Migräne ist der häufigste schwere Kopfschmerz, welcher Patienten zu einem Hausarztbesuch veranlasst. Der Leidensdruck von Betroffenen ist oft erheblich. Seit einigen Jahren steht eine neue Gruppe von Arzneimitteln zur vorbeugenden Behandlung zur Verfügung. Wie neuere Studien zeigen, kann durch den Einsatz von gegen CGRP gerichteten Antikörpern auch der Teufelskreis von Schmerzmittelübergebrauchskopfschmerz durchbrochen werden.

Die Migräne zählt zu den wichtigsten primären Kopfschmerzerkrankungen [1]. In der Schweiz sind über eine Million Einwohner davon betroffen. Die pulsierenden meist einseitig auftretenden Kopfschmerzattacken sind eine hohe Belastung. Die WHO stuft die Erkrankung als zweitwichtigste Ursache für Lebensjahre mit Behinderung ein [2,3]. Migräne führt einerseits häufig zu vorübergehenden Einschränkungen, ist aber andererseits auch mit anderen Erkrankungen wie beispielsweise Depression und vaskulären Erkrankungen assoziiert [4].

Migräneattacken erkennen und richtig zuordnen

Die internationale Klassifikation von Kopfschmerzerkrankungen (ICHD-3) unterscheidet 200 unterschiedliche Kopfschmerzarten [5]. Lassen sich sekundäre Ursachen für die Kopfschmerzen ausschliessen, ist die weitere Eingrenzung anhand von Dauer, Art und Intensität der Kopfschmerzen möglich. Ebenfalls den primären Kopfschmerzen zugeordnet werden Kopfschmerzen vom Spannungstyp und Trigemino-autonome Kopfschmerzerkrankungen [5]. Dabei ist insbesondere die Abgrenzung von Migräne und Spannungskopfschmerzen nicht immer einfach [6]. Um zu erfassen wann und wie oft der Schmerz auftritt und welche Begleitsymptome damit einhergehen, eignet sich ein Kopfschmerztagebuch. Ein einzelner Migräneanfall ist meist nach längstens 72 Stunden vorbei, Kopfschmerzen vom Spannungstyp können sich hingegen unbehandelt von 30 Minuten bis zu sieben Tagen hinziehen. Auch Schmerzcharakter und -intensität sind unterschiedlich: bei der Migräne tritt eher ein pochender, pulsierender oder hämmernder Schmerz auf, während bei Kopfschmerzen vom Spannungstyp der Schmerz eher dumpf, drückend oder ziehend ist. Ein Migräneanfall schränkt die normale Aktivität meist extrem ein, was bei Kopfschmerzen vom Spannungstyp nicht unbedingt der Fall ist. Ein ganz wichtiges Kriterium ist das bei Migräneattacken typische Auftreten von Übelkeit und Erbrechen, sowie Licht- und Lärmempfindlichkeit. Übelkeit und Erbrechen treten bei Kopfschmerzen vom Spannungstyp nicht auf, während Licht- oder Lärmempfindlichkeit möglich, aber nicht typisch sind.

«Status migraenosus» – ein Teufelskreis

Insbesondere bei Patienten mit häufigen Migräneattacken sind konventionelle Schmerzmittel häufig nicht zielführend oder können bei übermässigem Einsatz sogar kontraproduktive Effekte aufweisen. Denn zu häufig eingesetzt können dadurch Kopfschmerzen ausgelöst oder verschlechtert werden. Dies gilt auch für spezielle Migränemedikamente, sogenannte Triptane, welche bei mehr als 10 Einnahmetagen pro Monat oft zu Kopfschmerzen führen. Im klinischen Alltag kommt es aber häufig vor, dass Patienten mit Migräne an deutlich mehr Tagen Kopfschmerzmedikamente einnehmen müssen, weil sie die Schmerzen sonst nicht aushalten. Infolge des Medikamentenübergebrauchs steigt aber die Frequenz der Kopfschmerztage [7]. In diesem Zusammenhang spricht man auch vom «Status migraenosus» [8] (Abb. 1). Mit Absinken des Triptanspiegels kehrt die Migräne nach 12 bis 24 Stunden wieder, in der Folge wiederholt man die Triptaneinnahme und der Migräneschmerz klingt vorübergehend ab. Aber die Wirkung ist immer geringer und weniger langanhaltend. Die schmerzfreien Zeiten nehmen kontinuierlich ab, der Schmerz erhöht die Reizbarkeit und Anspannung und führt zu einer leistungsmindernden Antriebs- und Energielosigkeit. Durch eine Migräneprophylaxe mit monoklonalen Antikörpern kann dieser Teufelskreis durchbrochen werden. Dies zeigen Post-hoc-Analysen von zwei grossen, randomisierten Studien mit humanisierten monoklonalen Antikörpern, die gegen CGRP «Calcitonin Gene-Related Peptide» (Kasten) gerichtet sind.

Das Neuropeptid CGRP als therapeutischer AngriffspunktDie aktuell verfügbaren monoklonalen Antikörper zur Prophylaxe von Migräne richten sich spezifisch gegen das «Calcitonin Gene-Related Peptide» (CGRP) und greifen damit einen für die Pathophysiologie der Migräne zentralen Mechanismus an (Abb. 2) [11]. Das Neuropeptid CGRP hat gefässerweiternde und entzündungsfördernde Eigenschaften und spielt bei der Auslösung der Migräne eine zentrale Rolle. Die Antikörper haben eine lange Halbwertszeit und entsprechend ein langes Dosierungsintervall. Sie werden in der Regel subkutan gespritzt. Ein Vertreter wird als intravenöse Infusion verabreicht. Zu den häufigsten möglichen unerwünschten Wirkungen gehören Reaktionen an der Injektionsstelle. Als erster gegen CGRP gerichteter Wirkstoff wurde in der Schweiz 2018 der CGRP-Rezeptor-Inhibitor Erenumab (Aimovig®) zugelassen. Es folgten die CGRP-Inhibitoren Fremanezumab (Ajovy®) und Galcanezumab (Emgality®) [13]. Mit der Swissmedic-Zulassung von Eptinezumab (Vyepti®) steht seit 2021 ein weiterer Vertreter dieser Medikamentengruppe zur Verfügung.

Antikörperprophylaxe: Reduktion der Migränetage und der Schmerzmittel

In den Post-hoc-Analysen der HALO-Studie und der PROMISE-2-Studie wurden Daten von Patienten ausgewertet, bei denen ein Medikamentenübergebrauch-Kopfschmerz vorlag – definiert als Einnahme von Triptanen oder Ergot-Derivaten an mehr als 10 Tagen pro Monat oder Einnahme von anderen Schmerzmitteln an über 15 Tagen pro Monat [7].

Die Subgruppenanalyse der HALO-Studie zeigte, dass bei Patienten mit häufigen Migräneattacken und Medikationsübergebrauch zum Zeitpunkt des Studieneinschlusses Fremanezumab die Zahl der Kopfschmerztage signifikant reduzierte, und zwar sowohl bei vierteljährlicher als auch bei monatlicher Gabe [9]. Die Zahl der Studienteilnehmer, bei denen durch die Antikörpertherapie kein Medikamentenübergebrauch mehr erfolgte, halbierte sich in der Gruppe, die vierteljährlich die «Migräne-Spritze» erhielt (Abnahme um 55,2%), und sank bei monatlicher Gabe sogar noch weiter ab (Abnahme um 60,6%).

Als ebenfalls sehr erfolgreich in der Senkung der Migränetage bei Patienten mit häufigen Migräneattacken und Schmerzmittelübergebrauch erwies sich Eptinezumab. Die Auswertung der PROMISE-2-Studie [10] ergab, dass die Patienten, die zum Studieneinschluss einen Medikamentenübergebrauch aufwiesen, im Durchschnitt 16,7 Migränetage hatten und dass diese Anzahl sich 24 Wochen nach Therapiebeginn in beiden Therapiedosierungen (100 mg vs. 300 mg) auf 8 Tage reduzierte, was ebenfalls eine Halbierung bedeutet.

Bei episodischer und chronischer Migräne wirksam

In einer Stellungnahme halten die Deutsche Gesellschaft für Neurologie (DGN) und die Deutsche Migräne- und Kopfschmerzgesellschaft (DMKG) fest, dass die monoklonalen Antikörper gegen CGRP (Eptinezumab, Fremanezumab und Galcanezumab) oder gegen den CGRP-Rezeptor (Erenumab) bei der prophylaktischen Therapie sowohl der episodischen als auch der chronischen Migräne einer Behandlung mit Placebo überlegen sind [7,12].

Bei der episodischen Migräne beträgt die Reduktion der Migränetage pro Monat zwischen 2,9 und 4,7 Tagen. Die 50%-Responderrate nach 3–6 Monaten liegt dabei zwischen 30%–62% vs. 17–38% unter Placebo. Die Wirksamkeit kann innerhalb von 4–8 Wochen evaluiert werden [7,12]. Für die chronische Migräne liegt die Reduktion der Migränetage pro Monat zwischen 4,3 und 6,6 Tagen. Die Responderrate nach 3 Monaten liegt zwischen 27–57% vs. 15–40% unter Placebo [7,12].

Literatur:

  1. Schweizerische Kopfwehgesellschaft (SKG): Therapieempfehlungen für primäre Kopfschmerzen. 2021, Auflage 10.1, vollständig überarbeitet, www.headache.ch (letzter Abruf 16.02.2022)
  2. Merikangas KR, et al.: Magnitude, impact, and stability of primary headache subtypes: 30 year prospective Swiss cohort study. BMJ 2011; 343: d5076; doi: 10.1136/bmj.d5076
  3. Global burden of disease collaborators, Global, regional, and national incidence, prevalence, and years lived with disability for 328 diseases and injuries for 195 countries, 1990–2016: a systematic analysis for the Global Burden of Disease Study 2016. Lancet 2017; 390: 1211–1259.
  4. Bigal ME, Lipton RB: The epidemiology, burden, and comorbidities of migraine. Neurol Clin 2009; 27: 321–334.
  5. IHS Classifikation, IHCD, https://ichd-3.org/de (letzter Abruf 16.02.2022)
  6. Migräne: Formen, Symptome, Varianten, Schmerzklinik Kiel, https://schmerzklinik.de/service-fuer-patienten/migraene-wissen/formen (letzter Abruf 16.02.2022)
  7. «CGRP-Antikörper können bei Migräne einen Weg aus dem Schmerzmittelübergebrauch darstellen!», Deutsche Gesellschaft für Neurologie, 06.11.2020, https://dgn.org/, (letzter Abruf 16.02.2022)
  8. Schmerzklinik Kiel, Status migraenosus, https://schmerzklinik.de/status-migraenosus-wenn-die-migraene-einfach-nicht-aufhoeren-will (letzter Abruf 16.02.2022)
  9. Silberstein SD, et al.: The impact of fremanezumab on medication overuse in patients with chronic migraine: subgroup analysis of the HALO CM study. J Headache Pain 2020; 21: 114, https://doi.org/10.1186/s10194-020-01173-8
  10. Silberstein SD, et al.: Eptinezumab for the prevention of chronic migraine: efficacy and safety through 24 weeks of treatment in the phase 3 PROMISE-2 (Prevention of migraine via intra-venous ALD403 safety and efficacy-2) study. J Headache Pain 2020; 21(1): 120. Published 2020 Oct 6.
  11. Dicheva-Radev S, et al.: Monoklonale Antikörper zur Prophylaxe von Migräne: Wirksamkeit und Stellenwert, www.akdae.de (letzter Abruf 16.02.2022)
  12. Ergänzung der Leitlinie 030/057: Therapie der Migräneattacke und Prophylaxe der Migräne, Deutsche Gesellschaft für Neurologie (DGN)/ Deutsche Migräne- und Kopfschmerzgesellschaft (DMKG), https://dgn.org/leitlinien (letzter Abruf 16.02.2022)
  13. Swissmedicinfo: Arzneimittelinformation, www.swissmedicinfo.ch (letzter Abruf 16.02.2022)

HAUSARZT PRAXIS 2022; 17(3): 38–40
InFo NEUROLOGIE & PSYCHIATRIE 2022; 20(2): 26–28

Autoren
  • Mirjam Peter, M.Sc. 
Publikation
  • HAUSARZT PRAXIS 

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