Das Reizdarmsyndrom (RDS) manifestiert sich in Art und Ausprägung der Symptome als ein heterogenes Krankheitsbild, rund 16% der Bevölkerung sind davon betroffen. Diagnostisch ist das RDS eine Herausforderung für den Arzt, die medikamentöse Therapie verläuft für den Patienten – auch aufgrund falscher Erwartungen – häufig unbefriedigend.

Um die Diagnose Reizdarmsyndrom zu etablieren, sollten laut aktualisierter S3-Leitlinie aus dem Jahr 2021 drei Aspekte gegeben sein:

  • Es bestehen chronische (d.h. länger als drei Monate anhaltende) oder rezidivierende Beschwerden, die von Patienten und Arzt auf den Darm bezogen werden und in der Regel mit Stuhlgangsveränderungen einhergehen.
  • Die Beschwerden sollen begründen, dass der Patient deswegen Hilfe sucht und/oder sich sorgt, und so stark sein, dass die Lebensqualität dadurch relevant beeinträchtigt wird.
  • Voraussetzung ist, dass keine für andere Krankheitsbilder charakteristischen Veränderungen vorliegen, die wahrscheinlich für diese Symptome verantwortlich sind. 

Wesentlich sind in dieser Definition die Faktoren Zeit (länger als drei Monate), Begrenzung der Beschwerden auf den Darm und Leidensdruck des Patienten. «Damit wollte man das RDS abgrenzen zu eher banalen Befindlichkeitsstörungen, die sich evtl. ähnlich, aber nicht so hartnäckig äussern können», erklärte Prof. Dr. Wolfgang Fischbach, Facharzt für Innere Medizin, Gastroenterologie, Gemeinschaftspraxis für Gastroenterologie, Aschaffenburg (D), und Mitarbeiter der Leitlinie [1]. 

Das klinische Bild des RDS wird von vier Faktoren bestimmt: Schmerzen/Krämpfe, Obstipation, Blähungen/Flatulenz und Diarrhö. Natürlich können mehrere dieser Symptome gleichzeitig auftreten. Darüber hinaus können Patienten mit RDS aber auch an anderen Stellen des Gastrointestinaltraktes Beschwerden haben: Etwa 27% aller RDS-Patienten leiden auch an einer funktionellen Dyspepsie, umgekehrt tritt bei 37% dieser Betroffenen auch ein RDS auf. Je höher die Zahl der von funktionellen Beschwerden betroffenen Organe, desto stärker fällt die Symptomschwere aus, und auch extragastrointestinale Symptome wie Depression oder Ängstlichkeit nehmen zu mit der Zahl der befallenen GI-Organe.

Differenzialdiagnosen
– Tumoren: KRK, bei Frauen speziell auch Ovarial-Ca
– Chronisch entzündliche Darmerkrankungen (CED), mikroskopische Kolitis
– Zöliakie
– Laktose-/Fruktoseunverträglichkeit
– Bakterielle Fehlbesiedelung (SIBO)
– Divertikelkrankheit (insb. SUDD:
– symptomatische unkomplizierte Divertikelkrankheit)

Seltener:
– Intestinale Ischämie
– intestinale Motilitätsstörungen (Pseudo-Obstruktion)
– Gallensäureverlustsyndrom
– Medikamenten-NW
– etc.

Keine spezifischen Biomarker 

Ist die Verdachtsdiagnose Reizdarmsyndrom gestellt, gibt es jedoch keine spezifischen Biomarker für eine positive Diagnosestellung, andere Erkrankungen können sich ähnlich präsentieren und müssen mittels Differenzialdiagnostik ausgeschlossen werden (Kasten). Prof. Fischbach wies diesbzgl. v.a. auf das Ovarial-Karzinom hin: In einer Fall-Kontroll-Studie mit 112 Patientinnen mit Ovarial-Ca (vs. 1060 gematchter Kontrollen) entwickelten 80–90% ein typisches RDS vor der Krebsdiagnose. Wichtigste Leitsymptome waren hier die abdominale Distension und Blähungen (OR 250!), abdominale Krämpfe/Schmerzen (OR 12) und dyspeptische Symptome (OR 17). Distension und Bauchschmerzen traten signifikant häufiger auf (>180 Tage vor Diagnosestellung). 

Stellt sich ein Patient mit entsprechenden Beschwerden bei seinem Arzt vor, sollte zunächst eine Anamnese mit körperlicher (einschl. rektaler) Untersuchung stattfinden, gefolgt von einem Basis-Labor (Blutbild, CRP, Leberwerte, Kreatinin, Zöliakie-AK, Stuhlcalprotectin, Stuhlerreger), Sonografie und ggf. gynäkologischer Überweisung. Wenn sich dabei der Verdacht auf organische Ursachen zeigt bzw. Alarmzeichen wie Gewichtsabnahme, Blut im Stuhl oder Anämie bestehen, kann ein RDS bereits ausgeschlossen werden. 

Ist das vorherrschende Symptom eine Diarrhö, empfiehlt die Leitlinie [2] eine umfassende Diagnostik bereits im Rahmen der Erstvorstellung. Liegt kein Diarrhö-dominantes Reizdarmsyndrom vor, sind eine probatorische Therapie oder eine symptomorientierte weiterführende Diagnostik angeraten. Diese ist laut Prof. Fischbach individuell abhängig u.a. von Schwere, Dauer und Dynamik der Symptome bzw. dem Alter, der Persönlichkeit und dem Leidensdruck des Patienten und wird in der Regel eine Ileokoloskopie, ÖGD mit Duodenalbiopsien und individuelle Funktionstests (Laktose, Fruktose) beinhalten. 

Der Experte rät dazu, bei der symptomorientierten weiterführenden Diagnostik die beschriebenen Massnahmen einmal zeitnah, umfassend und gründlich durchzuführen und dafür im weiteren Verlauf auf Wiederholungsuntersuchungen zu verzichten. Zu beachten sind bei alldem Nahrungsmittelunverträglichkeiten: In diesem Fall sei das Führen eines Ernährungs-Symptom-Tagebuchs über 4 Wochen mit ggf. anschliessender Karenz und Reexposition durchaus sinnvoll. Von Darmökogrammen rät die Leitlinie ab.

Jede Therapie ist zunächst probatorisch 

Am Anfang der Behandlung sollte eine verständliche Aufklärung über das Krankheitsbild stehen. Damit wird Vertrauen gewonnen und eine Basis geschaffen für ein gutes Arzt-Patienten-Verhältnis, das bei diesen Patienten langfristig benötigt wird. Dazu gehört v.a. die Darlegung der Behandlungskonzepte und deren realistisch erreichbarer Ziele. Daran an schliessen sich Allgemeinmassnahmen wie die Identifikation und Vermeidung von Triggern wie bestimmte Nahrungsmittel, Schlafmangel oder Alkohol. Sport und ausreichende Flüssigkeitsaufnahme wirken sich dagegen günstig aus.  

Erst wenn dies keinen Erfolg mit sich bringt, folgt eine medikamentöse Therapie. «Hierbei orientieren wir uns an dem vorherrschenden Symptom», erklärte Prof. Fischbach (Abb. 1). Grundsätzlich zu betonen sei, dass jede Therapie zunächst probatorisch ist. Dies sollte den Patienten auch verdeutlicht werden. Der Erfolg misst sich an der Symptombesserung, wobei es bei unzureichendem Erfolg durchaus Sinn macht, sukzessiv andere Medikamente auszuprobieren. 

Im Einzelfall können noch weitere Begleitmassnahmen erwogen werden. Hierzu zählen z.B. Antidepressiva, Psychotherapie, autogenes Training, Yoga oder Osteopathie. Weitere therapeutische Optionen sind laut Leitlinie eine Low-FODMAP-Diät («empfehlenswert») und Pfefferminzöl sowie weitere Phytotherapeutika («zu erwägen»). Keine Empfehlung gibt es dagegen für Präbiotika und einen fäkalen Mikrobiomtransfer.

Take-Home-Messages

  • Das RDS ist gekennzeichnet durch Bauchschmerzen, Blähungen und Stuhlgangveränderungen. Die Symptome sind nicht spezifisch.
  • Es ist eine sorgfältige, individuell ­ausgerichtete Differenzialdiagnostik erforderlich.
  • Zu Beginn der Therapie steht die Vermittlung eines verständlichen Krankheitsbildes.
  • Die Therapie umfasst Allgemeinmassnahmen, medikamentöse Ansätze und unterschiedliche Begleitmassnahmen.
  • Das RDS ist eine «organische» Erkrankung, keine funktionelle oder psycho­somatische Störung.

Kongress: StreamedUp! GastroLive

Quellen:

  1. Fischbach W.: Vortrag «Reizdarmsyndrom», Streamed
    Up! GastroLive «Diarrhö und Blähungen – was steckt dahinter?», 21.03.2023.
  2. Update S3-Leitlinie Reizdarmsyndrom: Definition, Pathophysiologie, Diagnostik und Therapie, Juni 2021, AWMF-Registernummer: 021–016.

GASTROENTEROLOGIE PRAXIS 2023; 1(1): 21–22 

Autoren
  • Jens Dehn 
Publikation

GASTROENTEROLOGIE PRAXIS 

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