Die hämatopoetische Stammzelltransplantation (HSZT) kommt bei Multipler Sklerose als ultima ratio zum Einsatz. Der Neustart des Immunsystems ist auf Heilung ausgerichtet, birgt aber starke Nebenwirkungen. Sowohl infektiöse als auch nicht-infektiöse Lungenkomplikationen können zu verstärkter Morbidität und Mortalität führen. Zuletzt wurden Erfolge bei der Prophylaxe und Behandlung infektiöser Komplikationen erzielt, was die Bedeutung nicht-infektiöser Lungenerkrankungen in den Vordergrund rückt.
Lungenkomplikationen treten bei bis zu einem Drittel der HSZT-Patienten auf. Zu den Faktoren, die mit einem erhöhten Risiko für Lungenkomplikationen verbunden sind, gehören Alter, Graft-versus-Host-Disease (GvHD), die Stammzellquelle und die zugrunde liegende Lungenerkrankung, schreibt ein Team um Dr. Samran Haider von der Division of Pulmonary, Critical Care and Sleep Medicine an der Wayne State University School of Medicine, Detroit [1]. Zur Identifizierung von Patienten, bei denen ein hohes Risiko für die Entwicklung von Lungenkomplikationen, Atemversagen und/oder Mortalität nach HSZT besteht, stehen Lungenfunktionstests (PFT) vor der Transplantation – einschliesslich des erzwungenen Exspirationsvolumens in 1s (FEV1) – und der Diffusionskapazität der Lunge für Kohlenmonoxid (DLCO) zur Verfügung. Auch das Rauchen vor der Transplantation kann ein unabhängiger Prädiktor für Langzeitkomplikationen und den Tod sein. Antimikrobielle Prophylaxe und Behandlungsstrategien haben das Auftreten infektiöser Lungenkomplikationen nach einer HSZT wirksam verringert, doch die Inzidenz nicht-infektiöser Lungenverletzungen steigt weiter an. Auch hat die Verbesserung unterstützender Massnahmen zu einem besseren Überleben nach akuten nicht-infektiösen Lungenkomplikationen geführt und somit die Bedeutung von späten nicht-infektiösen Komplikationen (wie dem Bronchiolitis-obliterans-Syndrom, BOS, und der interstitiellen Lungenerkrankung, ILD) erhöht.
Diagnose nicht-infektiöser Lungenkomplikationen
Für die Behandlung von Lungenkomplikationen nach HSZT ist es wichtig, dass alle Patienten vor der Transplantation durch gründliche Anamnese, körperliche Untersuchung, PFT und Röntgenaufnahme des Brustkorbs untersucht werden. Thorax-CT-Scans können indiziert sein insbesondere bei älteren Patienten, Rauchern oder Patienten mit einer abnormalen initialen Evaluation. Diese Untersuchungen sollten als Grundlage für Änderungen nach der Transplantation dienen.
Dr. Haider rät, Atemwegsbeschwerden in der ersten Zeit nach der Transplantation (im Allgemeinen in den ersten 100 Tagen) im Zusammenhang mit der Schwere der Symptome und dem Immunstatus des Patienten (Neutrophilenzahl, immunsuppressive Medikamente, Vorhandensein einer akuten GvHD und antimikrobielle prophylaktische Massnahmen) zu bewerten. Infektionen sollten in dieser Zeit zuerst erwogen werden. Ein hochauflösendes Thorax-CT kann Informationen zur Ätiologie der Symptome des Patienten liefern. Die Bronchoskopie mit bronchoalveolärer Lavage (BAL) ist gut verträglich und führt bei etwa der Hälfte der Patienten zu einer Diagnose. Chirurgische Lungenbiopsien sind heutzutage nach einer HSZT selten erforderlich, und die Entscheidung, mit diesem Verfahren fortzufahren, sollte in einem multidisziplinären Ansatz und von Fall zu Fall getroffen werden.
In der späten Post-HSZT-Phase gewinnen chronische nicht-infektiöse Lungenkomplikationen, einschliesslich BOS, ILD oder gemischte Veränderungen, an Bedeutung. Wenn der mit diesen Erkrankungen verbundene Schaden erst einmal festgestellt wurde, sind die Behandlungsmöglichkeiten begrenzt. Dr. Haider et al. empfehlen daher, die Patienten nach der HSZT durch regelmässige ambulante Besuche und Überprüfung der Atemwegsbeschwerden sorgfältig zu überwachen. Eine Screening-Spirometrie sollte nach den ersten 100 Tagen alle 3 Monate und für die ersten 2 Jahre durchgeführt werden. Das Vorhandensein eines neuen obstruktiven Musters im Vergleich zu den Ausgangswerten spricht für ein Bronchiolitis-obliterans-Syndrom, während ein neuer restriktiver Befund auf eine ILD hindeutet. Auch kann es gelegentlich zur Kombination neuer obstruktiver und restriktiver Veränderungen kommen, was gemischtes Muster aus BOS und ILD widerspiegelt. Wenn bei den PFT Veränderungen auftreten und persisitieren, ist die HRCT hilfreich bei der Abgrenzung der Lungenerkrankung. Die Ergebnisse eines inhomogenen Air-Trappings in der exspiratorischen CT (Mosaikmuster), eine Verdickung der kleinen Atemwege oder Bronchiektasie stimmen mit BOS überein, wohingegen sich eine mit GvHD assoziierte ILD normalerweise radiologisch mit anhaltenden multilobaren Trübungen mit oder ohne Pleuraveränderungen manifestiert.
Die Autoren haben in einer Übersichtsarbeit akute und chronische nicht-infektiöse Lungenkomplikationen nach HSZT zusammengetragen und dabei diagnostische Kriterien, Inzidenz, Pathogenese, Ergebnisse und jüngste Fortschritte im Management hervorgehoben.
Idiopathisches Pneumonie-Syndrom (IPS)
Die American Thoracic Society definiert das idiopathische Pneumonie-Syndrom (IPS) als eine idiopathische Pneumopathie nach HSZT. Die Diagnose von IPS erfordert den Nachweis einer weit verbreiteten Alveolarverletzung ohne gleichzeitige Infektion, iatrogene Flüssigkeitsüberladung, Herz- oder Niereninsuffizienz. IPS tritt sowohl bei allogenen als auch bei autologen HSZT-Patienten auf und wird anhand der vermuteten Stelle der Gewebeverletzung weiter klassifiziert (Tab. 1). Die Inzidenz von IPS nach myeloablativem präparativem Regime beträgt etwa 3–15%. Zu den Risikofaktoren für IPS nach allogener HSZT gehören Konditionierung bei voller Intensität, Ganzkörperbestrahlung, GvHD, Alter >40 Jahre und die zugrunde liegende Diagnose einer akuten Leukämie oder eines myelodysplastischen Syndroms. Eine Bronchoskopie mit bronchoalveolarer Lavage der betroffenen Bereiche ist wichtig, um einen infektiösen Prozess auszuschliessen.
Peri-Engraftment-Atemnotsyndrom (PERDS)
Das Peri-Engraftment-Atemnotsyndrom (PERDS) ist eine Form der akuten Lungenverletzung, die bei einer Untergruppe von Patienten mit Engraftment-Syndrom (ES) auftritt. Es ist definiert als hypoxämisches Atemversagen und bilaterale Lungeninfiltrate, die zum Zeitpunkt der Transplantation auftreten und nicht vollständig durch Herzfunktionsstörungen oder Infektionen erklärt werden können. PERDS wird bei allogener HSZT seltener berichtet als bei autologer.
Obwohl die genauen Mechanismen unklar bleiben wird postuliert, dass die Rolle aktivierter Granulozyten, die proinflammatorische Zytokine wie Interleukin(IL)-1β, IL-2 oder IL-6 freisetzen, und der Zustrom von Neutrophilen in die Lunge während der Transplantation eine primäre Rolle spielen. In der allogenen Umgebung kann es schwierig sein, PERDS von akuter GvHD zu unterscheiden, da sich die klinischen Symptome signifikant überschneiden. Es scheint, dass weniger geschädigte Stammzellen, Endothelzellen und Gewebe zum Zeitpunkt der Transplantation mehr proinflammatorische Zytokine freisetzen, was die Entwicklung dieses Syndroms erleichtert.
Klinische Anhaltspunkte für die Diagnose sind systemische entzündliche Manifestationen wie diffuser Hautausschlag, Durchfall, Leberfunktionsstörung, Nierenfunktionsstörung, vorübergehende Enzephalopathie und andere Kapillarleckmerkmale wie nicht kardiogene Lungeninfiltrate, Hypoxie und Gewichtszunahme ohne alternative ätiologische Grundlage ausser der Transplantation. Die empfohlene Behandlung von PERDS umfasst die sofortige Behandlung mit einer hohen Dosis von Kortikosteroiden (1 bis 2 mg/kg−1 Methylprednisolon zweimal täglich für 3 Tage), gefolgt von einer schnellen Reduktion. Das Ansprechen ist typischerweise schnell, wobei sich die Sauerstoffversorgung bei den meisten Patienten innerhalb weniger Tage nach Beginn der Behandlung verbessert. Unterstützende Massnahmen umfassen Antipyretika, Sauerstoff, Diuretika und Intubation/mechanische Beatmung.
Diffuse Alveolarblutung (DAH)
Die diffuse alveoläre Blutung (DAH) ist ein IPS-Subtyp, der als BAL definiert und verschiedene Manifestationen wie Dyspnoe, unproduktiver Husten oder Hämoptyse und Hypoxämie mit oder ohne Fieber mit sich ziehen kann. Auch ist u.a. eine zunehmend blutigere Rücklaufflüssigkeit bei seriellen Lavagen zu beobachten, ≥20% mit Hämosiderin beladene Makrophagen oder Blut in mindestens 30% der Alveolaroberflächen. Die DAH ist durch ein schnelles Fortschreiten des Atemversagens gekennzeichnet und wird eher als Anzeichen einer zugrunde liegenden Lungenverletzung angesehen, die von mehreren Risikofaktoren beeinflusst wird, denn als eine eigenständige Krankheit.
Die Therapie bleibt empirisch und daher unzureichend, was auf die unbekannte Pathogenese der Erkrankung zurückzuführen ist. Häufig werden systemische Kortikosteroide eingesetzt, jedoch mit unbefriedigendem Ergebnis. Unterstützende Massnahmen können auch Blutplättchentransfusionen, prokoagulierende Therapien (Aminocapronsäure und rekombinanter Faktor VIIa) und Cytokinantagonisten (Etanercept, Cyclophosphamid) umfassen, die in kleinen Studien mit unterschiedlichem Erfolg eingesetzt wurden.
In den meisten Fällen ist eine mechanische Belüftung erforderlich. Die extrakorporale Membranoxygenierung (ECMO) wurde als Rettungstherapie bei der Behandlung schwerer Lungenverletzungen im Zusammenhang mit DAH und anderen Formen von IPS eingesetzt. Aufgrund der schlechten Überlebensraten sollte der Einsatz jedoch auf individueller Patientenbasis bewertet werden.
Kryptogene organisierende Lungenentzündung (COP)
Kryptogene organisierende Pneumonie (COP) war früher als Bronchiolitis obliterans bekannt. Es handelt sich um ein Syndrom, das aus unspezifischen respiratorischen Symptomen (Fieber, Atemnot und Husten), fleckiger Konsolidierung bei der Bildgebung und einem restriktiven Beatmungsdefekt bei Lungenfunktionstests besteht. COP kommt häufiger nach allogener HSZT vor und hat dort eine Inzidenz zwischen 1 und 10%. Sie tritt in der Regel zwischen 2 und 15 Monaten nach der Transplantation auf.
Risikofaktoren umfassen HSZT von Frau zu Mann, HLA-Inkompatibilität, akute oder chronische GvHD und periphere Blutstammzelltransplantation. Die Symptome sind unspezifisch und umfassen Fieber, Atemnot und Husten. COP ist häufig mit GvHD der Haut assoziiert. In Lungenfunktionstests hat sich gezeigt, dass ein restriktiver Beatmungsdefekt, FEV1, erzwungene Vitalkapazität, Gesamtlungenkapazität und DLCO erheblich reduziert sind.
COP wird über einen längeren Zeitraum mit Kortikosteroiden behandelt. Die Patienten werden typischerweise mit einer Prednison-Dosis von 0,5–1 mg/kg−1 bei langsamer Reduzierung behandelt. Rückfälle sind häufig und können auftreten, wenn die Steroide reduziert werden.
Bronchiolitis-obliterans-Syndrom (BOS)
BOS ist durch eine neu auftretende Luftstromlimitierung nach allogener HSZT gekennzeichnet. Es wird auch bei Patienten mit inhalativer Exposition, rheumatoider Arthritis und Patienten, die sich einer Lungentransplantation unterzogen haben, berichtet. Es ist bekannt, dass chronische GvHD (insbesondere Haut und Auge) mit BOS assoziiert sind. Symptome können Dyspnoe bei Anstrengung, Husten oder Keuchen sein, wobei viele Patienten zu Beginn des Krankheitsprozesses asymptomatisch sind. Die Diagnose von BOS erfordert einen PFT und einen exspiratorischen CT-Thorax.
Krankheitsmanifestationen treten normalerweise nach etwa 100 Tagen und innerhalb der ersten 2 Jahre nach allogener HSZT auf. Der klinische Verlauf ist variabel, wobei einige Patienten eine rasche Abnahme der Lungenfunktion zeigen, während andere eine langsam fortschreitende Erkrankung mit Exazerbations-Episoden zeigen. Ein PFT-Screening 100 Tage und 1 Jahr nach der Transplantation oder bei der Erstdiagnose einer chronischen GvHD wird empfohlen, ebenso ein weiteres PFT-Screening in Intervallen von 3 Monaten für die ersten 2 Jahre nach der Erstdiagnose einer chronischen GvHD.
Die Behandlung von BOS ist eine Herausforderung. Kortikosteroide werden aufgrund von Nebenwirkungen nicht empfohlen. Retrospektive Beobachtungsstudien haben eine Verbesserung des klinischen Status sowie einen Anstieg des FEV1 bei BOS-Patienten gezeigt, die mit Azithromycin behandelt wurden. Montelukast wurde kürzlich an Patienten untersucht, die nach Lungentransplantation BOS entwickelten und zeigte im Stadium 1 nach Lungentransplantation im Vergleich zu Placebo nach 1 Jahr eine Verlangsamung des FEV1-Rückgangs im Vergleich zu Placebo. Eine Studie untersuchte die Anwendung von inhalativem Budesonid/Formoterol bei Patienten mit BOS nach allogener HSZT. Die Studie zeigte einen Anstieg des FEV1 um einen Median von 240 ml. Der Anstieg wurde bei der 6-monatigen Nachuntersuchung aufrechterhalten. Trotz der Verbesserung von FEV1 berichteten die Patienten jedoch nicht über eine Verbesserung der respiratorischen Symptome.
Zu den das Management von BOS nach HSZT unterstützenden Massnahmen gehören die Früherkennung und Behandlung von Infektionen der Atemwege, die Behandlung der gastroösophagealen Refluxkrankheit und die Lungenrehabilitation.
Zunehmende Bedeutung
Nicht-infektiöse Lungenkomplikationen gewinnen bei Patienten nach HSZT zunehmend an Bedeutung. Die diagnostischen Kriterien und die Terminologie für diese Störungen bleiben aufgrund der signifikanten Überlappung zwischen den klinischen Entitäten und ihrer Koexistenz mit infektiösen Komplikationen verwirrend, resümieren Dr. Haider und Kollegen. Mit zunehmender Anzahl der durchgeführten HSZT wird die Kenntnis über die Lungenkomplikationen nach einem solchen Eingriff immer wichtiger. Leider fehlen gut konzipierte klinische Studien zur Behandlung dieser Erkrankungen, wie die Autoren bemängeln. Eine multizentrische Zusammenarbeit zur Erfassung von Daten zu Risikofaktoren, diagnostischen Ansätzen und Managementstrategien sei daher erforderlich.
Bis heute konnten noch nicht alle Einzelheiten in der Pathophysiologie der Multiplen Sklerose restlos aufgeklärt werden. Doch eine wichtige Erkenntnis konnte gewonnen werden: je früher man in die Erkrankung eingreift, umso besser ist es. Ein Schwerpunkt der Forschung liegt daher auf dem Verständnis der Mechanismen der Neurodegeneration und im Verlauf dann der Entwicklung neuroprotektiver Strategien.
Die Multiple Sklerose (MS) ist eine Autoimmunerkrankung, die in der Peripherie – also beispielsweise den Lymphknoten – startet. Dort kommt es zu einer Fehlregulation unterschiedlicher Immunzellen. Diese Fehlregulation führt zu einer Infiltration der aktivierten T-Zellen ins ZNS und schlussendlich zum Beginn der MS [1]. Daraufhin siedeln sich bestimmte Immunzellen ab und es werden kontinuierlich Entzündungsmediatoren freigesetzt, sodass eine Schädigung der Nervenzellen die Folge ist. Im späteren Verlauf der Erkrankung nimmt die Anzahl der Entzündungszellen im ZNS zugunsten einer «organisierten» Entzündungsreaktion ab. Diese treibt den Untergang der Nervenzellen und die Demyelinisierung weiter voran. Während der Erkrankung zeigen sich im Gehirn eine kortikale Atrophie, eine Atrophie der weissen ebenso wie der grauen Substanz sowie des Cerebellums.
Es wird davon ausgegangen, dass zu Beginn der MS eine chronische Entzündung des ZNS vorliegt. Dadurch werden unterschiedliche reaktive Spezies, wie Stickstoff bzw. Sauerstoff, Glutamat oder Zytokine freisetzt. Dies führt neben einem oxidativen Stress zu einer Schädigung der Mitochondrien und einer Demyelinisierung. Ein Energiedefizit und eine Umverteilung der Ionenkanäle sind die Folge. Es kommt zu einer Ionen-Dysbalance sowie zu einem Calcium und Natrium Überschuss. Die Aktivierung von Abbauenzymen sowie das Anschwelle der Zellen trägt letztendlich dann zur neuroaxonalen Schädigung bei [2]. Im Überblick kann man sagen, dass eine kontinuierliche mikrogliale Aktivität und meningeale Entzündung mit einer neuronalen Verletzung der weissen und grauen Substanz einhergehen. Es besteht ein Ungleichgewicht zwischen Stressorbelastung und neuronaler Pufferkapazität. Der Ausgleich über antientzündliche Therapiestrategien und damit der Verminderung der Stressorbelastung ist eine Möglichkeit, die aktuell auch intensiv verfolgt wird. Doch die Stärkung der protektiven Pfade sollte nicht ausser Acht gelassen werden. Inzwischen konnte belegt werden, dass eine Modulierung der Immunreaktion in den frühen Phasen der MS von Vorteil ist. Entsprechend besteht ein hoher klinischer Bedarf an neuroprotektiven Strategien mit dem Ziel, die neuronale Widerstandsfähigkeit gegenüber entzündlichen Herausforderungen zu stärken.
Auf den Spuren der Neurodegeneration
Mit Hilfe einer Einzelzellsequenzierung konnte beobachtet werden, dass die meisten differentiell exprimierten Gene bei MS-Patienten in exzitatorischen Neuronen zu finden sind [3]. Dies triggert wiederum u.a. eine Neurotransmitter Sekretion, einen Energie Metabolismus, die Mitochondriale Permeabilität sowie eine Reaktion gegen ungefaltete Proteine. Einen Ansatzpunkt für eine mögliche Rebalancierung bietet nun die Glutamat Exzitotoxizität. Denn die Glutamat-Rezeptor Gene sind mit schwereren MS-Verläufen assoziiert [4]. Wie sich gezeigt hat, ist vor allem der GRM8 ist ein potenter Modulator der Glutamat Exzitotoxizität und damit potentiell neuroprotektiv. Denn eine GRM8-Aktivität begrenzt die toxische zytosolische und nukleare Kalziumakkumulation. Entsprechend könnte eine GRM8-Aktivierung ein wirksamer therapeutischer Ansatz sein, um die neuronale Widerstandsfähigkeit zu erhöhen und der entzündlichen Neurodegeneration bei MS entgegenzuwirken.
Patientinnen und Patienten mit MS sollten frühzeitig über mögliche und häufige Blasenstörungen aufgeklärt werden. Das Problembewusstsein bei behandelnden Ärzten sollte geschärft werden, damit rechtzeitig eine adäquate Diagnostik und Therapie eingeleitet werden kann und sich so Komplikationen vermeiden lassen. Eine Gangstörung eignet sich als Eingangskriterium für eine urologische Abklärung. Die Ziele der Therapie einer Blasenstörung bei MS sind das Sicherstellen einer periodischen und vollständigen Entleerung der Blase, Behandlung oder Beherrschung der überaktiven Blase/Inkontinenz, Schutz des oberen Harntrakts und die Vermeidung von Komplikationen, insbesondere von Harnwegsinfekten. Rezidivierende Harnwegsinfekte bei MS begünstigen das Fortschreiten der MS; die Prävention von Harnwegsinfekten bedeutet damit Schub- bzw. Progressionsprävention.
Die Multiple Sklerose (MS) als chronisch-entzündliche Erkrankung des zentralen Nervensystems ist die häufigste neurologische Erkrankung im jungen Erwachsenenalter. Die vergangenen Jahrzehnte waren durch einen enormen Erkenntniszuwachs zu Ätiologie und Immunpathogenese der Erkrankung geprägt. Diese neuen Erkenntnisse gipfelten in mittlerweile etablierten immunologisch orientierten Behandlungsmöglichkeiten.
Neben Störungen der Motorik, der Hirnnerven, neuropsychologischen Symptomen und Schmerzen schränken vegetative Funktionsdefizite wie die Störung der Harntraktfunktion oder eine Harninkontinenz die Lebensqualität der Betroffenen in besonderem Masse ein. Diese Störungen rufen Komplikationen hervor und beeinflussen andere Symptome der Erkrankung, wie Spastik und Fatigue, negativ.
Symptome des Harntrakts: fast alle MS-Patienten betroffen
Harntraktsymptome sind bereits bei 15% der Betroffenen Initialsymptom der Erkrankung, 80% haben im Verlauf der Erkrankung Miktionsbeschwerden. Nach zehn Erkrankungsjahren sind fast alle Patienten von einer Blasenstörung betroffen [1]. Bei bestehenden Gangstörungen kann von einer Blasenfunktionsstörung ausgegangen werden. Die Störungen der Harnblasenfunktion und die Harninkontinenz mindern die Lebensqualität der Betroffenen erheblich. Die Symptome der Grunderkrankung und der Harntraktfunktion können sich dabei gegenseitig beeinflussen und verstärken, so etwa die wechselseitige Verstärkung von Blasen- und Extremitätenspastik.
Blasenfunktionsstörung im Frühstadium der MS äussern sich oft als Harnspeicherstörungen, die sich unter dem Symptomkomplex der überaktiven Blase mit oder ohne begleitende Dranginkontinenz zusammenfassen lassen. Blasenfunktionsstörungen bei fortgeschrittener MS manifestieren sich zunehmend als kombinierte Speicher- und Entleerungsstörung, wobei zu den Symptomen der überaktiven Blase eine Harnretention hinzutritt. Bei konservativ nicht zu beherrschender Störung der Blasenfunktion bei weit fortgeschrittener MS und funktionell wie morphologisch dekompensiertem Harntrakt stellt sich nicht selten die Frage, ob und wann eine Harnableitung angezeigt ist.
Komplikationen von Störungen des Harntrakts
Komplikationen der MS im unteren und oberen Harntrakt kommen häufig vor. Harnwegsinfektionen treten bei rund einem Drittel aller Patienten regelmässig auf, das Risiko steigt in Korrelation zu einem vorhandenen Restharn, zum Geschlecht (42% bei Frauen vs. 17% bei Männern), zum Vorhandensein eines Dauerkatheters und zu einem hohen Blasendruck als Folge eines hyperaktiven Detrusors. Schäden des unteren Harntrakts wie eine Blasenwandverdickung, Trabekel oder Divertikel treten bei bis zu 30% der Patienten auf.
Die Inzidenz von Blasenkarzinomen ist bei MS ebefalls höher als in der Allgemeinbevölkerung, insbesondere bei liegendem Dauerkatheter und Immunsuppression. Auch der obere Harntrakt kann von Komplikationen betroffen sein: Infektionen der oberen Harnwege bei 8% der Patienten, Dilatation der oberen Harnwege in 8% der Fälle, vesikoureteraler Reflux bei 5% und Urolithiasis bei 2–11% [2]. Als Hauptrisikofaktoren für Komplikationen im oberen Harntrakt gelten die Dauer der Erkrankung, ein liegender Dauerkatheter, ungehemmte Detrusorkontraktionen hoher Amplitude oder ein permanent hoher Detrusordruck. Sekundäre Risikofaktoren sind die Detrusor-Sphinkter-Dyssynergie, Alter über 50 Jahre und männliches Geschlecht.
Pyramidenbahnläsion und Blasenstörung
Bemerkenswert ist der Zusammenhang von Pyramidenbahnläsion und Blasenstörung bei MS. Eine Pyramidenbahnläsion korreliert mit irritativen Harntraktsymptomen, mit Funktionsstörungen des Harntrakts und mit den urodynamischen Befunden einer hyperaktiven Blase sowie einer Detrusor-Sphinkter-Dyssynergie. Auch morphologische Schäden des unteren und oberen Harntrakts sind mit der Pyramidenbahn assoziiert [3–6].
Eine häufig mit einer Pyramidenbahnläsion verbundene Gangstörung bei MS eignet sich daher als Eingangskriterium für eine urologische Abklärung und man kann auch bis dahin urologisch asymptomatischen Patienten einer urologischen Abklärung zuführen. Die Abklärung und Behandlung der MS-bedingten Blasenstörungen dienen der Erhaltung bzw. Wiederherstellung der Lebensqualität und der Vermeidung von Komplikationen.
Erste Abklärungen und Verhaltenstherapie
Harntraktsymptome bei MS rufen beim Neurologen oft Unsicherheit im Hinblick auf die erforderliche Diagnostik und Therapie hervor. Vor einer Abklärung und Behandlung sollten der Leidensdruck erfragt und der Wunsch nach einer Therapie individuell ermittelt werden. Eckpfeiler der Erstdiagnostik sind das Trink- und Miktionsprotokoll einschliesslich der Dokumentation von Harninkontinenzepisoden, Urindiagnostik, Sonografie des Harntrakts und Uroflowmetrie mit Bestimmung des Restharns. Einfache verhaltenstherapeutische Massnahmen bilden die Basis der Therapie: Dazu gehören die Anpassung der Trinkmenge, die Miktion in festen Zeitintervallen bzw. nach Aufforderung durch eine Hilfsperson und kontinenzfördernde und -erhaltende Beckenbodenübungen.
Weiterführende Diagnostik
Führen ein Verhaltenstraining und eine symptomatische Behandlung nicht zur Kontinenz oder ist eine operative Therapie geplant, so ist eine weitere Abklärung einschliesslich der neurologisch-neurophysiologischen und urodynamischen Untersuchung in einem spezialisierten Zentrum empfohlen. Die Blasenstörung nach einer Querschnittslähmung hat in der Klassifizierung des Störungstyps entsprechend der Lähmungshöhe Modellcharakter. Bei neurodegenerativen Erkrankungen wie der MS präsentieren sich die Störungen der Harntraktfunktion jedoch vielschichtiger und im Verlauf als veränderlich. Die Klassifikation der Harntraktfunktionsstörung bestimmt aber auch hier die Strategie zur Wiederherstellung einer möglichst physiologischen Harnspeicherung und -entleerung.
Die neurologische Untersuchung dient der Beurteilung des neurologischen Defizits auf mentaler, sensorischer und motorischer Ebene. Der mentale Status beinhaltet die Aspekte Aufmerksamkeit, Verständnis, Orientierung, Gedächtnis und Aktivität; er ist für die diagnostische Abklärung und die zu wählenden Therapieoptionen von Bedeutung. Die Untersuchung sensorischer Funktionen umfasst die Untersuchung relevanter Dermatome hinsichtlich des Berührungs- und Schmerzempfindens. Der Verlust sensorischer Funktionen kann auf das Niveau einer neurologischen Läsion hinweisen. Der motorische Status beurteilt Muskelkraft, Muskeltonus, abnormale Muskelbewegungen und Denervationszeichen.
Die Mobilität des Patienten ist für die Therapieauswahl ebenfalls von Bedeutung. Die Fähigkeit zur willkürlichen Kontraktion und Relaxation des Urethral- und Analsphinkters zeigt eine normale motorische Innervation des Beckenbodens. In Kombination mit Untersuchung des Analsphinktertonus kann auf die Lokalisation der Läsion geschlossen werden. Becken-Reflexe testen die Integrität der Rückenmarksegmente, so etwa der Bulbocavernosusreflex die Segmente S2–4 und den Nervus pudendus. Ein Eiswasser-Provokationstest zu Beginn der urodynamischen Untersuchung ermöglicht den Nachweis eines neurologischen Defizits auf Rückenmarks- oder suprapontiner Ebene.
Urodynamische Untersuchung
Aufgrund der videourodynamischen Untersuchung mit der Klassifizierung der Dysfunktion in Speicher-, Entleerung- oder kombinierte Speicher- und Entleerungsstörung erfolgt die Erarbeitung des Therapiekonzepts. In der urodynamischen Untersuchung findet sich bei bis zu 34% der symptomatischen Patienten ein Normalbefund. Häufige urodynamische Beobachtungen sind Detrusorhyperaktivität (65%), Detrusorhypoaktivität (25%), eingeschränkte Compliance (2–10%) und Detrusor-Sphinkter-Dyssynergie (35%). Die Kombination von mehreren urodynamischen Befunden ist häufig, so die Detrusorhyperaktivität und Detrusor-Sphinkter-Dyssynergie in 43–80% der Fälle. Der urodynamische Befund verändert sich mit der Zeit: 55% der Patienten zeigen Veränderungen von Blasenkapazität, Kontraktilität, Detrusordruck und Compliance in wiederholten Messungen. Die Detrusor-Sphinkter-Dyssynergie hingegen bleibt meist konstant bei 60% [1].
Ziele der Therapie
Aus therapeutischer Sicht stellen sich folgende Ziele:
Sicherstellen einer periodischen und vollständigen Entleerung der Blase
Behandlung oder Beherrschung der überaktiven Blase/Inkontinenz
Schutz des oberen Harntrakts
Vermeidung von Komplikationen, insbesondere von Harnwegsinfekten, da rezidivierende Harnwegsinfekte das Fortschreiten der MS begünstigen können. Harnwegsinfektprävention bei MS bedeutet also auch Schub- bzw. Progressionsprävention [7].
Es gilt ein praktikables Konzept für jeden individuellen Patienten zu entwickeln und bei kombinierter Speicher- und Entleerungsstörung beide Komponenten zu behandeln.
Medikamente, Katheterisierung, sakrale Neuromodulation oder Operation
Bei der anticholinergen Behandlung einer überaktiven Blase sollten Interaktionen mit einer bereits bestehenden Medikation beachtet und Wirkstoffe ohne oder mit nur milden zentralnervösen Nebenwirkungen (Trospiumchlorid, Darifenacin) bevorzugt werden. Alternativ können Beta-3-Mimetika (Mirabregon) eingesetzt werden. Bei nicht ausreichender Wirkung bzw. Unverträglichkeit kommt die Injektion von Botulinumtoxin in den Detrusor in Betracht [8]. Die medikamentöse Therapie der sphinkterbedingter Entleerungsstörung umfasst den Einsatz von Alphablockern (Tamsulosin, Alfuzosin) und Antispastika (Lioresal, Dantrolen, Tizanidin).
Methode der Wahl bei Blasenentleerungsstörung und Restharn >50% der funktionellen Blasenkapazität ist der intermittierende Selbstkatheterismus. Patientenabhängige Voraussetzungen sind die Motivation für das Verfahren, eine ausreichende Handfunktion und das nötige Sehvermögen. Die fachkundige Unterweisung, das Training der Technik und die Beratung zu Kathetermodellen und speziellen Hilfsmitteln durch speziell ausgebildete Pflegeexperten sind wichtige Erfolgsfaktoren. Nach erfolgreichem Erlernen kann der Selbstkatheterismus über Jahre komplikations- und infektarm die Blasenentleerung erleichtern. Bei Frauen und Männern ist hiermit eine sehr gute Lebensqualität erreichbar. Ist der Selbstkatheterismus nicht möglich, so kann auch eine suprapubische Vibrationsstimulation als Trigger für eine Blasenentleerung nützlich sein [9].
Sowohl bei Harnspeicher- als auch bei Harnentleerungsstörungen kann die sakrale Neuromodulation eingesetzt werden. Patienten mit Drangsymptomen und Dranginkontinenz sowie mit Harnretention bei Detrusor-Sphinkter-Dyssynergie sollte diese Methode angeboten werden [10,11]. Bei fortgeschrittener MS mit funktionell wie morphologisch dekompensiertem Harntrakt kommen operative Verfahren wie die Blasenaugmentation [12] oder die Harnableitung in Betracht [13,14].
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RSV ist ein häufiges Pathogen nicht nur bei älteren Senioren über 65 Jahre, sondern auch bei Patienten mittleren Alters zwischen 50 und 64 Jahren. Bei älteren Erwachsenen, die mit einer Infektion der unteren Atemwege ins Krankenhaus eingeliefert werden, ist Diabetes mellitus (DM) eine weit verbreitete Komorbidität, doch liegen nur wenige Informationen über die Auswirkungen von DM auf den Schweregrad einer Erkrankung vor, und die Mechanismen einer möglichen Interaktion sind kaum bekannt.
Infektionen der unteren Atemwege (lower respiratory tract infections, LRTIs) verursachen sowohl bei Erwachsenen als auch bei Kindern eine erhebliche Morbidität und Mortalität. Im Jahr 2019 gab es weltweit mehr als 500 Millionen LRTI-Infektionen, und im Jahr 2016 wurden mehr als 2 Millionen LRTI-bedingte Todesfälle verzeichnet. Zu diesen Todesfällen gehören mehr als 650’000 Kinder unter fünf Jahren und mehr als eine Million Senioren über 70 Jahre.
Die ätiologischen Faktoren für LRTIs können bakteriell, viral oder pilzbedingt sein. Unter den viralen Infektionen gehören neben dem Coronavirus die Influenza (A oder B) und das Respiratorische Synzytialvirus (RSV) zu den häufigsten Ursachen für virale LRTIs während typischer (d.h. nicht pandemischer) endemischer Saisons. Die Influenza verursacht schätzungsweise eine Milliarde Infektionen, RSV jedes Jahr weltweit Hunderte oder Dutzende von Millionen akuter Atemwegsinfektionen. RSV-bedingte LRTI können zur Einweisung in eine Intensivstation und zum Tod führen, vergleichbar mit denen, die durch Influenza verursacht werden. Das Risiko schwerer RSV-Erkrankungen steigt mit zunehmendem Alter und dem Vorhandensein von Begleiterkrankungen.
Dr. Hakan Sivgin von der Abteilung für Innere Medizin der Medizinischen Fakultät der Universität Tokat in der Türkei und Kollegen analysierten retrospektiv 46 türkische Patienten, die mit dem Respiratorischen Synzytialvirus infiziert waren, und machten Angaben zu ihren Begleiterkrankungen, dem Status der Koinfektion und den Symptomen [1]. Die Patienten wurden in vier Schweregrade eingeteilt, von leicht bis schwer, je nach Infiltrationsgrad des Lungenparenchyms und Sauerstoffgehalt. Ihre Arbeit konzentrierte sich unter anderem auf die Auswirkungen von Diabetes als einer häufigen chronischen Erkrankung auf Patienten mit RSV sowie auf die gemeinsamen Auswirkungen von Diabetes und superbakterieller Infektion auf den Schweregrad der LRTI.
Komorbiditäten, Koinfektion und Alter in Assoziation mit der RSV-Schwere
Alle Patienten waren bei Einschluss negativ auf eine SARS-CoV-2-Infektion. Patienten, bei denen eine Infektion der unteren Atemwege, eine Lungenentzündung oder eine Atemwegsinsuffizienz diagnostiziert wurde, wurden innerhalb von 48 Stunden nach der Krankenhauseinweisung in die Studie aufgenommen. Von allen Teilnehmern wurden nasale Proben entnommen, indem die Nasenmuscheln 5 Sekunden lang mit einem Wattestäbchen abgerieben wurden. Die reverse Transkriptions-Polymerase-Kettenreaktion (RT-PCR) an den Proben wurde innerhalb von 24 Stunden nach der Entnahme durchgeführt. Jene Patienten (n=46), die gemäss dem PCR-Ergebnis mit RSV infiziert waren, wurden in die Analyse einbezogen.
Das Durchschnittsalter der Patienten lag bei 53 Jahren. Chronische Erkrankungen wie Diabetes, Herzinsuffizienz, Bluthochdruck, Koinfektionen jeglicher Art, bakterielle Koinfektionen und das Alter stehen in Assoziation mit dem Schweregrad der Erkrankung. Husten war das häufigste Symptom (89%), gefolgt von Fieber (26%) und Muskelschmerzen, Dyspnoe und Schwäche (etwa 20%).
Um alle Faktoren oder Symptome zu ermitteln, die mit dem Schweregrad der Erkrankung in Zusammenhang stehen, wurden zwei Regressionen durchgeführt. Die erste war linear, bei der ein numerischer Wert von 0, 1, 2 oder 3 für leichte-a, leichte-b, mittelschwere und schwere Patienten angenommen wurde. Die andere war eine logistische Regression mit einem binären Schweregrad, 0 für leicht-a und leicht-b und 1 für mittelschwer und schwer (Tab. 1). Obwohl es möglich ist, einen binären Schweregrad mit den schweren Fällen in einer Gruppe und den übrigen in einer anderen Gruppe zu verwenden, wurden aufgrund der geringen Stichprobengrösse in der schweren Gruppe (n=5) keine statistisch signifikanten Ergebnisse auf dem Niveau von p=0,01 erzielt, so die Autoren.
Von den Vorerkrankungen waren Hypertension, Diabetes und Herzinsuffizienz mit einer schwereren Erkrankung assoziiert, Asthma, chronische Nierenerkrankungen und Herzerkrankungen hingegen nicht. Alle Patienten mit schwerer Erkrankung (n=5) hatten Muskelschmerzen (Myalgie), aber keiner der mittelschwer kranken Patienten (n=7) hatte dieses Symptom. Obwohl 39% der Patienten mit leichter-a-Infektion eine Koinfektion hatten (11 von 17), hatten 100% der Patienten mit leichter-b-, mittelschwerer und schwerer Infektion eine Koinfektion. Bei den leichten-a- und leichten-b-Fällen hatten 12% eine bakterielle Infektion, während der Anteil bei den mittelschweren und schweren Fällen 67% betrug.
Gemeinsamer Beitrag von Diabetes und einer anderen Erkrankung
Um zu untersuchen, welche zwei Variablen unabhängig voneinander zur Krankheitsschwere beitragen, wurde eine lineare Regression durchgeführt. Drei interessante Paare von Risikofaktoren sind erwähnenswert, Diabetes und Herzinsuffizienz, Diabetes und Herzerkrankungen sowie Diabetes und bakterielle Infektionen, so die Autoren (Tab. 2). Allerdings ist das Zusammenspiel zwischen Diabetes und anderen Erkrankungen in diesen Situationen unterschiedlich. Bei Patienten, die sowohl eine Herzerkrankung als auch Diabetes hatten, wurde die schwerste Situation vermieden (0 von 4). Patienten, die sowohl an Herzinsuffizienz als auch an Diabetes erkrankt waren, endeten alle in den schweren Fällen (3 von 3), obwohl zwei weitere Patienten mit nur einer Erkrankung ebenfalls schwer erkrankten. Patienten, die sowohl an Diabetes als auch an einer bakteriellen Infektion litten (n=5, im Alter zwischen 50 und 73 Jahren), gehörten alle der schweren Gruppe an, und Patienten mit nur einer Erkrankung (entweder Diabetes oder bakterielle Infektion, nicht beides) konnten die schwere Situation vollständig vermeiden (0 von 16).
Wie in einer Reihe früherer Studien berichtet, sind nicht nur Herzinsuffizienz oder kardiovaskuläre Erkrankungen, sondern auch Diabetes und Bluthochdruck schwerwiegende Risikofaktoren bei Patienten mit RSV, erklären Dr. Sivgin und Kollegen. Während der COVID-19-Pandemie wurde vermutet, dass die chronische Diabeteserkrankung kein so starker Risikofaktor für schwere Erkrankungen ist wie die akute Hyperglykämie oder ein neu aufgetretener Diabetes. Laut Dr. Sivgin lieferte ihre Studie jedoch nicht die Daten, die erforderlich sind, um die Auswirkungen einer chronischen gegenüber eines akut überhöhten Glukosespiegels auf die Schwere der Erkrankung von RSV-infizierten Patienten zu untersuchen.
Ein potenziell interessantes Ergebnis war jedoch, dass alle in die Studie einbezogenen schwer kranken Patienten (n=5) sowohl Diabetes als auch eine bakterielle Infektion aufwiesen und umgekehrt. Diese 100-prozentige Übereinstimmung könnte ein zufälliges Ereignis ihres relativ kleinen Datensatzes sein, aber sie führt zu einer signifikanten Zwei-Varianten-Regression (mit Diabetes und bakterieller Infektion als zwei Variablen) für beide Variablen, betonen die Autoren (Tab. 2). Wenn Diabetes oder eine Koinfektion keine unabhängige Ursache für den Schweregrad der RSV-Erkrankung ist, dann wäre nur eine der Variablen signifikant, nicht die andere. Eine Vermutung könnte sein, dass Diabetiker nach einer Infektion mit RSV und Bakterien eine dreifache Verschlimmerung erfahren. Darüber hinaus bleibt die Ko-Signifikanz von Diabetes und bakterieller Infektion für den Schweregrad der RSV-Erkrankung auch dann bestehen, wenn Geschlecht und Alter in die multiple Regression einbezogen werden, so die Autoren.
Diabetes ist ein hochsignifikanter Risikofaktor für den Schweregrad der RSV-Erkrankung. Es wurde auch festgestellt, dass selbst bei RSV-Patienten mittleren Alters eine Vorerkrankung von Diabetes und eine Koinfektion mit Bakterien eine den Schweregrad der Erkrankung beeinflussende Kombination darstellen kann. Diese Informationen sollten für das Management und die Behandlung von RSV-Patienten von Nutzen sein. Die Autoren betonen, dass zwar mehr Proben erforderlich sind, um diese Ergebnisse unabhängig zu validieren, ihre Analyse jedoch darauf hindeutet, dass die Stichprobengrösse gross genug war, um das beobachtete Signal zu erkennen, und dass es Hinweise darauf geben könnte, wo Vorsichtsmassnahmen ergriffen werden könnten, um Leben zu retten.
Literatur:
Sivgin H, Cetin S, Ulgen A, Li W: Diabetes and bacterial co-infection are two independent risk factors for respiratory syncytial virus disease severity. Front Med (Lausanne) 2023; 10: 1231641; doi: 10.3389/fmed.2023.1231641.
InFo DIABETOLOGIE & ENDOKRINOLOGIE 2024; 1(3): 22–23
Zunehmend kommen AID-(Automated Insulin Delivery)-Systeme für die automatisierte oder teilautomatisierte Insulindosierung bei der Behandlung von Typ-1-Diabetes zum Einsatz. Durch eine Pumpen- und Sensortechnologie, die mit Kontrollalgorithmen verbunden ist, können AID -Systeme dazu beitragen, eine stabile, normoglykämische Stoffwechsellage zu erreichen, das Risiko für akute schwere Stoffwechselentgleisungen zu verringern und das Glukosemanagement bei Typ-1-Diabetes erheblich zu verbessern.
Ein gutes Beispiel für ein teilautomatisiertes AID-System liefert das Forschungsprojekt «KidsApp» für Kinder bis zu sieben Jahren. Es füllt damit zugleich eine Behandlungslücke. Automatisierte Pumpen, die die Insulinabgabe bei Typ-1-Diabetes regulieren, waren bisher vor allem für ältere Kinder und Jugendliche verfügbar. Gleich mehrere europäische Studienzentren, darunter die Universität Cambridge, die Medizinischen Universitäten Innsbruck, Graz und Wien (A) haben daran mitgearbeitet. Das Closed-Loop-(AID)-System, das an 74 Kindern zwischen 1 und 7 Jahren getestet wurde, funktioniert über CamAPS FX, eine App, die an der Universität Cambridge entwickelt wurde, verbunden mit einem Glukosesensor zur kontinuierlichen Glukosemessung und einer Insulinpumpe wie eine künstliche Bauchspeicheldrüse. Anhand erfasster und vorhergesagter Glukosewerte wird die abgegebene Insulinmenge automatisch angepasst. Kleinkinder mit Typ-1-Diabetes haben häufig ausgeprägte Blutzuckerschwankungen und damit ein hohes Risiko für gefährlich niedrige Blutzuckerspiegel (Hypoglykämie), die zu Bewusstlosigkeit und Krampfanfällen führen können sowie auch für gefährlich hohe Blutzuckerspiegel (Hyperglykämie), welche die Gefahr für akute schwere Stoffwechselentgleisungen und für die Entwicklung einer diabetischen Ketoazidose erhöhen. Der Blutzucker der Kinder muss rund um die Uhr mehrfach gemessen werden. Damit die Anpassung des Glukose- und Insulinbedarfs sicher und lückenlos gelingt, wird den Kindern das Insulin zu den Mahlzeiten durch Betreuende verabreicht. In der übrigen Zeit sorgt der Algorithmus dafür, dass der programmierte Glukosezielwert (meist 100 mg/dl) erreicht wird und stabil bleibt. Die Familien werden damit deutlich entlastet.
Um Sicherheit und Wirksamkeit des hybriden AID-Systems zu überprüfen, wurde es im Rahmen einer Studie mit der sensorunterstützten Insulinpumpentherapie verglichen. Die teilnehmenden Kinder verwendeten zunächst über 16 Wochen das App-gesteuerte System und anschliessend 16 Wochen die herkömmliche sensorunterstützte Insulinpumpentherapie. Die Auswertung der Daten ergab, dass die Zeit im Glukose-Zielbereich (70–180 mg/dl) mit dem teilautomatisierten AID-System signifikant erhöht werden konnte. Die Glukosewerte der Kinder waren zusätzliche 125 Minuten pro Tag im Zielbereich. Dies hatte bei den vorab bereits gut eingestellten jungen Patienten und Patientinnen eine Senkung des HbA1c-Wertes um 0,7 Prozent zur Folge. Darüber hinaus konnte die Zeit mit erhöhten Blutzuckerwerten um 9 Prozentpunkte verringert werden. Die Verbesserung der Glukoseeinstellung erfolgte ohne eine Zunahme von Hypoglykämien.
AID-Systeme auf dem Weg in die Standardtherapie
Schätzungsweise werden in knapp 9 Jahren 50% der Patientinnen und Patienten mit Typ-1-Diabetes ein AID-System nutzen, in etwa 17 Jahren sogar 90%, erklärte Dr. Jens Kröger, Diabetologe aus Hamburg und Vorstandsvorsitzender diabetesDE – Deutsche Diabeteshilfe. Bereits sehr kleinen Kindern unter sieben Jahren könne durch Systeme wie CamAPS FX gut geholfen werden. Höher sei die Evidenz allerdings bei Erwachsenen sowie Kindern und Jugendlichen über sieben Jahren.
Grundsätzlich sollten AID-Systeme allen Patientinnen und Patienten mit Typ-1-Diabetes angeboten werden, insbesondere aber Menschen mit suboptimaler Glukoseeinstellung, problematischen Hypoglykämien und/oder signifikanter Glukosevariabilität und reduzierter Lebensqualität (Tab. 1). Die Systeme eigneten sich ausserdem für Menschen mit moderatem bis hohem für schwere Hypoglykämien und Hypoglykämie-Unawareness (Tab. 2).
Die einzelnen Systeme unterscheiden sich hinsichtlich ihrer Nutzungsdauer pro Sensor und der Art des Algorithmus. Nicht bei allen gibt es eine Korrekturbolusausgabe. AID-Systeme können die Prognose günstig beeinflussen, da sie bei den meisten Menschen mit Typ-1-Diabetes wirken, auch wenn damit noch keine Vorhersage zur Effizienz getroffen werden kann. Ausserdem gibt es keine deutlichen Unterschiede zwischen Personen mit optimaler/suboptimaler glykämischer Kontrolle hinsichtlich des Wirkens. Vorteilhaft für die Prognose sind jedoch eine kürzere Diabetesdauer und ein höherer Bildungsstand. Darüber hinaus hängt der Erfolg von der individualisierten Konfiguration und auch von der Betreuung der Patientinnen und Patienten ab.
AID-Systeme nicht ohne Schulung
Auf Seiten der Gesundheitsdienstleister sollten, so Kröger, eventuell vorhandene soziale und/oder rassistische Vorurteile im Hinblick auf individuelle, familiäre, psychologische Eigenschaften, die für einen effektiven Gebrauch von Aid-Systemen erforderlich sind, erkannt und überwunden werden. Nur so lasse sich ein fairer und gerechter Zugang zu AID-Systemen gewährleisten. Patientinnen und Patienten benötigen eine Vorschulung in allgemeinem Diabetes-Selbstmanagement, Basiswissen zu Insulinpumpen- und rtCGM-Therapie, eine individualisierte technische Einführung in das System und eine Nachbetreuung. Dies ist unter anderem deshalb wichtig, weil hinter Therapieabbrüchen häufig auch Schwierigkeiten im Umgang mit dem AID-System stehen. Dazu zählen, um nur einige zu nennen, Probleme beim Kalibrieren des Sensors, zu viele Alarmsignale, sich nächtliche Störungen durch das System, zu viel Zeitaufwand. Auch die Vorstellungen in Bezug auf den Erfolg der Therapie sind unterschiedlich. Das Prädikat «erfolgreich» könne sich auf einen TIR >70% beziehen, auf den HbA1cWert, auf das Vermeiden schwerer hypoglykämischer Ereignisse oder auch auf ein positives psychosoziales Funktionieren. Kröger zufolge sollte der Erfolg hier nicht allein durch klinische Parameter definiert werden.
Die kontinuierliche Glukosemessung (CGM) führt bei Kindern mit Typ-1-Diabetes zu niedrigeren HbA1c-Werten. Doch je schwieriger der Zugang zur Gesundheitsversorgung ist, desto geringer fällt die Nutzung der Technologie aus. Hierbei spielen v.a. Faktoren wie niedriger sozioökonomischer Status und ethnische Zugehörigkeit eine Rolle – und auch der Wohnort. Forscher aus den USA haben Daten zusammengetragen, um die besonderen Herausforderungen dieser Patientengruppe zu dokumentieren.
Zahlreiche Studien haben bereits gezeigt, dass die Verwendung eines kontinuierlichen Glukosemessgeräts bei Kindern und Jugendlichen mit Typ-1-Diabetes die Blutzuckerwerte verbessert. CGMs verringern die Hürden für die Glukosemessung, indem sie Menschen mit Diabetes und ihren Betreuern Daten nicht-invasiv nahezu in Echtzeit zur Verfügung stellen, um Entscheidungen über die tägliche Insulinbehandlung zu treffen. Darüber hinaus zeigen Cloud-basierte Online-Portale langfristige Blutzuckertrends an und liefern Anbietern, Betreuern und Diabetikern wichtige Längsschnittdaten, um Insulinbehandlungen anzupassen und Blutzuckerwerte zu optimieren. Trotz dieser Vorteile bei den kurz- und langfristigen Ergebnissen, haben Untersuchungen erhebliche sozioökonomische Ungleichheiten beim Umgang mit CGM-Verschreibungen ermittelt.
Obwohl Patienten in ländlichen Gebieten häufig mit denselben Versorgungshindernissen konfrontiert sind, wie z.B. dem begrenzten Zugang zu Breitband-Internet oder grosse Distanzen zu städtischen oder vorstädtischen Kliniken, sind die Unterschiede beim Zugang zu CGM in solchen Regionen noch nicht ausreichend erforscht. Dr. Daniel Tilden von der Abteilung für Endokrinologie, Diabetes und klinische Genetik am University of Kansas Medical Center, Kansas City, und seine Mitautoren haben sich dieser Aufgabe angenommen [1].
Rate bei Landkindern bis zu 49% niedriger
In ihrer retrospektiven Kohortenstudie verglichen die Forscher die Wahrscheinlichkeit, einen Besuch mit (+) und ohne (–) CGM-Interpretation zu absolvieren, zwischen ländlichen und städtischen Pendelgebieten gemäss RUCA-Code (Rural-Urban Commuting Area, RUCA). Nach diesem wurden Wohnorte unterschieden nach urban, large rural, small rural und isolated rural. Während des 52-monatigen Studienzeitraums wurden die Patienten bei mehreren Klinikbesuchen nachverfolgt.
Insgesamt wurden 13 645 Konsultationen von 2008 Patienten mit Typ-1-Diabetes unter 18 Jahren ausgewertet. Dabei wurde festgestellt, dass Kinder, die in kleinen ländlichen Orten (small rural towns)lebten, eine um 31% geringere Wahrscheinlichkeit hatten (6,3% CGM+ Besuche, 8,6% CGM– Besuche; bereinigte Odds Ratio [aOR] 0,69; 95%-KI 0,51–0,94), einen mit CGM abgerechneten Klinikbesuch zu absolvieren, als Personen, die in urbanen Gebieten lebten (70,0% CGM+ Besuche, 67,2% CGM– Besuche). Bei Kindern und Jugendlichen, die in abgelegenen ländlichen Gebieten (isolated rural towns) lebten, war die Wahrscheinlichkeit sogar um 49% geringer (2,0% CGM+ Besuche, 3,4% CGM– Besuche; aOR 0,51; 95%-KI 0,28–0,92). Signifikante Unterschiede wurden auch bei der Anzahl der CGM-abgerechneten Besuche in Abhängigkeit von der Nachbarschaftsbenachteiligung(neighbourhood deprivation) sowie der Ethnizität und dem Versicherungsträger festgestellt.
Sozioökonomischer Status, Ethnie und Wohnort als Risikofaktoren
Diese Ergebnisse deuten stark darauf hin, dass neben Faktoren wie dem sozioökonomischen Status und der ethnischen Zugehörigkeit auch der geografische Standort ein Risikofaktor für Hindernisse bei der Nutzung der Diabetestechnologie und der optimalen Diabetesversorgung ist. Nach Bereinigung um Geschlecht, Ethnie, HbA1c-Wert, Jahr des Besuchs und Versicherungsart wurde eine statistisch signifikante und klinisch bedeutsame geringere Quote von CGM-abgerechneten Klinikbesuchen bei denjenigen festgestellt, die in kleinen und abgelegenen ländlichen Städten leben, im Vergleich zu denjenigen, die in städtischen Gebieten leben. Darüber hinaus ergab eine Auswertung des National Democratic Institute (NDI), dass Patienten, die in Gebieten mit grösserer sozialer Benachteiligung leben, ebenfalls eine signifikant geringere Wahrscheinlichkeit haben, Besuche mit CGM-Daten zu absolvieren. Durch die Verwendung von CGM-Abrechnungscodes als Outcome spiegeln diese Ergebnisse die tatsächliche Nutzung des Geräts genauer wider und können die bekannten Hindernisse für die Nutzung von Diabetestechnologie in dieser Bevölkerungsgruppe darstellen.
Angesichts der sich häufenden Belege für signifikante Verbesserungen der glykämischen Ergebnisse bei Typ-1-Diabetikern, die CGM verwenden, unterstreichen diese Daten, wie wichtig es ist, geografische Barrieren für die Einführung von Diabetestechnologie zu verstehen, um die Outcomes künftig zu verbessern, schreiben die Autoren. Pädiatrische Diabetologen sollten sich der potenziellen Hindernisse für die Verwendung von CGM bei Patienten in ländlichen Gebieten bewusst sein und versuchen, gemeinsam mit den Patienten Strategien zur Überwindung dieser Hindernisse für eine optimale Diabetesversorgung zu entwickeln.
Zukünftige Arbeiten sollten diese Hindernisse genauer eruieren, um die Ungleichheiten bei der CGM-Nutzung von Kindern mit Typ-1-Diabetes in ländlichen Gebieten zu verbessern.
Literatur:
Tilden DR, et al: Disparities in Continuous Glucose Monitor Use Between Children With Type 1 Diabetes Living in Urban and Rural Areas. Diabetes Care 2024; 47(3): 346–352; doi: 10.2337/dc23-1564.
Die Asthma-Behandlung im Kindesalter basiert heute auf einer engen Patientenbegleitung inklusive Schulung zum Selbstmanagement. Doch ist es überhaupt Asthma? Eine Frage, die man sich zunächst stellen sollte. Die Raten an Überdiagnosen sind hoch.
Eine retrospektive Analyse von vier akademischen Zentren in den Niederlanden ergab, dass Asthma bei Kindern im Alter zwischen sechs und 18 Jahren in über der Hälfte der Fälle überdiagnostiziert war – mit folglich unnötigen Behandlungen und Auswirkungen auf die Lebensqualität [1]. «In der alltäglichen Praxis gibt es immer wieder Fälle, bei denen nicht ganz klar ist, ob die Symptomatik nun tatsächlich von einem Asthma herrührt oder ob andere Ursachen vorliegen. Vielleicht ist ein Kind im Schulsport schlicht wegen seines Übergewichts schnell ausser Atem oder es finden sich Atemgeräusche aufgrund einer Stimmbanddysfunktion», erklärte Prof. Dr. med. Nicolas Regamey, Pneumologie, Kinderspital Luzern. Letztere entsteht dadurch, dass die Kinder beim Atmen die Stimmbänder paradoxerweise verschliessen, also «falsch» einatmen. Das führt in der Klinik zu einem akut einsetzenden inspiratorischen Stridor mit Dyspnoe bei körperlicher Belastung, Stress, Gerüchen oder Allergenen. Nach einigen Minuten klingt die Symptomatik plötzlich ab. Betroffen sind besonders junge weibliche Adoleszente. Therapeutisch reicht meist eine Aufklärung, kombiniert mit Stimmübungen bzw. Logopädie.
Asthma-Diagnose
Zunächst sucht man bei der Asthma-Diagnose nach klinischen Zeichen (Übersicht 1), dazu kommt der Nachweis einer variablen/reversiblen Bronchoobstruktion (Klinik, Spirometrie). Allergietests oder die Messung der allergischen Atemwegsentzündung (FeNO) sind hilfreich, aber weder spezifisch noch sensitiv.
Die Methacholinprovokation ist gut für den Ausschluss eines Asthmas geeignet, weniger für die Bestätigung. Hierfür kommen Belastungstests in Frage. Diese sind entweder frei durchführbar («free running test»), d.h. der junge Patient läuft einmal ums Haus oder steigt Treppen und der Arzt sammelt subjektive Zeichen, untersucht klinisch (Atemnot, Husten, Giemen, Puls, Blutdruck), macht eine SpO2-Messung und eine Spirometrie vorher/nachher. «Im LUKS führen wir einen standardisierten Belastungstest durch, den sog. Exercise-induced Athma Test» so der Referent. Hierbei werden die Patienten in trockener Luft mit einer Luftfeuchtigkeit unter 50% sechs bis acht Minuten via Laufband belastet, gefolgt von Spirometrie nach 5, 10, 15, (30) Minuten. Ein FEV1-Abfall von 10% (15%) ist diagnostisch für ein Anstrengungsasthma. «Oft machen die Jugendlichen in der Abkühlungsphase zu», erklärte Prof. Regamey.
Die Differenzialdiagnosen bei Asthma sind vielfältig. Wie erwähnt kann schlicht eine körperliche Dekonditionierung (u.a. bei Adipositas) oder eine Stimmbanddysfunktion/Atemdyskoordination vorliegen. Des Weiteren sollte man an banale wiederholte Luftwegsinfekte denken (Krippenbesuch, Tabakrauchexposition). Auch der «postnasal drip», das «cough hypersensitivity syndrome» (prolongierter unspezifischer Husten) und gastroösophagealer Reflux sind wichtige Differenzialdiagnosen.
Ziele der Therapie
«Nun ist das Asthma also diagnostiziert, was will und soll ich jetzt behandeln?», lautet die zweite Frage. Die Pharmakotherapie hat möglichst wirksam, sicher und einfach zu sein. Wirksamkeit: «Wir können Asthma nicht heilen, das muss man den Eltern klar mitteilen», riet Prof. Regamey. Grundsätzlich hat die Therapie die Symptomkontrolle, das Vermeiden von Exazerbationen (da wiederholte Episoden zu einem Remodeling der Luftwege führen) und somit das Verhindern einer fixierten Obstruktion zum Ziel – dies alles bei möglichst wenig Nebenwirkungen. «Raten Sie einem Kind mit Asthma keinesfalls, auf den Schulsport zu verzichten. Es ist wichtig, dass die Aktivitäten nicht limitiert werden», erläuterte der Redner. Die Symptomkontrolle soll entsprechend so eingestellt sein, dass keine oder weniger als zweimal pro Woche Tagessymptome auftreten. In der Nacht ist eine Symptomfreiheit anzustreben, damit kein nächtliches Erwachen stattfindet. Der Gebrauch von sog. «Relievern» sollte auf höchsten zwei Einsätze pro Woche beschränkt sein.
In diesem Zusammenhang ist das SMART-Schema zu erwähnen (Symbicort® as Maintenance And Reliever Therapy) – ein Steroid (Budesonid) kombiniert mit einem LABA mit raschem Wirkungseintritt (Formoterol). Zur relativ tiefen Basisdosierung (i.d.R. 2×/d) kommen zusätzliche Dosen nach Bedarf (bis 6×/d ab 6 Jahren und 10×/d ab 12 Jahren). Möglich ist das Ganze auch mit Flutiform®.
Dies allerdings erst auf Stufe 3 nach dem Stufenschema der GINA-Guidelines (das auch für Kinder gilt). Zuvor kommen auf Stufe 1 SABA bei Bedarf, ab Stufe 2 kombiniert mit niedrig dosierten ICS als Controller in Frage. Der oral verabreichte Leukotrien-Antagonist Montelukast ist eine Alternative bei Kleinkindern und Angst vor Steroiden. Nebst dem SMART-Schema empfehlen die Guidelines ab Stufe 3 bei Kindern ICS in mittlerer Dosierung (vor allem im Alter von sechs bis elf Jahren). In den höheren Stufen (ab Stufe 4) wird dann die Dosis der ICS kombiniert mit LABA bei ungenügendem Effekt weiter gesteigert.
Schlecht kontrolliertes Asthma im Kindesalter ist ein Risikofaktor für eine schlechte Lungenfunktion im Erwachsenenalter. Diese Patienten starten also bereits mit einem Nachteil in ihr späteres Leben: Der physiologische Rückgang der Lungenfunktion mit zunehmendem Alter, aber natürlich auch schädliche Einflüsse wie Rauchen etc. wirken sich bei ihnen ungleich fataler aus als bei solchen, die ihr Erwachsenenleben mit einer normalen Lungenfunktion beginnen (Abb. 1).
Sicherheit: Gerade die Kortikosteroide geniessen in der Bevölkerung meist keinen guten Ruf. Der Nutzen der Therapie übersteigt die Nachteile/Nebenwirkungen aber in vielen Fällen. Ein häufig diskutierter möglicher Nebeneffekt im Kindesalter sind Wachstumsstörungen mit konsekutiv reduzierter Körpergrösse, wobei diese gemäss einer Studie mit Budesonid relativ gering ausfallen (ca. –1,2 cm, vor allem bei Mädchen) [2]. Die orale Steroid-freie Therapie mit Montelukast mag hier zunächst attraktiver erscheinen und tatsächlich kann die Adhärenz bei gewissen Patienten, die tiefgreifende Vorbehalte gegenüber den ICS (auch bezüglich Handhabung) haben, besser sein. Hier sind allerdings neuropsychiatrische Nebenwirkungen zu beachten [3]. Eine vorurteilslose Abwägung der verschiedenen Behandlungsvarianten mit den Eltern und Kindern ist also von grosser Bedeutung.
Einfachheit: Dosieraerosole sind bei Kindern immer mit Vorschaltkammer (bei kleineren mit einer Maske) zu applizieren. Damit wird die Koordination erleichtert. Das Aerosol wird nach Aktivierung abgebremst und bleibt bis zur Inhalation in der Kammer. Unerwünschte Ablagerungen des Wirkstoffs oropharyngeal werden vermindert, allerdings ist die Nutzung dieser Devices eher umständlich und verlangt eine regelmässige Reinigung (aufgrund einer möglichen bakteriellen Kontamination). Es gilt: Langsame und tiefe Einatmung aus der Vorschaltkammer über mehrere Atemzüge.
Bei etwas älteren Kindern, allerdings nicht im schweren Asthma-Anfall, kommen Trockenpulverinhalatoren in Frage. Beispiele sind Diskus®, Turbuhaler® oder Ellipta®. Die Koordination stellt hier kein Problem dar. Die Handhabung ist vergleichsweise einfach, allerdings ist ein höherer Inhalationsfluss notwendig und bereits eine geringe Ausatmung ins System kann zu Verklumpung führen. Grundsätzlich gilt: Kräftig und tief einatmen, dann Atem anhalten.
«Die korrekte Inhalation braucht eine gute Schulung und regelmässige Kontrolle. Ohnehin hilft es enorm, wenn die Kinder über ihr Leiden, den richtigen Umgang damit und über das Selbstmanagement aufgeklärt sind. In diesem Zusammenhang sind die aha!-Schulungen zu empfehlen» so der Redner.
Prävention und Verlaufskontrolle
Zum optimalen Asthma-Management gehört nebst der Pharmakotherapie und der Patientenedukation aber auch die Prävention, also die Allergen- und Triggervermeidung. Nicht vergessen werden sollte daher die Allergiediagnostik. Die grösste Rolle spielen Hausstaubmilben, die mit einer gezielten Sanierung besser angegangen werden können als mit einer Desensibilisierung. In anderen Fällen kann diese jedoch durchaus angezeigt sein.
Die Überprüfung der nicht-medikamentösen Strategien und Umweltfaktoren ist Teil der dreimonatlichen Asthma-Kontrolle. Hier wird der Verlauf der Therapie erfasst und beurteilt. Ist Verbesserungspotenzial da, kann man die medikamentöse/nicht-medikamentöse Therapie anpassen und dies im schriftlichen Behandlungsplan festhalten. Letztgenannter ist hilfreich, da die Kinder in der Sprechstunde meist nur «mit halbem Ohr» zuhören und vielleicht auch die Erwachsenen vom Verhalten ihres Kindes abgelenkt sind. Im Sinne einer Erinnerung hängt der schriftliche Behandlungsplan z.B. am Kühlschrank und gibt Angaben zur Basistherapie, Reserve vor körperlicher Anstrengung, Anpassungen bei Luftwegsinfekt und zur Notfalltherapie.
Quelle: 11. Frühlingszyklus, 7.–9. März 2018, Luzern
Literatur:
Looijmans-van den Akker I, van Luijn K, Verheij T: Overdiagnosis of asthma in children in primary care: a retrospective analysis. Br J Gen Pract 2016 Mar; 66(644): e152–157.
Kelly HW, et al.: Effect of inhaled glucocorticoids in childhood on adult height. N Engl J Med 2012 Sep 6; 367(10): 904–912.
Ernst P, Ernst G: Neuropsychiatric adverse effects of montelukast in children. Eur Respir J 2017 Aug 17; 50(2). pii: 1701020.
Stocks J, Hislop A, Sonnappa S: Early lung development: lifelong effect on respiratory health and disease. Lancet Respir Med 2013 Nov; 1(9): 728–742.
Asthma bronchiale ist eine heterogene, multifaktorielle Erkrankung, die charakterisiert ist durch eine chronische Entzündung der Atemwege und eine bronchiale Hyperreagibilität. Nicht nur die Symptomatik, auch die Atemwegsobstruktion ist im zeitlichen Verlauf und in der Intensität variabel. Die Beschwerden im Rahmen von Exazerbationen können gering ausgeprägt oder auch schwergradig sein und ohne adäquate Behandlung bis zum Tode führen.
Asthma bronchiale ist eine heterogene, multifaktorielle Erkrankung, die charakterisiert ist durch eine chronische Entzündung der Atemwege und eine bronchiale Hyperreagibilität. Typisch ist eine anfallsweise und variable Symptomatik. Nicht nur die Symptomatik, auch die Atemwegsobstruktion ist im zeitlichen Verlauf und in der Intensität variabel. Es ist möglich, dass mit oder ohne Behandlung Phasen der Symptomfreiheit bestehen und/oder Episoden einer akuten Exazerbation auftreten. Exazerbationen sind definiert als Phasen einer progredienten Zunahme der Asthmasymptome und/oder Abnahme der Lungenfunktion, die über das für den Patienten übliche Mass an Variabilität hinausgehen und die einer Änderung bzw. Intensivierung der Therapie über mehrere Tage bedürfen. Die Beschwerden im Rahmen von Exazerbationen können gering ausgeprägt oder auch schwergradig sein und ohne adäquate Behandlung bis zum Tode führen.
Es werden verschiedene Formen des Asthma bronchiale beschrieben, die bestimmte Phänotypen und/oder typische Krankheitsverläufe zu Clustern zusammenfassen. Nach dem Schweregrad wird ein leichtes, von einem moderaten und einem schweren Asthma bronchiale unterschieden. Die Bewertung erfolgt retrospektiv unter einer adäquaten Therapie und richtet sich nach der Intensität der Behandlung, die zu einer Kontrolle des Asthma führt:
Leichtes Asthma: Therapiekontrolle unter Stufe-1- oder Stufe-2-Therapie
Moderates Asthma: Therapiekontrolle unter Stufe-3-Therapie
Schweres Asthma: Therapiekontrolle unter Stufe-4- oder Stufe-5-Therapie
Im deutschsprachigen Raum gibt es verschiedene Leitlinien bzw. Empfehlungen, die zur Behandlung des Asthma bronchiale zur Anwendung kommen:
Diagnosis and Management of Asthma – The Swiss Guidelines Respiration 2018; 95: 364–380
S2k-Leitlinie zur Diagnostik und Therapie von Patienten mit Asthma (2017) und S2k-Leitlinie Leitlinie zur Diagnostik und Therapie von Patienten mit Asthma (2017) Addendum 2020, AWMF-Register-Nr. 020-009
Nationale VersorgungsLeitlinie Asthma Langfassung 4. Auflage, 2020 Version 1, AWMF-Register-Nr.: nvl-002
2021 GINA Report, Global Strategy for Asthma Management and Prevention. www.ginaasthma.org.
Es liegen neue Erkenntnisse zur Therapie des leichten Asthma bronchiale vor, die in dem aktuellen Bericht der Global Initiative for Asthma (GINA) bereits zu einer Änderung der Therapieempfehlung des leichten Asthma geführt hat. In den nationalen Leitlinien ist dies aus verschiedenen Gründen wie der Aktualität der Leitlinie oder Zulassungsstatus der medikamentösen Therapie bisher unterschiedlich dargestellt.
Epidemiologie
Asthma bronchiale ist eine häufige, weltweit auftretende Erkrankung, wobei unterschiedliche Häufigkeiten in verschiedenen Ländern beobachtet wurden [1]. Die Prävalenz des Asthma bei Erwachsenen beträgt in der Schweiz 7%. In Deutschland wird die Prävalenz in der erwachsenen Bevölkerung mit ca. 5% angegeben. Leichtes Asthma ist häufiger als moderates oder schweres Asthma, bei etwa jedem zweiten Asthma-Patienten liegt ein leichtes Asthma vor [2,3].
Leichtes Asthma ist nicht harmlos
Die Exazerbationsrate steigt mit dem Schweregrad des Asthma bronchiale an. Es ist jedoch anzumerken, dass auch Patienten mit einem leichtgradigen Asthma bronchiale eine jährliche Exazerbationsrate von 0,139–0,143 (USA, Stufe 1 und 2) bzw. 0,56 bzw. 0,70 (UK, Stufe 1 und 2) aufweisen. Bei Patienten mit Stufe-4-Therapie wurden im Vergleich hierzu jährliche Exazerbationsraten von 0,186 (USA) bzw. 0,126 beschrieben [4]. Es wurde ausserdem gezeigt, dass 3,6% der Patienten mit leichtem Asthma in den letzten 12 Monaten hospitalisiert waren und dass 20% in den letzten 12 Monaten aufgrund des Asthma bronchiale eine Notfallpraxis aufgesucht haben [5].
Anamnese
Die wesentlichen Säulen für die Diagnose des Asthma bronchiale sind die Anamnese und der Nachweis einer typischerweise reversiblen Atemwegsobstruktion.
Die typischen Symptome sind Husten, Giemen, Luftnot und Brustenge. Die Symptome können sich während der Nacht oder während der frühen Morgenstunden verschlechtern. Die Symptome können in Zeit und Intensität variieren und treten ggf. nur episodenhaft aus. Es ist eine Vielzahl an Einflussfaktoren und/oder Trigger des Asthma bekannt, die durch eine sorgfältige Anamnese identifiziert werden sollten (Übersicht 1). Hierzu zählen auch eine Allergieanamnese einschliesslich der Familienanamnese für atopische Erkrankungen, der Symptomatik anderer allergologischer Manifestationen und einer Berufsanamnese.
Zu den typischen Befunden der körperlichen Untersuchung zählen trockene Nebengeräusche wie Giemen, Pfeifen und Brummen in der Auskultation und ein verlängertes Exspirium. Bei schwerer Obstruktion kann das Atemgeräusch leise sein oder fehlen. Bei der Inspektion ist auf das Atemmuster bzw. auf den Einsatz von Atemhilfsmuskulatur zu achten. Der körperliche Untersuchungsbefund kann auch unauffällig sein.
Lungenfunktionsdiagnostik
Ziel ist, eine variable, reversible Atemwegsobstruktion mittels Lungenfunktionsdiagnostik, typischerweise durch Spirometrie, nachzuweisen. Es soll mindestens einmal eine Obstruktion nachgewiesen werden, d.h. das Verhältnis FEV1 zu Vitalkapazität ist in einer Messung niedriger als die untere Normwertgrenze (lower limit of normal).
Die Dokumentation der Variabilität der Atemwegsobstruktion kann durch verschiedene Vorgehensweisen erfolgen:
Nachweis eines positiven Reversibilitätstests mit einem Anstieg der FEV1 >12% bzw. >200 ml nach Inhalation eines schnell wirksamen Beta-2-Mimetikums (SABA)
Nachweis einer positiven Reversibilitätstests mit einem Anstieg der FEV1 >12% bzw. >200 ml nach 4 Wochen einer antiinflammatorischen Therapie mit einem inhalativen Steroid, ggf. in Kombination mit weiteren Antiasthmatika.
Nachweis einer erhöhten Variabilität des Peakflows mit einer PEF Variabilität >10%
Nachweis eines positiven Provokationstests mittels indirekter Provokation wie z.B. körperlicher Belastung
Nachweis eines positiven Provokationstests mittels direkter Provokation wie z.B. Methacholin, Histamin, Hyperventilation, hypertone Kochsalzlösung oder Mannitol
Hierbei wird die Diagnose des Asthma bronchiale als gesichert angesehen, wenn bei Nachweis einer bronchialen Obstruktion der Reversibilitätstest eine vollständige Reversibilität zeigt. Im Fall einer nicht vollständigen Reversibilität und/oder pathologischer Provokationstest wird die Diagnose Asthma bronchiale als wahrscheinlich angesehen.
Provokationstest
Bei einem bronchialen Provokationstest wird geprüft, ob durch einen direkten oder indirekten Stimulus eine Atemwegsobstruktion herbeigeführt werden kann [6,7]. Als direkter Stimulus wird häufig Methacholin eingesetzt, als indirekter Stimulus körperliche Belastung. Direkte bronchiale Provokationstest werden als sensitiv für die Detektion einer bronchialen Hyperreagibilität angesehen, sie sind jedoch weniger spezifisch für Asthma. Spezifischer für Asthma bronchiale, allerdings weniger sensitiv, sind indirekte Provokationstest wie die Belastungs-induzierte oder Allergen-spezifische Provokation. Provokationstest erfordern eine sorgfältige Prüfung von Indikation und Kontraindikationen sowie eine angemessene Vorbereitung des Patienten, Schulung des Personals sowie die Verfügbarkeit einer Notfallbehandlung. Die zeitliche Ressource für einen Provokationstest ist relativ hoch.
Belastungsinduzierte Bronchokonstriktion [7]: Der Stimulus bei der Belastungs-induzierten Bronchokonstriktion (EIB) ist die gesteigerte Ventilation. Die Untersuchung wird üblicherweise auf dem Laufband oder Ergometer durchgeführt. Hierbei wird es als methodisch entscheidend angesehen, dass ein schneller Anstieg der Ventilation erreicht wird. Das Protokoll soll so ausgerichtet sein, dass die Ziel-Herzfrequenz (>85% der maximal vorgesehenen Herzfrequenz; maximale Herzfrequenz 220-Alter in Jahren) bzw. die Ziel-Ventilation (60% der maximalen willentlichen Ventilation (MMV); MMV = FEV1 × 40) innerhalb von 2–3 Minuten erreicht wird, danach soll das Niveau für 6 Minuten beibehalten bleiben. Die Spirometrie soll vor und bis 30 Minuten nach der Belastung gemessen werden, um die EIB zu detektieren. Häufig wird die niedrigste FEV1 5–10 Minuten nach Belastungsende gemessen. Als pathologisch wird ein Abfall der FEV1 um mindestens 10% oder >200 ml gegenüber dem Ausgangswert angesehen.
Methacholintest [6]: Methacholin ist ein Muskarinrezeptoragonist. Bei Patienten mit einer bronchialen Hyperreagibilität führt die Inhalation mit Methacholin in niedrigeren Dosen zu einer Bronchokonstriktion als bei Personen mit gesunden Atemwegen. Methacholin wird nach einem standardisierten Protokoll in steigender Konzentration als Aerosol über einen Vernebler appliziert. Nach jedem Inhalationsschritt wird eine Spirometrie gemessen. Abschliessend erfolgt eine Spirometrie nach der Gabe eines SABA. Der Test wird als positiv bewertet, wenn die FEV1 um 200 ml oder um 20% abfällt oder sich der Atemwegswiderstand verdoppelt. Als Testergebnis wird die kumulative Provokationsdosis angegeben, die zu einem Abfall der FEV1 um 20% geführt hat.
Eine interessante aktuellere Studie zum Reversibilitätstest und Provokationstest im Rahmen der Diagnostik bei V.a. Asthma bronchiale wurde von Louis und Kollegen veröffentlicht [8]. In der retrospektiven Studie wurde bei symptomatischen Patienten ohne Dauertherapie, die mit der Fragestellung des Vorliegens eines Asthma bronchiale vorgestellt wurden, die Resultate des Reversibilitätstests und des Provokationstest mittels Methacholin analysiert. Die FEV1 betrugt im Durchschnitt 94%, die FEV1/VC 77%. Die Diagnose Asthma bronchiale wurde in 91% der Fälle gestellt. Hierbei hatten nur 3% einen positiven Reversibilitätstest, 17% zeigten eine positiven Reversibilitäts- und Provokationstest, während der Methacholintest allein in 71% positiv war.
Bei der Abklärung eines Asthma können weitere Untersuchungen für die Diagnose und/oder Charakterisierung herangezogen werden. Hierzu zählen Differenzialblutbild/Eosinophilie, fraktioniertes exhaliertes Stickstoffmonoxid (FeNO), Röntgen-Thorax und eine allergologische Stufendiagnostik.
Therapie
Die nicht-medikamentösen Therapiemassnahmen stehen prinzipiell allen Asthma-Patienten unabhängig von ihrem Schwergrad zur Verfügung. Hierzu zählen die Patientenschulung, körperliches Training, Atemphysiotherapie, Tabakentwöhnung, psychosoziale Aspekte und die Kontrolle des Körpergewichts. Bei allergischem Asthma bronchiale kann darüber hinaus eine Hyposensibilisierung angeboten werden.
Bisherige Leitlinien-gerechte Therapie des leichten Asthma bronchiale Stufe 1: Für die Stufe-1-Therapie wird bzw. wurde eine Bedarfstherapie mit SABA als erste Präferenz empfohlen, ein inhalatives Steroid (ICS) in niedriger Dosierung als Langzeittherapie (Tab. 1) plus eine Bedarfstherapie mit SABA ist eine alternative Behandlungsoption. Eine alleinige Bedarfstherapie mit SABA sollte nur bei Patienten eingesetzt werden, die selten kurz anhaltende Symptome am Tag aufweisen (seltener als zweimal monatlich), keine nächtlichen Symptome beschreiben und eine normale Lungenfunktion zeigen.
Bisherige Leitlinien-gerechte Therapie des leichten Asthma bronchiale Stufe 2: Erste Wahl in der Stufe 2 ist bzw. war die Behandlung mit einem ICS in niedriger Dosierung als Langzeittherapie in Kombination mit eine Bedarfstherapie mit SABA. Dies betrifft in der Regel Patienten, die typischerweise mehr als zweimal in der Woche eine bedarfsweise Inhalation bedürfen. Als Alternative kann eine Langzeittherapie mit einem Leukotrienrezeptorantagonisten (LTRA) plus eine Bedarfstherapie mit SABA erwogen werden. LTRA kommen bei Erwachsenen vor allem für Patienten in Betracht, die ein ICS ablehnen bzw. nicht tolerieren.
Neue Erkenntnisse in der medikamentösen Behandlung des leichten Asthma
Aus Sicherheitsgründen wird von GINA nicht mehr empfohlen, dass erwachsene Patienten mit Asthma bronchiale allein mit SABA, ohne inhalative Steroide, behandelt werden. Diese Empfehlung basiert darauf, dass die Behandlung mit SABA allein die Patienten nicht optimal vor schweren Exazerbationen schützt. Hierzu liegen fünf richtungsweise klinische Studien vor.
START reloaded: Inhalative Steroid als Dauertherapie bei seltener Symptomatik [9]: START war eine randomisierte, multizentrische Studie, die bei Patienten mit persistierendem Asthma eine inhalative Therapie mit Budesonid (400 µg, 1 täglich) versus Placebo geprüft hat. START reloaded hat zu einem späteren Zeitpunkt eine post-hoc Analyse durchgeführt, die die Therapieeffekte in Abhängigkeit von der Basis-Symptomatik geprüft hat: Patienten mit Symptomen an 0–1 Tag/Woche, Patienten mit Symptomen an 1–2 Tagen/Woche versus Patienten mit Symptomen an mehr als 2 Tagen/Woche. Es konnte gezeigt werden, dass in allen drei Studiengruppen die inhalative Dauertherapie mit Budesonid im Vergleich zu Placebo vorteilhaft war: die Zeit bis zum ersten schweren Ereignis war länger, das Risiko für Exazerbationen wurde reduziert, die Lungenfunktion war besser und die Symptome waren geringer ausgeprägt. Aus den Ergebnissen der Studie wurde die Schlussfolgerung gezogen, dass auch Patienten mit leichtem Asthma bronchiale mit wenig Symptomatik eine inhalative Steroidtherapie in Betracht gezogen werden sollte.
SYGMA 1: Kombinierte inhalative Bedarfstherapie mit Budesonid und Formoterol bei leichtem Asthma [10]: In der prospektiven doppelblinden multizentrischen Studie wurden über einen Studienzeitraum von 52 Wochen bei 3849 Patienten mit leichtem Asthma drei Behandlungsarme geprüft: zweimal täglich Placebo + Terbutalin als Bedarf versus zweimal täglich Placebo + Budesonid/Formoterol (Bud/Form) als Bedarfstherapie versus zweimal täglich Budesonid + Terbutalin bei Bedarf. Der primäre Endpunkt dieser Studie war die Asthmakontrolle. Die Adhärenz wurde durch zweimal tägliche Erinnerungen unterstützt und war mit 79% vergleichsweise hoch. Bezüglich des primären Endpunkts der Asthmakontrolle (Prozent Wochen mit kontrolliertem Asthma) war die Bud/Form Bedarfstherapie der Bedarfstherapie mit Terbutalin überlegen, der Dauertherapie mit Budesonid jedoch unterlegen. Die jährliche Rate an schweren Exazerbationen war in der Bud/Form Studiengruppe signifikant niedriger als in der Studiengruppe mit Terbutalin Bedarfstherapie und vergleichbar mit der Studiengruppe der Budesonid-Dauertherapie. Die Änderung der FEV1 war mit Budesonid Dauertherapie grösser als mit Bud/Form Bedarfstherapie, die wiederum grösser war als bei Terbutalin als Bedarfstherapie.
SYGMA 2: Kombinierte inhalative Bedarfstherapie mit Budesonid und Formoterol bei leichtem Asthma [11]: Die Ergebnisse von SYGMA 2 sind in der gleichen Ausgabe des New England Journal of Medicine erschienen wie SYGMA 1. Bei SYGMA 2 handelte es sich ebenfalls um eine prospektive, doppelblinde multizentrische Studie über 52 Wochen, bei der bei 4215 Patienten mit leichtem Asthma bronchiale 1:1 auf die Behandlung mit zweimal täglich Placebo + Budesonid/Formoterol als Bedarfstherapie versus zweimal täglich Budesonid + Terbutalin als Bedarfstherapie randomisiert wurde. Als Device wurde wie bei SYGMA 1 der Turbohaler eingesetzt. Hier habe es keine Erinnerung an die regelmässige Inhalation. Der primäre Endpunkt war die jährliche Rate an schweren Exazerbationen, für die zunächst eine Überlegenheit, im späteren Studienverlauf eine Nicht-Unterlegenheit für die Bedarfstherapie mit Budesonid/Formoterol gezeigt werden sollte. Die Therapie mit Budesonid/Formoterol als Bedarfstherapie (jährliche Exazerbationsrate 0,11) war der Dauertherapie mit Budesonid + Terbutalin Bedarfstherapie (jährliche Exazerbationsrate 0,12) bezüglich des primären Endpunkts nicht unterlegen. Bezüglich der Symptomatik, die mittels Asthma Control Questionnaire (ACQ-Test) untersucht wurde, zeigte sich ein statistisch signifikanter, jedoch klinisch nicht relevanter Unterschied (ACQ Differenz <0,5 Punkte). Die FEV1 hingegen konnte unter der Dauertherapie mit Budesonid deutlicher verbessert werden (Differenz 32,6 ml). Die Adhärenz zu der Therapie war mit 64% der Placebodosen in der Budesonid/Formoterol-Bedarfsgruppe und 63% in der Budesonid-Dauertherapie-Gruppe niedriger als bei SYGMA 1.
PRACTICAL: Kombinierte inhalative Bedarfstherapie mit Budesonid und Formoterol bei leichtem bis moderatem Asthma, offenes Studiendesign [12]: PRACTICAL ist eine offene, prospektive randomisierte, multizentrische Studie aus Neuseeland, die ähnlich wie SYGMA 2 bei 890 Patienten mit leichtem bis moderatem Asthma die Bedarfstherapie mit Budesonid/Formoterol mit einer Budesonid Dauertherapie + Terbutalin-Bedarfstherapie verglichen hat. Primärer Endpunkt war die Rate an schweren Exazerbationen. Die Adhärenz war mit 76% relativ hoch. In dieser Studie war die Rate an jährlichen schweren Exazerbationen in der Studiengruppe Bud/Form Bedarfstherapie signifikant niedriger als in der Studiengruppe der Budesonid-Dauertherapie. ACQ-5 und FEV1 waren vergleichbar.
NOVEL START: Kombinierte inhalative Bedarfstherapie mit Budesonid und Formoterol bei leichtem bis moderatem Asthma, offenes Studiendesign [13]: NOVEL-START ist ebenfalls eine offene, prospektive randomisierte, multizentrische Studie, die 668 Patienten mit leichtem bis moderatem Asthma in Neuseeland, dem Vereinigten Königreich von England, Italien und Australien eingeschlossen hat. Geprüft wurde ähnlich wie SYGMA 1 die Behandlung mit einer SABA-Bedarfstherapie mit Albuterol im Vergleich zu einer Bud/Form-Bedarfstherapie und Budesonid als Dauertherapie + Albuterol bei Bedarf. Primärer Endpunkt war die Rate an Exazerbationen. Die Adhärenz war mit 56% niedrig. Die jährliche Rate an Exazerbationen war mit der Form/Bud Bedarfstherapie signifikant niedriger als mit der SABA-Bedarfstherapie und vergleichbar mit Budesonid-Dauertherapie. Die Anzahl an schweren Exazerbationen war mit der Form/Bud Bedarfstherapie sogar niedriger als bei der Budesonid-Dauertherapie. Die ACQ-5-Werte zeigte hier auch statistisch signifikant, aber klinisch nicht relevant unterschiedlich. Die FEV1-Unterschiede vor und nach Therapie waren in dieser Studie nicht unterschiedlich zwischen der verschiedenen Studienarmen.
In den 4 beschriebenen klinischen Studien zur Bedarfstherapie mit Budesonid/Formoterol wurden vergleichsweise Dosierungen eingesetzt: in der Budesonid-Dauertherapie war Budesonid 400 µg/Tag im Einsatz, für die Budesonid/Formoterol Bedarfstherapie die Dosierung 200/6 µg bei Bedarf. Als Device für die ICS-haltige Therapie wurde der Turbohaler gewählt.
Neue Therapieoptionen für Stufe 1 und Stufe 2
Die GINA-Empfehlungen nehmen die neue Evidenz bereits auf und sehen keine Therapieoption mehr für eine ausschliessliche SABA-Bedarfstherapie (Tab. 2). Es werden nun zwei sogenannte Tracks beschrieben, wobei der Track 1 dadurch charakterisiert ist, dass er keine Bedarfstherapie mit SABA vorsieht: sowohl bei Stufe 1 als auch bei Stufe 2 wird eine Bedarfstherapie der Fixkombination mit ICS/LABA empfohlen. Track 2 sieht für Stufe 1 eine Bedarfstherapie mit SABA vor, besteht ein Bedarf soll auch ein ICS eingenommen werden. Stufe 2 beinhaltet die Empfehlung einer Langzeittherapie mit einem niedrig dosierten ICS in Kombination + SABA Bedarfstherapie.
Bei der Verordnung ist jedoch zu beachten, dass die Fixkombination ICS/LABA als Bedarfstherapie ebenso wie die Bedarfstherapie mit einem inhalativen Steroid in dieser Indikation nicht zugelassen sind und somit ein Off-Label-Use vorliegt. Hier besteht im Sinne des Patienten und im Sinne des Verordners dringender Klärungsbedarf. Es bleibt abzuwarten, ob und wie die geplante Leitlinie der European Respiratory Society (ERS; «ERS Guideline on ICS/formoterol on demand») hierzu Stellung nehmen wird.
Bewertung des Asthma bronchiale
Es soll in regelmässigen Abständen, üblicherweise nach 3 Monaten, überprüft werden, ob eine Asthmakontrolle vorliegt und/oder ob eine Therapieanpassung (Intensivierung oder Deeskalation) erforderlich ist. Hierfür wird empfohlen, neben der Analyse der Symptomatik auch das Exazerbationsrisiko einzuschätzen (Tab. 3). Unterstützt werden kann die Anamnese durch standardisierte Fragebögen wie der Asthma Control Test (ACT) oder Asthma Control Questionnaire (ACQ-5). Gleichzeitig wird empfohlen, Komorbiditäten sowie relevante Behandlungsaspekte zu evaluieren.
Das Ziel der Asthmatherapie ist, die Asthmakontrolle mit geringst möglicher Anzahl an Antiasthmatika in niedrigst möglicher Dosis aufrechtzuerhalten. Als Therapieziele gelten:
Vermeidung von Exazerbationen
Vermeidung einer krankheitsbedingten Beeinträchtigung der körperlichen und sozialen Aktivitäten im Alltag
Vermeidung von Komplikationen und Folgeschäden
Vermeidung von unerwünschten Nebenwirkungen der Therapie
Normalisierung der Lungenfunktion und Reduktion der bronchialen Hyperreagibilität
Verbesserung der gesundheits- und asthmabezogenen Lebensqualität
Reduktion der asthmabedingten Letalität
Früherkennung von Asthma
Bei der Früherkennung soll eine zeitlich vorverlegte Diagnose ermöglichen, mit mehr Erfolgsaussicht behandelbare Formen der Krankheit zu erkennen. Dazu nimmt man implizit an, dass sich die Erkrankung ohne Behandlung mit der Zeit zu Formen mit schlechterer Prognose weiterentwickeln würde [14]. Die Studienlage zu einem möglichen Vorgehen, der optimalen Testauswahl und des therapeutischen sowie ökonomischen Effektes einer Früherkennung von Asthma ist bisher begrenzt. Eine Untersuchung in Dänemark hat die Kombination eines Fragenbogens in der ersten Stufe und einer Anamnese in Kombination mit einer Spirometrie und gegebenenfalls einen Provokationstest in der zweiten Stufe bei 10 877 Studienteilnehmern geprüft. Es wurden 493 Studienteilnehmer mit Asthma bronchiale identifiziert, wobei die Diagnose bei 249 Studienteilnehmern neu war. Dies entspricht 2,3% der ursprünglich 10 877 kontaktierten Personen. 47% der Teilnehmer mit neu diagnostiziertem Asthma hatten ein leichtes Asthma, 53% ein moderates bis schweres Asthma [15].
Eine kanadische Studie hat im ersten Schritt nach einer zufälligen Auswahl mittels einer standardisierten Frage 12’117 Personen nach respiratorischer Symptomatik gefragt. Bei Personen mit Beschwerden erfolgte eine Anamnese mittels Telefoninterview. Nach Ausschluss von Personen mit bekannter Lungenerkrankung und weiterer definierter Komorbiditäten wurden die verbliebenen 1706 Teilnehmer mittels Asthma Screening Questionnaire und Spirometrie untersucht. Bei 73 Teilnehmern, d.h. bei 0,6% der initial kontaktierten Personen wurde ein Asthma bronchiale diagnostiziert. 35 Teilnehmer bzw. 48% hatten ein leichtes Asthma [16].
Für Kinder liegt ein Positionspapier der American Thoracic Society vor, dass ein Screening aktuell nicht empfohlen werden kann. Während eine Früherkennung in der erwachsenen Allgemeinbevölkerung ebenso nicht zielführend erscheint, kann eine Untersuchung von zu definierenden Risikogruppen von Vorteil sein.
Asthma bronchiale und chronische Rhinosinusitis mit Nasenpolypen
Eine klinisch relevante Risikogruppe für Asthma bronchiale stellen Patienten mit chronischer Rhinosinusitis darstellen. Bei der chronischen Rhinosinusitis (CRS) kann zwischen einer Form ohne (CRSsNP) oder mit Nasenpolypen (CRSwNP) unterschieden werden [17]. CRSwNP betrifft etwa jeden 5. Patienten mit CRS, die Prävalenz in der europäischen Bevölkerung beträgt zwischen 2,1–4,4% [18]. CRSwNP ist die Variante, die in Zusammenhang mit dem Asthma bronchiale die grössere Bedeutung zu haben scheint, da sie pathophysiologisch über das inflammatorische Profil der TH2-Inflammation und klinisch in Verbindung stehen. Eine prospektive multizentrische Fall-Kontroll-Studie aus dem Vereinigten Königreich hat die Häufigkeit von Asthma bronchiale anhand eines standardisierten Fragebogens bei Patienten, die sich aufgrund einer Rhinosinusitis in Behandlung befanden, geprüft: dies war bei 21% der Patienten mit CRSsNP gebenüber 47% der Patienten mit CRSwNP der Fall [19]. Vergleichbare Ergebnisse liefert eine prospektive amerikanische Untersuchung, die Patienten mit CRS mittels einem standardisierten Asthma-Fragebogen und Lungenfunktionstest untersucht haben. Hier wurde die Prävalenz eines Asthma bronchiale mit 16% bei CRSsNP bzw. 48% bei CRSwNP gefunden [20]. Eine systematische Untersuchung von Patienten mit CRS, insbesondere mit Nasenpolypen, auf das häufig begleitende Asthma bronchiale gibt den Patienten die Chance auf ein möglichst frühes Erkennen des Asthma bronchiale und eine optimale Therapie beider Erkrankungen.
Take-Home-Messages
Leichtes Asthma ist nicht harmlos.
Die klinische Einschätzung sowie eine präzise Lungenfunktionsdiagnostik, ggf. einschliesslich direkter und/oder indirekter Provokationstests, sind entscheidend für die Diagnose des leichten Asthma bronchiale.
Kurz wirksame Beta-2-Mimetika als Bedarfstherapie als alleinige Therapie ist in der Vermeidung von Exazerbationen gegenüber einer Bedarfstherapie mit Budesonid+Fomoterol (200 µg/6 µg) bzw. einer Dauertherapie mit Budesonid (400 µg/Tag) unterlegen.
GINA empfiehlt keine alleinige SABA-Bedarfstherapie mehr. Es wird eine Bedarfstherapie mit Budesonid + Formoterol als neue Therapieoption des leichten Asthma bronchiale für Stufe 1 und 2 bevorzugt empfohlen. Alternativ wird bei der Wahl von SABA als Bedarfstherapie empfohlen, ein inhalatives Steroid einzunehmen, wenn SABA eingesetzt wird (Stufe 1) bzw. eine Dauertherapie mit einem inhalativen Steroid (Stufe 2). Budesonid + Formoterol bei Bedarf sowie ein inhalatives Steroid bei Bedarf sind jedoch bisher in Europa nicht zugelassen.
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Eine Demenz ist Ausdruck und Folge unterschiedlicher Erkrankungen. Aufgrund des demografischen Wandels steigt die Prävalenz stetig an. Vor einigen Jahren konnte man einen Zusammenhang zwischen Demenz und Bluthochdruck aufdecken. Als Präventionsmassnahme könnte daher eine effektive Blutdrucksenkung auch das Demenzrisiko reduzieren.
In der Schweiz sind aktuell knapp 155’000 Menschen von einer Demenz betroffen. Durchschnittlich wird alle 18 Minuten eine neue Diagnose gestellt. Bis zum Jahr 2040 sollen Schätzungen zufolge 300 000 Menschen an Demenz erkrankt sein [1]. Auf Grundlage dieser Daten kommt der Prävalenz und effektiven Therapie eine besondere Bedeutung zu. Eine Demenz kann unterschiedliche Ursachen aufweisen. Etwa 50–70% der Betroffenen leiden an Alzheimer-Demenz, weitere 15–25% an einer vaskulären Form der Erkrankung [2]. Dennoch ist der Blutdruck ein bisher eher unterschätzter Risikofaktor. Bereits ab einem hochnormalen systolischen Wert von 130 mmHg steigt einer Studie zufolge das Demenzrisiko an [3]. Während nur 3,7% der Probanden mit niedrigem Druck an Demenz erkrankten, waren es bei den Teilnehmern mit Werten ab 130 mmHg 6,3%. Am schwersten betroffen waren zudem die Patienten, die bereits seit längerer Zeit und einer chronischen Hypertonie litten.
Die Frage war nun, ob eine medikamentöse Blutdrucksenkung entsprechend seiner Wirkung auf das Schlaganfall- und Herzinfarktrisiko auch die Demenzrate positiv beeinflussen kann. Eine Metaanalyse wertete daher sechs grosse Kohorten prospektiver Beobachtungsstudien aus [5]. Daten von über 31 000 Menschen ohne vorbestehende Demenzerkrankung über 55 Jahren wurden in zwei Gruppen stratifiziert. In der ersten Gruppe wiesen die Teilnehmer zum Zeitpunkt des Studieneinschlusses normale Blutdruckwerte (<140/<90 mmHg) auf, die zweite Gruppe schloss jene mit erhöhten Blutdruckwerten ein. Der Anteil der Studienteilnehmer, die eine medikamentöse blutdrucksenkende Therapie erhielten, variierte und lag zwischen 32,5% und 62,1%.
Während des Beobachtungszeitraums erkrankten insgesamt 3728 Studienteilnehmer an einer Demenz, 1741 davon an Alzheimer-Demenz. Es zeigte sich darüber hinaus, dass die Patienten, die einer Behandlung bzgl. ihrer Hypertonie unterlagen, mit 12% ein signifikant geringeres Demenz-Risiko aufwiesen (HR: 0,88; p=0,019) und sogar ein 16% niedrigeres Alzheimer-Risiko (HR: 0,84; p=0,021). Die Forscher sind sich daher einig, dass eine Bluthochdruckkontrolle einen positiven und klinisch relevanten Effekt auf die Entwicklung einer Demenz ausübt.
Konsequente Behandlung zeigt Wirkung
Mit welcher Substanzklasse die Betroffenen behandelt wurden, ist hingegen nicht entscheidend. Weder ACE-Hemmer, Angiotensin-II-Rezeptor-Blocker noch Betablocker, Calciumkanalblocker oder Diuretikum zeigte sich den anderen überlegen. Ausschlaggebend ist einzig der Zielbereich von unter 140/90 mmHg.
Schätzungen zufolge leidet in der Schweiz jeder vierte Erwachsene unter einer arteriellen Hypertonie [6]. Allerdings sind viele Patienten unbehandelt oder unzureichend eingestellt. Gründe für eine unkontrollierte Hypertonie gibt es viele. Häufig werden die Therapieoptionen nicht ausgenutzt. Die Ansprechrate auf eine Monotherapie liegt bei maximal 30–40%. Daher wird inzwischen auch initial die Gabe einer Zweifachkombination propagiert. Im Gegensatz zur Dosiseskalation greift die Kombination deutlich besser [7]. Die Zweifachkombination weist eine Ansprechrate von 80% auf und stärkt darüber hinaus die Adhärenz. Denn bis zu 70% der Patienten nehmen ihre Medikamente nicht wie verordnet ein. Untersuchungen zufolge steigt das Risiko der Non-Adhärenz ab der Gabe von drei Tabletten täglich [8,9].
Fixkombinationen bevorzugen
Fixdosis-Kombinationen unterstützen in diesem Fall das Therapieregime effektiv. Kann unter der Zweifachkombination in optimaler Dosierung keine effektive Blutdrucksenkung erzielt werden, sollte auf eine Dreifachkombination, z.B. ACE-Hemmer, Calciumantagonist und Diuretikum, umgestellt werden.
Literatur:
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Die häufigste Form der Demenz bei älteren Menschen – Alzheimer – ist mit Amyloid-Plaques und Alzheimer-Fibrillen assoziiert. Sowohl β-Amyloid als auch p-Tau sind zwei pathogene Moleküle, die eine massgebliche Rolle bei der Induktion der Erkrankung spielen. Nun konnte gezeigt werden, dass eine Langzeitbehandlung mit Gingko biloba-Extrakt die Alzheimer-Pathologie deutlich verbessern kann.
Die Alzheimer-Demenz (AD) ist eine neurodegenerative Erkrankung, in deren Verlauf es zur Beeinträchtigung der Orientierung, der Kommunikationsfähigkeit, der autobiografischen Identität und der Veränderung von Persönlichkeitsmerkmalen kommt. Charakteristisch sind neuropathologische und neurochemische Veränderungen, die meist schleichend beginnen und sich dann langsam, aber stetig über einen Zeitraum von mehreren Jahren entwickeln [1]. Was genau den Abbau der Nervenzellen verursacht, ist bisher noch nicht vollumfänglich geklärt. Sicher ist aber, dass die Erkrankung pathologisch vor allem durch β-Amyloid (Aβ)-Plaques und Tau-Fibrillen gekennzeichnet ist [2].
Aβ ist ein natürliches Eiweiss, das aus einem Vorläuferprotein entsteht und normalerweise im Gehirn gespalten und abgebaut wird. Da sich bei der AD der Abbau der Amyloid-Vorläuferproteins verändert, entstehen vermehrt Aβ-Proteine. Diese akkumulieren zu β-Amyloid-Plaques, die sich zwischen den Nervenzellen ablagern und vom Körper nicht mehr abgebaut werden können [3]. Tau-Proteine sind für die Stabilität und Nährstoffversorgung der Zellen verantwortlich. Durch chemische Veränderungen sammelt sich das Protein in Form von Fasern – Tau-Fibrillen – in der Nervenzelle an, sodass diese ihre Form und Funktion verlieren [3].
Schlüsselelement detektiert?
Es gibt Hinweise darauf, dass oligomeres Aβ eine Hyperphosphorylierung und Aggregation von Tau induziert und die Tau-Pathologie von einer begrenzten Region um den medialen temporalen Kortex auf den gesamten Neokortex ausdehnt. In Experimenten wurde nachgewiesen, dass eine Tau-Akkumulation mit einer schlechteren kognitiven Leistung und Hirnatrophie assoziiert ist. Im Liquor von Alzheimer-Patienten sind der Proteingehalt von p-Tau und die Gesamtmenge der Tau-Proteine erhöht. Wie p-Tau das neuronale Netzwerk beeinträchtigt, ist bisher noch unklar. Es werden aber unterschiedliche Mechanismen diskutiert:
Die Hyperphosphorylierung von Tau stört die normale Funktion von Tau bei der Stabilisierung des Zytoskeletts und der Regulierung des axonalen Transports
Tau zielt auf die Tyrosinkinase Fyn und vermittelt den Aβ-induzierten Verlust des N-Methyl-D-Aspartat-Rezeptors an der Post-Synapse
Die Tau-Akkumulation dephosphoryliert das cAMP Response Element Binding Protein (CREB) und beeinträchtigt dadurch die Bildung synaptischer Verbindungen
p-Tau induziert die Anhäufung von oligomerem Insulin und Insulinresistenz in Neuronen
Auf jeden Fall schein p-Tau ein pathogenes Schlüsselmolekül bei der AD zu sein und entsprechend könnte eine Reduktion den Progress der Erkrankung aufhalten.
Autophagie – ein Weg zu geringeren p-Tau-Spiegeln?
Es gibt immer mehr Beweise dafür, dass die Makroautophagie ein wirksamer Mechanismus zur Reduzierung von p-Tau sein könnte. An Mäusen konnte beobachtet werden, dass p-Tau im Gehirn akkumuliert, wenn die wichtigste autophagische Komponente (ATG7) in den Vorderhirnnervenzellen abgetragen wurde. Zudem senkten Autophagie-fördernden Interventionen den Proteinspiegel des zerebralen p-Tau. Durch Verstärkung der neuronalen Autophagie mittels Aktivierung einer chronischen mikroglialen Inflammation, konnte das zerebrale p-Tau verringert und das kognitive Defizit abgeschwächt werden [4]. In einer Studie wurde daher untersucht, ob der zerebrale p-Tau-Spiegel durch Ginkgo biloba-Extrakt EGb 761 gesenkt und die AD-Pathogenese so verhindert werden kann. Dafür wurden menschliche P301S-Tau-Mutanten-transgene Mäuse über zwei oder fünf Monate mit EGb 761 gefüttert, das der regulären Nahrung zugesetzt wurde.
Die Behandlung mit EGb 761 über fünf Monate konnte die kognitive Funktion der Mäuse tatsächlich signifikant verbessern, den Verlust von Synaptophysin abschwächen und die Phosphorylierung von CREB im Mäusehirn wiederherstellen. Auch wurde die Menge des p-Tau-Proteins verringert und die mikrogliale pro-inflammatorische zu einer anti-inflammatorischen Aktivierung im Gehirn verlagert. Dieser Effekt trat allerdings noch nicht nach der zwei monatigen Therapie auf. Eine Langzeitbehandlung mit Ginkgo biloba-Extrakt EGb 761, einem klinisch verfügbaren und gut verträglichen pflanzlichen Medikament, verbessert demnach die Alzheimer-Pathologie durch Mechanismen gegen mehrere pathogene Prozesse der Erkrankung.
Literatur:
https://neurotransconcept.com/indications/?i=DEM&p=2 (letzter Zugriff am 17.08.2020)
www.amboss.com/de/wissen/Morbus_Alzheimer (letzter Zugriff am 17.08.2020)
www.alzheimer-forschung.de/alzheimer/wasistalzheimer/veraenderungen-im-gehirn (letzter Zugriff am 17.08.2020)
Qin Y, Zhang Y, Tomic I, et al.: Ginkgo biloba Extract EGb 761 and Its Specific Components Elicit Protective Protein Clearance Through the Autophagy-Lysosomal Pathway in Tau-Transgenic Mice and Cultured Neurons. J Alzheimers Dis 2018; 65(1): 243–263.