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Eine erfolgreiche Schlaganfallbehandlung erfolgt in dezidierten Zentren (Stroke Units und Stroke Centers) durch ein erfahrenes und spezialisiertes Team. Behandlungsstandard in der Akutphase sind die systemische Thrombo­lyse und bei Verschluss eines proximalen Gefässes die endovaskuläre Thrombektomie. Der Erfolg der Behandlung ist stark zeitabhängig. Deshalb sind eine frühzeitige Erkennung von Schlaganfallsymptomen und die rasche ­Zuweisung in ein Spital, das eine entsprechende Expertise in der Akutbehandlung hat, essenziell.

Der ischämische Schlaganfall ist gekennzeichnet durch das akute Auftreten eines fokal neurologischen Defizits infolge einer umschriebenen Minderdurchblutung des Gehirns. Mit ca. 150 Ereignissen pro 100’000 Einwohner pro Jahr ist er die dritthäufigste Todesursache in den industrialisierten Ländern und die häufigste Ursache für eine dauerhafte Behinderung im Erwachsenenalter. Knapp die Hälfte der Überlebenden bleibt invalid und/oder pflegebedürftig. Eine notfallmässige Behandlung der Patienten mit Schlaganfall führt nachweislich zu einer Verbesserung der Überlebenschancen und zu einer Verminderung von Behinderung und Invalidität.

Pathophysiologie: Penumbra/Infarktkern

Zur Aufrechterhaltung der Zellstruktur ist der Strukturstoffwechsel notwendig. Wird dieser nicht erreicht, treten irreversible Schäden der Zelle auf. Darüber hinaus wird im FunktionsstoffwechselEnergie für die aktive Tätigkeit der neuronalen Funktion erbracht. Bei Unterschreiten der Ischämieschwelle kommt es zum Versagen des Funktionsstoffwechsels mit Störung der elektrischen neuronalen Funktionen und klinischen Symptomen. Die Funktionsstörung ist primär reversibel, wenn die normale Durchblutung rasch wiederhergestellt wird. Normalerweise ist die Durchblutungs­störung im Zentrum (Infarktkern) ausgeprägter als in der Randzone (Penumbra), wo eine Restmenge Blut über Kollateralen fliesst. Im Laufe der Zeit kommt es zu einer allmählichen Vergrösserung des Infarktkernes auf Kosten der Penumbra. Wie schnell dieser Prozess abläuft, ist sehr variabel und vor allem von der Kollateralisierung abhängig.

Heute besteht in der Akutsituation die Möglichkeit, mit multimodaler Bildgebung (CT, MRI) die Grösse der Penumbra und des Infarktkerns abzuschätzen (Abb. 1). Diese Information ist vor allem bei Grenz­entscheiden von therapeutischer Relevanz. Zusätzlich kann die multimodale Bildgebung in der Abgrenzung von sog. «Stroke mimics» (Erkrankungen, die das Bild eines ischämischen Schlag­anfalls ­vortäuschen) wertvolle Informationen liefern und somit nicht indizierte Akuttherapien verhindern (Abb. 2).

Klinische Klassifikation des ischämischen Schlaganfalls

Die Symptome des ischämischen Hirninfarktes werden klinisch (Oxford Community Stroke Project Classification) in solche des vorderen, respektive des hinteren Kreislaufes sowie in lakunäre Syndrome unterteilt. Im vorderen Kreislauf unterscheidet man je nach Ausdehnung des Infarktareals ein «Total Anterior Circulation Syndrome» (TACS, 16%) von einem «Partial Anterior Circulation Syndrome» (PACS, 32%). Davon wird das «Posterior Circulation Syndrome» (POCS, 21%) abgegrenzt. Liegt ein rein motorisches, sensibles, sensomotorisches oder ataktisches Hemisyndrom ohne kortikale Zeichen (Aphasie, Neglect) vor, spricht man von einem lakunären Syndrom (LACS, 31%) [2].

Infarkt-Ätiologie

Es gibt verschiedene ätiologische Klassifikationen des ischämischen Schlaganfalls, wobei die TOAST Klassifikation die bekannteste ist. Sie unterteilt den Schlaganfall in:

  1. Makroangiopathie: atherosklerotisch bedingte Ursache des Schlaganfalls. In der Regel eine ­symptomatische >50% Gefässstenose der hirn­versorgenden Gefässe.
  2. Kardial embolisch: Nachweis mindestens einer relevanten kardialen Emboliequelle (z.B. Vorhofflimmern).
  3. Mikroangiopathie: Subkortikal gelegene Hirn­infarkte mit einem Durchmesser <15 mm.
  4. Andere Ätiologie: Zum Beispiel Gefässdissektion, Gerinnungsstörungen.
  5. Unklare Ätiologie: Wenn keine Ursache oder ­mehrere konkurrierende Ursachen gefunden werden [3].

Eine neuere und differenziertere Klassifikation ist die ASCOD-Klassifikation, die 2009 vorgeschlagen [4] und 2013 in überarbeiteter Version vorgelegt wurde [5]. Sie erfasst und gewichtet alle möglichen Ursachen eines Schlaganfalles. Dabei werden fünf Phänotypen A(«atheromatosis»/Makroangiopathie), S («small-vessel disease»/Mikroangiopathie), C(«cardiac»/Kardiopathie), O («other cause»/andere Ursache) und D («dissection»/Dissektion) mit jeweils drei Graden von Kausalität unterschieden. Diese sind: 1. Erkrankung vorhanden und potenzielle Ursache, 2. Erkrankung vorhanden, aber Kausalität ungewiss, 3. Erkrankung vorhanden, Kausalität unwahrscheinlich, 0. Erkrankung nicht vorhanden, 9. Ungenügende Abklärungen, um eine Einteilung vornehmen zu können. Dazu ist ein minimaler Abklärungsstandard definiert. Vorteile gegenüber der TOAST-Klassifikation sind: Keine starre Gruppierung, keine kryptogene Gruppe, differenzierte Gewichtung in drei Stufen.

Ein anderes neueres ätiologisches Konzept ist der kryptogen embolische ischämische Schlaganfall, der «Embolic Stroke of Undetermined Source» (ESUS). Die operationale Definition umfasst eine bildgebende Diagnostik mit Ausschluss von lakunären Infarkten. Ausserdem müssen durch Ultraschall, CTA oder MRA hämodynamisch relevante Stenosen der hirnversorgenden Gefässe im Gefässgebiet des aktuellen Infarkts ausgeschlossen werden. Die minimale kardiale Diagnostik zum Ausschluss von Vorhofflimmern ist ein 24-Stunden-Holter-Monitoring [6]. Da die meisten Schlaganfälle, welche die ESUS-Kriterien erfüllen, wahrscheinlich embolischer Natur sind und für diese Entität bislang keine gezielten Sekundärpräven­tions­studien durchgeführt worden sind, laufen gerade zwei grosse randomisierte Studien mit direkten oralen Antikoagulanzien (Dabigatran bzw. Rivaroxaban) versus Acetylsalicylsäure.

Akuttherapie

Prähospitalisations-Phase: Da die erfolgreiche Akutbehandlung von Patienten mit einem ischämischen Hirninfarkt sehr stark abhängig von der Latenz zwischen Symptombeginn und Behandlungsbeginn ist («time is brain»), kann das rasche Erkennen und Reagieren auf die Symptome des Schlaganfalls das Behandlungsergebnis massgeblich beeinflussen. Dies gilt für die Bevölkerung genauso, wie für das medizinische Personal. Häufigste Symptome des akuten Schlaganfalls sind plötzlich auftretende motorische oder sensible Halbseitensyndrome, Sprachstörungen, Gesichtsfelddefekte oder Doppelbilder, Koordinationsstörungen und auch Schwindel (Tab. 1). Bei Auftreten dieser Symptome sollte schnellstmöglich der Rettungsdienst alarmiert (Telefon 144) und der Transport ins Spital erfolgen, bevorzugt in ein spezialisiertes Zentrum mit einem Akut-Behandlungsauftrag im Rahmen eines Schlaganfallnetzwerkes.

Die wichtigsten Gründe einer Zeitverzögerung in der Prähospitalphase sind das fehlende Wissen der Bevölkerung und/oder das fehlende Erkennen von Schlaganfallsymptomen sowie die ungenügende Kanalisierung des Transportes zum nächsten Spital mit der Möglichkeit einer Schlaganfallakutbehandlung. In der Schweiz hat die geografisch gut verteilte Zertifizierung von aktuell 9 Schlaganfallzentren und 14 Stroke Units mit der erforderlichen Bildung von Schlaganfallnetzwerken zu einer flächendeckenderen und fachlich besseren Versorgung von Schlaganfallpatienten geführt. Trotzdem dauert es immer noch häufig deutlich über eine Stunde bis der Schlaganfallpatient einer Akuttherapie zugeführt werden kann.

Zu den Sofortmassnahmen vor Ort gehören: Eine 30° Oberkörperhochlagerung bzw. eine stabile Seitenlage bei Aspirationsgefahr. Ein Puls- und Blutdruckmonitoring, wobei hypertensive Blutdruckwerte nicht behandelt werden sollten, solange keine kritische Blutdruckgrenze (systolisch >220 mmHg) überschritten ist. Eine Bestimmung des kapillaren Blutzuckers, das Freihalten der Atemwege und eine zusätzliche Oxygenierung (2–4 L Sauerstoff über die Nasenbrille) sollten angestrebt werden. Zudem sollte eine peripher intravenöse Leitung gelegt werden. Die primäre Gabe von Aspirin wird nicht empfohlen, da in der Prähospitalisations-Phase nicht zwischen den einzelnen Subtypen des Schlaganfalls, der zu 80–85% ischämisch und zu 15–20% durch Hämorrhagien bedingt ist, unterschieden werden kann.

Hospitalisationsphase: Das primäre Ziel in der Behandlung des akuten Schlaganfalls ist die Revaskularisation des verschlossenen Gefässes. Dazu stehen heutzutage verschiedene Therapieoptionen mit fundiertem wissenschaftlichem Nachweis der Wirksamkeit zur Verfügung.

Systemische Thrombolyse: Nach der Akutdiagnostik mit neurologischer Untersuchung und cranio-cerebraler Bildgebung wird nach Überprüfung der Indikation und Kontraindikationen in den ersten 4,5 Stunden nach Symptombeginn eine systemische Thrombolyse mit intravenöser Gabe von rekombinantem Plasminogenaktivator (rt-PA) durchgeführt. Der Behandlungseffekt der systemischen Thrombolyse hat sich in mehreren randomisierten Studien und auch in einer rezenten Meta-Analyse eindrücklich bestätigt, ist wie bereits erwähnt allerdings stark zeitabhängig. Die «number needed to treat» (NNT), um bei einem Pa­tien­ten mehr ein gutes funktionelles Behandlungsergebnis zu erreichen steigt von 3 in den ersten 90 Minuten auf 7 zwischen 0 und 3 Stunden und auf 14 zwischen 3 und 4,5 Stunden. Ein gutes funktionelles Behandlungsergebnis meint, dass der Patient nach dem Schlag­anfall zu einer selbstständigen Lebensführung in der Lage, und nicht von der Hilfe Dritter abhängig ist. Der Effekt erstreckt sich über alle Alterskategorien und Schweregrade [7,8]. Besteht ein Verschluss eines grösseren Hirngefässes, haben sich in den letzten Jahren ergänzende endovaskuläre rekanalisierende Therapieverfahren durchgesetzt.

Thrombektomie: Bis zum Jahr 2015 fehlte ein überzeugender Nachweis der Wirksamkeit dieses Verfahrens. Dies hat sich mit der Publikation fünf ­grosser Studien (MR CLEAN, ESCAPE, REVASCAT, SWIFT PRIME und EXTEND IA) geändert. In allen Studien erhielten Patienten mit einem proximalen Verschluss eines Gefässes des vorderen Hirnkreislaufes ­entweder innerhalb von bis zu 12 Stunden nach Symptombeginn eine endovaskuläre Thrombektomie oder eine systemische Thrombolyse. Patienten mit bereits grossem etabliertem Infarkt, Infarkten im hinteren Stromgebiet und bereits relevanter Behinderung im ­Vorfeld waren ausgeschlossen. Primärer Endpunkt war das ­funktionelle Behandlungsergebnis, gemessen mit der «modified Rankin Scale» (mRS) nach 90 Tagen. Mittler­weile sind mehrere Metaanalysen dieser Studiendaten publiziert worden. Demnach liegt die «odds ratio» (OR) eines guten funktionellen Behandlungsergebnisses (mRS 0–2) bei 2,42 und die NNT bei 5 [9], für eine Verbesserung von mindestens einem Punkt auf der mRS sogar nur bei 2,6. Dabei profitieren alle Patientensubgruppen [10]. Wichtig ist eine nicht zu komplexe Patientenselektion mit Hilfe eines radio­logischen Schnittbildverfahrens inklusive Angiografie. Es ist auf Infarktfrühzeichen zu achten und der Nachweis eines proximalen Gefässverschlusses zu erbringen. Technischer Standard für die Behandlung sind sog. Stentretriever. Das Zeitfenster für eine Behandlung ist im Allgemeinen bis zu sechs Stunden nach Symptombeginn, in Einzelfällen auch länger. Eine offene Frage ist, ob Patienten lediglich sediert oder in Allgemeinnarkose behandelt werden sollen.

Behandlung auf einer Stroke Unit: Neben der medikamentösen und/oder endovaskulären Akuttherapie konnten auch zahlreiche Studien zeigen, dass die Behandlung auf einer Stroke Unit derjenigen auf einer nicht spezialisierten Abteilung in vielerlei Hinsicht überlegen ist. Die Mortalität im ersten Jahr nach dem Ereignis ist relativ um 18–46% (absolut 3%) und die Pflegebedürftigkeit um 25% niedriger [11]. Dieser Effekt ist ebenfalls für alle Patientengruppen nachweisbar. Eine in der Schweiz durchgeführte Studie konnte zeigen, dass eine initiale Behandlung auf einer Intensivstation, gefolgt von einer Betreuung durch ein Schlaganfallteam ohne definierte Station der Behandlung auf einer geografisch und personell eindeutig definierten Stroke Unit hinsichtlich des Behandlungs­ergebnisses nach drei Monaten klar unterlegen ist [12]. Dies sollte Ansporn genug sein, das Konzept flächen­deckend anzubieten.

Literatur:

  1. Poeck und Hacke 2001, 11. Auflage, Springer-Verlag Berlin, Heidelberg, New York.
  2. Bamford J, et al.: Classification and natural history of clinically identifiable subtypes of cerebral infarction. Lancet 1991; 337: 1521–1526.
  3. Adams HP, et al.: Classification of subtype of acute ischemic stroke. Definitions for use in a multicenter clinical trial. TOAST. Trial of Org 10172 in Acute Stroke Treatment. Stroke 1993; 24; 35–41.
  4. Amarenco P, et al.: A new approach to stroke subtyping: the A-S-C-O (phenotypic) classification of stroke. Cerebrovasc Dis 2009; 27: 502–508.
  5. Amarenco P, et al.: The ASCOD Phenotyping of Ischemic Stroke (Updated ASCO Phenotyping). Cerebrovasc Dis 2013; 36: 1–5.
  6. Diener HC, et al.: Kryptogener ischämischer Schlaganfall: Zeit für einen Paradigmenwechsel in Diagnose und Therapie? Akt Neurol 2014; 41(01): 35–39.
  7. Hacke W, et al.: Thrombolysis with alteplase 3 to 4.5 hours after acute ischemic stroke. N Engl J Med. 2008; 359(13): 1317–29.
  8. Emberson J, et al.: Effect of treatment delay, age, and stroke severity on the effects of intravenous thrombolysis with alteplase for acute ischaemic stroke: a meta-analysis of individual patient data from randomised trials. Lancet 2014; 384(9958): 1929–35.
  9. Sardar P, et al.: Endovascular therapy for acute ischaemic stroke: a systematic review and meta-analysis of randomized trials. Eur Heart J. 2015; 36(35): 2373–80.
  10. Goyal M, et al.: Endovascular thrombectomy after ­large-vessel ischaemic stroke: a meta-analysis of individual patient data from five randomised trials. Lancet. 2016; 387(10029): 1723–31.
  11. Stroke Unit Trialists’ Collaboration. Organised inpatient (stroke unit) care for stroke. Cochrane Database Syst Rev. 2007.
  12. Cereda C, et al.: Beneficial Effects of a Semi-Intensive Stroke Unit are Beyond the Monitor. Cerebrovasc Dis 2015; 39: 102–109.

InFo NEUROLOGIE & PSYCHIATRIE 2017; 15(1): 8–11

Autoren
  • Dr. med. Jochen Vehoff 
  • Dr. med. Monika Kapauer 
  • Dr. med. Georg Kägi 
Publikation
  • INFO NEUROLOGIE & PSYCHIATRIE 

Die Anzahl der Strokes, die durch ein offenes Foramen Ovale ausgelöst werden, ist insgesamt klein. Etwas höher, wenngleich noch immer moderat, ist sie bei kryptogenen ischämischen Insulten. Hilft ein PFO-Verschluss?

Zwischen 20 und 25% der gesunden Bevölkerung weist ein offenes Foramen Ovale (PFO) auf, wobei es sich lediglich bei 2% symptomatisch äussert. Obwohl die Anzahl durch PFO verursachter Schlaganfälle insgesamt gering ist, verfügen vor allem jüngere Schlaganfall­patienten (<55 Jahre) über ein erhöhtes Risiko für einen kryptogenen ischämischen Insult bei Vorhandensein eines PFO. Es wird vermutet, dass PFO-getriggerte Strokes durch paradoxe Embolien verursacht werden. Dabei gelangen Thromben aus dem venösen in das arterielle Gefässsystem. Die Diagnose erfolgt nach dem Ausschlussprinzip. Als bildgebendes Verfahren kommt bei Verdacht die transösophageale Echokardiografie zum Einsatz.

Harmlos oder pathogen?

Gemäss einer Metastudie liegt die Wahrscheinlichkeit für ein pathogenes PFO bei durchschnittlich 67% aller PFO-Betroffenen. Jüngere Patienten haben dabei ein höheres Risiko als ältere (Abb. 1). Charakteristisch für ein pathogenes PFO sind ein erhöhter Rechts-Links-Shunt und ein Atriumseptumaneurysma. Geringe kardiovaskuläre Risikofaktoren kombiniert mit jüngerem Alter deuten ebenfalls auf ein pathogenes PFO hin. Klinische Hinweise können sich auch aus dem Kontext ergeben, so zum Beispiel aus Umständen, die auf eine paradoxe Embolie hindeuten: neurologische Symptome beim Aufwachen, Migräne, Phlebothrombose oder pulmonale Embolie, Schlafapnoe oder vorausgehendes Valsalva-Manöver. Aufgrund dieser schwierigen Diagnostik, die der Suche nach der Nadel im Heuhaufen gleicht, ist eine enge Kooperation zwischen dem Neurologen und dem Kardiologen zentral.

Rezidivrisiko

Grundsätzlich ist das Rezidivrisiko von Stroke-Patienten mit PFO individuell sehr unterschiedlich und daher schwer vorauszusagen. Begünstigend für das Auftreten eines erneuten Schlaganfalls sind ein höheres Alter, ein Septumaneurysma, die Verwendung von Aspirin anstelle oraler Antikoagulanzien, Gerinnungsstörungen und der Durchmesser des PFO.

Stroke-Patienten mit PFO können aktuell mit Thrombozytenfunktionshemmern (TFH), Antikoagulation oder einem PFO-Verschluss behandelt werden, wobei ein Verschluss eine medikamentöse Langzeitbetreuung nicht ausschliesst. Doch welcher Weg ist der beste – und für wen?

Schirmchen!

Ob ein interventioneller Okkluder-Verschluss im Vergleich zu einer rein medikamentösen Therapie das Rezidivrisiko bei Stroke-Patienten mit PFO verringert, ist Gegenstand zahlreicher Studien.

Drei ältere RCTs – CLOSURE-I (2012), PC-Trial (2013) und RESPECT (2013) – zeigten hinsichtlich ihrer primären Endpunkte und über einen relativ geringen Nachbeobachtungszeitraum hinweg keinen Vorteil eines Okkluder-Verschlusses. Allerdings wies der Interventionsarm jeweils eine geringere Ereignisrate auf als die medikamentös behandelte Kontrollgruppe. In der Per-Protokoll-Analyse der RESPECT-Studie war die Ereignisreduktion in der Interventionsgruppe signifikant.

Inzwischen konnten drei neuere Studien die Wirksamkeit eines Okkluder-Verschlusses bezüglich Rezidivrisiko bei Patienten (<60 Jahre) mit kryptogenem Schlaganfall nachweisen. «Match-entscheidend» war hierbei der längere Follow-Up, der Einschluss von Hochrisiko-PFOs (grosses Shuntvolumen, Atriumseptumaneurysma), der Ausschluss von Patienten mit transitorischen ischämischen Attacken sowie lakunärem Hirninfarkt, eine geringere Last an kardiovaskulären Risikofaktoren und die Verwendung von Devices der zweiten Generation («double disk devices»).

Die dreiarmige CLOSE-Studie (2017) untersuchte bei Patienten (16–60 Jahre) mit PFO und kryptogenem Schlaganfall den Therapieeffekt von PFO-Verschluss vs. Antikoagulation vs. Behandlung mit TFH. Im Verhältnis 1:1:1 wurden 663 Patienten in drei Gruppen randomisiert und entweder mit PFO-Verschluss + TFH, mit TFH als Monotherapie oder einer oralen Antikoagulation behandelt. Primärer Endpunkt war ein Schlaganfall. Im Beobachtungszeitraum von 5,3 Jahren trat in der Okkluder-Gruppe kein Schlaganfall auf, in der TFH-Gruppe kam es hingegen zu 14 Fällen (HR 0,03; 95% KI 0–0,26; p=0,001). Im Vergleich Antikoagulation vs. TFH kam es zu drei vs. sieben Schlaganfällen. Somit zeigten sich zwischen Antikoagulation und TFH-Therapie keine signifikanten Unterschiede, während sich die Okkluder-Therapie insgesamt als überlegen erwies.

REDUCE (2018) verglich in 664 Patienten den Therapieerfolg eines PFO-Verschlusses + TFH mit alleiniger TFH-Therapie über einen Beobachtungszeitraum von 3,2 Jahren. Erneute ischämische Insulte traten bei 6/441 Patienten in der Okkluder-Gruppe gegenüber 12/223 Patienten in der TFH-Gruppe auf, was einer HR von 0,23 entspricht (95% KI 0,09–0,62; p=0,002). Neue stumme Infarkte waren in beiden Gruppen etwa gleich häufig.

Auch DEFENSE-PFO (2018, n=60) wies auf den Nutzen eines Okkluders hin: Der ­primäre Endpunkt war nach zweijährigem Follow-Up bei sechs Patienten im medikamentösen Arm erreicht, trat bei der Interventionsgruppe hingegen nicht auf. Optimistisch stimmen auch die Langzeitergebnisse der RESPECT-Studie, deren Resultate nach einem Beobachtungszeitraum von sechs Jahren 2017 veröffentlicht wurden.

Alle Ergebnisse zusammengenommen, zeigt sich eine relative Reduktion der Schlaganfallrezidivrate um rund 75%, wenn ein PFO-Verschluss erfolgt. Dies betrifft aber nur Patienten, die unter sechzig Jahre alt sind und einen mittelgrossen bis grossen Rechts-Links-Shunt aufweisen. Inwiefern auch Patienten >60 von einem Verschluss profitieren, ist aufgrund fehlender Daten bislang ungeklärt.

An der Schnittstelle zwischen Neurologie und Kardiologie

Auf Basis dieser Erkenntnisse haben die Deutsche Gesellschaft für Neurologie (DGN), die Deutsche Schlaganfall-Gesellschaft (DSG) und die Deutsche Gesellschaft für Kardiologie (DGK) eine neue Leitlinie erstellt [1]. Sie richtet sich sowohl an Neurologen als auch an Kardiologen. Die wichtigsten Empfehlungen sind in Tabelle 1 zusammengefasst.

Nebenwirkungen

Das Okkluder-Verfahren gilt als sicher. Komplikationen während der Operation treten in 2,6% der Fälle auf, die Langzeitmortalität oder das Risiko für eine Herzoperation beträgt <0,1%. Die häufigste Spätkomplikation ist mit 1–2% eine Device-Thrombose. Zu atrialen Arrhythmien kommt es bei 0,5–15%, zumeist während der ersten 45 Tage nach der Operation (selbstlimitierend). Gefährlich, aber mit 0,5–1% nicht häufig, sind Perikardergüsse und Herztamponade. Bei etwa 10–15% verbleibt der Shunt. Diesbezüglich die besten Ergebnisse lieferte in Studien der AMPLATZER®-Okkluder (PC-Trial, RESPECT, DEFENSE-PRO). Empfohlen werden ausserdem GORE® HELEX (REDUCE) und GORE®CARDIOFORM (REDUCE).

Aktuell existieren keine Studien, die auf das postoperative Management fokussieren. Gemäss der vorliegenden Daten empfiehlt sich aber eine duale TFH-Therapie für 1–6 Monate nach Verschluss. Eine einfache TFH-Behandlung sollte über einen Zeitraum von fünf Jahren weiter erfolgen, um das Risiko für eine Device-Thrombose zu minimieren. Des Weiteren sollte bei einem geplanten invasiven Verfahren binnen der ersten sechs Monate nach PFO-Verschluss eine antibiotische Prophylaxe in Betracht gezogen werden.

Literatur:

  1. Diener HC, et al.: Kryptogener Schlaganfall und offenes Foramen ovale. S2e-Leitlinie, 2018. In: Deutsche Gesellschaft für Neurologie, Hg.: Leitlinien für Diagnostik und Therapie in der Neurologie. www.dgn.org/leitlinien, letzter Abruf 12.03.2019.

InFo NEUROLOGIE & PSYCHIATRIE 2019; 17(2): 32–34

Autoren
  • Barbara Hug 
Publikation
  • INFO NEUROLOGIE & PSYCHIATRIE 

Ein proaktives Management mit der Schaumspray-Fixkombination aus Calcipotriol und Betamethason Dipropionat führte zu weniger Rückfällen und einer verbesserten langfristigen Symptomkontrolle gegenüber einer reaktiven Behandlungsstrategie bei vergleichbarem Sicherheitsprofil. So das Fazit der randomisierten, vehikel-kontrollierten Studie PSO-LONG.

Das Ziel der Phase-III-Studie war die Untersuchung der Langzeitwirksamkeit und -sicherheit einer zweimal wöchentlichen proaktiven Therapie mit der Fixkombination aus Calcipotriol 0,005% und Betamethason Dipropionat 0,064% als Sprühschaum im Vergleich zu einer reaktiven Therapie der Psoriasis vulgaris (Abb. 1) [1]. Insgesamt wurden unter dem proaktiven Behandlungsregime mit der Fixkombination mehr Tage in Remission und weniger Rückfälle erzielt.

Studiendesign

In einer initialen 4-wöchigen Open-Label-Phase wurde der Calcipotriol (Cal)/Betamethason Dipropionat (BD)-Sprühschaum (Enstilar®) bei allen Patienten 1× täglich eingesetzt [2]. 545 Patienten, die einen Physician’s Global Assessment (PGA)-Score von 0 (erscheinungsfrei) oder 1 (fast erscheinungsfrei) erreichten, konnten an der anschliessenden 52-wöchigen Erhaltungsphase teilnehmen und wurden 1:1-randomisiert den Studienarmen «Proaktives Management» (Cal/BD-Sprühschaum, n=272) oder «Reaktives Management» (Vehikel-Sprühschaum, n=273) zugeteilt, jeweils 2x/Woche oder als Bedarfstherapie 1×/Tag für 4 Wochen bei Rückfall.

Wirksamkeitsendpunkte

Der primäre Endpunkt war die Zeit bis zum ersten Relaps. 251 Patienten (46,1%) schlossen die 52-wöchige Erhaltungsphase ab. Mit der proaktiven Anwendung des Cal/BD-Sprühschaums konnte das Risiko eines ersten Rückfalls im Vergleich zur reaktiven Therapie signifikant um 43% reduziert werden (HR 0,57; 95%-KI, 47–69%; p<0,001). Die mittlere Zeit bis zum ersten Rückfall betrug unter dem proaktiven Regime 56 Tage und unter reaktiver Therapie 30 Tage. Für 50% der Patienten hatte sich die Zeit bis zum ersten Rückfall gegenüber der reaktiven Therapie verdoppelt. Ausserdem hatte die proaktive Anwendung einen positiven Einfluss auf die Remissionsdauer. Über den Zeitraum eines Jahres* waren die Patienten des proaktiven Studienarms durchschnittlich 41 Tage länger in Remission als die reaktiv behandelte Kontrollgruppe (p<0,001) bei 37,5 zusätzlichen Behandlungstagen pro Jahr. Die Rückfallrate sank um 46% bei proaktiver Behandlung mit Cal/BD-Sprühschaum (95% KI: 37–54%; p<0,001).

* Rückfälle pro Expositionsjahr
 

Sicherheitsdaten

Das Sicherheits- und Verträglichkeitsprofil der proaktiven Cal/BD-Sprühschaumbehandlung war über den gesamten Studienzeitraum vorteilhaft. Die Inzidenz unerwünschter Ereignisse war in beiden Studienarmen vergleichbar, Rebound-Phänomene ebenfalls (6 respektive 7 Rebounds).  Auch die Abbruchrate aufgrund von unerwünschten Ereignissen war unter proaktiver und reaktiver Therapie ähnlich (0,7% respektive 0,4%). Die Ergebnisse dieser neuen Studie sind vielversprechend und weisen darauf hin, dass ein proaktives Management mit Enstilar®-Sprühschaum zu einer verbesserten langfristigen Kontrolle der Plaque-Psoriasis führt im Vergleich zur konventionellen reaktiven Behandlungsstrategie.

Literatur:

  1. Lebwohl M, et al.: J Am Acad Dermatol 2021; 84(5): 1269–1277.
  2. Arzneimittelinformation, www.swissmedicinfo.ch, letzter Abruf 06.11.2021
  3. Calzavara-Pinton P, et al.: Abstract 70, Innovations in Dermatology 2021.

DERMATOLOGIE PRAXIS 2021; 31(6): 26

Autoren
  • Mirjam Peter, M.Sc. 
Publikation
  • DERMATOLOGIE PRAXIS 

Die Behandlung des Capillitiums stellt häufig eine besondere Herausforderung dar bei der topischen Therapie. Neben dem Zustand der Haut sind auch die Präferenzen der Patienten ein wichtiges Kriterium bei der Wahl des passenden Präparates. In der vorliegenden Fallserie hat sich ein Sprühschaum mit der Fixkombination aus Calcipotriol und Betamethason-Dipropionat bewährt.

In einem Cochrane-Review zur topischen Behandlung der Kopfhautpsoriasis erwies sich  die Kombinationstherapie aus 50 µg Calcipotriol (Cal) und 0,5 mg Betamethason-Dipropionat (BD) als gleichwertig im Vergleich zu topischen Kortikosteroiden (TCS) [1]. Das in der Fixkombination  Cal/BD enthaltene Betamethason-Dipropionat ist ein Steroid der Stärkeklasse III, Calcipotriol zählt zur Gruppe der Vitamin D3-Derivate. Durch eine Schaumgalenik werden die Wirkstoffe in der Regel besser über die Haut absorbiert im Vergleich zur Salben- oder Gelgalenik [2]. Eine 2022 veröffentlichte Fallserie deutet darauf hin, dass Patienten, die auf eine TCS-Monotherapie nicht ansprechen, in der Praxis von einer Umstellung auf die Fixkombination aus Cal/BD-Sprühschaum profitieren können [3].

Studiendesign

Bei der 2019 in einer schweizerischen dermatologischen Praxis durchgeführten Fallserie wurden 10 Patienten mit aktiver Kopfhautpsoriasis unterschiedlichen Schweregrades inkludiert [3]. Das Durchschnittsalter der Teilnehmer betrug 52 Jahre (Altersrange 33–76 Jahre), neun der Patienten waren weiblich. Alle Teilnehmer hatten vor Studieneinschluss verschiedene topische Behandlungen durchlaufen. 7 der 10 inkludierten Patienten waren mit TCS behandelt worden (die meisten in Kombination mit Keratolytika oder antimykotischen Shampoos), erreichten damit aber keine ausreichende Kontrolle ihrer Kopfhautpsoriasis. Patienten, die eine Systemtherapie benötigten, wurden nicht in die Studie eingeschlossen. Die 10 Teilnehmer wurden instruiert, die Cal/BD-Fixkombination einmal täglich vor der Nachtruhe während vier Wochen zu applizieren. Sie erhielten die Instruktion, den Cal/BD-Sprühschaum mit einem Finger direkt auf die betroffenen Kopfhautareale aufzutragen und nicht direkt auf die Plaques zu sprühen. Ausserdem wurden sie angewiesen, am darauffolgenden Morgen das Shampoo vor dem Ausspülen zuerst auf ihren trockenen Haaren aufzuschäumen. Der Schweregrad der Kopfhautpsoriasis wurde anhand einer 5-Punkte-Skala beurteilt (Kasten). Bei Studienbeginn litten zwei Patienten an leichter, fünf an mittelschwerer und drei an schwerer Kopfhautpsoriasis. Bei 8 von 10 war die Kopfhautpsoriasis die einzige Manifestation der Schuppenflechte.

 

 

Behandlungsverlauf und -resultate

Nach der vierwöchigen Behandlung mit dem Cal/BD-Sprühschaum verbesserte sich die Kopfhautpsoriasis bei allen 10 Patienten um ≥2 Punkte auf der 5-Punkte-Skala. 8 von 10 Studienteilnehmern erreichten eine erscheinungsfreie/fast erscheinungsfreie Kopfhaut, ohne dass eine weitere keratolytische Behandlung erforderlich war [3]. Die Behandlungsresultate im Überblick:

  • 2 Patienten mit leichter Kopfhautpsoriasis, die vor Studienbeginn mit TCS oder Zink-Pyrithion-Shampoo behandelt worden waren, erzielten eine erscheinungsfreie Kopfhaut.
  • 5 Patienten mit mittelschwerer Kopfhautpsoriasis, welche – ausser einem Patienten, der nur Ciclopiroxolamin-Shampoo erhalten hatte vor Studienbeginn – alle mit TCS behandelt worden waren (meistens in Kombination mit Teer- oder Ciclopiroxolamin-Shampoo oder Salicylsäuren) erreichten ebenfalls eine erscheinungsfreie Kopfhaut
  • 3 Patienten mit schwerer Kopfhautpsoriasis, welche vor Studienbeginn eine Kombinationstherapie aus TCS oder Salicylsäure und einem Teer-, Zink-Pyrithion- oder Selendisulfid-Shampoo erhalten hatten, wiesen eine Verbesserung der Kopfhautpsoriasis um mindestens zwei Punkte auf; zwei der Patienten waren fast erscheinungsfrei.

Fazit: rasches Therapieansprechen und hohe Patientenzufriedenheit

Zusammenfassend erzielte der Sprühschaum mit der Cal/BD-Fixkombination ein rasches Therapieansprechen bei einer sehr guten Verträglichkeit. Es wurden keinerlei unerwünschten Ereignisse beobachtet. Die Patienten waren sehr zufrieden mit der einfachen Anwendung, der Wirksamkeit und der Sicherheit des Cal/BD-Sprühschaums. Dies stimmt überein mit den Resultaten einer italienischen Beobachtungsstudie, in welcher 36,7% der 256 inkludierten Psoriasispatienten eine Kopfhautbeteiligung aufwiesen und eine grosse Mehrheit derjenigen, welche  den Sprühschaum mit der Cal/BD-Fixkombination erhalten hatten, diese Therapieoption im Vergleich zu früheren topischen Behandlungen als wirksamer, einfacher in der Anwendung und besser verträglich bewerteten [4].

Korrekte Anwendung des Präparates ist entscheidend

Die Autoren der vorliegenden Fallserie betonen, dass die Instruktion ein wichtiger Faktor sei für den Behandlungserfolg der topischen Therapie [3]. Die Patienten waren angewiesen worden, den Sprühschaum einmal täglich vor dem Schlafengehen aufzutragen, damit eine ausreichende Einwirkzeit über Nacht gewährleistet ist. Es ist wichtig, zu erläutern, dass der Schaum nicht direkt auf die Kopfhaut gesprüht werden sollte, da dies zu einem fettigen, kosmetisch unattraktiven Film auf dem Haar führen und keinen ausreichenden direkten Kontakt des Schaums mit der Haut ermöglichen würde. Daher wurden die Patienten instruiert, den Schaum zunächst auf die Hand zu sprühen und ihn dann mit den Fingern auf die Plaques aufzutragen. Ebenfalls wichtig  sei die Anweisung, am darauffolgenden Morgen das Shampoo direkt auf dem trockenen Haar aufzuschäumen und erst anschliessend mit Wasser auszuspülen, so die Studienautoren.

Literatur:

  1. Schlager JG, et al.: Topical treatments for scalp psoriasis. Cochrane Database Syst Rev 2016;2:009687.
  2. Arzneimittelinformation, https://compendium.ch, (letzter Abruf 22.09.2022)
  3. Régnier A, Trüeb RM: Efficacy of Calcipotriol/Betamethasone Dipropionate Fixed-Combination Aerosol Foam in the Treatment of Localized Scalp Psoriasis: A Real-Life Case Series from Switzerland. Dermatol Ther (Heidelb) 2022; 12(9): 2181–2188.
  4. Campanati A, et al.; LION Study Group Patient satisfaction with calcipotriol/betamethasone dipropionate cutaneous foam for the treatment of plaque psoriasis: the LION real-life multicenter prospective observational cohort study. Dermatol Ther 2021; 34(5): e15077.

DERMATOLOGIE PRAXIS 2022; 32(5): 18

Autoren
  • Mirjam Peter, M.Sc. 
Publikation
  • DERMATOLOGIE PRAXIS

In der Schweiz sind etwa 1 bis 3 Prozent der Bevölkerung von Psoriasis betroffen [1]. Etwa jeder dritte Psoriasis-Patient leidet auch an Psoriasis-Arthritis (PsA), einer chronisch entzündlichen Systemerkrankung, die sich u.a. in Arthritis, Enthesitis und Daktylitis manifestieren kann [2, 3]. Unbehandelt kann PsA eine Zerstörung der Gelenke bis hin zur Behinderung zur Folge haben [2]. Im folgenden Interview diskutieren der Dermatologe Prof. Thomas Kündig und der Rheumatologe Prof. Diego Kyburz das interdisziplinäre Management dieser komplexen Erkrankung und gehen dabei näher auf zwei aktuelle Therapieoptionen ein [4, 5].

 

1.     PsA ist eine sehr komplexe Erkrankung, sowohl die Haut ist betroffen als auch diverse Manifestationen im muskuloskelettalen Apparat – Welche Möglichkeiten sehen Sie in der Behandlung Ihrer PsA-Patienten heutzutage? 

Prof. Kündig: 

Wir Dermatologen kümmern uns in erster Linie um die Hautmanifestationen, die von den Patienten als sehr störend empfunden werden und oft zur Stigmatisierung führen. Erfreulicherweise stehen uns für die Behandlung der Hautsymptome jedoch hochwirksame Medikamente zur Verfügung, mit denen wir ein 100-prozentiges Ansprechen anstreben. Dieses erreichen wir in aller Regel auch und die Patienten werden von allen sichtbaren Hautveränderungen befreit; manchmal ist hierfür ein Wechsel des Medikaments nötig. Zur frühzeitigen Abklärung einer möglichen Gelenkbeteiligung schicken wir heutzutage alle Psoriasis-Patienten zum Rheumatologen. Dies, weil bei einer Befragung nur 15 % der Patienten Gelenkprobleme angeben, bei einer rheumatologischen Abklärung aber bei 30 % der Patienten eine Manifestation in den Gelenken gefunden wird. Ist dies der Fall, delegieren wir die Behandlung des Patienten fast vollständig an den Rheumatologen ab. Denn wenn man die begleitende Arthritis therapeutisch gut in den Griff bekommt, wirkt sich dies auch positiv auf die Haut aus, die einfacher zu behandeln zu sein scheint als die Gelenke.

Prof. Kyburz:

Hier sind wir tatsächlich manchmal etwas neidisch auf die Dermatologen, die oft eine komplette Befreiung von den Hautmanifestationen erzielen. Zwar erreichen wir auch hinsichtlich der Gelenkmanifestationen mittlerweile sehr gute Ansprechraten und den meisten Patienten geht es mit den heutzutage verfügbaren Medikamenten viel besser. Aber nur bei einer Minderheit verschwinden die Krankheitsmanifestationen zu 100 %. Wichtig ist, dass ein Medikament möglichst breit wirksam ist. Denn neben der Haut und den Gelenken können z.B. auch die Sehnenansätze betroffen sein oder andere Manifestationen hinzukommen. Es ist nicht ausreichend, nur eine Komponente zu kontrollieren, wenn andere Komponenten, wie eine Daktylitis, weiterhin aktiv sind. Wir versuchen deshalb ein Medikament zu finden, das alle Domänen optimal behandelt.

Prof. Kündig: 

Dermatologen haben zudem mehr Zeit als Rheumatologen, ihre Patienten auf eine Therapie einzustellen. Psoriasis-bedingte Hautmanifestationen hinterlassen nach Abheilung keine Narben. Bei einer Arthritis können jedoch Komplikationen entstehen, sodass hier möglichst frühzeitig eine wirksame Behandlung eingeleitet werden sollte.

Prof. Kyburz:

Der Einsatz von Biologika erzielt bei Psoriasis sehr gute Resultate. Es wäre spannend zu analysieren, ob Psoriasis-Patienten, die frühzeitig Biologika erhalten, seltener einen Progress erleiden und dies die Anzahl der PsA-Fälle insgesamt reduziert.

Prof. Kündig: 

Langfristig würde man davon ausgehen. Denn bei vielen entzündlichen Krankheiten sind die Resultate besser, wenn man frühzeitig wirksame Medikamente einsetzt. Man muss aufhören, die Psoriasis als reine Hautkrankheit zu behandeln. Die Psoriasis ist eine entzündliche Systemkrankheit, bei der eine systemische Behandlung vorzuziehen ist, um das Auftreten von Komorbiditäten zu verhindern.

2. PsA erfolgreich zu behandeln ist anspruchsvoll. Inwieweit erfüllen der IL-23-Inhibitor Risankizumab (SKYRIZI®) und der Januskinase-Inhibitor (JAKi) Upadacitinib (RINVOQ®) diese hohen Anforderungen?

Prof. Kündig:

Risankizumab wirkt sehr gut gegen die Hautmanifestationen der Psoriasis und PsA. Wir streben bei der Behandlung unserer Patienten einen PASI 100 an, also eine erscheinungsfreie Haut. Wegen der potenziellen Langzeitschäden im muskuloskelettalen Apparat sollte der Fokus aber auf den Gelenken liegen. Falls eine Therapie (z.B. mit Upadacitinib) gut bei den Gelenken anschlägt, aber der Patient noch Hautmanifestationen hat, können wir hier noch mit lokaler Therapie nachhelfen.

Prof. Kyburz:

Beide Medikamente weisen eine breite Wirksamkeit auf. Für Upadacitinib wurde auch eine Wirkung auf axiale Entzündungen nachgewiesen.

Prof. Kyburz:

Januskinase-Inhibitoren (JAKi) Inhibitoren sind eine gute Therapieoption, weil sie nicht nur ein, sondern mehrere Zytokine hemmen und damit ein breites Wirkungsspektrum haben. Jedoch haben das vermehrte Auftreten kardiovaskulärer Ereignisse bei älteren Patienten und eine erhöhte Rate an Malignomen [unter Tofacitinib in der ORAL Surveillance-Studie] zu Verunsicherungen hinsichtlich des Einsatzes von JAKi geführt. Noch unklar ist, ob diese Bedenken für alle Vertreter der JAKi berechtigt sind, die sich in ihrer Selektivität unterscheiden. Hier sind weitere Sicherheitsstudien notwendig.

Prof. Kündig: 

Bei den JAKi gilt es, wie damals bei den Biologika, viel Aufklärungsarbeit zu leisten. Oft reden wir noch ganz allgemein vom JAKi – das ist in etwa so, als würde man den TNF- und IL-17-Inhibitor in die gleiche Schublade stecken. Dabei muss man hier klar eine Differenzierung vornehmen.

Prof. Kyburz:

Um nochmals auf die ORAL Surveillance-Studie zurückzukommen: Hier wurden Patienten mit hohem Risiko eingeschlossen, die normalerweise in Zulassungsstudien ausgeschlossen werden. So hat man aus der Studie zwar viel lernen können, aber man sollte aufgrund der Ergebnisse nicht grundsätzlich Bedenken gegen den Einsatz von JAKi haben. Wichtig ist eine individuelle Einschätzung des Risikos und des Nutzens für die einzelnen Patienten, um die optimale Therapie zu finden.

3.     Die Indikation von Risankizumab mit Psoriasis und PsA und Upadacitinib mit rheumatoider Arthritis (RA), ankylosierender Spondylitis, atopischer Dermatitis und PsA ist sehr breit [4, 5]. Welche Vorteile sehen Sie diesbezüglich für die Zusammenarbeit zwischen Dermatologen und Rheumatologen? 

Prof. Kyburz: 

Wenn wir Patienten mit einem Hautbefall sehen, sind wir sehr froh über die dermatologische Meinung im Hinblick auf die optimale therapeutische Option. Hier ist es von Anfang an von Vorteil, wenn man das Management der Erkrankung gemeinsam bespricht, und man kommt schneller zum Ziel. Gerade wenn sichtbare Stellen der Haut betroffen sind, kann dies für die Patienten mit grossen Einschränkungen einhergehen. Um dies in den Griff zu bekommen, brauchen wir den Dermatologen.

Prof. Kündig: 

Risankizumab ist eine häufig verwendete Therapie, wenn eine Hautbeteiligung vorliegt – nicht nur aufgrund des guten Ansprechens, sondern vor allem auch wegen der Convenience für die Patienten. Es ist zudem beliebter als ein Medikament, das jeden Monat gespritzt werden muss, da es in der Erhaltungsphase nur viermal pro Jahr gespritzt werden muss. Dies macht für die Patienten einen grossen Unterschied – man kann die Krankheit die meiste Zeit über vergessen.

Prof. Kyburz:

Dem stimme ich zu. Auch Upadacitinib, das als Tablette eingenommen wird, ist in puncto Convenience sehr interessant.

4.  Wie sehen Sie die Zukunft der personalisierten Behandlung angesichts des immer grösser werdenden Behandlungsrepertoires? 

Prof. Kündig:

Die modernen Therapien sind in Bezug auf die Haut meist so erfolgreich, dass wir die Entscheidung für ein Medikament, wie schon erwähnt, oft aufgrund der Convenience für den Patienten treffen. Insofern besteht kein grosser Bedarf für einen Test, der das Ansprechen auf ein bestimmtes Medikament vorhersagt. Eine interessante Frage ist aber, ob man ein Medikament bei einem Patienten, der über Jahre vollständig darauf angesprochen hat, irgendwann absetzen kann. Gibt es einen Marker, der vorhersagen kann, welcher Patient nach Absetzen symptomfrei bleibt? In der Dermatologie kann man ein zwischenzeitliches Absetzen der Therapie relativ risikofrei ausprobieren. In der Rheumatologie ist das anders, da man hier bleibende Gelenkschäden riskiert.

Prof. Kyburz: 

Wir wären froh über Biomarker, vor allem für das Therapieansprechen in bestimmten Subgruppen. Gerade Patienten mit Daktylitiden sind oft relativ therapieresistent. Wenn wir hier vorhersagen könnten, auf welches Medikament diese Patienten am besten ansprechen, wäre das sehr hilfreich. Allerdings ist es leider nicht so einfach, solche Biomarker zu finden. Wir haben in einer kürzlich publizierten Analyse von Schweizer Registerdaten Prädikatoren dafür untersucht, dass man eine Biologika-Therapie bei RA erfolgreich absetzen kann. Das Ergebnis: Patienten, die früh behandelt wurden, diejenigen in tiefer Remission, und diejenigen, die eine konventionelle Basistherapie fortsetzten, hatten höhere Chancen, das Biologikum erfolgreich abzusetzen, während andere Gruppen hohe Relapse-Raten aufwiesen. In unserer Studie zeigten nach einer Beobachtungszeit von drei Jahren fast 80 % der Patienten erneut eine Krankheitsmanifestation. Die Daten zur PsA dürften ähnlich wie bei der RA sein.

Prof. Kündig: 

Auch bei Psoriasis-Patienten ist es eher die Ausnahme, dass sie nach Absetzen des Biologikums keinen Rückfall erleiden. Ich wünsche mir aber, dass man in Zukunft die Krankheit therapeutisch fundamental ändern und die Biologika danach absetzen kann. Dann könnten wir vielleicht irgendwann auch Patienten mit milder Psoriasis behandeln. Das Problem ist: Wenn ich eine schwere Psoriasis habe, ist diese nach der Therapie meist komplett verschwunden, da die Krankenkasse ein Biologikum zahlt. Aber wenn ich nur eine leichte Psoriasis habe, kommen ausschliesslich Cremes, Lichtbehandlung usw. zum Einsatz. Eigentlich ist es verrückt, dass der mit der schweren Krankheitsausprägung am Schluss fast noch besser dran ist.

Prof. Kyburz: 

Eine langfristige behandlungsfreie Remission wäre wünschenswert und auch kostengünstiger.

Prof. Kündig:

Ich kann mir vorstellen, dass dies möglich ist, wenn man früh und scharf genug behandelt. Die Datenlage deutet in diese Richtung.

Zu den Kurzfachinformationen von SKYRIZI® und RINVOQ®

CH-SKZD-220134 08/2024

Dieser Beitrag wurde auf Deutsch freigegeben.

Dieser Beitrag entstand mit finanzieller Unterstützung der AbbVie AG, Alte Steinhauserstrasse 14, Cham.

Referenzen: 

1.              Rheumaliga Schweiz. Patienten-Broschüre Psoriasis-Arthritis. https://www.rheumaliga.ch/assets/doc/ZH_Dokumente/Broschueren-Merkblaetter/Krankheitsbilder/Psoriasis.pdf. Letzter Zugriff: 02.08.2024

2.              Ostor A et al. Efficacy and safety of risankizumab for active psoriatic arthritis: 24-week results from the randomised, double-blind, phase 3 KEEPsAKE 2 trial. Ann Rheum Dis, 2022. 81(3): p. 351-358.

3.              Kristensen LE et al. Efficacy and safety of risankizumab for active psoriatic arthritis: 24-week results from the randomised, double-blind, phase 3 KEEPsAKE 1 trial. Ann Rheum Dis, 2022. 81(2): p. 225-231.

4.              Aktuelle Fachinformation RINVOQ® (Upadacitinib) auf www.swissmedicinfo.ch

5.              Aktuelle Fachinformation SKYRIZI® (Risankizumab) auf www.swissmedicinfo.ch.

Die Referenzen können durch Fachpersonen bei medinfo.ch@abbvie.com angefordert werden.

Beitrag aktualisiert am 12.08.2024

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Ein Kolloquium am UniversitätsSpital Zürich widmete sich dem grossen klinischen Spektrum der Virus-Hepatitis. Es ging um die Frage des Screenings und um spezielle Risikogruppen ­sowie um den Endzustand einer chronischen Hepatopathie: die Leberzirrhose. Auch die Übertragungswege der Hepatitis E – eine Infektion, die in unseren Breitengraden nur sporadisch auftritt und grundsätzlich komplikationsarm verläuft – wurden diskutiert.

PD Dr. med. Tilman Gerlach, München, sprach über die Notwendigkeit des Screenings und der Überwachung im Bereich Virus-Hepatitis. In der Schweiz, einem Land mit niedriger HBs-Ag(Hepatitis B-Surface Antigen)-Prävalenz (<2%), wird das Hepatitis-B-Virus (HBV) vor allem sexuell und seltener vertikal von Mutter auf Kind übertragen. Entgegen der medialen Aufmerksamkeit liegt die HBV-Infektionsrate mit geschätzten 14 Mio. Infizierten in Europa deutlich über derjenigen von HIV (unter 2 Mio.). Viele davon sind sich der Infektion nicht bewusst. «Dennoch muss man sagen: Wir haben eine sehr wirksame Impfung, die in der Schweiz zu einem Rückgang der Prävalenz führte und weiterhin führt», so der Referent. Vor allem Länder wie die Türkei und bis zu einem gewissen Grad z.B. auch Rumänien, Italien, Spanien und Deutschland haben deutlich höhere Prävalenzzahlen, weshalb man die Ethnizität in den Screening-Bemühungen in jedem Fall berücksichtigen sollte. Die Migration ist ein entscheidender Faktor. Für die Hausarztpraxis hat sich gezeigt, dass mit einer detaillierten Risikoanamnese – unter anderem werden Promiskuität und Migrationshintergrund erhoben – plus Labor (Alanin-Aminotransferase, ALT) fast zwei Drittel der Patienten korrekt als Infizierte klassifizierbar sind. Eine vollständige Definition der HBV-Risikogruppe, bei der ein Screening sinnvoll ist, zeigt Tabelle 1. Zur Serologie ist zu sagen: anti-HBc zeigt einen Kontakt mit HBV an, HBs-Ag die akute Infektiosität.
 

Hepatitis C

«Gesamteuropäisch gibt es ca. 9 Mio. mit dem Hepatitis-C-Virus (HCV) Infizierte. Die Prävalenzzahlen sind hier leider auch in der Schweiz weniger rückläufig als bei HBV, da es keine Impfung gibt», erklärte Dr. Gerlach. Als «HCV-Land» gilt Italien, insbesondere der Süden, wo der Drogenkonsum wahrscheinlich einer der wichtigsten Faktoren ist (wie bei der HCV-Prävalenz insgesamt: sowohl injizierbare Drogen als auch intranasales Kokain). In den USA beobachtet man derzeit einen Anstieg der Leberkarzinom-Mortalität (hepatozelluläres Karzinom, HCC), die mittlerweile über derjenigen aller anderen Krebsarten liegt. Grund: Bei gut einem Fünftel der chronischen HCV-Patienten entwickelt sich nach 20 Jahren eine Leberzirrhose, die wiederum das Risiko für ein HCC erhöht. Die Amerikaner verstärken deshalb derzeit ihre Screeningbe­mühungen. Nebst Drogenkonsum sind vor allem langjährige Haftstrafen, Bluttransfusionen ausserhalb der EU oder vor 1992 und Erhalt konzentrierter Koagulationsfaktoren vor 1987 gegen Bluterkrankheit Risikofaktoren für HCV, die ein Screening notwendig machen. Dazu bedarf es aber auch einer besseren Awareness in der Allgemeinbevölkerung.

«Personen, die sich mit HBV und HCV infiziert haben, sollten mit intensiven Screening-Bemühungen möglichst früh identifiziert werden», so das Fazit des Redners. «Dies ist am besten über die Anamnese, erhöhte ALT-Werte und demografische Faktoren möglich. Bei Personen, die aus medizinischen, verhaltenstechnischen, beruflichen oder demografischen Gründen als Risikopatienten gelten, ist ein prospektives Hepatitis-Screening angezeigt (anti-HBc, anti-HCV).» Die Komplettierung der HBV-Impfung sollte standardmässig bei allen Patienten durchgeführt und nachgeholt werden. Bereits Infizierten helfen die neuen antiviralen Therapien, hier ist eine Zusammenarbeit mit dem Hepatologen sinnvoll.

Hepatitis E – nur eine Reisekrankheit?

Laut PD Dr. med. Thomas Kuntzen, Zürich, hat der Genotyp der Hepatitis E (HEV), der in unseren Breitengraden hauptsächlich vorkommt (Genotyp 3), meist einen klinisch milden bis asymptomatischen Verlauf und ist selbstlimitierend. Dennoch sollte man das Virus nicht vergessen, da es z.B. bei Immunsupprimierten chronisch werden kann (mit potenzieller Leberzirrhose). «Insgesamt gibt es vier Genotypen des HEV beim Menschen: Die Genotypen 1 und 2, bei denen ein Risiko für akutes Leberversagen besteht, sind mitunter in Mittelamerika, in gewissen Regionen Afrikas und in Südost-Asien endemisch und werden vor allem fäkal-oral über verseuchtes Wasser übertragen. Insbesondere Schwangere sind für schwere Hepatitiden mit fatalem Verlauf gefährdet. Genotyp 3, der in Europa und den USA sporadisch vorkommt, nimmt eher den zoonotischen Übertragungsweg (z.B. infektiöses rohes Fleisch). Genotyp 4 tritt z.B. in China auf und überträgt sich ebenfalls eher zoonotisch», erklärte Dr. Kuntzen.

Für die Prävention fäkal-oraler Übertragungen sollte man in den betroffenen Regionen Trinkwasser und Eiswürfel unbekannter Qualität, rohe Meeresfrüchte sowie ungeschältes und ungekochtes Gemüse oder Obst meiden. Auch die eigene Hygiene und natürlich das Abwasser-Management des Landes sind entscheidend. Für die zoonotische Infektion  gilt: rohes Fleisch meiden, insbesondere in den hyperendemischen Regionen des Genotyps 3 (Gegend um Toulouse). Eine Impfung ist derzeit nur in China erhältlich (Hecolin®). Sie schützt effektiv, es ist jedoch unbekannt, wann und ob sie künftig auch in Europa zugänglich sein wird.

Therapeutisch ist die Datenlage sehr dürftig und stammt hauptsächlich aus Einzelfallberichten und kleinen Serien. Zurzeit geht man davon aus, dass bei schweren akuten oder chronischen Infektionen Ribavirin hilft.

Leberzirrhose

Zum Schluss gab Dr. med. Joachim Mertens, Zürich, ein Update zur Leberzirrhose. Dabei handelt es sich um den Endzustand einer chronischen Hepatopathie mit einem Umbau der Läppchenarchitektur (bindegewebige Septen, funktionelle portosystemische Shunts, Verlust funktioneller Leberzellmasse). In der Ätiologie spielen vor allem die «Top 3» Alkohol, Hepatitis B bis E und die nicht-alkoholische Steatohepatitis (Fettleber) eine Rolle (Abb. 1). Der klinische Verlauf einer Leberzirrhose kann mitunter zu einer hepatischen Enzephalopathie, einer portalen Hypertension (Aszites, Ösophagusvarizen) oder einem HCC führen.
 

Hepatische Enzephalopathie: Die Diagnostik sollte nicht über die arterielle Messung des Ammoniaks im Blut erfolgen. Dabei handelt es sich um einen schlechten Parameter, da keine gute Korrelation und eine hohe Variabilität besteht. Psychomotorische Tests sind deutlich verlässlicher (Zahlenverbindungstest und Stroop-Test). Therapeutisch steht die Reduktion der NH3-Absorption klar im Zentrum (2–3 weiche Stuhlgänge pro Tag). Hier kann Lactulose helfen. Zusätzlich sollte man den Auslöser suchen: Blutung, Infekt, akutes Geschehen, Medikation mit Benzodiazepinen oder Opiaten? Eine generelle Eiweissreduktion ist nicht angezeigt.

Aszites: 30–50% der Patienten mit Leberzirrhose entwickeln Aszites, es handelt sich dabei um ein Zeichen der Dekompensation. Die Therapie erfolgt über eine Salzreduktion und medikamentös (Spironolacton, Torasemid). Ist der Aszites diuretisch nicht ausreichend behandelbar, kommt z.B. die Parazentese in Frage.

Ösophagusvarizen: 5–20% der Leberzirrhose-Patienten entwickeln Varizen. Eine Screening-Endoskopie ist bei allen Patienten angezeigt. Finden sich keine Varizen, sollte man sie alle zwei bis drei Jahre wiederholen. Finden sich kleine Varizen und ist die Leberfunktion gut, muss man die Endoskopie nach einem Jahr wiederholen. Die Primärprophylaxe der lebensgefährlichen Blutungen bei grossen Varizen erfolgt mit Propranolol oder Carvedilol. Ziel ist eine Reduktion der Herzfrequenz um 25% oder ein Ruhepuls von ca. 55/min. Den Puls sollte man somit gut kontrollieren.

HCC: Die Inzidenz des HCC bei Leberzirrhose ist hoch, nämlich 1–5% pro Jahr. Hier sollte die Screening-Untersuchung halbjährlich mittels Ultraschall stattfinden.

Quelle: «Was muss der Arzt in der Praxis wissen über die Virus-Hepatitis?», Gastro-chirurgisches Kolloquium, 11. Dezember 2014, Zürich

HAUSARZT PRAXIS 2015; 10(2): 34–36

Autoren
  • Andreas Grossmann 
Publikation
  • HAUSARZT PRAXIS 

Die neuen direkt wirkenden antiviralen Substanzen (DAA) zur Therapie der Hepatitis C ermöglichen in den meisten Fällen eine Heilung. Gleichzeitig sind die Kosten für eine solche Behandlung enorm und die Rückvergütung beschränkt sich auf fortgeschrittene Fälle. Neuerdings wird ein weiterer Punkt diskutiert: Kommt es nach antiviraler Therapie früher zu Rezidiven eines bereits behandelten hepatozellulären Karzinoms (HCC)? Zwei unabhängige Studien deuten darauf hin, dass ca. ein Drittel der Patienten kurz nach der Behandlung erneut mit einem HCC konfrontiert ist. Ein überraschend schlechtes Ergebnis, schliesslich müsste man annehmen, dass Folgekomplikationen (inklusive HCC) nach der Eradikation der HCV-Infektion seltener auftreten.

Die erste Studie aus dem Umfeld der Universität von Bologna sorgte bereits Mitte Jahr am internationalen Leberkongress in Barcelona für Aufsehen. In der Single-Center-Studie analysierte man eine Kohorte von 344 HIV-negativen Patienten mit Leberzirrhose (Child-Pugh-Stadium A/B) im Alter von median 63 Jahren (60% Männer; 69% Genotyp 1-Infektion), die mit den neuen antiviralen Substanzen behandelt wurden [1]. Zum Zeitpunkt der Behandlung lagen keine aktiven HCC-Läsionen vor (per MRT oder CT bestätigt). 59 Patienten (17%) wiesen solche jedoch in ihrer Vorgeschichte auf – die HCC waren mit transarterieller Chemoembolisation und/oder Radiofrequenzablation behandelt worden.

29% mit Rezidiven nach sechs Monaten

Sechs Monate nach der Therapie mit Sofosbuvir und Simeprevir (34%), Ombitasvir/Paritaprevir/Ritonavir plus Dasabuvir 3D (22%), Sofosbuvir und Ribavirin (17%), Sofosbuvir und Daclatasvir (16%) oder Sofosbuvir und Ledipasvir (10%) fanden sich bei insgesamt 26 Patienten (7,6%) aktive HCC, grösstenteils bei Männern (medianes Alter 58 Jahre; Child-Pugh A in 73% der Fälle).

Davon

  • wiesen 81% einen einzelnen und 19% multiple Tumoren auf;
  • wies ein Grossteil (17) ein Rezidiv auf (29% der 59 ehemals Betroffenen);
  • präsentierte sich ein geringer Teil (9) mit einem neuen HCC (3,2% der 285 ehemals nicht Betroffenen).
  • 13 der 26 Patienten hatten eine HCV-Genotyp 1-Infektion, 9 eine Genotyp-2/3-Infektion und 4 eine Genotyp 4-Infektion gehabt. Bei 85% der Patienten war eine «sustained virological response» (SVR), also eine Heilung, erreicht worden. Bei HCC-Detektion war das Alphafetoprotein (AFP) nur bei 2 der 26 Patienten erhöht. Laut Studie hatten weder die Art der Therapie noch das Ansprechen darauf oder der HCV-Genotyp einen Einfluss auf die HCC-Rate.

Patienten auch nach HCV-Eradikation nachkontrollieren

Die Autoren folgern, dass in dieser grossen retrospektiven Studie mit einem eher kurzen Follow-up bereits ein Drittel der ehemals von HCC Betroffenen ein HCC-Rezidiv aufwies. Diese Rate ist im Vergleich zu den neu aufgetretenen HCC (3,2%) hoch und entspricht nicht dem Standard. Selbst wenn man berücksichtigt, dass sich das HCC-Risiko bei Patienten mit Leberzirrhose auch nach HCV-Eradikation weniger stark reduziert als bei den restlichen Patienten, ist eine Rückfallrate von fast 30% in so kurzer Zeit beachtlich. Deshalb müssen gerade solche Patienten nach der Interferon-freien Behandlung gut monitorisiert werden, so das vorläufige Fazit. Der genaue Mechanismus hinter dem Ergebnis sei derweil weiter zu erforschen.

In einer entsprechenden Sicherheitsüberprüfung der EMA wird dem neu entdeckten Risiko bereits nachgegangen [2]. Es wird davor gewarnt, die DAA-Therapie vorschnell für die erhöhte Rezidivrate verantwortlich zu machen.

Spanische Studie kommt zu gleichem Ergebnis

Die zweite Studie stammt von einem Team aus Barcelona [3]. Nachbeobachtet wurden in insgesamt vier Spitälern 58 Patienten mit früherem HCC, das komplett auf die Therapie angesprochen hatte (keine Tumoren mehr nachweisbar). Sie erhielten ebenfalls die erwähnten antiviralen Substanzen (Interferon durfte folglich nicht Teil des Regimes sein). Nach einem medianen Follow-up von ca. sechs Monaten fand sich ebenfalls bei fast einem Drittel (27,6%) ein radiologisch gesichertes Tumorrezidiv (16 Patienten). Dieses bestand aus einem intrahepatischen Wachstum (drei Patienten), aus einer neuen intrahepatischen Läsion (fünf Patienten), aus bis zu drei neuen Läsionen (≤3 cm, vier Patienten), aus multifokalen Läsionen (ein Patient) sowie aus einem infiltrativen, schlecht abgrenzbaren HCC und/oder extrahepatischen Läsionen (drei Pa­tien­ten). Im Median verstrichen bis zum Wiederauftreten des Tumors nur gerade 3,5 Monate.

Fehlt Interferon?

Obwohl die Kohorte in dieser Studie sehr klein war, lag auch hier die Rate an Rezidiven, die zeitgleich zur HCV-Eradikation auftraten, überraschend hoch, und das Rezidivmuster war unerwartet. Möglicherweise begünstigt das Fehlen von Interferon die Entstehung von neuen Tumorherden. Interferon werden ausser immunregulatorischen und antiviralen auch antitumorale Eigenschaften und Effekte auf die Kanzerogenese zugeschrieben. Man darf allerdings nicht vergessen, dass heute ältere und kränkere HCV-Patienten behandelt werden als früher. Dies könnte sich durchaus auf die Rezidivrate auswirken.

Literatur:

  1. Buonfiglioli F, et al.: Development of hepatocellular carcinoma in hcv cirrhotic patients treated with direct acting antivirals. Journal of Hepatology 2016; 64: S215.
  2. EMA: Direct-acting antivirals indicated for treatment of hepatitis C (interferon-free). 2016. www.ema.europa.eu.
  3. Reig M, et al.: Unexpected early tumor recurrence in patients with hepatitis C virus-related hepatocellular carcinoma undergoing interferon-free therapy: a note of caution. Journal of Hepatology 2016 April 12. DOI: DOI: http://dx.doi.org/10.1016/j.jhep.2016.04.008 [Epub ahead of print].

InFo ONKOLOGIE & HÄMATOLOGIE 2016; 4(4): 2

Autoren
  • Andreas Grossmann 
Publikation
  • INFO ONKOLOGIE & HÄMATOLOGIE 

Im akuten Stadium der Virushepatitis ist das Krankheitsbild bei allen fünf Erregern ähnlich. HBV- und HCV-Infektionen sind weltweit die gefährlichsten chronischen Infektionskrankheiten. Im Gegensatz zu Hepatitis A und E prädisponieren Hepatitis B und C für eine chronische Hepatitis und Leberzellkarzinome. Hierzulande ist gegen Hepatitis A und B eine Impfung verfügbar. Gegen HCV, HDV und HEV steht in Europa aktuell kein Impfstoff zur Verfügung. Hepatitis C ist heutzutage mit antiviralen Medikamenten in über 95 Prozent der Fälle heilbar.

Bei der klassischen Virushepatitis handelt es sich um Leberentzündungen, die durch die Hepatitisviren A, B, C, D und E hervorgerufen werden. In der europäischen Region der Weltgesundheitsorganisation (WHO) sind jährlich rund 100’000 Todesfälle auf Virushepatitiden zurückzuführen [1]. Das ausschliesslich humanpathogene Hepatitis A-Virus (HAV) induziert meist nur akute Hepatitiden und ist primär in Entwicklungsländern verbreitet. Eine ähnliche Epidemiologie weist das Hepatitis E-Virus (HEV) auf, ist jedoch auch in Industrienationen weitverbreitet und kann zusätzlich eine chronische Erkrankung induzieren. Zu einer Chronifizierung kommen kann es ebenfalls bei dem weltweit verbreiteten Hepatitis B-Virus (HBV), dessen Satellitenvirus Hepatitis D (HDV) das kanzerogene Potenzial zusätzlich erhöht. Ebenfalls weltweit verbreitet ist das Hepatitis C-Virus (HCV), das ein hohes Chronifizierungsrisiko birgt und ebenfalls mit einem hohen kanzerogenen Potenzial einhergeht [2].
«Leberkrebs ist weltweit die dritthäufigste krebsbedingte Todesursache, und die wichtigsten modifizierbaren Risikofaktoren für primären Leberkrebs sind Infektionen mit dem Hepatitis -B- oder -C-Virus. Doch Hepatitis ist mit einem grossen Stigma behaftet, und dieses muss auf lokaler und nationaler Ebene und in der gesamten Europäischen Region bekämpft werden. Diese Stigmatisierung hält die Menschen oft davon ab, rechtzeitig Tests, Behandlung und Unterstützung in Anspruch zu nehmen, sodass der Infektionskreislauf fortbesteht und die Bemühungen der öffentlichen Gesundheitsdienste in den Bereichen Sexual- und Reproduktionsgesundheit, Schwangerenvorsorge, Untersuchung und Behandlung von Virushepatitis sowie Screenings auf Leberkrebs beeinträchtigt werden», konstatierte Dr. Hans Henri Kluge, WHO-Regionaldirektor für Europa [18].

Einige Manifestationen von akuter Hepatitis sind virusspezifisch, aber in der Regel werden die folgenden Phasen durchlaufen [3]:

  • Inkubationsperiode: Das Virus multipliziert und verbreitet sich ohne Symptome zu verursachen.
  • Prodromal- oder präikterische Phase: nicht­spezifische Symptome wie Appetitlosigkeit, Krankheitsgefühl, Übelkeit und Brechreiz; eine neu aufgetretene Abneigung gegenüber Zigaretten (bei Rauchern); häufig Fieber oder Schmerzen im rechten Oberbauch; insbesondere bei der HBV-Infektion kommt es oft zu Urtikaria und Arthralgien.
  • Ikterische Phase: Nach 3–10 Tagen wird der Urin dunkler, gefolgt von Gelbsucht. Die systemischen Symptome bilden sich meist zurück und der Patient fühlt sich besser, obwohl die Gelbsucht zunimmt. Die Leber ist meist vergrössert und druckschmerzhaft, die Leberränder bleiben weich und glatt. Bei 15–20% der Patienten tritt eine geringe Splenomegalie auf.
  • Erholungsphase: Während dieses 2–4-wöchigen Zeitraums bilden sich die Symptome der Gelbsucht zurück. Eine spontane Heilung der akuten Virushepatitis erfolgt bei der Mehrheit der Patienten innerhalb von 4–8 Wochen nach dem Einsetzen der Symptome.

Ein vereinfachter diagnostischer Algorithmus bei Patienten mit Verdacht auf eine akute Virus­hepa­titis ist in Abbildung 1 dargestellt [3].

HBV: eine HDV-Koinfektion erhöht Risiko für schweren Verlauf

HBV ist vorwiegend in Entwicklungsländern (z.B. Südostasien, Afrika und Südamerika) endemisch mit Virusträgerraten von 5–10%. Neben der geografischen Verteilung hängt die Prävalenzrate von HBV auch vom Risikoverhalten ab [4]. HBV wird durch Kontakt mit Blut einer infizierten Person (z.B. Zahnbürste, Rasierapparat, Nadelstichverletzung) oder Sexualkontakt mit einer an Hepatitis B erkrankten Person übertragen.

Verlauf: Der klinische Verlauf ist hochvariabel und reicht von asymptomatisch, inapparent bis zu fulminanten und schweren Leberentzündungen. In 90% der Fälle heilt eine akute Hepatitis B-Infektion von selbst aus [5]. In Abhängigkeit von Alter, Immunstatus und weiteren Faktoren (z.B. Virusmutanten) geht die HBV-Infektion bei etwa 10% der akuten Fälle in eine chronische Form über [2,4]. Eine chronische Hepatitis ist eine der Hauptursachen für die Entwicklung einer Leberfibrose, einer Leberzirrhose und eines hepatozellulären Karzinoms (HCC).

Eine akute oder chronische HBV-Infektion kann mit einer HDV-Infektion einhergehen, man spricht in diesem Zusammenhang von Simultan- oder Superinfektion. Das sogenannte Satellitenvirus HDV repliziert nur in Anwesenheit von HBV [2]. Das Virus wurde erstmals 1977 als HBV-assoziiertes Antigen («Delta agent») beschrieben. Weltweit sind rund 5% der chronisch mit HBV infizierten Patienten mit HDV koinfiziert [6,7].

Eine HDV-Koinfektion erhöht das Risiko einer fulminanten Hepatitis stark. Während die HDV-Simultaninfektion in 95% der Fälle eliminiert werden kann, führt die Superinfektion eines HBV-Trägers mit HDV bei 80% der Infizierten zu einem chronischen Verlauf [2]. Dies erhöht die Wahrscheinlichkeit, eine Leberfibrose oder Leberzirrhose zu entwickeln, um das Zehnfache und verdreifacht das Risiko, an einem HCC zu erkranken [8]. Der HDV-Übertragungsweg entspricht demjenigen von HBV.

Therapie: Es gibt keine spezifischen Medikamente zur Behandlung einer akuten Hepatitis B. Hingegen kann die chronische Hepatitis B mit antiviral wirkenden Medikamenten oder mit pegyliertem Interferon- α behandelt werden [5]. Mit den zur Verfügung stehenden antiviralen Therapien kann die HBV-Viruslast gesenkt werden. Da das HBV nicht aus dem Körper eliminiert werden kann, muss die Behandlung zur Verhinderung der Virusvermehrung oft lebenslang beibehalten werden [9]. Patienten mit Leberzirrhose oder dauerhaft erhöhter Entzündungsaktivität haben ein erhöhtes Risiko ein HCC zu entwickeln und sollten entsprechend monitorisiert werden. Zur Behandlung der HDV wird teilweise pegyliertes Interferon-α eingesetzt, wobei es sich hierbei um eine off-label Therapie handelt [9]. Die erste und einzige seit Kurzem auch in der Schweiz zugelassene medikamentöse Behandlungsoption bei HDV ist Bulevirtid (Hepcludex®) [20]. Bulevirtid blockiert den Eintritt der HB- und HD-Viren in Hepatozyten, indem es an NTCP –  einen Gallensalz-Lebertransporter, der als essentieller HBV/HDV-Eintrittsrezeptor dient – bindet und inaktiviert.

Impfung: Die Impfung schützt vor einer HBV-Infektion und bietet auch einen zuverlässigen Schutz gegen HDV. In der Schweiz empfiehlt das Bundesamt für Gesundheit (BAG) die Impfung bei 11 bis 15-Jährigen im Rahmen der Grundimmunisierung. Die Impfung kann im Erwachsenenalter nachgeholt werden. Kinder von HBV-positiven Müttern sollten nach Möglichkeit direkt nach der Geburt die erste Impfdosis erhalten [10]. Die Hepatitis-B-Impfung induziert anti-HBs-Antikörper, welche nahezu einen 100%-igen Impfschutz verleihen; ein Titer >100 IE gilt als sicher protektiv [9]. Die Hepatitis B-Impfung erfordert grundsätzlich drei Dosen (innerhalb eines halben Jahrs). Bei der Kombinationsimpfung mit Hepatitis A sind nur zwei Dosen notwendig, wenn die erste Injektion vor dem Alter von 16 Jahren durchgeführt wird. Beim Sechsfachimpfstoff für Säuglinge oder bei einem beschleunigten Impfschema (0, 1, 2, 12 Monate) sind jedoch vier Dosen erforderlich [19].

Hepatitis C ist heute gut behandelbar

HCV stellt, zusammen mit HBV, weltweit eine der Hauptursachen für akute und chronische Lebererkrankungen dar [2].

Verlauf: Akute HCV-Infektionen verlaufen meist asymptomatisch oder mit grippeähnlichen Symptomen, die bei etwa 15% der Erkrankten von selbst abheilen. In 60–85% der Fälle von HCV-Infektionen entwickelt sich eine chronische Hepatitis C. Aufgrund der HCV-induzierten Immunpathogenese kommt es zu einer Verminderung der Leberregeneration, was unbehandelt in der Ausbildung einer Leberfibrose/-zirrhose endet [11]. Bei etwa 15–20% der chronisch Erkrankten entwickelt sich nach 20–30 Jahren eine Leberzirrhose. Ausschlaggebend für die Progression der Leberzirrhose sind beispielsweise Geschlecht, genetische Faktoren, Alkoholkonsum, Fettleibigkeit und Insulinresistenz. Bei 2–4% der Patienten mit einer Leberzirrhose besteht das Risiko, an einem HCC zu erkranken [12].

Therapie: Eine HCV-Infektion ist heutzutage durch den Einsatz direkt wirkender antiviraler Medikamente (direct-acting antiviral agents, DAA) heilbar. Seitdem die DAA verfügbar sind, ist eine interferonbasierte Therapie überflüssig geworden [13]. Das Hauptziel der Behandlung einer chronischen HCV-Infektion ist die Eradikation des HCV. Eine Heilung der Virusinfektion im Sinne einer anhaltenden virologischen Reak­tion, ist definiert als das Fehlen eines Virusnachweises im Blut 12 Wochen nach Beginn der Anti-HCV-Therapie. Patienten, die diesen Endpunkt erreichen, haben eine rund 99%-ige Chance, die Heilung aufrechtzuerhalten [14]. Die Substanzkombinationen sind in der Regel sehr gut verträglich [9].

Hepatitis A führt häufiger zu akuter Hepatitis als HEV

HAV und HEV werden grundsätzlich als selbstlimitierende, akute Hepatitiden eingestuft. Etwa 30% der <6-jährigen Kinder und 70% der Erwachsenen entwickeln eine akute Hepatitis A. Eine symptomatische Hepatitis E tritt nur in 5% aller Transmissionen auf [2].

Verlauf: In etwa 10–20% der Fälle einer akuten, selbstlimitierenden Hepatitis A kommt es im Verlauf zu einem Rezidiv. Akutes Leberversagen ist eine sehr seltene Komplikation einer HAV-Infektion (ca. 0,5–1% der symptomatischen Fälle), wobei insbesondere ältere multimorbide Menschen davon betroffen sind [15]. Ernsthafte Folgen im Kontext einer HEV-Infektion sind besonders für Schwangere und Immunsupprimierte beschrieben [16].

Therapie: Aktuell gibt es lediglich supportive Behandlungsmöglichkeiten einer akuten HAV-Infektion, eine antivirale Therapie ist bislang nicht verfügbar. Patienten mit hartnäckiger Übelkeit oder Erbrechen sowie Patienten, die Anzeichen von Leberversagen zeigen, sollten eingewiesen und engmaschig überwacht werden [17]. Auch HEV-Infektionen können lediglich supportiv behandelt werden.

Literatur:

  1. Inselspital Bern: Virale Hepatitis, www.leberzentrum-bern.ch/de/medizinisches-angebot-leber-gallenblase/lebererkrankungen/virale-hepatitis.html, (letzter Abruf 24.07.2024).
  2. Bender D, Glitscher M, Hildt E: Die Virushepatitiden A bis E: Prävalenz, Erregermerkmale und Pathogenese Bundesgesundheitsblatt Gesundheitsforschung Gesundheitsschutz 2022; 65(2): 139–148.
  3. «Überblick über die akute Virushepatitis», Sonal Kumar, MD, MPH, Weill Cornell Medical College, Überprüft/überarbeitet Aug. 2022, www.msdmanuals.com, (letzter Abruf 24.07.2024).
  4. Robert-Koch-Institut (RKI): Labor für Hepatitisvirus-Infektionen, www.rki.de/DE/Content/Institut/OrgEinheiten/Abt1/FG15/Labor_Hepatitisvirus.html, (letzter Abruf 24.07.2024).
  5. «Hepatitis behandeln», Hepatitis Schweiz, https://hepatitis-schweiz.ch/testen-und-behandeln/behandeln, (letzter Abruf 24.07.2024).
  6. WHO: Global hepatitis report, 2020.
  7. Zhang Z, Urban S: Interplay between Hepatitis D Virus and the Interferon Response. Viruses. 2020 Nov 20; 12(11): 1334.
  8. Turon-Lagot V, et al.: Targeting the Host for New Therapeutic Perspectives in Hepatitis D. J Clin Med 2020 Jan 14; 9(1): 222.
  9. Universitäts Spital Zürich (USZ): Virushepatitis Therapie, www.usz.ch/fachbereich/gastroenterologie-und-hepatologie/angebot/virushepatitis-therapie, (letzter Abruf 24.07.2024).
  10. «Hepatitis B», Amt für Gesundheit, Basel Landschaft, www.baselland.ch, (letzter Abruf 24.07.2024).
  11. Bender D, Hildt E: Effect of Hepatitis Viruses on the Nrf2/Keap1-Signaling Pathway and Its Impact on Viral Replication and Pathogenesis. Int J Mol Sci 2019 Sep 19; 20(18): 4659.
  12. Robert-Koch-Institut: Epidemiologisches Bulletin, 2021.
  13. Mehta P, Grant LM, Reddivari AKR: Viral Hepatitis. [Updated 2024 Mar 10]. In: StatPearls [Internet]. Treasure Island (FL): StatPearls Publishing; 2024 Jan, www.ncbi.nlm.nih.gov/books/NBK554549, (letzter Abruf 24.07.2024).
  14. Simmons B, et al.: Risk of Late Relapse or Reinfection With Hepatitis C Virus After Achieving a Sustained Virological Response: A Systematic Review and Meta-analysis. Clin Infect Dis 2016; 62(6): 683–694.
  15. Shin EC, Jeong SH: Natural History, Clinical Manifes­ta­tions, and Pathogenesis of Hepatitis A. Cold Spring Harb Perspect Med. 2018 Sep 4; 8(9): a031708.
  16. Lhomme S, et al.: Hepatitis E Pathogenesis. Viruses. 2016 Aug 5; 8(8): 212.
  17. Koenig KL, Shastry S, Burns MJ: Hepatitis A Virus: Essential Knowledge and a Novel Identify-Isolate-Inform Tool for Frontline Healthcare Providers. West J Emerg Med 2017; 18(6): 1000–1007.
  18. Weltgesundheitsorganisation: Welt-Hepatitis-Tag, www.who.int/europe/de/news/item/28-07-2023-world-hepatitis-day–reducing-the-risk-of-liver-cancer, (letzter Abruf 24.07.2024).
  19. «Hepatitis B», www.infovac.ch/de/impfunge/nach-krankheiten-geordnet/hepatitis-b, (letzter Abruf 24.07.2024).
  20. Swissmedic: Arzneimittelinformation, www.swissmedicinfo.ch, (letzter Abruf 25.09.2024)

HAUSARZT PRAXIS 2024; 19(8): 18–21

Autoren
  • Mirjam Peter, M.Sc. 
Publikation
  • HAUSARZT PRAXIS 

Welche Rolle spielen Biomarker bei der Alzheimer-Krankheit? Und wie können Erkenntnisse über die Pathogenese der Migräne deren Therapie verbessern? Diese beiden Fragen wurden im Rahmen eines Presidential-Symposiums während des EAN 2018 in Lissabon diskutiert.

In dem Symposium, dessen einzelne Vorträge nach berühmten Neurologen benannt waren, vermittelten zwei internationale Experten die neuesten Entwicklungen zu Alzheimer und Migräne.

Edouard Brown-Séquard Lecture – Alzheimer

Prof. Dr. Philip Scheltens, Alzheimer Center Amsterdam, Niederlande, informierte über die Bedeutung von Biomarkern bei der Diagnose und Erforschung der Alzheimer-Krankheit (AD). Im Jahr 1984 war AD eine Ausschlussdiagnose, die man nur post mortem sicherstellen konnte. Heute gehören Biomarker wie Bildgebung, Beta-Amyloid, T-Tau und P-Tau-181 etc. zur Diagnose (siehe Kasten «Klinisch-biologisches Konzept der Alzheimer-Krankheit») [1,2]. Die Entwicklung von Biomarkern hat die Wahrnehmung der AD verändert und erlaubt es unter anderem, Subtypen der AD zu unterscheiden. Das National Institute on Aging and Alzheimer‘s Association (NIA-AA) hat erst im April dieses Jahres zur Diagnostik mit Biomarkern aktualisierte Erkenntnisse publiziert [3]. Sie besagen unter anderem, dass es sich bei Abwesenheit von Amyloiden nicht um eine AD handeln kann und dass die Menge der Tau-Ablagerungen mit der klinischen Präsentation korreliert.

Biomarker haben auch einen praktischen Wert, wie die Studie von Duits et al. zeigte [4]. In einer Memory Clinic in Amsterdam wurde bei 80% von 438 Patienten, die in die Studie eingeschlossen waren, eine Lumbalpunktion durchgeführt. Die Bestimmung der Biomarker im Liquor führte bei 7% der Patienten zu einer Änderung der Diagnose, die Sicherheit bei der Diagnosestellung stieg von 84% auf 89%, und bei 13% der Patienten wurde als Folge der Biomarker-Bestimmung das Krankheitsmanagment verändert. Auch die Bildgebung hat inzwischen bei der AD-Diagnose grosse Bedeutung [5]. In der aktuellen ABIDE-Studie wurde bei rund 500 Patienten, die im Amsterdamer Alzheimer Center untersucht wurden, ein PET-Scan durchgeführt [6]. Bei einem Viertel bis einem Drittel der Patienten (je nach vorliegendem Syndrom und Ätiologie) änderte sich nach dem PET-Scan die Diagnose, und bei 24% führte der PET-Scan zu einer Änderung des Krankheitsmanagements (weitere Abklärungen, Änderung der Medikation, Teilnahme an einer Studie etc.). Eine ähnliche Studie (IDEAS) läuft momentan in den USA mit rund 18 000 Patienten; die Resultate werden für Juli 2019 erwartet.

Biomarker können auch dabei helfen, das individuelle Risiko und die Prognose der Patienten besser zu beurteilen. In der Studie von van Maurik liess sich durch Einbezug verschiedener Biomarker-Werte bestimmen, wie hoch bei Patienten mit «Subjective Cognitive Declines» das Risiko ist, dass sie innerhalb von einem oder drei Jahren eine AD entwickeln [7]. Dieses Risiko ist ganz klar von Biomarkern wie z.B. dem Ausmass einer Gehirnatrophie, dem Beta-Amyloid oder den Tau-Werten abhängig. Die Autoren der Studien haben aus den Resultaten eine App entwickelt («Adappt»), die es dem Praktiker erlauben soll, für jeden Patienten rasch das individuelle Risiko zu bestimmen; ein Prototyp der App wird bereits angewendet.

Der Referent betonte, dass bezüglich Biomarker noch viel Arbeit geleistet werden müsse. «Ein wichtiges Ziel ist, dass wir mit Biomarkern auch die frühe Diagnose verbessern können», sagte er. «Das sollte möglich sein, denn die Bildung von Amyloiden geht der Symptomatik bei AD um Jahrzehnte voraus.» Diese Zeit liesse sich für präventive Massnahmen nützen. Ein weiteres Anwendungsgebiet von Biomarkern ist die Medikamentenentwicklung. «Hier müssen wir nach den letzten zehn Jahren, in denen nichts erreicht wurde, unbedingt besser werden», appelierte Prof. Scheltens.

 

 

Moritz Romberg Lecture – Migräne

Über neue Erkenntnisse zur Pathogenese der Migräne und neue Therapie-Targets sprach Prof. Dr. Jes Olesen, Rigshospitalet Glostrup, Dänemark. Migräne ist gemäss der WHO die zweithäufigste zur Arbeitsunfähigkeit führende Erkrankung der Welt. Am häufigsten betroffen sind Personen zwischen dem 20. und 50. Lebensjahr – in dieser Altersgruppe ist Migräne sogar die wichtigste invalidisierende Krankheit (vor Rückenschmerzen und Depressionen). In der genannten Altersgruppe leiden rund 25% aller Frauen und 10% der Männer an Migräne. «Leider gibt es immer noch keine Biomarker für Migräne», bedauerte der Referent, «und auch in der neurologischen Bildgebung sieht bei Migräne-Patienten alles normal aus.» Diese Faktoren erschweren die Migräne-Forschung und die Entwicklung neuer Medikamente.

Bei rund 30–57% der Patienten mit Migräne mit Aura ist eine hereditäre Ätiologie vorhanden. Dazu passt, dass das Risiko für Geschwister von Migräne-Patienten, selbst an Migräne mit Aura zu leiden, um den Faktor 3,8 höher ist als in der Allgemeinbevölkerung. Bisher hat die Forschung 42 Genloki gefunden, die mit der Entwicklung einer Migräne im Zusammenhang stehen. Diese Loki geben Einsicht in die Pathogenese der Migräne-Symptome: Fünf der 42 Loki stehen in Verbindung mit der Ionen-Homöostase, neun mit oxidativem Stress und NO-Signalwegen, neun andere mit Gefässerkrankungen. «Ob eine Migräne einen hereditären Hintergrund hat oder nicht, ist auch mit der Wirksamkeit von Medikamenten assoziiert», berichtete Prof. Olesen. Die meisten Migräne-Medikamente – ob prophylaktisch oder beim akuten Anfall eingesetzt – wirken bei Patienten mit hereditärer Migräne besser.

Die Hypoperfusion während eines Migräne-Anfalls breitet sich mit einer Geschwindigkeit von 2–3 mm/min über den Kortex aus. Liesse sich diese Ausbreitung unterdrücken, träten auch weniger Migräneattacken auf. Ein wirksames Mittel dazu ist die Inhibition von NO, wie experimentelle Studien zeigen. Leider gibt es aber noch keine Medikamente, welche die Produktion von NO im Gehirn wirksam unterdrücken können. Ein weiterer Therapieansatz ist die Hemmung von beta-CGRP, einem stark vasodilatatorisch wirksamen Peptid im Gehirn. Im Jahr 2004 wurde ein Antagonist gegen CGRP entwickelt, der in Dosierungen von 2,5 bis 10 mg eine Response-Rate von bis zu 80% innerhalb von zwei Stunden zeigte, doch wurde nie ein entsprechendes Medikament auf den Markt gebracht. Aktuell in Entwicklung sind verschiedene monoklonale Antikörper: Einer ist in den USA schon auf dem Markt, und er wird voraussichtlich innerhalb des nächsten Jahres auch in Europa zugelassen.

Quelle: 4. Kongress der European Academy of Neurology (EAN), 16.–19. Juni 2018, Lissabon (Portugal)

Literatur:

  1. Dubois B, et al.: Research criteria for the diagnosis of Alzheimer’s disease: revising the NINCDS-ADRDA criteria. Lancet Neurol 2007; 6(8): 734–746.
  2. Dubois B, et al.: Advancing research diagnostic criteria for Alzheimer’s disease: the IWG-2 criteria. Lancet Neurol 2014; 13(6): 614–629.
  3. Jack CR, et al.: NIA-AA Research Framework: Toward a biological definition of Alzheimer’s disease. Alzheimers Dement 2018 Apr; 14(4): 535-562. doi: 10.1016/j.jalz.2018.02.018.
  4. Duits FH, et al.: Diagnostic impact of CSF biomarkers for Alzheimer‘s disease in a tertiary memory clinic. Alzheimers Dement 2015; 11(5): 523–532.
  5. Morbelli S, et al.: Imaging biomarkers in Alzheimer’s
  6. disease: added value in the clinical setting. Q J Nucl Med Mol Imaging 2017 Dec; 61(4): 360–371.
  7. de Wilde A, et al.: Association of Amyloid Positron Emission Tomography With Changes in Diagnosis and Patient Treatment in an Unselected Memory Clinic Cohort: The ABIDE Project. JAMA Neurol 2018 Jun 11. doi: 10.1001/jamaneurol.2018.1346. [Epub ahead of print]
  8. van Maurik IS, et al.: Interpreting Biomarker Results in Individual Patients With Mild Cognitive Impairment in the Alzheimer‘s Biomarkers in Daily Practice (ABIDE) Project. JAMA Neurol 2017 Dec 1; 74(12): 1481–1491.

InFo NEUROLOGIE & PSYCHIATRIE 2018; 16(5): 49–50

Autoren
  • Dr. med. Eva Ebnöther 
Publikation
  • INFO NEUROLOGIE & PSYCHIATRIE 

Kopfschmerzarten gibt es viele. Die Migräne ist sicherlich eine der häufigsten. Noch dazu eine Form, die eine hohe Belastung und weitreichende Auswirkungen auf die Lebensqualität mit sich bringt. Daher stuft die WHO die Erkrankung auch als zweitwichtigste Ursache für Lebensjahre mit Behinderung ein. Viel wurde in den letzten Jahren und Jahrzehnten geforscht, um effektive Therapiestrategien zu entwickeln. Ein aktueller Überblick.

Kopfschmerzen gehören – gleich nach Karies – zu den häufigsten Erkrankungen des Menschen. Dabei liegt der Kopfschmerz vom Spannungstyp auf Platz zwei, Migräne auf Platz drei mit einer Einjahresprävalenz für alle Kopfschmerzen von 86% bei Frauen und 71,1% bei Männern. Nicht verwunderlich demnach, dass Kopfschmerzerkrankungen für mehr als 75% aller durch neurologische Erkrankungen bedingten Jahre mit Behinderung verantwortlich sind [1]. Inzwischen werden nach den internationalen IHS-Kriterien 367 unterschiedliche Kopfschmerzformen klassifiziert [2]. Die Migräne wird zur Gruppe der primären Kopfschmerzen gezählt, die als eigenständige Erkrankung fungiert und nicht auf anderen Auslöser zurückzuführen ist. In der Schweiz leiden mehr als eine Mio. Einwohner unter dieser Form des primären Kopfschmerzes [3].

Hoher Leidensdruck bedarf effektiver Therapie

Der Leidensdruck von Migräne-Patienten ist hoch. In einer weltweiten Befragung unter 11’000 Betroffenen wurde die durchschnittliche Schmerzintensität während eines Migräneanfalls mit 7,4 von 10 Punkten angegeben [4]. Die Behandlung einer Migräne sollte daher umfassend und effektiv sein und ist auf drei Säulen aufgebaut:

  • Verhalten
  • Prophylaxe
  • Akuttherapie

Zur Verhaltensmodifikation gehören neben ­einem umfangreichen Wissen über die Erkrankung vor allem eine Verlaufs- und Erfolgs­kontrolle, Tagesplanung, Stressreduktion, Ernährung und Sport. So hat sich beispielsweise ein aerobes Ausdauertraining, dreimal wöchentlich 45 Minuten mit einem Pulsziel von 120–140/min bewährt. Auch Verhaltens- und psychotherapeutische Massnahmen und Entspannungstherapien können helfen, mit der ­Erkrankung besser umzugehen. Auch sollten ­Noxen wie Alkohol, Koffein oder Nikotin kontrolliert und Medikamente abgesetzt werden, die nichts nützen oder sogar schaden.

Schnell und gezielt die akuten Schmerzen lindern

Ziel einer Akuttherapie ist es, eine rasche Schmerzfreiheit bei guter Verträglichkeit zu erreichen. Dafür stehen unspezifisch wirkende und spezifisch wirkende Medikamente zur Verfügung. Bei geringer Schmerzintensität kann auf NSAR und andere Analgetika zurückgegriffen werden. Migräneattacken mit mittlerer bis hoher Schmerzintensität werden vorwiegend mit Triptanen behandelt. Diese wurden speziell für die Migränetherapie entwickelt und sollten möglichst frühzeitig eingenommen werden. Je nach Präparat unterscheiden sie sich nicht nur in ihrer Darreichungsform, sondern auch im Wirkeintritt und der Wirkdauer. Daher kann sehr differenziert und individuell auf die Bedürfnisse des Patienten zugeschnitten ausgewählt werden.

Vorbeugen ist besser als Medikamenten-induzierten Kopfschmerz heilen

Da sich die Akuttherapie allerdings nicht für eine Langzeiteinnahme eignet und das Risi­ko ­eines Medikamentenübergebrauchs-Kopfschmerzes hoch ist, sollte bei Migräne-Patienten, die unter häufigen, schweren und/oder lang andauernden Migräneattacken leiden, auf eine Migräne-Prophylaxe zurückgegriffen werden. Die Indikation zur medikamentösen Prophylaxe ergibt sich demnach aus dem besonderen Leidensdruck, Einschränkungen der Lebensqualität sowie dem Risiko eines Medikamentenübergebrauchs. Es stehen ­einige Behandlungsmöglichkeiten zur Verfügung. Unspezifisch wirken Antidepressiva, Antikonvulsiva, Betablocker oder Kalziumantagonisten.

Antikörper hemmen Schlüsselfunktion

Gezielt auf das Calcitonin gene-related Peptide (CGRP) im trigeminalen System wirken hingegen CGRP-Antikörper. CGRP spielt eine Schlüsselfunktion in der Entstehung des Migräneschmerzes. Durch Blockade der CGRP-Rezeptoren kann daher die Gefässerweiterung und der Gefässtonus reduziert und die Schmerz-weiterleitung gehemmt werden, ebenso wie die Sensitivierung und Schmerzempfindlichkeit der Blutgefässe und die neurogene Entzündung. So lassen sich die monatlichen Migränetage bei einem Grossteil der Betroffenen wirksam reduzieren.

Literatur:

  1. Global Burden of Disease Study 2016. Lancet 390 (10100): 1211–1259.
  2. Internationale Klassifikation von Kopfschmerzerkrankungen, 3. Auflage, ICHD-3. Abrufbar unter: https://ichd-3.org/de/
  3. Merikangas KR, Cui L, Richardson AK, et al.: Magnitude, impact, and stability of primary headache subtypes: 30 year prospective Swiss cohort study. BMJ 2011; 343: d5076.
  4. Martelletti P, et al.: My Migraine Voice survey: a global study of disease burden among individuals with migraine for whom preventive treatments have failed. J Headache Pain 2018; 19(1): 115.

InFo NEUROLOGIE & PSYCHIATRIE 2021; 19(3): 30

Autoren
  • Leoni Burggraf 
Publikation
  • INFO NEUROLOGIE & PSYCHIATRIE