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Die Medizin und ihre Ausbildung entwickeln sich stetig weiter und passen sich den neuen Gegebenheiten an. Da die Multiple Sklerose eine Erkrankung mit tausend Gesichtern ist, besteht ein hoher Bedarf an spezialisierten Fachkräften. Diesem wird jetzt der neue Masterstudiengang in Dresden (D) gerecht. Berufsbegleitend werden darin Fach- und Führungskräfte aus dem Gesundheitswesen weitergebildet.

Die Multiple Sklerose (MS) betriff in der Schweiz ca. 10’000 Menschen und gilt bisher als unheilbar. Zu den Folgen zählen Muskelschwäche, Lähmungserscheinungen, Minderung der Sehnerven oder eine krampfhafte Erhöhung der Muskelspannung. Der Verlauf der Erkrankung ist bei jedem Patienten individuell, weshalb sie als «Krankheit der tausend Gesichter» bekannt ist. Eine frühzeitige Diagnose und Therapie sind entscheidend für den weiteren Krankheitsverlauf. Durch individuell angepasste Therapiemöglichkeiten wird das Leben der Patienten erleichtert und der Prozess der Erkrankung gehemmt. Die Behandlung ist lebenslang und sehr komplex. Daher ist der Bedarf an geschulten und spezialisierten Kräften hoch. Im Oktober startete der einzigartige Masterstudiengang «Multiple Sklerose Management» an der Dresden International University (DIU). Das Weiterbildungs-Studium richtet sich an Ärzte, Therapeuten, Wissenschaftler, Psychologen, Apotheker, Biologen oder Pflegepersonal, die sich auf MS spezialisieren wollen. Voraussetzung ist ein humanmedizinischer oder artverwandter Abschluss mit einem Umfang von 240 ECTS-Punkten. Weiterhin können Personen mit einem akademischen Erstabschluss, die eine Ausbildung in einem Gesundheitsfachberuf und eine einjährige Berufstätigkeit im Bereich MS vorweisen können, das Masterstudium aufnehmen. Nach erfolgreichem Abschluss erhalten sie den Titel «Master of Science» (M.Sc.). Der berufsbegleitende Studiengang verteilt sich auf vier Semester und wird überwiegend in Online-Seminaren abgehalten. Zusätzlich werden praktische Einheiten angeboten, wofür wir Zentren mit grosser Erfahrung in Diagnostik und Therapie ausgewählt wurden. Das Studium gliedert sich in die Module «Theoretische Grundlagen», «Klinik und Diagnostik», «Studien und Statistik», «Therapie und Rehabilitation», «Monitoring und Dokumentation» zu MS und weiteren neuroimmunologischen Erkrankungen. Die angehenden Experten erlernen ausführliche und wissenschaftlich fundierte Diagnostik und Differenzialdiagnostik bei Verdacht auf chronisch-entzündliche Erkrankungen des zentralen Nervensystems. Dabei werden sie von namhaften Fachspezialisten aus Deutschland, Österreich und der Schweiz betreut. Nach erfolgreicher Einführung des neuen Studiengangs ist eine Internationalisierung geplant.

Quelle: «Neues Masterstudium «Multiple Sklerose Manage­ment» setzt Zeichen in der Medizin», 29.09.2020, Dresden International University (DIU)

InFo NEUROLOGIE & PSYCHIATRIE 2020; 18(6): 48

Autoren
  • Leoni Burggraf 
Publikation
  • INFO NEUROLOGIE & PSYCHIATRIE 

Multiple Sklerose (MS) und die Neuromyelitis optica Spektrum Erkrankungen (NMOSD) sind beides Erkrankungen des Zentralnervensystems. Sie können ähnliche Symptome aufweisen und lange wurde die NMOSD als Sonderform der MS betrachtet, da beide meistens schubförmig verlaufen. Inzwischen weiss man, dass es sich um zwei unterschiedliche Erkrankungen handelt, die jeweils angepasste Therapien bedürfen. Die Strategien werden bei beiden Entitäten laufend verbessert und angepasst.

Die Behandlung von Frauen mit Multipler Sklerose (MS) während der Schwangerschaft und Stillzeit bedarf nach wie vor intensiver Forschung. Während der Schwangerschaft ist die MS-Aktivität häufig reduziert, kann aber postpartal sehr schnell wieder ansteigen. Daher wird vor allem Patientinnen mit hochaktivem Erkrankungsverlauf geraten, die krankheitsmodifizierende Therapie zeitnah nach der Geburt wieder aufzunehmen. Mit Ausnahme von Ofatumumab sind monoklonale Antikörper (mAb) jedoch nicht für die Stillzeit zugelassen. Erste Daten zeigen einen geringen Übergang von Ocrelizumab, Rituximab und Natalizumab in die Muttermilch und keine Auffälligkeiten bei den gestillten Säuglingen, die klinische Datenlage ist allerdings noch gering. Hier setzte eine Studie mit der Fragestellung an, wie sich die Entwicklung von Kindern gestaltet, deren Mütter in der Stillzeit mit einem mAb behandelt wurden, verglichen mit der von Kindern, deren Mütter in der Stillzeit keine MS-Therapie erhielten [1]. Insgesamt wurden 140 exponierte Fälle mit der Diagnose MS oder Neuromyelitis-optica-Spektrum-Erkrankung identifiziert, ohne signifikante Unterschiede bezüglich demografischer Charakteristika im Vergleich zur Kontrollgruppe (n=140). Die mAb-Exposition in der Stillzeit begann im Median am 24. Tag postpartum. Am häufigsten wurde unter Natalizumab gestillt (61,43%), gefolgt von Ocrelizumab (21,43%), Rituximab (7,14%) und Ofatumumab (7,14%); in 3 Fällen (2,14%) wurde die mAb-Therapie von Natalizumab auf Ocrelizumab gewechselt und bei 1 (0,71%) von Rituximab auf Ocrelizumab. Zwei Kinder wurden zuvor unter Glatirameracetat-, eins unter Interferongabe gestillt. Entwicklungsverzögerungen traten in der exponierten Gruppe nicht häufiger (0,71% vs. 2,14%) auf. Auch die Körpermasse waren im Nachbeobachtungszeitraum nicht signifikant unterschiedlich. Weder bei der durchschnittlichen Anzahl an Hospitalisierungen pro Jahr noch beim Anteil der Kinder, die mindestens einmal hospitalisiert wurden (13,57% vs. 12,86%), gab es signifikante Unterschiede, auch nicht in den einzelnen Lebensjahren. Die vorläufige Auswertung lässt darauf schliessen, dass eine mAb-Exposition in der Stillzeit keinen negativen Einfluss auf die Entwicklung oder Gesundheit der gestillten Kinder hatte. 

Risikowahrnehmung beeinflusst Therapieentscheidung

Behandlungsansätze bei aktiver MS beruhen auf der Bewertung des Risikos eines weiteren Fortschreitens der Erkrankung und des Risiko-/Wirksamkeitsprofils krankheitsmodifizierender Behandlungen (DMTs). Die Wahl der besten Erstlinientherapie oder der Wechsel zu anderen Medikamenten für MS-Patienten ist ein komplexer und gemeinsamer Entscheidungsprozess, der stark von der Risikowahrnehmung des Einzelnen beeinflusst wird. Neue Therapien, insbesondere solche, die als hochwirksame Behandlungen (HET) eingestuft werden, werden als sicherer wahrgenommen, auch wenn die Ergebnisse der klinischen Phase-III-Stu­dien dies nicht bestätigen. Diese Wahrnehmung von HETs als Behandlungen mit höherem Risiko kann ihre Anwendung in der klinischen Praxis möglicherweise einschränken. Eine Datenerhebung zielte daher darauf ab, den Behandlungsverlauf von MS-Patienten und den möglichen Einfluss der individuellen Risikowahrnehmung auf die Behandlungsentscheidung mit Hilfe eines innovativen und interaktiven digitalen Ansatzes zu beschreiben [2]. 16 Fachkräfte des Gesundheitswesens (HCP) wurden zu den möglichen Behandlungswegen von MS-Patienten und ihren üblichen Behandlungsansätzen befragt. Anschliessend wurden die Krankenakten und die Patientendokumentation durchgesehen, einschliesslich der Wahrnehmung der Fachkräfte hinsichtlich der Patientenzufriedenheit und der Wirksamkeit der Behandlung. In einer Online-Umfrage unter MS-Patienten wurden schliesslich die Präferenzen für die Behandlungsmethode, die individuellen Erwartungen an MS-Therapien, die Bewertung des individuellen Therapieerfolgs und die Behandlungszufriedenheit bewertet. Es zeigte sich, dass bei der Auswahl einer MS-Therapie klinische und subklinische Parameter die Hauptfaktoren darstellen, gefolgt von der patientenindividuellen Situation. Für die Ärzte ist die Effektivität häufig ausschlaggebender als die Sicherheit und bei den meisten Patienten überwiegt der Wunsch nach Stabilisierung der Erkrankung gegenüber geringeren Nebenwirkungen. Eine Korrelation zwischen der individuellen Wahrnehmung von HET und dem Behandlungsverlauf von Patienten konnte nicht festgestellt werden.

Remyelinisierung – eine Frage des Alters

Die Remyelinisierung stellt bei MS einen effektiven endogenen Reparaturmechanismus nach der Demyelinisierung dar, ist jedoch bei MS-PatientInnen oft gestört oder inkomplett. Zur Erforschung von De- und Remyelinisierung ist das Cuprizone-Modell seit langem etabliert: Hier werden junge Mäuse mit dem Kupferchelator Cuprizone gefüttert, der eine toxische Demyelinisierung verschiedener Gehirnstrukturen auslöst. Nach Beendigung dieser Fütterung tritt bei jungen Tieren umgehend eine ausgeprägte, schnelle und komplette Remyelinisierung auf, sodass die klinisch relevante Untersuchung der inkompletten Remyelinisierung, die der typischen humanen Pathologie entspräche, nicht möglich ist. Aus diesem Grund wurde das herkömmliche Cuprizone-Modell modifiziert, in dem älte­re Mäuse (sechs Monate alt) experimentell genutzt wurden. Diese wiesen nach Demyelinisierung eine langsamere und inkomplette Remyelinisierung auf, was der eingeschränkten Remyelinisierungskapazität im Patienten genauer entspricht. Doch wieso verläuft die Remyelinisierung gealterter Mäuse im Cuprizone-Modell langsamer und ineffizienter? Welcher Dynamik unterliegen inflammatorische Prozesse während der Remyelinisierung, unter anderem im Hinblick auf astrozytäre und mikrogliale Reaktion? Welche Schlüsselfaktoren sind hier von Relevanz? Diesen Fragen ging eine Studiengruppe an [3]. Sechs Monate alte Mäuse wurden für 6,5 Wochen mit 0,4% Cuprizone-haltigem Futter behandelt. Nach Expositionsende wurden die Mäuse für 1,5 Wochen nachbeobachtet, um die Remyelinisierung zu untersuchen. Parallel wurden junge Mäuse (8–10 Wochen) für fünf Wochen mit 0,2% Cuprizone behandelt und ebenfalls für 1,5 Wochen nachbeobachtet. Anhand von bulk-RNA- und mikro-RNA-Sequenzierung wurden im Vergleich dieser beiden Behandlungsgruppen relevante Gene identifiziert und ihr Expressionmuster im Gruppenvergleich charakterisiert.

Die Cuprizone-Behandlung führte bei jungen und gealterten Tieren zu einer signifikanten Demyelinisierung verschiedener Gehirnareale der weissen und grauen Substanz. Anschliessend kam es bei jungen Tieren zu einer ausgeprägten und raschen Remyelinisierung, während die Remyelinisierung bei gealterten Tieren verlangsamt verlief und inkomplett verblieb. Die Transkriptom-Analyse ergab Unterschiede in der Expression verschiedener Faktoren zwischen jungen und gealterten Tieren während der De- und Remyelinisierung. Es zeigte sich u.a., dass in den alten Mäusen sowohl die regenerativen als auch entzündliche Prozesse deutlich hochreguliert waren. Es wurden unterschiedliche Regenerationsraten der Oligodendrozyten von Astrozytose und verlängerter Mikrogilose begleitet. Die detaillierte Analyse von De- und Remyelinisierungsprozessen ist grundlegende Voraussetzung für ein verbessertes Krankheitsverständnis der Multiplen Sklerose. In der vorliegenden Arbeit konnten Faktoren identifiziert werden, welche für die Remyelinisierung im Cuprizone-Modell eine wichtige Rolle spielen können. Diese Erkenntnisse bilden die Grundlage für ein genaueres Verständnis der Pathogenese demyelinisierender Erkrankungen und tragen so zur Erschliessung neuer Therapieansätze bei.

Late- und early-onset NMOSD

Neuromyelitis-optica-Spektrum-Erkrankungen (NMOSD) sind seltene, schubförmig verlaufende chronische Autoimmunerkrankungen des zentralen Nervensystems, welche sich im Mittel im 40. Lebensjahr erstmanifestieren. Etwa 30% der Patienten haben einen sogenannten late-onset (Lebensalter ≥50 bei Erkrankungsbeginn). Kleinere Studien und Fallserien konnten bereits zeigen, dass sich der late-onset deutlich vom early-onset (<50 Jahre) in Hinblick auf klinischen Verlauf und Therapieansprechen unterscheidet. Allerdings waren die Fallzahlen oft klein oder schlossen keine europäischen Patienten ein. Ziel einer Studie war es, NMOSD-Patient:innen mit late-onset und Patienten:innen mit early-onset in Hinblick auf klinische Symptomatik, Schubrate, Behinderungsprogress und Schubtherapieansprechen zu vergleichen [4]. Von 447 Patienten hatten 153 (34%) einen late-onset. Frauen mit einem early-onset waren signifikant häufiger AQP4-IgG-positiv (93% vs. 81%). Auch die Gesamtkohorte unterschied sich in der Antikörperverteilung zwischen late- und early-onset signifikant (AQP4-IgG-positiv: 94,1% vs. 81,0%). Die beiden Gruppen differierten zudem hinsichtlich der Hauptsymptome: während 42% der early-onset Patient:innen eine Optikusneuritis (ON) zu Erkrankungsbeginn erlitten, betraf dies nur 27% der late-onset Fälle. Dem hingegen erlitten signifikant mehr late-onset-Patienten inital eine Myelitis (56,8% vs. 37,3%). Die Schubanalyse ergab hingegen keine signifikanten Unterschiede hinsichtlich der Annualized Relapse Rate. Die Evaluation der Remissionsrate zeigte allerdings, dass sich Patienten mit einem late-onset signifikant schlechter erholten, sowohl in der Gesamtkohorte als auch in der Subgruppe mit akuter Myelitis. Hingegen gab es bei Schüben, die den N. opticus betrafen, keinen relevanten Unterschied. Mit Blick auf den Krankheitsprogress fanden sich signifikante Unterschiede zwischen late-onset und early-onset bezüglich des Erreichens definierter Endpunkte der Erkrankungsschwere zuungunsten der late-onset Patienten. Alles in allem erlitten NMOSD-Patienten mit einem late-onset deutlich mehr Myelitiden und weniger Optikusneuritiden bei Erstmanifestation, waren im Schub schwerer betroffen, erholten sich schlechter und erreichten schneller klinisch funktionseinschränkende Endpunkte als Patienten mit einem early-onset. Die Anzahl der Gesamtschübe war hingegen vergleichbar.

Kongress: DGN 2023

Literatur:

  1. Witt L, et al.: Kindesentwicklung nach Anwendung von monoklonalen Antikörpern in der Stillzeit. Abstract 91. 96. Kongress der Deutschen Gesellschaft für Neurologie (DGN), 8.–11. November 2023.
  2. Wagner B, et al.: Characterizing a neurologist’s risk perception and its influence on treatment decisions for patients with multiple sclerosis – KLEOS. Abstract 98. 96. Kongress der Deutschen Gesellschaft für Neurologie (DGN), 8.–11. November 2023.
  3. Möllenkamp T, et al.: Altersabhängige Unterschiede der Remyelinisierung: Analyse von mRNAExpressionsmustern zur Identifikation von Schlüsselfaktoren im Cuprizone Modell. Abstract 151. 96. Kongress der Deutschen Gesellschaft für Neurologie (DGN), 8.–11. November 2023.
  4. Kretschmer JR, et al.: Klinische Charakteristika des late- und early-onset bei Neuromyelitis-optica-Spektrum-Erkrankungen. Abstract 51. 96. Kongress der Deutschen Gesellschaft für Neurologie (DGN), 8.–11. November 2023.

InFo NEUROLOGIE & PSYCHIATRIE 2024; 22(1): 20–21 (veröffentlicht am 2.2.24, ahead of print)

Autoren
  • Leoni Burggraf 

Diabetes tut nicht weh – fast möchte man ergänzen «leider». Denn die Dunkelziffer betroffener Patienten ist nach wie vor hoch. Mögliche Spätfolgen der Erkrankung, vor allem, wenn sie nicht oder erst spät behandelt wird, können gravierend sein. Dabei wurde die Therapie in den vergangenen Jahren stetig verbessert. Mit den Glucagon-like-Peptid 1 (GLP1)-Analoga ist zudem eine neue Behandlungsoption bereitgestellt worden, die schnell und effektiv wirkt.

Diabetes mellitus ist eine schwerwiegende Erkrankung, die einen hohen Risikofaktor für komorbide Krankheiten, insbesondere Herz-Kreislauf-Erkrankungen darstellt. Schätzungen zufolge sind in der Schweiz rund 500 000 Personen betroffen. Doch ca. die Hälfte der Betroffenen weiss noch gar nichts von ihrer Erkrankung. Im Durchschnitt dauert es sieben Jahre, bis die Diagnose gestellt wird. Wertvolle Zeit, die bereits effektiv für die Behandlung genutzt werden könnte. Denn je schneller der Blutzucker über ausreichend Bewegung, ausgewogene Ernährung und eine adäquate medikamentöse Therapie eingestellt werden kann, desto eher lassen sich akute Beschwerden und Spätfolgen vermeiden. Aktuelle Leitlinien empfehlen die Umstellung des Lebensstils sowie die Einnahme von Metformin als Erstlinienbehandlung bei Typ-2-Diabetes mellitus (Abb. 1). Der HbA1c-Wert gilt weiterhin als glykämischer Standard für die langfristige Therapiesteuerung. Allerdings ist man inzwischen von einem starren Zielwert zu einem Zielkorridor übergegangen. Dieser liegt zwischen 6,5 und 7,5% (48–58 mmol/mol Hb), sollte aber individuell festgelegt werden. Die Therapieziele hängen ab von der Patientenpräferenz, der Komorbidität, von Alter und Lebenserwartung, Lebensqualität, kulturellen Voraussetzungen, den psychosozialen Umständen und Möglichkeiten sowie Fähigkeiten der betroffenen Person.

Ergänzende GLP1-Gabe

Bereits zusätzlich zur Erstlinientherapie kann ein GLP1-Analogon ergänzt werden, wenn das Risiko für ein diabetesbezogenes kardiovaskuläres und/oder renales Ereignis hoch ist oder bereits eine klinisch relevante kardiovaskuläre Erkrankung besteht. GLP1-Analoga sind Präparate, die die Wirkung des natürlichen Inkretinhormons nachahmen. Inkretine werden im Darm gebildet und regulieren den Blutzucker durch Stimulierung der Insulin-Ausschüttung in der Bauchspeicheldrüse. GLP1-Rezeptor-Agonisten fördern glukoseabhängig die Insulinsekretion aus den Betazellen der Pankreas, senken die Glucagonsekretion aus den Alphazellen und führen dadurch zu einer verminderten Glukose­abgabe durch die Leber, erhöhen die Insulinsensitivität, verlangsamen die Magenentleerung und reduzieren damit die Geschwindigkeit, mit der Glucose in den Blutkreislauf gelangt. Ein weiterer Vorteil: es besteht keine Gefahr der Unterzuckerung.

Darüber hinaus wurde nachgewiesen, dass die GLP1-Gabe zu einer Gewichtreduktion führt und hinsichtlich der kardiovaskulären Ereignisse eine Senkung der Erkrankungs- und Mortalitätsrate beobachtet werden konnte.

In der Regel werden GLP1-Analoga subkutan verabreicht – häufig reicht eine einmal wöchentliche Gabe aus. In der Schweiz sind aktuell z.B. Exenatid, Liraglutid, Lixisenatid und Dulaglutid zugelassen. Semaglutid ist das erste GLP1-Analogon, das neben der subkutanen Verabreichung auch neu als Tablette für die orale Gabe zur Verfügung steht.

Weiterführende Literatur:

  • www.diabetesschweiz.ch/ueber-diabetes.html (letzter Zugriff am 17.01.2021)
  • www.bfs.admin.ch/bfs/de/home/statistiken/gesundheit/gesundheitszustand/krankheiten/diabetes.html (letzter Zugriff am 17.01.2021)
  • www.deutsche-diabetes-gesellschaft.de/behandlung/leitlinien (letzter Zugriff am 17.01.2021)

CARDIOVASC 2021; 20(1): 30

Autoren
  • Leoni Burggraf 
Publikation
  • CARDIOVASC 

Frauen mit Gestationsdiabetes haben nach der Geburt ein erhöhtes Risiko, an Typ-2-Diabetes zu erkranken. In einer Studie mit Daten von über 12 000 Frauen mit einer Gestationsdiabetes-Diagnose während der Schwangerschaft zeigte sich, dass nur in knapp 40 Prozent der Fälle postpartale Diabetes-Screenings in Anspruch genommen wurden.

«Wir haben den Anteil des sogenannten postpartalen Diabetes-Screenings bei 12 991 Frauen mit einer Gestationsdiabetes-Diagnose während der Schwangerschaft im Studienzeitraum im bundesweiten GestDiab-Register zwischen 2015 und 2017 erhoben», erklärte Univ.-Prof. Dr.med. Dr.PH. Andrea Icks, MBA, Direktorin des Instituts für Versorgungsforschung und Gesundheitsökonomie an der medizinischen Fakultät der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf und am Deutschen Diabetes-Zentrum (DDZ) [1,2].

Gründe für geringe Inanspruchnahme von postpartalem Screening?

«Mehr als 60 Prozent der Frauen mit Gestationsdiabetes haben kein Screening nach der Geburt in Anspruch genommen. Und unter den Nichtteilnehmerinnen waren Frauen mit einem ungünstigeren Lebensstil häufiger vertreten. Hier fragen wir uns, ob diese Frauen gut informiert ihre Entscheidung für oder gegen eine Nachsorge treffen und sehen Bedarf für die Versorgungsforschung», erläutert Prof. Icks [1]. An einem postpartalen Diabetes-Screening teilgenommen haben 38,2% der Frauen. Es zeigte sich, dass diejenigen mit höherem Lebensalter und solche mit Insulinbehandlung während der Schwangerschaft eher teilnahmen, hingegen Frauen mit Migrationshintergrund, einem höheren Body-Mass-Index (BMI), Raucher und Frauen mit schlechteren Werten bei Nüchtern-Glucose und HbA1ceher nicht.

Mögliche Gründe für die niedrige Inanspruchnahme können vielfältig sein und nicht nur bei den Patienten, sondern auch bei Leistungserbringern oder im Versorgungssystem liegen. «Hier bedarf es in jedem Fall noch weiterer Untersuchungen», so das Fazit der Expertin. Nationale und internationale Arbeiten lassen annehmen, dass die sozioökonomische Lage, also beispielsweise das Bildungsniveau, entscheidenden Einfluss auf das generelle Gesundheitsverhalten hat. Ähnliche Erkenntnisse hat das Robert-Koch-Institut in einer Untersuchung des Zusammenhangs zwischen sozialer Ungleichheit und Diabetes gesehen [3]. Aber auch eine fehlende Abstimmung zwischen Hausärzten, Diabetologen und Frauenärzten können eine Rolle spielen. Auch eine Konzentration auf das Neugeborene, die neuen Lebensumstände und Zeitmangel könnten dazu beitragen, dass die eigene Nachsorge nicht wahrgenommen wird.

Literatur: 

  1. «Gestationsdiabetes: DDZ-Studie zeigt niedrige Nachsorgezahlen von Hochrisikopatientinnen auf», Deutsches Diabetes-Zentrum, 14.11.2022. 
  2. Postpartum screening of women with GDM in specialised practices: Data from 12,991 women in the GestDiab register, Diabetic Medicine. 2022;39:e14861.; https://doi.org/10.1111/dme.14861
  3. Soziale Ungleichheit und Diabetes mellitus – Zeitliche Entwicklung bei Erwachsenen in Deutschland, Journal of Health Monitoring 2019 4(2); DOI 10.25646/5980
  4. Ryser Rüetschi J, et al.: Fasting glycaemia to simplify screening for gestational diabetes. BJOG. 2016; 123(13): 2219–2222. 
  5. Gross J, et al.: Gestationsdiabetes. Schweiz Med Forum 2017; 17(46): 1009–1014. 
  6. diabetesschweiz, www.diabetesschweiz.ch/ueber-diabetes/diabetesformen/schwangerschaftsdiabetes.html?limit=all&amp;cHash=361844b61332027ca7583a44f32cff86, (letzter Abruf, 17.01.2023) 
  7. Kollmann, M. Gestationsdiabetes und polyzystisches Ovarialsyndrom. J Klin Endokrinol Stoffw 2021; 14, 116–120.

HAUSARZT PRAXIS 2023; 18(1): 34

Autoren
  • Mirjam Peter, M.Sc. 
Publikation
  • HAUSARZT PRAXIS 

Entwicklung und Validierung eines rekalibrierten Prognosemodells (SCORE2-Diabetes) zur Schätzung des 10-Jahres-Risikos für kardiovaskuläre Erkrankungen bei Personen im Alter von über 40 Jahren mit Typ-2-Diabetes in vier verschiedenen europäischen Risikoregionen.

Herz-Kreislauf-Erkrankungen (CVD) sind nach wie vor eine der Hauptursachen für Morbidität und Mortalität in Europa. Allein 2019 wurden fast 13 Millionen neue Fälle registriert [2]. Diabetes mellitus Typ 2 ist ein wichtiger Risikofaktor für CVD. Personen mit Diabetes aus Ländern mit hohem Einkommen haben im Durchschnitt ein 2-fach höheres Risiko, an einer CVD zu erkranken, als Personen ohne Diabetes [3]. Die Europäische Gesellschaft für Kardiologie (ESC) stellt daher Leitlinien zur Verfügung und befürwortet die Abschätzung des CVD-Risikos bei Personen mit Typ-2-Diabetes, um Behandlungsentscheidungen zu treffen [4].

Risikovorhersagemodelle, die in der Primär­prävention von CVD in der Allgemeinbevölkerung eingesetzt werden, schätzen in der Regel das individuelle Risiko über einen Zeitraum von zehn Jahren, indem sie Informationen über gemessene Werte konventioneller CVD-Risikofaktoren (d.h. Alter, Raucherstatus, systolischer Blutdruck sowie Gesamt- und HDL-Cholesterin) und Informationen über den Diabetesstatus integrieren [5–7]. Um den erheblichen Risikovariationen bei Personen mit Diabetes Rechnung zu tragen, wurden jedoch zusätzliche diabetesbezogene Informationen (z.B. Alter bei der Diabetesdiagnose, glykiertes Hämoglobin (HbA1c) und Marker für die Nierenfunktion) in mehrere veröffentlichte Risikomodelle aufgenommen [8–11]. Dennoch weisen die verfügbaren diabetesspezifischen Modelle wichtige potenzielle Einschränkungen auf. Insbesondere sind sie möglicherweise nicht optimal für den Einsatz in den unterschiedlichen Bevölkerungsgruppen Europas geeignet, da sie auf der Grundlage einer begrenzten Anzahl von Beobachtungsstudien und/oder Interventionsstudien entwickelt wurden und nicht systematisch «rekalibriert» (d. h. statistisch angepasst) wurden, um die erheblichen Unterschiede bei den CVD-Raten in den verschiedenen europäischen Ländern widerzuspiegeln [2,11,12]. 

Um diese Einschränkungen zu beheben, hat die ESC eine Initiative zur Erweiterung der regional rekalibrierten europäischen SCORE2-10-Jahres-Risikomodelle [13] ins Leben gerufen, die den Einsatz bei Personen mit Typ-2-Diabetes ermöglicht. Beschrieben wird die Entwicklung, Validierung und Darstellung von SCORE2-Diabetes zur Schätzung des 10-Jahres-Risikos eines nicht-tödlichen Myokardinfarkts, Schlaganfalls oder einer CVD-Mortalität bei Personen mit Diabetes, aber ohne vorherige CVD, im Alter von über 40 Jahren in vier verschiedenen europäischen Risikoregionen [1].

Das SCORE2-Diabetes-Projekt umfasst mehrere Komponenten und Daten­

Für die Modellableitung wurden die ursprünglichen SCORE2-Risikovorhersagemodelle für tödliche und nicht-tödliche CVD-Erkrankungen für die Verwendung bei Personen mit Typ-2-Diabetes angepasst, wobei individuelle Daten von Patienten mit Typ-2-Diabetes, ohne vorangegangene CVD, im Alter von über 40 Jahren, aus dem Scottish Care Information-Diabetes (SCID), Clinical Practice Research Datalink (CPRD), UK Biobank (UKB) und sieben Kohorten aus dem Emerging Risk Factors Collaboration (ERFC) mit verfügbaren Informationen zu diabetesbezogenen Variablen verwendet wurden. Die abgeleiteten Risikomodelle für jede europäische Risikoregion wurden neu kalibriert, wobei die zuvor bei der Entwicklung von SCORE2 verwendeten Methoden angewandt wurden. Es wurde eine externe Validierung bei Personen mit Typ-2-Diabetes in vier Ländern (Schweden, Spanien, Kroatien und Malta) durchgeführt, wobei Daten aus dem Schwedischen Nationalen Diabetesregister (SNDR), dem Informationssystem für die Forschung in der Primärversorgung (SIDIAP, Sistema d’Informació per al Desenvolupament de la Investigació en Atenció Primària) und zwei beitragenden Registern aus dem European Best Information through Regional Outcome in Diabetes (EUBIROD) verwendeten wurden. Darüber hinaus wurde die Variation des CVD-Risikos bei Personen mit Typ-2-Diabetes in den verschiedenen europäischen Regionen veranschaulicht, indem die rekalibrierten Modelle auf Daten aus zeitgenössischen Populationen in jeder Risikoregion angewendet wurden. 

Der primäre Endpunkt waren kardiovaskuläre Ereignisse, definiert als eine Kombination aus kardiovaskulärer Mortalität, nicht tödlichem Myokardinfarkt und nicht tödlichem Schlaganfall. Die Nachbeobachtung erfolgte bis zum ersten nicht-tödlichen Myokardinfarkt, nicht-tödlichen Schlaganfall, Tod oder Ende der Studie bzw. des Registrierungszeitraums. Todesfälle, die nicht auf Herz-Kreislauf-Erkrankungen zurückzuführen waren, wurden als konkurrierende Ereignisse behandelt.

Ableitung des SCORE2-Diabetes-Risikomodells 

Die Modellableitung umfasste insgesamt 229’460 Teilnehmer mit Diabetes und ohne CVD-Vorgeschichte zu Studienbeginn aus SCID, CPRD und ERFC/UKB. Das Durchschnittsalter (SD) bei Studienbeginn betrug 65 (± 11) Jahre für SCID, 64 (± 11) Jahre für CPRD und 60 (± 8) Jahre für ERFC/UKB. Insgesamt waren 122 609 (53,4%) der Teilnehmer in allen Datenquellen männlich. Der Median (5., 95. Perzentil) der Nachbeobachtungszeit in Jahren betrug 10,9 in der SCID, 6,0 in der CPRD und 11,3 in der ERFC/UKB, in denen insgesamt 43’706 CVD-Ereignisse und 28 226 nicht-CVD-bedingte Todesfälle erfasst wurden. Die Assoziation der diabetesbezogenen Variablen nahm mit zunehmendem Alter der Teilnehmer ab. Die Assoziationen waren ähnlich, wenn die ERFC/UKB-Daten ausgeschlossen wurden und wenn ein erweiterter CVD-Endpunkt einschliesslich nicht tödlicher HF und pAVK verwendet wurde.

Die C-Indizes in den Ableitungsdatensätzen betrugen 0,704 (95% CI 0,701, 0,706), 0,733 und 0,666 in SCID, CPRD bzw. ERFC/UKB (Abb. 1) [1]. Bei der externen Validierung betrug der C-Index für SCORE2-Diabetes 0,670 unter Verwendung von Daten von 168 585 Personen mit Diabetes (34’944 CVD-Ereignisse) aus der SNDR und 0,658 unter Verwendung von Daten von 21’698 Personen mit Diabetes (2464 CVD-Ereignisse) aus SIDIAP. Bei Verwendung der EUBIROD-Datensätze mit 3876 Personen aus Malta und 22’821 Personen aus Kroatien mit vollständigen Informationen zu allen Risikoprädiktoren betrug der C-Index 0,661 bzw. 0,688.

Interne und externe Validierung der SCORE2-Diabetes-Modelle

Im Vergleich zu SCORE2 zeigte SCORE2-Diabetes eine verbesserte Risikodiskriminierung bei Personen mit Diabetes, mit Erhöhungen der C-Indizes (95% CI) von 0,021, 0,023 und 0,026 in SCID, CPRD bzw. ERFC/UKB. Etwas geringere Verbesserungen wurden bei SNDR und SIDIAP mit einem Anstieg des C-Indexes um 0,009 bzw. 0,009 festgestellt (Abb. 1) [1]. In den EUBIROD-Datensätzen aus Malta und Kroatien betrug der Anstieg der C-Indizes 0,031 bzw. 0,013. Die C-Indizes waren ähnlich, wenn die eGFR mit verschiedenen Gleichungen berechnet wurde, wurden jedoch leicht abgeschwächt, wenn Personen mit einer eGFR <45 mL/min/1,73 m2 ausgeschlossen wurden. Die Verbesserung der Risikodiskriminierung durch die zusätzlichen diabetesbezogenen Variablen, die in SCORE2-Diabetes enthalten sind (d.h. Alter der Diabetesdiagnose, HbA1c und eGFR), war grösser als die Verbesserung durch die Gesamt- und HDL-Cholesterinkonzentration im selben Modell. SCORE2-Diabetes zeigte auch eine leicht verbesserte Diskriminierung gegenüber dem ADVANCE-Risikoscore.

Die Verwendung von SCORE2-Diabetes anstelle von SCORE2 verbesserte die Risikoklassifizierung und ergab einen kontinuierlichen NRI von 25,2 (95% CI, 22,4, 28,0) in der CPRD und 28,7 in der SNDR. Die Verwendung von SCORE2-Diabetes anstelle von SCORE2 ergab einen kategorialen NRI von 24,6 in der CPRD und 13,7 in der SNDR, wobei ein Nettoanteil von 44,8% bzw. 31,9% der Fälle richtig reklassifiziert wurde.

Übereinstimmung der mit SCORE2 und SCORE2-Diabetes geschätzten Risiken

Nach der Rekalibrierung zeigten die von SCORE2-Diabetes vorhergesagten Risiken eine gute Übereinstimmung mit der erwarteten 10-Jahres-CVD-Inzidenz in jeder Risikoregion und waren im Durchschnitt innerhalb jeder Altersgruppe ähnlich wie die mit SCORE2 ermittelten Risiken. Die von SCORE2-Diabetes vorhergesagten Risiken stimmten auch mit den beobachteten Risiken bei Personen mit Diabetes aus national repräsentativen Datensätzen mit 10-jähriger Nachbeobachtungszeit überein und zeigten eine bessere Kalibrierung als SCORE2. Die Verwendung eines erweiterten CVD-Endpunkts, der nicht-tödliche HF und pAVK einschliesst, führte zu einem absoluten 10-Jahres-Risiko, das etwa 1,15-mal höher war als das mit dem SCORE2-Diabetes-CVD-Endpunkt geschätzte, wobei die Ergebnisse je nach Alter leicht variierten.

Getrennte Risikowerte für Männer und Frauen mit Typ-2-Diabetes

Das geschätzte absolute Risiko für ein bestimmtes Alter und eine bestimmte Kombination konventioneller CVD-Risikofaktoren unterschied sich erheblich je nach Höhe der diabetesbezogenen Variablen (Abb. 2) [1]. Bei Verwendung der Version des SCORE2-Diabetes für eine Region mit mittlerem Risiko betrug beispielsweise das geschätzte 10-Jahres-CVD-Risiko für einen 60-jährigen Nichtraucher mit Diabetes in der Vorgeschichte, durchschnittlichen Werten der konventionellen Risikofaktoren (d. h. systolischer Blutdruck von 140 mmHg, Gesamtcholesterin von 5,5 mmol/L und HDL-Cholesterin von 1,3 mmol/L), HbA1c von 50 mmol/mol, eGFR von 90 mL/min/1,73 m2 und einem Alter bei Diabetesdiagnose von 60 Jahren 11,0%. Für einen ähnlichen Mann mit weniger günstigen diabetesbezogenen Risikofaktoren (d.h. HbA1c von 70 mmol/mol, eGFR von 60 mL/min/1,73 m2 und Alter bei der Diagnose von 50 Jahren) lag das geschätzte Risiko bei 17,2%. Bei einer Frau mit denselben Merkmalen lag das Risiko bei 7,9% bzw. 12,7%. Die Risikoschätzungen variierten aufgrund der Rekalibrierung auch zwischen den europäischen Risikoregionen, wobei ein Mann bzw. eine Frau mit den letztgenannten Risikofaktorwerten ein geschätztes Risiko von 12,9% bzw. 9,8% in der Niedrigrisikoregion und von 31,2% bzw. 34,0% in der Hochrisikoregion hatte (Abb. 2) [1].

Die rekalibrierten SCORE2-Diabetes-Mo­del­le angewandt auf simulierte Daten, die Populationen aus jeder Risikoregion repräsentierten, zeigt eine erhebliche Abweichung der Personen im Alter von 40 bis 79 Jahren mit einem geschätzten Risiko von mehr als 10% je nach Region; von 61% in der Region mit niedrigem Risiko, bis zu 96% in der Region mit sehr hohem Risiko bei Männern bzw. von 51% bis 94% bei Frauen, wobei die Anteile wie erwartet mit dem Alter zunahmen (Abb. 3) [1].

Literatur:

  1. SCORE2-Diabetes Working Group and the ESC Cardiovascular Risk Collaboration: SCORE2-Diabetes: 10-year cardiovascular risk estimation in type 2 diabetes in Europe. Eur Heart J 2023; https://doi.org/10.1093/eurheartj/ehad260.
  2. Timmis A, et al.: European Society of cardiology: cardiovascular disease statistics 2021. Eur Heart J 2022; 43:716–799. https://doi.org/10.1093/eurheartj/ehab892.
  3. Emerging Risk Factors Collaboration: Diabetes mellitus, fasting blood glucose concentration, and risk of vascular disease: a collaborative meta-analysis of 102 prospective studies. Lancet 2010; 375: 2215–2222. https://doi.org/10.1016/S0140-6736(10)60484-9.
  4. Visseren FLJ, et al.: 2021 ESC guidelines on cardiovascular disease prevention in clinical practice. Eur Heart J 2021; 42:3227–3337.
    https://doi.org/10.1093/eurheartj/ehab484
  5. Goff DC, et al.: 2013 ACC/AHA guideline on the assess­ment of cardiovascular risk: a report of the American College of Cardiology/American Heart Association Task Force on Practice Guidelines. Circulation 2014; 129: S49–S73. https://doi.org/10.1161/01.cir.0000437741.48606.98.
  6. WHO CVD Risk Chart Working Group: World health organization cardiovascular disease risk charts: revised models to estimate risk in 21 global regions. Lancet Glob Health 2019; 7: e1332–e1345.
    https://doi.org/10.1016/S2214-109X(19)30318-3
  7. Hippisley-Cox J, Coupland C, Brindle P: Development and validation of QRISK3 risk prediction algorithms to estimate future risk of cardiovascular disease: prospective cohort study. BMJ 2017; 357: j2099. https://doi.org/10.1136/bmj.j2099.
  8. Dziopa K, et al.: Cardiovascular risk prediction in type 2 diabetes: a comparison of 22 risk scores in primary care settings. Diabetologia 2022; 65: 644–656. https://doi.org/10.1007/s00125-021-05640-y.
  9. Read SH, et al.: Performance of cardiovascular disease risk scores in people diagnosed with type 2 diabetes: external validation using data from the national Scottish diabetes register. Diabetes Care. 2018; 41: 2010–2018. https://doi.org/10.2337/dc18-0578
  10. Berkelmans GFN, et al.: Prediction of individual life-years gained without cardiovascular events from lipid, blood pressure, glucose, and aspirin treatment based on data of more than 500,000 patients with type 2 diabetes mellitus. Eur Heart J. 2019; 40: 2899–2906. https://doi.org/10.1093/eurheartj/ehy839.
  11. Kengne AP, et al.: Contemporary model for cardiovascular risk prediction in people with type 2 diabetes. Eur J Cardiovasc Prev Rehabil 2011; 18: 393–398. https://doi.org/10.1177/1741826710394270 
  12. United Kingdom Prospective Diabetes Study Group: The UKPDS risk engine: a model for the risk of coronary heart disease in type II diabetes (UKPDS 56). Clin Sci (Lond) 2001; 101: 671–679. https://doi.org/10.1042/CS20000335.
  13. Hageman S, et al.: SCORE2 Risk prediction algo­rithms: new models to estimate 10-year risk of cardiovascular disease in Europe. Eur Heart J 2021; 42: 2439–2454. https://doi.org/10.1093/eurheartj/ehab309

CARDIOVASC 2023; 22(2): 38–40

Autoren
  • Isabell Bemfert 
Publikation
  • CARDIOVASC 

Neue Möglichkeiten einer modernen Asthmatherapie bei Erwachsenen anhand der kürzlich veröffentlichen neuen Asthmaleitlinie der Deutschen Atemwegsliga wurden in Köln präsentiert.

«Entscheidend für eine gute Asthmatherapie ist eine frühzeitige und korrekte Diagnose der Erkrankung», sagte Buhl. Hier gebe es aber insbesondere im nicht-fachärztlichen Bereich noch gewisse Probleme, zum Beispiel Hinweise auf eine Überdiagnose von Asthma. In einer Studie konnte bei etwa jedem dritten Patienten mit der ärztlichen Diagnose «Asthma» die Erkrankung bei Überprüfung mit Lungenfunktions­tests, unspezifischer Provokation und schrittweiser Reduktion der antiasthmatischen Medikation nicht bestätigt werden, berichtete Buhl. Er erinnerte daran, dass zur Asthma-Diagnose eine spirometrische Lungenfunktionsmessung (vor und nach Bronchodilatation) und eine Methacholinprovokation nötig seien (unter antientzündlicher Dauermedikation möglich!). Mit diesen beiden Tests könne bei 90% der Patienten mit Verdacht auf ein Asthma bronchiale die Erkrankung diagnostiziert oder ausgeschlossen werden.

Nicht vergessen werden sollten ausserdem eine Allergiediagnostik und, vor allem bei schwer Erkrankten, die Messung der Eosinophilen im Blut zum Nachweis eines eosinophilen Asthmas. Hinweise für ein allergisches Asthma sind nach Angaben von Buhl früher Erkrankungsbeginn, allergische Komorbiditäten wie Rhinokonjunktivitis, eine allergenbezogene Symptomatik und erhöhte IgE-Werte. Für ein eosinophiles Asthma sprechen ein später Erkrankungsbeginn, häufige Symptome und Exazerbationen sowie keine relevante Allergie. Viele dieser Patienten haben auch Nasenpolypen und ein eingeschränktes Geruchs- und Geschmacksvermögen.

«Allergisches Asthma nimmt seit Jahrzehnten zu», berichtete Buhl. Laut Querschnittserhebungen in Schweden ist die Asthmaprävalenz bei Erwachsenen von gut 8% im Jahr 1996 auf mehr als 10% im Jahr 2016 gestiegen. Dies sei vor allem auf häufigere aller­gi­sche Asthmaerkrankungen zurückzuführen, während der Anteil eines nicht-allergischen Asthma konstant bei knapp 4% blieb.

Deutscher Stufenplan nach internationalen GINA-Empfehlungen

Der aktuelle Asthmastufenplan in der neuen deutschen Asthmaleitlinie, die Ende des letzten Jahres veröffentlicht worden ist [1], folgt im Wesentlichen den internationalen GINA («Global Initiative for Asthma»)-Empfehlungen. Die Asthmatherapie erfolgt bekanntlich in fünf Stufen, die auch die Asthmaschweregrade bestimmen: leichtgradiges Asthma bedeutet eine gute Asthmakontrolle (bei Erwachsenen ≤2 Symptome/Woche tagsüber und nachts symptomfrei) auf den Therapiestufen 1 und 2, mittelgradiges Asthma entspricht den Stufen 3 und 4 und schwergradiges Asthma Stufe 5.

Wie die GINA empfehlen auch die Experten der Deutschen Atemwegsliga, bereits bei Patienten mit mildem Asthma und seltenen Beschwerden eine Dauertherapie mit inhalativen Kortikosteroiden (ICS) in niedriger Dosis zu erwägen (Stufe 1). «Voraussetzung ist, dass der Patient auch mitspielen will», sagte Buhl. Es gibt Evidenzen, die dieses Therapiekonzept unterstützen, allerdings sei der Nutzen nur moderat. «Laut den Studiendaten müssen Sie zehn Patienten zehn Jahre mit 200–400 µg Budesonid täglich behandeln, um ein schwerwiegendes Ereignis zu verhindern», so der Pneumologe. Die Mortalität der Patienten wurde nicht reduziert. Bei vielen Patienten aus dieser Gruppe wären ICS daher eine «gewisse Übertherapie», sagte Buhl.

Standard ist die niedrig-dosierte ICS-Therapie bei Patienten mit mildem Asthma, die eine Bedarfstherapie mit kurzwirksamen Beta-2-Mimetika (SABA) häufiger als zweimal pro Woche benötigen oder die nachts Beschwerden haben (Stufe 2). Als Alternative werden orale Leukotrien-Rezeptor-Antagonisten (LTRA, z.B. Montelukast) genannt. Reicht dies für eine gute Symptomkontrolle nicht aus, sollte eine Kombinationstherapie mit ICS und langwirksamen Beta-2-Mimetika (LABA) erfolgen – in niedriger Dosis (Stufe 3), bei ungenügendem Ansprechen in mittlerer bis hoher Dosis (Stufe 4). Letzter Schritt ist die Hinzunahme des Anticholinergikums Tiotropium (auch bereits eine Option auf Stufe 4) und die zusätzliche Antikörpertherapie mit Anti-IgE (Omalizumab) bei schwerem allergischen bzw. mit Anti-Interleukin-5 (Mepolizumab, Reslizumab, Benralizumab) bei schwerem eosinophilen Asthma. Eine Dauertherapie mit oralen Kortikoiden, auch in niedriger Dosis, sollte möglichst vermieden werden, betonte Buhl.

Die Stufentherapie sollte je nach Symptomkontrolle eskalierend oder deeskalierend erfolgen. Bei erwachsenen Patienten mit allergischem Asthma und allergischer Rhinitis, die trotz ICS-Therapie unkontrolliert sind (Stufen 3–4), sollte ausserdem eine spezifische Immuntherapie in Betracht gezogen werden, so Buhl. Voraussetzung sei ein Einsekundenwert (FEV1) >70%. Die Wirksamkeit der Allergen-spezifischen Immuntherapie wurde in zwei systematischen Literaturreviews und einer Meta-Analyse erneut dokumentiert [2,3].

Bei Patienten mit schwerem allergischem Asthma, die mit Omalizumab behandelt werden, muss die Therapie nach derzeitiger Studienlage für eine anhaltend gute Symptomkontrolle dauerhaft erfolgen. Der Omalizumab-Effekt hält bei Patienten mit schwerem allergischen Asthma in der Langzeittherapie an. Wird der Antikörper abgesetzt, kommt es nach Einschätzung von Buhl bei mindestens der Hälfte der Behandelten wieder zu einer deutlichen Zunahme der Beschwerden.

Omalizumab ist gut verträglich, anaphylaktische Reaktionen sind laut Buhl die einzigen relevanten Nebenwirkungen. Betroffen seien aber nur 0,2% der Behandelten, und meistens träten Anaphylaxien innerhalb von zwei Stunden nach den ersten drei Injektionen auf. Buhls Rat lautet, die Patienten bei den ersten drei Behandlungen für zwei Stunden und bei weiteren Behandlungen für jeweils 30 Minuten in der Praxis nachzubeobachten. So könnten drei Viertel aller anaphylaktischen Reaktionen gut kontrolliert werden.

Ob für Patienten mit eosinophilem Asthma Interleukin (IL)-5-Blocker infrage kommen, richtet sich nach dem Grad der Eosinophilie. Als Grenzwert gilt eine Eosinophilenzahl ≥300/µl Blut bei zwei unterschiedlichen Messungen, berichtete Buhl. «Mit zunehmender Eosinophilie im Blut steigt die Chance, dass die Patienten auf diese Medikamente ansprechen», so der Pneumologe, was bedeutet, dass das Exazerbationsrisiko deutlich verringert werden kann. Nach den bisherigen Erfahrungen seien alle drei verfügbaren Anit-IL-5-Antikörper mehr oder weniger gleich wirksam. Etwas unterschiedlich sind die Anwendung und die Therapiezyklen. Mepolizumab (s.c.) und Reslizumab (i.v.) müssen alle vier Wochen angewendet werden, Benralizumab (s.c.) nur alle acht Wochen.

«Die Erfolgsstory der Antikörpertherapie bei Patienten mit schwerem Asthma bronchiale wird weitergehen», sagte Buhl. In der Pipeline sind zwei Anti-IL-13-Antikörper (Lebrikizumab, Tralokinumab) und der Anti-IL-4/IL-13-Antikörper Dupilumab, der bei atopischer Dermatitis bereits zugelassen ist. Als vielversprechenden Ansatz nannte Buhl ausserdem den Anti-TSLP (Thymic Stromal Lymphopoietin)-Antikörper, der in Phase-II-Studien bei Patienten mit unkontrolliertem Asthma erfolgreich getestet worden sei.

Last-not-least gibt es bei Patienten mit schwerem Asthma, bei denen alles andere nicht geholfen hat, noch verschiedene Optionen zum Off-label-Einsatz, darunter Antimykotika, Makrolide, Methotrexat und bronchiale Thermoplastie. Insgesamt also eine Vielzahl an Möglichkeiten, um bei (fast) allen Patienten das Asthma weitgehend zu kontrollieren.

Literatur:

  1. Buhl R, et al.: Pneumologie 71(12): 849-919.
  2. Asamoah F, et al.: Clin Transl Allergy 2017; 7: 25.
  3. Dhami S, et al.: Allergy 2017; 72(12): 1825–1848.

HAUSARZT PRAXIS 2018; 13(3): 46–47

Autoren
  • Roland Fath 
Publikation
  • HAUSARZT PRAXIS 

Der Einsatz von Allergen-spezifischer Immuntherapie – auch unter dem Begriff Hyposensibilisierung bekannt – dient der kausalen Behandlung von IgE-vermittelten Allergien. Studien weisen darauf hin, dass sich bei Kindern mit allergischer Rhinitis durch sublinguale Immuntherapie (SLIT) auch der Etagen­wechsel im Sinne eines sekundärpräventiven Therapieeffektes verhindern lässt. Aus aktuellen wissenschaftlichen Untersuchungen geht hervor, dass man möglichst in frühem Lebensalter damit beginnen sollte, um der Entwicklung eines allergischen Asthmas entgegen­zuwirken.

Bei einer Gräserpollenallergie gelangen Inhalationsallergene nicht nur in die Nase, sondern auch in die Bronchien. Wenn die Entzündung der oberen Atemwege zu den tiefergelegenen Atemwegen übertritt, spricht man auch von «Etagenwechsel». Patienten mit allergischer Rhinitis haben ein 3,5-fach höheres relatives Risiko, innerhalb von weniger als 10 Jahren Asthma bronchiale zu entwickeln [1]. Bei einer Grosszahl an Kindern mit unbehandeltem Heuschnupfen entwickelt sich noch vor dem Erwachsenenalter ein Asthma. Die Wirksamkeit von sublingualer Immuntherapie (SLIT) bei durch Gräserpollen verursachter allergischer Rhinokonjunktivitis ist bei Erwachsenen und Kindern umfassend dokumentiert [2]. Aspekte der Sekundärprävention, insbesondere die Verringerung neuer Sensibilisierungen und die Verringerung des Asthmarisikos, sind wichtige Gründe für die Entscheidung, die Behandlung bereits in Kindheit und Jugend einzuleiten. In der randomisiert-kontrollierten doppelverblindeten «Grazax Asthma Prevention» (GAP)-Studie konnte bei 5–12-jährigen Kindern mit allergischer Rhinokonjunktivitis (n=812) ein präventiver Effekt einer sublingualen Immuntherapie hinsichtlich Asthma­entwicklung belegt werden (Abb. 1) [3]. Der Untersuchungszeitraum umfasste 3 Jahre SLIT-Therapie und 2‑Jahre-Follow-up.

Auch die Ergebnisse einer aktuellen «Real World»-Studie, welche anlässlich des diesjährigen EEACI Annual Meeting präsentiert worden waren, deuten darauf hin, dass diese Altersgruppe am meisten von präventiven Effekten einer Allergen-spezifischen Immuntherapie/SLIT profitiert [4].

Sekundärpräventiver Nutzen der SLIT bei 5–12-Jährigen am grössten

In der retrospektiven Kohortenanalyse einer deutschen Längsschnitt-Verschreibungsdatenbank wurden die altersspezifischen Auswirkungen von ≥2 Jahren Allergenimmuntherapie (AIT) auf die Entwicklung eines Asthma bronchiale bei Patienten mit allergischer Rhinitis untersucht [4]. Dabei wurde eine AIT-Gruppe, die mit Gräser-/Getreidepollen-AIT (einschliesslich 7 verschiedener SLIT/SCIT-Produkte) behandelt wurde, verglichen mit einer Kontrollgruppe, welche nur eine symptomatische Behandlung erhalten hatte (Nicht-AIT-Gruppe). In logistischen Regressionsanalysen wurden die Verschreibungen neuer Asthmamedikamente in beiden Gruppen als Indikator für das Auftreten der Krankheit verglichen.

10 033 und 29 774 Patienten mit allergischer Rhinitis ohne Asthma wurden in der AIT- bzw. Nicht-AIT-Gruppe analysiert hinsichtlich altersspezifischer Effekte. Die Altersverteilung war wiefolgt: 5–12 Jahre (33%), 13–17 Jahre (11%), 18–35 Jahre (30%), 36–50 Jahre (26%). Über alle Altersgruppen hinweg entwickelten während oder nach Beendigung der Behandlung in der AIT-Gruppe 13,4% Asthma und in der Nicht-AIT-Gruppe 14,6%. Insgesamt hatte die mit AIT behandelte Gruppe zwar kein geringeres Risiko für die Verschreibungen neuer Asthmamedikamente (Odds Ratio [OR]: 1,001, p=0,989), aber die altersspezifischen Analysen weisen darauf hin, dass der präventive Nutzen der AIT altersabhängig ist. Demnach ist die Wahrscheinlichkeit asthmafrei zu bleiben in der AIT-Gruppe bei den unter 35-Jährigen höher als bei der Kontrollgruppe, was in der Altersgruppe der 35-50-Jährigen nicht der Fall war. Am meisten profitierten die 5–12-Jährigen von präventiven Effekten, hier erwies sich das Risiko einer neuen Verschreibung von Asthmamedikamenten in der AIT-Gruppe als signifikant verringert im Vergleich zur Kontrollgruppe (Abb. 2) [4].

Weitere Analysen ergaben, dass die AIT-Anwendungsform und der Allergiestatus eine Relevanz haben. So wurde nur bei den mit SLIT behandelten Patienten (n=1833) über alle Altersgruppen hinweg ein signifikant verringertes Risiko für die Verschreibung eines neuen Asthmamedikamentes festgestellt, am stärksten ausgeprägt war dieser Effekt bei den 5-12-Jährigen (OR: 0,690, p=0,006). Eine weitere Erkenntnis war, dass monoallergische Patienten stärker profitierten als Patienten mit mehrfachen Allergien.

Prinzip der allergenspezifischen Immuntherapie: Immunsystem wird trainiert

Zusammenfassend zeigen die vorliegenden Studiendaten bei Gräserpollenallergikern einen Trend zu altersspezifischen Effekten in Bezug auf die Verringerung des Risikos, dass während und nach SLIT-Therapie eine Indikation für ein Asthmamedikament gegeben ist. Kinder und monoallergische Jugendliche scheinen am meisten von diesem sekundärpräventiven Effekt zu profitieren. Es könnte daher ratsam sein, mit der SLIT bereits in einem frühen Lebensalter zu beginnen. Das Prinzip der AIT besteht darin, dass durch die Gabe von Allergenextrakten spezifische blockierende Antikörper, toleranzinduzierende Zellen und Botenstoffe aktiviert werden, die eine weitere Verstärkung der durch Allergene ausgelösten Immunantwort verhindern, die spezifische Immunantwort blockieren und die Entzündungsreaktion im Gewebe dämpfen [2]. Bei der sublingualen Immuntherapie (SLIT) erfolgt die Hyposensibilisierung in Form von Tabletten, die der Allergiker in der Regel täglich einnimmt. Bei der subkutanen Immuntherapie (SCIT) wird das Allergen von einem Allergologen unter die Haut gespritzt. Zunächst erhalten die Patienten nur eine sehr geringe Menge des Aller­gens, wodurch bestimmte Bestandteile des Immunsystems aktiviert werden, die in die überschiessende Immunantwort involviert sind [5]. Im Verlauf der weiteren AIT-Therapie wird die Allergenmenge allmählich gesteigert, bis schliesslich die höchste Dosis erreicht wird. Dadurch kann langfristig eine Toleranz gegen das betreffende Allergen erreicht werden, sodass die allergische Reaktion bei erneutem Kontakt sehr viel schwächer verläuft. Insgesamt sollte die AIT über mindestens drei Jahre durchgeführt werden. Wird die Allergie durch Pollen hervorgerufen, erfolgt die Hyposensibilisierung normalerweise bereits mehrere Monate vor Beginn der Pollensaison.

Kongress: EEACI Annual Meeting

Literatur:

  1. Shaaban R, et al.: Rhinitis and onset of asthma: a longitudinal population-based study. Lancet 2008; 372: 1049–1057.
  2. Pfaar O, et al.: Guideline on allergen-specific immuno­therapy in IgE-mediated allergic diseases: S2k guideline of the German society for allergology and clinical immunology (DGAKI), GPA, AeDA, ÖGAI, SGAI, DDG, DGHNO-KHC, DGKJ, GPP, DGP, BV-HNO, BVKJ, BDP, BVDD. Allergo J Int 2014; 23: 282–319.
  3. Valovirta E, et al.: GAP investigators. Results from the 5-year SQ grass sublingual immunotherapy tablet asthma prevention (GAP) trial in children with grass pollen allergy. J Allergy Clin Immunol 2018; 141(2): 529–538.e13.
  4. Zieglmayer P: 100048 – Age-specific effects of grass pollen allergen immunotherapy in reducing the risk for new onset asthma: a real world dataset analysis, 01.–03.07.2022
  5. Lungeninformationsdienst: Hyposensibilisierung, www.lungeninformationsdienst.de, (letzter Abruf 17.08.2022)

HAUSARZT PRAXIS 2022; 17(9): 28–30

Autoren
  • Mirjam Peter, M.Sc. 
Publikation
  • HAUSARZT PRAXIS 

Asthmaähnliche Symptome sind in der frühen Kindheit häufig zu beobachten und v.a. bei jungen Kindern oftmals Grund einer Hospitalisation. Risikofaktoren für ein solches Auftreten gibt es viele – Ansätze, ihnen bei Säuglingen bis zum Vorschulalter zu begegnen und einem späteren adulten Asthma vorzubeugen, wurden auf dem ERS-Kongress in Barcelona präsentiert.

Frühere Forschungsergebnisse deuten darauf hin, dass atopische Dermatitis und allergische Sensibilisierung Hauptrisikofaktoren für die Entwicklung von Asthma sind. Norwegische Wissenschaftler um Anine Lie vom Oslo University Hospital untersuchten, ob die Primärprävention durch Hautweichmacher und die frühzeitige Einführung allergener Lebensmittel das Asthmarisiko bei Vorschulkindern verringert [1].

2397 Säuglinge aus der Allgemeinbevölkerung in Norwegen und Schweden wurden bei der Geburt randomisiert entweder keiner Intervention, einer Hautintervention (regelmässige Hautweichmacher wie Öle und Hautcremes im Alter von 2 bis 32 Wochen) oder Ernährungsintervention (Exposition gegenüber Erdnüssen, Kuhmilch, Weizen, Ei ab einem Alter von drei Monaten) zugeteilt oder erhielten beide Eingriffe. Asthma wurde definiert durch das Eintreten von mindestens zwei der drei Kriterien:

  1. ≥3 Episoden von Bronchialobstruktion
  2. ärztliche Diagnose von Asthma
  3. Einnahme von Asthmamedikamenten nach dem 9. Lebensmonat

Die Kriterien wurden in Fragebögen alle 3–6 Monate im Alter von 3–36 Monate angegeben. Der primäre Endpunkt war Asthma im Alter von drei Jahren nach Intention-to-treat (ITT).

Asthmarisiko konnte nicht reduziert werden

Die Gesamtprävalenz von Asthma nach drei Jahren betrug 13,2%. 69 von 488 Patienten (14,1%) in der Gruppe ohne Intervention, 53 von 418 (12,7%) mit Hautintervention, 70 von 510 (13,7%) mit Ernährungsintervention und 53 von 437 (12,1%) mit beiden Interventionen. Das Asthmarisiko wurde durch die Interventionen nicht signifikant beeinflusst, mit einer ITT-Haupteffekt-Risikodifferenz von 2,7% (95%-KI 1,3–6,8) bzw. –0,5% (95%-KI 5,2–4,3) durch Haut- bzw. Nahrungsmittelintervention. Es wurde kein signifikanter Interaktions-Effekt beobachtet (p=0,63).

Primärpräventionsstrategien, die darauf abzielen, atopische Dermatitis und/oder Nahrungsmittelallergien zu reduzieren, können das Asthmarisiko im Alter von drei Jahren nicht reduzieren, schlussfolgern die norwegischen Wissenschaftler.

Pollenexposition im Kindesalter kann für Asthma relevant sein

Pollenexposition wird bei Kindern und Erwachsenen mit respiratorischen Symptomen in Verbindung gebracht. Der Zusammenhang zwischen Pollenexposition und respiratorischen Symptomen im Säuglingsalter, einer besonders gefährdeten Zeit, bleibt jedoch unklar. PD Dr. Jakob Usemann und Kollegen vom Universitäts-Kinderspital beider Basel untersuchten, ob Pollenexposition mit respiratorischen Symptomen bei Säuglingen assoziiert ist und ob mütterliche Atopie, das Geschlecht des Säuglings oder Luftverschmutzung diese Assoziation verändern [1].

Sie untersuchten 14 874 Observationen von 401 gesunden Säuglingen der Basel-Bern Infant Lung Development (BILD)-Kohorte. Der Zusammenhang zwischen Pollenexposition und respiratorischen Symptomen, der in wöchentlichen Telefoninterviews erhoben wurde, wurde unter Verwendung von verallgemeinerten additiven gemischten Modellen (GAMM) evaluiert. Die Effektmodifikation durch mütterliche Atopie, das Geschlecht des Säuglings und die Luftverschmutzung (NO2, PM2.5) wurde mit Interaktions-Termen bewertet.

Pro Säugling wurden während des Analysezeitraums (Januar bis September) 37 ± 2 (Mittelwert ± Standardabweichung) Atemwegs­symptom-Scores bewertet. Die Pollenexposition war tagsüber (RR [95%-KI] pro 10% Pollen/m3: kombiniert 1,006 [1,002, 1,009]; Baum 1,005 [1,002, 1,008]; Gras 1,009 [1,000, 1,23]) und während der Nacht (kombiniert 1,003 [0,999, 1,007]; Baum 1,003 [0,999, 1,007]; Gras 1,014 [1,004, 1,024]) mit vermehrten respiratorischen Symptomen verbunden. Während es keine Effektmodifikation durch mütterliche Atopie und das Geschlecht des Kindes gab, zeigte sich eine komplexe Crossover-Interaktion zwischen kombinierten Pollen und PM2.5 (p-Wert 0,002) (Abb. 1).

Bereits im ersten Lebensjahr war eine Pollenexposition unabhängig von der mütterlichen Atopie und dem kindlichen Geschlecht mit einem erhöhten Risiko für respiratorische Symptome verbunden, so der Referent. Da das Säuglingsalter eine besonders vulnerable Zeit für die Lungenentwicklung ist, könne die identifizierte nachteilige Wirkung der Pollenexposition für die Entwicklung von chronischem Asthma im Kindesalter relevant sein.

Altersabhängige Muster identifiziert

Julie Nyholm Kyvsgaard von der COpenhagen Prospective Studies on Asthma in Childhood (COPSAC)-Einheit am University Hospital in Kopenhagen und ihre Kollegen nahmen zum Anlass, dass zwar Episoden von asthmaähnlichen Symptomen bei kleinen Kindern häufig sind, aber über Risikofaktoren und Muster der täglichen Symptombelastung wenig bekannt ist. Sie untersuchten mögliche Risikofaktoren und ­deren altersbedingten Einfluss auf die Anzahl asthmaähnlicher Episoden im Alter von 0–3 ­Jahren [1].

Die Studienpopulation umfasste 700 Kinder aus der COPSAC2010-Mutter-Kind-Kohorte, die prospektiv von Geburt an mit asthmaähnlichen Symptomen, die von den Eltern in täglichen Tagebüchern aufgezeichnet wurden, bis zum Alter von drei Jahren begleitet wurden. Zu den Symptomen zählten Husten, Wheeze, Kurzatmigkeit/Dyspnoe. Risikofaktoren wurden durch Quasi-Poisson-Regressionen analysiert, die die Interaktion mit dem Alter untersuchten. Als Episode wurde eine asthmaähnliche Sym­ptomatik über ≥3 aufeinanderfolgende Tage definiert, einzelne Episoden mussten von ≥3 Tagen ohne Symptome unterbrochen sein.

662 Kinder hatten verfügbare Tagebuchdaten mit einer medianen Prävalenz von fünf asthmaähnlichen Episoden während der ersten drei Lebensjahre (Interquartile Range, IQR, 2–11). Ein Peak zeigte sich im Laufe des zweiten Lebensjahres. Auch war ein saisonales Muster erkennbar, mit einem Peak in der Wintersaison. Die mediane Dauer einer Episode betrug fünf Tage (IQR 3–10). Mütterliches Asthma, mütterlicher Antibiotikagebrauch, niedriges Geburtsgewicht, männliches Geschlecht, hoher polygener Asthma-Risiko-Score und hoher Atemwegs-Immun-Score sagten in einer multivariablen Analyse eine höhere Anzahl von Episoden voraus (Tab. 1). 

Für jeden zusätzlichen klinischen Risikofaktor, den ein Kind hatte, fanden die dänischen Forscher eine um 34% erhöhte Anzahl von Episoden (Geschlecht, Geburtsgewicht, mütterliches Asthma, Inzidenzverhältnis 1,34; 95%-KI 1,21–1,48; p<0,001). Mütterliches Asthma, Frühgeburt, Kaiserschnitt, niedriges Geburtsgewicht und Geschwister bei der Geburt interagierten signifikant mit dem Alter (p<0,05), was eine zunehmende Anzahl von Episoden im 1., 2. und 3. Lebensjahr für alle ausser Kinder mit Geschwistern zeigt, wo die Symptomlast mit dem Alter abnahm.

Dank der Tagebuchaufzeichnungen von asthmaähnlichen Symptomen in den ersten drei Lebensjahren konnten die Wissenschaftler Risikofaktoren der Symptomlast mit unterschiedlichen altersabhängigen Mustern identifizierten. Dies biete neue Einblicke in den Ätiologie früher asthmatischer Symptome und könnte dem Kliniker bei der Identifizierung von Risikopatienten und ggf. der Initiierung einer frühen Therapie helfen, so die Referentin abschliessend.

Kongress: ERS-Kongress 2022

Quellen:

  1. Oral presentation: Early childhood risk factors for wheezing and later asthma. Kongress der European Respiratory Society, Barcelona, 4.9.2022.
  2. Gisler A, Eeftens M, de Hoogh K, et al.: Pollen exposure is associated with risk of respiratory symptoms during the first year of life. Allergy 2022; doi: 10.1111/all.15284.

InFo PNEUMOLOGIE & ALLERGOLOGIE 2022; 4(4): 20–21 (veröffentlicht am 1.12.22, ahead of print)

Autoren
  • Jens Dehn 
Publikation
  • INFO PNEUMOLOGIE & ALLERGOLOGIE

Bluttests für die Alzheimer-Diagnostik sind auf dem Vormarsch. Begleitend wird die Notwendigkeit von Alzheimer-Biomarkern immer grösser, um die richtige Diagnose in einer grösseren Anzahl von Fällen zu stellen. Zu den nächsten Schritten gehört zudem die Festlegung klarer Leitlinien dafür, wie ein Alzheimer-Bluttest in der klinischen Praxis eingesetzt werden kann, vorzugsweise durch Einführung dieser Tests zunächst in der fachärztlichen Versorgung und dann in der Primärversorgung.

Hochpräzise Bluttests für die Alzheimer-Krankheit rücken näher an den Einsatz in Arztpraxen heran. Neue Forschungsergebnisse deuten darauf hin, dass sie die Genauigkeit der Diagnose revolutionieren und einen saubereren, schnelleren Weg zur Teilnahme an der Forschung und zur Behandlung bieten könnten. Demenz wird häufig unterdiagnostiziert – und wenn sie von einem Arzt diagnostiziert wird, wissen viele Menschen dennoch nichts von ihrer Diagnose oder sind nicht darüber informiert, so der Bericht «Alzheimer’s Disease Facts and Figures 2024». Bluttests für die Alzheimer-Diagnose zeigen in der Forschung, dass sie die Genauigkeit und das Vertrauen des Arztes erheblich verbessern und eine bessere Zugänglichkeit sowie eine Plattform für eine verbesserte Kommunikation bieten könnten. Die vielversprechendsten Bluttests zur Erkennung von Alzheimer-bedingten Veränderungen im Gehirn messen das phosphorylierte Tau-Protein (p-tau), einen Alzheimer-Biomarker, der sich aufbauen kann, bevor Patienten Anzeichen einer kognitiven Beeinträchtigung zeigen. Die Zunahme des spezifischen Markers p-tau217 im Laufe der Zeit korreliert mit der Verschlechterung der kognitiven Fähigkeiten und der Hirnatrophie. Der p-tau217-Test sagt auch die Wahrscheinlichkeit von Amyloid-Plaques im Gehirn voraus, die ein weiterer Biomarker für die Alzheimer-Krankheit sind und auf die kürzlich zugelassenen Behandlungen abzielen.

«Bluttests, die (a) in grossen Populationen eine Genauigkeit von mehr als 90% aufweisen und (b) in grösserem Umfang zur Verfügung stehen, versprechen eine Verbesserung und möglicherweise eine Neudefinition des Rekrutierungsprozesses für klinische Studien und der Diagnostik der Alzheimer-Krankheit», sagte Dr. Maria C. Carrillo, Chief Science Officer und Leiterin der Abteilung für medizinische Angelegenheiten der Alzheimer’s Association. «Während Ärzte in der Primär- und Sekundärversorgung derzeit eine Kombination aus kognitiven Tests und Bluttests oder anderen Biomarkern zur Diagnose von Alzheimer verwenden sollten, haben Bluttests das Potenzial, die Genauigkeit von Frühdiagnosen zu erhöhen und die Chance zu maximieren, so früh wie möglich auf Alzheimer-Behandlungen zuzugreifen, um bessere Ergebnisse zu erzielen.» Wenn der Einsatz eines Bluttests in Erwägung gezogen wird, sollten die «Alzheimer’s Association Appropriate Use Recommendations for Blood Biomarkers in Alzheimer‘s Disease» sorgfältig beachtet werden. Um den Angehörigen der Gesundheitsberufe bei der Einbeziehung von Bluttests für Alzheimer in ihre klinische Praxis zu helfen, hat die Vereinigung ein Gremium aus klinischen und fachlichen Experten einberufen und leitet die Ausarbeitung von Leitlinien für die klinische Praxis zur Verwendung von Blut-Biomarkern bei Alzheimer. 

Studie unterstützt Bluttests

Eine grosse Studie zeigt, dass Bluttests die Alzheimer-Krankheit besser erkennen können als Haus- und Fachärzte, die herkömmliche Diagnosemethoden anwenden. In der Studie wurden 1213 Patienten mit dem PrecivityAD2-Test (bekannt als APS2) getestet. Er verwendet eine Kombination aus dem Verhältnis von phosphoryliertem zu nicht phosphoryliertem Tau217 im Plasma (bekannt als %p-tau217) und dem Verhältnis von zwei Amyloidarten (Aβ42/Aβ40) und übertraf in dieser Studie die Ergebnisse der Kliniker deutlich. Bei 698 Patienten, die in Gedächtniskliniken untersucht wurden, konnte APS2 die Alzheimer-Krankheit mit einer Genauigkeit von rund 90% identifizieren, während die Genauigkeit der Spezialisten bei 73% lag. Bei 515 Patienten, die von Hausärzten untersucht wurden, lag die APS2-Genauigkeit ebenfalls bei rund 90%; Hausärzte erkannten die Alzheimer-Krankheit zu 63%. Die Forscher stellten fest, dass der APS2-Test auch bei Patienten mit Begleiterkrankungen, wie z.B. Nierenerkrankungen, die bei älteren Patienten häufig vorkommen, eine hohe Genauigkeit aufwies. «Dies sind die Ergebnisse von Blutproben, die alle zwei Wochen von Hausärzten zur Analyse eingesandt wurden, was der klinischen Routinepraxis entspricht», sagte der Hauptautor Sebastian Palmqvist, M.D., Ph.D., von der Universität Lund, Lund, Schweden. «Diese Ergebnisse sind besonders beeindruckend, wenn man bedenkt, dass ältere Menschen in der Primärversorgung häufig an Krankheiten leiden, die die Konzentrationen von p-tau217 beeinflussen oder verändern können.»

Frühdiagnose im Fokus

Die Einbeziehung von Menschen in früheren Stadien der Alzheimer-Krankheit in klinische Studien könnte möglicherweise dazu beitragen, Behandlungen zu identifizieren, die wirksam sind. Eine Studie ergab, dass p-tau217-Bluttests ein einfaches und genaues Auswahlinstrument zur Identifizierung kognitiv nicht beeinträchtigter Patienten sein könnten, die wahrscheinlich Amyloid-Beta-Plaques in ihrem Gehirn haben. Die Forscher analysierten Proben von 2718 kognitiv nicht beeinträchtigten Teilnehmern aus 10 verschiedenen Studien. Sie fanden heraus, dass p-tau217 im Plasma die Wahrscheinlichkeit positiv vorhersagen kann (mit einer Spanne von 79–86%), dass eine kognitiv nicht beeinträchtigte Person auch bei einer Amyloid-PET-Untersuchung oder einem Liquor-Biomarker positiv auf Amyloid-beta-Pathologie getestet würde. Werden die Ergebnisse des Amyloid-Beta-Liquor-Tests oder eines Amyloid-Beta-PET-Scans der Analyse nach einer positiven Blutprobe hinzugefügt, verbessert sich die positive Vorhersage auf 90% oder mehr. «Wenn diese Zahlen Bestand haben und von anderen unabhängigen Labors wiederholt und bestätigt werden, könnte dieser Ansatz die Notwendigkeit von Lumbalpunktionen und PET-Scans für die Alzheimer-Diagnose um 80 oder sogar 90% reduzieren», sagte Gemma Salvadó, Ph.D., Hauptautorin der Studie und assoziierte Forscherin an der Universität Lund. Die Ergebnisse sprechen dafür, dass die p-tau217-Positivität im Plasma allein für die Auswahl kognitiv nicht beeinträchtigter, Amyloid-positiver Teilnehmer für viele klinische Studien ausreichen könnte.

Quelle: Alzheimer’s Disease Blood Tests Could Improve Diagnosis in Primary Care, Speed Recruiting for Research and Reduce Wait Times. AAIC 2024.

Kongress: Alzheimer’s Association International Conference (AAIC)

InFo NEUROLOGIE & PSYCHIATRIE 2024; 22(4): 32 (veröffentlicht am 26.8.24, ahead of print)

Autoren
  • Leoni Burggraf 
Publikation
  • INFO NEUROLOGIE & PSYCHIATRIE 

Nach Rücksprache mit der US-amerikanischen Food and Drug Administration (FDA) plant der Hersteller Biogen, Aducanumab zur Zulassung einzureichen. Die Phase-3-Studie EMERGE erreichte ihren primären Endpunkt und zeigte eine signifikante Reduzierung der klinischen Verschlechterung.

Aducanumab ist ein Prüfpräparat, das zur Behandlung der frühen Alzheimer-Krankheit untersucht wurde. Patienten, die den monoklonalen Antikörper verabreicht bekamen, zeigten demnach signifikante Vorteile in Bezug auf Kognition und Funktionsmessungen wie Gedächtnis, Orientierung und Sprache. Auch zeigten sich Verbesserungen bei Aktivitäten des täglichen Lebens, einschliesslich der Durchführung persönlicher Finanzen, Haushaltsaufgaben und beim selbstständigen Verlassen des Hauses. Im Falle einer Zulassung würde Aducanumab als erste Therapie die klinische Verschlechterung der Alzheimer-Krankheit verringern und als erste Therapie nachweisen, dass die Entfernung von Amyloid Beta zu besseren klinischen Ergebnissen führt.

EMERGE und ENGAGE waren multizentrische, randomisierte, doppelblinde, placebokontrollierte Parallelgruppenstudien der Phase 3 zur Bewertung der Wirksamkeit und Sicherheit von Aducanumab. Das Hauptziel der Studien bestand darin, die Wirksamkeit der monatlichen Dosen von Aducanumab im Vergleich zu Placebo bei der Verringerung der kognitiven und funktionellen Beeinträchtigung zu bewerten, gemessen anhand der Veränderungen des CDR-SB-Scores. Sekundäres Ziel war es, die Wirkung von monatlichen Dosen von Aducanumab im Vergleich zu Placebo auf den klinischen Rückgang zu bewerten, gemessen mit MMSE, ADAS-Cog 13 und ADCS-ADL-MCI. Im März 2019 wurden die Studien nach den Ergebnissen einer vordefinierten Futility-Analyse, die auf einem früheren und kleineren Datensatz beruhte, abgebrochen.

Dass man sich nun für den Zulassungsantrag entschieden hat, basiert auf einer neuen Analyse, die von Biogen in Absprache mit der FDA durchgeführt wurde. Untersucht wurde ein grösserer Datensatz aus den Studien. Diese neue Auswertung enthält zusätzliche Daten, die erst nach der vorab festgelegten Futility-Analyse verfügbar wurden. Sie zeigt, dass Aducanumab pharmakologisch und klinisch aktiv ist, gemessen an dosisabhängigen Effekten bei der Reduzierung von Hirnamyloid und bei der Reduzierung der klinischen Verschlechterung. In beiden Studien stimmte das Sicherheits- und Verträglichkeitsprofil von Aducanumab mit früheren Studien zu Aducanumab überein.

Auf der Grundlage von Gesprächen mit der FDA plant Biogen, Anfang 2020 eine Biologics License Application (BLA) einzureichen. Die BLA-Einreichung wird Daten aus den Phase-1- und -1b-Studien sowie den vollständigen Datensatz aus den Phase-3-Studien enthalten. Das Unternehmen beabsichtigt, Patienten, die für eine Behandlung infrage kommen und zuvor in Phase-3-Studien, der Langzeit-Verlängerung für die Phase-1b-PRIME-Studie und der EVOLVE-Sicherheitsstudie eingeschrieben waren, Zugang zu Aducanumab zu bieten.

Quelle: Biogen

InFo SCHMERZ & GERIATRIE 2019; 1(1): 39