptose aufwies – darunter Schwellungen der Mitochondrien (die “Kraftwerke” der Zelle) und die Bildung von Vakuolen (Bläschen) im Zellinneren. Durchflusszytometrie, eine Methode zur Analyse von Zellbestandteilen, bestätigte Schäden an Mitochondrien und Zellmembran. Der bekannte Paraptose-Inhibitor Acinomycin D konnte den durch Bakterien ausgelösten Zelltod wirksam blockieren. Wurde das p53-Gen mithilfe von CRISPR/Cas9 ausgeschaltet (Knockout), verzögerte sich die Induktion des Zelltods deutlich, was die zentrale Rolle von p53 bei dieser Reaktion unterstreicht.
Zusammengefasste Erkenntnisse und Ausblick für Patienten
Die vorgestellten Studien liefern wichtige neue Erkenntnisse für Patienten mit Leberzirrhose, insbesondere wenn eine akute Dekompensation vorliegt. Die Analyse von Metaboliten im Blut, aber auch in Urin und Stuhl, kann helfen, das Risiko für ein “acute-on-chronic liver failure” (ACLF) frühzeitig zu erkennen. Besonders die Blutwerte liefern dabei die zuverlässigsten Hinweise. Dies ist für die Praxis bedeutsam, da Patienten mit AD und ACLF unterschiedliche Behandlungsstrategien benötigen und eine schnelle Unterscheidung die Therapie verbessern kann.
Darüber hinaus zeigen die Ergebnisse zur Darm-Leber-Achse und zum p53-Status, wie wichtig die Integrität der Darmschleimhaut und die zellulären Abwehrmechanismen gegen bakterielle Infektionen sind. Die gezielte Beeinflussung bestimmter p53-Isoformen könnte in Zukunft neue therapeutische Möglichkeiten eröffnen, um Komplikationen wie die spontane bakterielle Peritonitis besser zu behandeln oder sogar zu verhindern. Die Forschung an innovativen Reportersystemen wie EXSISERS trägt dazu bei, die komplexen Abläufe in den Zellen besser zu verstehen und neue Ansätze für die Therapie zu entwickeln.
Für Patientinnen und Patienten bedeutet dies, dass die Diagnostik und Behandlung von Leberzirrhose und ihren Komplikationen in den kommenden Jahren weiter verbessert werden könnten. Die enge Zusammenarbeit von Forschung und klinischer Praxis ist dabei entscheidend, um die neuen Erkenntnisse möglichst schnell in den Alltag zu übertragen und die Versorgung der Betroffenen zu optimieren.
Wenn Sie selbst an Leberzirrhose leiden oder bei Ihnen eine fortgeschrittene Lebererkrankung festgestellt wurde, sprechen Sie mit Ihrer behandelnden Ärztin oder Ihrem Arzt über die Möglichkeiten moderner Diagnostik und Therapie. Die frühzeitige Erkennung von Komplikationen und eine individuell angepasste Behandlung können entscheidend für den Verlauf der Erkrankung sein.
Mirjam Peter, M.Sc.
Quellen
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- «Spontane bakterielle Peritonitis (SBP)”, Danielle Tholey, MD, www.msdmanuals.com/de, (letzter Abruf 27.08.2024).
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