Riesenzellarteriitis und Polymyalgia rheumatica sind entzündlich-rheumatische Erkrankungen, welche häufig gemeinsam auftreten und die fast ausschliesslich über 50-Jährige betreffen. Für beide Krankheitsbilder werden zunächst Glukokortikoide eingesetzt, wobei die Steroiddosis im Verlauf reduziert werden soll, um negativen Folgeerscheinungen eines Langzeitgebrauchs entgegenzuwirken. Im Rahmen einer steroidsparenden Therapie haben sich Immunsuppressiva und Biologika als add-on bewährt.
Bei Polymyalgia rheumatica sind Gelenke, Sehnenscheiden, Enthesen und Schleimbeutel entzündet. Es sind überwiegend ältere Menschen betroffen, wobei die Prävalenz bei Frauen deutlich höher ist. Zwischen Polymyalgia rheumatica (PMR) und Riesenzellarteriitis (RZA) gebe es relevante Überlappungen, betonte Prof. Dr. med. Frank Buttgereit, Stellvertretender Klinikdirektor und leitender Oberarzt, Charité Universitätsmedizin Berlin [1]. Eine Assoziation zwischen PMR und RZA besteht in mindestens 50% der Fälle. Wichtige Differenzialdiagnosen sind seronegative rheumatoide Arthritis, Spondyloarthritis, Kristallarthropathien, Autoimmunmyositis, Fibromyalgie und Osteoarthritis [2]. Glukokortikoide sind nach wie vor ein wichtiger Pfeiler in der Behandlung, sollten aber im Verlauf ausgeschlichen werden. Neben Methotrexat (MTX) ist die Interleukin(IL)-6-Blockade mit Tocilizumab eine effektive steroidsparende Behandlungsoption bei PMR. Ausserdem liegen mittlerweile auch vielversprechende Daten zu Rituximab und Tofacitinib vor, berichtete der Referent [1].
Bei PMR eine Duplexsonografie der Temporalarterien veranlassen
Wenn bei über 50-Jährigen für mind. zwei Wochen persistierende Muskelschmerzen im Bereich von Schultern und/oder Beckengürtel auftreten, die mit einer ausgeprägten morgendlichen Steifigkeit einhergehen und Allgemeinsymptome wie Fieber, Fatigue, Gewichtsverlust, Depression oder Nachtschweiss vorliegen, kann dies Ausdruck einer PMR sein [3]. Für eine RZA sind neu aufgetretene, bitemporal akzentuierte Kopfschmerzen, Kauschmerzen, Überempfindlichkeit der Kopfhaut und Sehstörungen typisch [4]. Auch eine RZA wird von Allgemeinsymptomen wie Fieber oder Gewichtsverlust begleitet. Die Ätiopathogenese von PMR bzw. RZA ist noch nicht vollständig geklärt; es wird vermutet, dass genetische Faktoren, Infektionen, Alterungsprozesse des Immun- und Gefässsystems und Störungen endokriner Achsen eine wichtige ätiologische Rolle spielen [5]. RZA und PMR sind typischerweise mit erhöhten inflammatorischen Markern assoziiert; labordiagnostisch ist der Nachweis von beschleunigter BSG und/oder erhöhtem CRP hinweisend. Durch bildgebende Untersuchungen (Kasten) kann eine Verdachtsdiagnose bestätigt werden. Prof. Buttgereit riet dazu, bei der Erstabklärung auf eine PMR mittels Gefässultraschall/Angiografie auf das Vorliegen einer (subklinischen) RZA zu suchen, da dies therapierelevante Implikationen haben könne [1].
Bei einer PMR findet man im Ultraschall Entzündungen im Bereich der Gelenke und der Schleimbeutel von Schultern und Hüften. Kalibersprünge und echoarme konzentrische Wandverdickung («Halo»-Zeichen) in der farbkodierten Dopplersonografie sind charakteristisch für RZA. Ein kontrastmittelgestütztes MRI des Schultergürtels sei hilfreich für die differenzialdiagnostische Abgrenzung von PMR, so Prof. Dr. med. Buttgereit [1]. Dies geht unter anderem aus einer 2024 veröffentlichten Studie von Fruth et al. hervor [19]. Als Induktionstherapie gelten sowohl bei PMR als auch bei RZA Kortikosteroide als Standard. Als steroidsparende Behandlungsalternativen ist bei den Biologika die Datenlage zu Tocilizumab sowohl bei RZA als auch bei schweren, MTX-resistenten PMR-Verläufen am besten [11,15,16]. |
Behandlungsalgorithmus mit MTX und Tocilizumab als add-on
In dem 2024 im Journal Annals of the Rheumatic Diseases erschienenen Artikel von Dejaco et al. wird eine «Treat-to-target» Strategie empfohlen, wobei als Behandlungsziel Remission, sowie die Verhinderung von Gewebeischämie und Gefässschäden vorgeschlagen wird (Tab. 1) [1,6].

Remission wird als Abwesenheit klinischer Symptome und systemischer Entzündung definiert. Als Erstlinientherapie bei PMR und RZA fungieren nach wie vor Glukokortikoide (GC), erklärte Prof. Buttgereit [1]. Bei PMR empfiehlt er für die initiale Therapie Prednisolon (p.o) in einer Dosierung von 12,5–25 mg/d täglich, gefolgt von einem individuellen Tapering-Regime [3]. Als Faustregel sollte die Prednisolon-Dosis nach 4–10 Wochen noch 10 mg/d betragen. Bei einem Rückfall muss die Dosis vorübergehend wieder leicht erhöht werden. Falls es nicht gelingt, die Steroide planmässig zu reduzieren, kann man das Immunsuppressivum Methotrexat (MTX) hinzufügen um die kumulative GC-Dosis und die Rückfallrate zu reduzieren [7]. In den meisten Studien werden MTX-Dosen von 10–15 mg/Woche p.o. oder s.c. eingesetzt. In mehreren prospektiv randomisierten Studien erwies sich MTX als effektiv, allerdings waren die Fallzahlen jeweils eher klein [8–10]. Der Interleukin(IL)-6-Rezeptor blockierende monoklonale Antikörper Tocilizumab zeigte ebenfalls ein grosses Potenzial zur Einsparung von GC und hat sich insbesondere bei schweren PMR-Verläufen und bei Vorliegen von PMR und RZA bewährt [11–13]. In einer randomisierten Proof-of-concept-Studie zeigte auch Rituximab (RTX) ansehnliche kortikosteroidsparende Effekte [14]. In der Schweiz liegt für Tocilizumab (Actemra®) eine offizielle Zulassung im Indikationsbereich der Riesenzellarteriitis vor, bei PMR kann eine Kostengutsprache beantragt werden [7,17]. Um bei RZA eine drohende Erblindung abzuwenden, wird im Anfangsstadium der Therapie eine i.v. Pulstherapie mit Methylprednisolon (250–1000 mg/Tag) über drei Tage empfohlen [15,18].
Kongress: EULAR Annual Meeting
Literatur:
- «Polymyalgia rheumatica: What is new», Prof. Dr. med. Frank Buttgereit, EULAR Annual Meeting, Vienna, 12–15 june, 2024.
- Mahmood SB, et al.: Polymyalgia rheumatica: An updated review. Cleve Clin J Med 2020; 87(9): 549–556.
- Buttgereit F, et al.: Polymyalgia Rheumatica and Giant Cell Arteritis: A Systematic Review. JAMA 2016; 315(22): 2442–2458.
- Schäfer VS, et al.: Ultrasound cut-off values for intima-media thickness of temporal, facial and axillary arteries in giant cell arteritis. Rheumatology (Oxford) 2017; 56(9): 1479–1483.
- Buttgereit F, et al.: S3-Leitlinie zur Behandlung der Polymyalgia rheumatica: Evidenzbasierte Leitlinie der DGRh, der ÖGR und der SGR und der beteiligten medizinisch-wissenschaftlichen Fachgesellschaften und weiterer Organisationen. Z Rheumatol 2018; 77(5): 429–441.
- Dejaco C, et al.: Treat-to-target recommendations in giant cell arteritis and polymyalgia rheumatica. Ann Rheum Dis 2024; 83(1): 48–57.
- Rheumaliga Schweiz: Polymyalgia rheumatica und Riesenzell-Arteriitis, www.rheumaliga.ch/assets/doc/ZH_Dokumente/Broschueren-Merkblaetter/Krankheitsbilder/Polymyalgia.pdf, (letzter Abruf 23.07.24)
- Mahr AD, et al.: Adjunctive methotrexate for treatment of giant cell arteritis: an individual patient data meta-analysis. Arthritis Rheum 2007; 56(8): 2789–2797.
- Cimmino MA, et al.: Long-term follow-up of polymyalgia rheumatica patients treated with methotrexate and steroids. Clin Exp Rheumatol 2008; 26(3): 395–400.
- Marsman DE, et al.: PolyMyalgia Rheumatica treatment with Methotrexate in Optimal Dose in an Early disease phase (PMR MODE): study protocol for a multicenter double-blind placebo controlled trial. Trials 2022; 23(1): 318.
- Devauchelle-Pensec V, et al.: Efficacy of first-line tocilizumab therapy in early polymyalgia rheumatica: a prospective longitudinal study. Ann Rheum Dis 2016; 75(8): 1506–1510.
- Stone JH, et al.: Trial of Tocilizumab in Giant-Cell Arteritis. New England Journal of Medicine 2017; 377(4): 317–328.
- Hosoya T, et al.: Novel treatment strategy of polymyalgia rheumatica targeting drug-free remission. Clin Exp Rheumatol 2021; 39(3): 701–702.
- Marsman DE, et al.: Efficacy of rituximab in patients with polymyalgia rheumatica: a double-blind, randomised, placebo-controlled, proof-of-concept trial. Lancet Rheumatol 2021; 3(11): E758–E766.
- Horvath L, Hellmich B. Therapie der Riesenzellarteriitis und Polymyalgia rheumatica. Z Rheumatol 2020; 79(2): 175–185.
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- Swissmedic: Arzneimittelinformation, www.swissmedic.ch, (letzter Abruf 23.07.2024).
- Dejaco C, et al.: 2015 Recommendations for the management of polymyalgia rheumatica: a European League Against Rheumatism/American College of Rheumatology collaborative initiative. Ann Rheum Dis 2015; 74(10): 1799–1807.
- Fruth M, et al.: MRI of shoulder girdle in polymyalgia rheumatica: inflammatory findings and their diagnostic value. RMD Open 2024 May 9; 10(2): e004169.
HAUSARZT PRAXIS 2024; 19(8): 38–39 (veröffentlicht am 22.8.24, ahead of print)
Autoren
- Mirjam Peter, M.Sc.
Publikation
- HAUSARZT PRAXIS
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